Diebstahl

© EINsamer wANDERER

Mein Name ist Montgomery McNard. Einziger Erbe des McNard-Vermögens. Zu meiner Person gibt es in diesem Tagebuch nur wenig zu sagen. Ich bin in eine wohlbetuchte Familie geboren worden, was mir sowohl Fluch als auch Segen zugleich ist. Wie jeder reiche Erbe wurde auch ich mit jener Geißel geboren, die jedem Anhänger des hartarbeitenden Proletariats fremd ist. Wir Erben werden zusammen mit der Langeweile in die Wiege gelegt und wachsen mit ihr auf. Die einen geraten verhätschelt, andere stürzen sich in Weibergeschichten, eine Angelegenheit die mir schon immer zuwider war, und dann gibt es noch solche wie mich die sich nach der Welt und ihren Abenteuern sehnen. Dies ist auch der Grund wieso meine Familie mich für missraten hält. Ich weiß noch, wie ich während des einen Sommers für drei Tage verschwunden war, um den berüchtigten Rübezahl in den deutschen Bergen nachzujagen. Man fand mich verletzt in einer kleinen Schlucht und brachte mich in unsere Sommerresidenz. Dies ist nur eines in meiner Sammlung verspielten Abenteuer. Gott sei es gedankt, dass ich mir diesen Funken kindlicher Unschuld bewahren konnte. Mein vorletzter Abstecher war auch der Grund wieso mein letztes Abenteuer überhaupt begann. Und es war ein vorzüglicher Zeitvertreib. Soviel sei gesagt.

    Nachdem ich in den irischen Mooren nach einer Banshee gesucht hatte, statt mich wie von meinen Vater bestimmt um den dortigen Handelsposten zu kümmern, wurde ich von ihm nach Amerika geschickt. Ich schreibe hier zwar, dass er mich hierherschickte, doch eigentlich verbannte man mich eher. Unser Handelsposten in New Hope lief schlecht und somit ist es mir unmöglich dort irgendetwas zu vermasseln. Desweiteren versuchte mein Vater mich mit den Geschichten über dieses Land dorthin zu locken, damit die rufschädigenden Kindereien zuhause ein Ende fanden. Zugegebenermaßen interessierten mich die Erzählungen über rothäutige Wilde und grobschlächtige Männer die mit ihren Büchsen gegen gefährliche Tiere in einem ungezähmten Land kämpften. Aber der vernunftbegabte Teil in mir sagte, dass ich all dies nie zu Gesicht bekommen würde. In all den Jahren hatte man die Sicherheit meiner Person immer weiter verschärft, da ich es liebe ihnen zu entkommen. Ich verweise auf die Geschichte mit dem Rübezahl, um nur einen von unzähligen Gründen zu nennen. Desweiteren würde man mich so sehr mit Arbeit überhäufen, dass ich nicht dazukommen würde allzu große Fluchten zu organisieren. Aber alles hatte sein Gutes. In besagter Stadt New Hope sollte ich mit meinem alten Studienfreund Thomas Rains zusammenarbeiten. Ich bezeichne ihn gerne als den einzigen Engländer der mich nie langweilte. Außerdem folgte mir noch mein einziger Vertrauter, Weggefährte und Butler Earl B. Winston ins Exil.

    Bevor ich mich allerdings auf eine Reise ohne Wiederkehr begab machte ich einige Nachforschungen über New Hope. Eine Angelegenheit die mein Vater zu versäumt haben schien. Oder aber er maß dem seltsamen Fall des Adam Smith keinerlei Bedeutung bei. Teufel noch eins, ich habe den Artikel gelesen und glaubte kein Wort von dem. Es war einfach zu fantastisch und abenteuerlich, als das es wahr sein könnte, egal was mein inneres Kind mir einflüsterte. Eher glaubte ich an die Unzahl von Katzen dort, die mit zwei Schwänzen geboren wurden. Wie sehr ich mich doch diesbezüglich täuschen sollte.

    Mein erster Eindruck der Siedlung war keiner Erwähnung wert. Es schien kein besonderer Ort zu sein. Also machte ich mich mit einem schweren Seufzer auf den Weg zu meiner neuen Unterkunft, um mich dort häuslich einzurichten. Am nächsten Morgen gönnte ich mir ein herzhaftes Frühstück. Darauf folgte ein gemächlicher Spaziergang durch den Ort. Vorbei an kleinen Hütten und einer verkohlten Ruine, von der ich annehme, dass sie besagtem Smith gehörte. Seine Leiche wurde nie gefunden. Aber vermutlich ist er einfach weitergezogen, um einen anderen Platz auf dieser Welt heimzusuchen. Nun wollte ich zwar das Antreten meiner Pflichten als Leiter des hiesigen Handelsposten so weit wie möglich aufschieben, doch mein Taktgefühl gegenüber meinen guten Freund Thomas war stärker. Weshalb ich umkehrte um ihn in seinem Büro zu treffen. Vermutlich wusste er noch nicht einmal, dass ich hier war, da meine Reise recht zügig beschlossen worden war und es keine Zeit duldete ihn im Vorfelde über meine neuen Pflichten aufzuklären.

    Allerdings stellte ich mit Verwunderung fest, dass der gute Thomas in seinem Büro nicht aufzufinden war. Seine Angestellten teilten mir sogar mit, dass er schon seit Wochen nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Meines Wissens war der gute Rains stets ein korrekter Arbeiter gewesen, der all seine Tätigkeiten Gewissenhaft verrichtete. So beschloss ich kurzerhand ihn Zuhause aufzusuchen. Ich klopfte an die Tor und wurde freundlich von seiner Haushälterin hereingebeten. Sie war eine alte und rundliche Dame. Wenn ich mich recht entsinne ledig. Eine treue Seele der Familie Rains. Wäre ich ein anständiger Mensch, der niederes Hauspersonal ebenso achten würde wie ein Mitglied des eigenen Standes, hätte ich mir ihren Namen gemerkt, doch leider bin ich kein solcher Mensch. Zu meinen eigenen Bedauern. Wie dem auch sei. Die Haushälterin erklärte mir, dass sich mein guter Freund von einem Tag zum anderen in sein Arbeitszimmer eingeschlossen habe und niemanden sehe wolle, egal wer es sei. Nicht einmal sie selbst durfte ihn sehen. Sie stellte ihn die Mahlzeiten vor die Tür und wenn sie wiederkam, stand das Tablett leer vor selbiger. Die Höflichkeit gebot es mir, dass ich es wenigstens versuchen musste Thomas auf irgendwie geartete Weise wiederzusehen wie sie die Etikette erforderten, weshalb ich die Haushälterin fragte, ob ich ihn sehen dürfte. Wie erwartet verneinte sie. Selbstverständlich hatte ich bereits einen Notfallplan erarbeitet, der jegliche Etikette über Bord warf. Wenn meine Instinkte mich nicht trübten, war das vermeidliche Arbeitszimmer in der ersten Etage und am Fenster selbigen Raumes stand ein großer Baum. Aber ich musste dafür sorgen, dass die gute Seele des Hauses mir nicht rein zufällig in die Quere kam, sollte ich mich irren. Deshalb verwies ich auf eine besonders schmutzige Ecke des Raumes und machte sie darauf aufmerksam, dass sie diese noch einmal gründlich reinigen sollte. Zu meiner eigenen Schande argumentierte ich in arglistiger Weise, dass würden wichtige Gäste kommen die Familie Rains durch derlei einen Schaden ihres guten Rufes erleiden konnte. Die Haushälterin nickte mir ernst zu und wusste wovon ich sprach. Dann verabschiedete ich mich freundlich und überließ die nette Dame ihrer Tätigkeit.

    Zu meinem Glück war das Fenster zum einen nicht verschlossen und zum anderen führte es direkt in das verschlossene Büro meines Freundes. Doch er war nicht zugegeben. Ich rief leise seinen Namen, doch es kam keinerlei Antwort. Gerade als ich mich näher im Raum umsehen und ihn nach Geheimgängen absuchen wollte, trat ich auf etwas unverhofftes und ein unterdrückter Schrei erklang neben mir. Ich sah erschrocken zu Boden, doch da war nichts, abgesehen von ein paar Männerkleidern. Instinktiv tastete ich vorsichtig vor mir und berührte etwas weiches, warmes, das mein Auge nicht zu erkennen vermochte. Ich erschrak allerdings noch mehr als ich die Stimme von Thomas vor mir vernahm. Nachdem ich mich gesetzt und den ersten Schrecken mit einem Glas Whiskey hinuntergespült hatte, erzählte mir mein Freund seine Geschichte. Ich traute meinen Ohren kaum, als er mir erzählte, dass er eines Tages ohne seinen Körper erwacht war. Über Nacht war dieser von dannen. Thomas stand vor einem Rätsel. Zuerst dachte er, dass der Tod seine Krallen nach ihm ausgestreckt hätte, doch er atmete und konnte mit seiner Umgebung interagieren. Ein für Gespenster untypisches Verhalten, zumal er einen Puls besaß, wie ich mich selbst versicherte. So unklar sein Zustand für ihn war, so klar war er für mich selbst, der sich seit Kindesbeinen an mit den kuriosesten Ideen beschäftigte. Auch wenn Thomas meine Behauptung bis heute für eine Fantasterei hält, so bleibe ich auf meinem Standpunkt, dass er ein Mensch war. Nichts hatte sich geändert, außer dass er körperlos war. Kein Gespenst oder wandelnde Leiche. Er war einfach nur unsichtbar, weil sein sichtbarer Körper abhanden gekommen war. Nie hatte jemand behauptet, dass wir Menschen nur einen einzigen materiellen Körper besäßen. Ich weiß nun, dass wir mindestens zwei besitzen. Einer sichtbar und einer unsichtbar, doch beide untrennbar miteinander verschmolzen. Mag mich jeder für diese Behauptung als wahnsinnig oder exzentrisch betiteln, ich weiß es besser. So begann meine Zusammenarbeit mit Thomas und der Suche nach seinem sichtbaren Körper.

    
Fortsetzung folgt...


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Diebstahl"

Sorry für die Pause. Technische Schwierigkeiten.
Jedenfalls kommt hier die erste Geschichte der Vergangenheit von Rʼlyeh-City. Damals hieß die Stadt noch New Hope, was später umgeändert wurde.
Next: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/66806/Tod/

PS: Alles Gute zum Valentinstag.

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