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Die schatten vorbeifahrender Autos huchen an der Hauswand entlang als ich ein letztes Mal an meiner Zigarrette ziehe und sie schliesslich ausdruecke. Saeufzend stehe ich auf und schliesse fuer einen kurzen Moment die Augen nur um den fluesternden Grillen zu lauschen. Manchmal klingt es so als wuerden sie uns in ihrer eigenen geheimen Sprache verhöhnen ,vielleicht weil wir uns alles komplizierter machen ,als es eigentlich sein muesste.
Ist es unnormal das ich mir ueber so etwas unwichtiges wie grillende Heuschrecken Gedanken mache und versuche einen Sinn in den ,von ihnen abgegebenen ,Geraeuschen zu sehen ? Diese meiner Meinung nach tiefsinnigen Gedanken ,sausen inerhalb weniger Minuten durch mein Kopf ,werden dann aber von der Stimme meiner Betreuerin unterbrochen : “Gehst du jetzt bitte auch in dein Zimmer ?”
Ein letztes Mal recke ich den Kopf in die Höhe . Der Himmel ist wolkenlos klar , tausende von Sternen spiegeln sich in meinen Augen wieder und ein leichter Sommerwind legt sich kühlend auf meine Haut. Plötzlich merke ich wie mir etwas feuchtes erst das gesicht ,dann den hals herrunterläuft.
Nanu ? Hat es angefangen zu regnen ? Hier ¿ Ende Juli in Süd-Spanien ?
Schulterzuckend und immer noch nachdenklich von meinen verwirrten Gedankengängen laufe ich hoch in mein Zimmer ,dort angekommen begegnet mir mein Spiegelbild.
Ich weine.
Wiedereinmal wird mir schmerzlich bewusst wo ich mich befinde : Spanien !Jugendprojekt! Nur das “warum” liegt immernoch hinter nebeligen Schleiern . Einfach nicht zu erkennen ,einfach nicht zu entziffern.
Am ganzen Leib zitternd ,schäle ich mich aus meinen Klamotten ,falle ins Bett und vergrabe mein Gesicht im Kissen . Schluchzer rüteln immer wieder an mir ,verhindern das ich mich endlich in diesen ,mir so vertrauten ,Trance artigen Schlaf flüchten kann .Nach diesen ,mir so vertrauten ,schwankenden Gefühlsausbrüchen.
Plötzlich ist mein Familie wieder ganz nah, meine Mutter ,mein Vater ,mein Bruder .Alle warten sie da mit strahlenden Gesichtern am Ende der Strasse. Ich kann schon das Lachen meines Bruders höhren ,sehen wie die Sonne in den Freudentränen meiner Mama reflektiert wird und wild tanzende Schatten auf ihr Gesicht wirft.
Ich fange an zu rennen ,immer schneller und schneller ! Nurnoch wenige Meter ! Aufeinmal fängt die Erde an zu beben ,Risse schlängeln sich unter meinen Füssen am Boden entlang ,werden zu einem Loch das mich verschlingt. Ich falle tief…sehr sehr tief.
Schreiend und in Schweiss gebandet wache ich auf. Ich liege in meinem Bett. Meine Eltern – weg.
2 Uhr morgends. Trotzdem schwinge ich die Beine aus dem Bett und stelle mich unter die Dusche.
Ich spüre wie mir das warme Wasser den Rücken herrunterrint und siehe her es erzielt seine gewünschte Wirkung : langsam fange ich an mich zu enspannen.
Eine halbe Stunde und ein ausgiebiger Waschgang später fühle ich mich schon gleich etwas besser . Also dreh ich mir ne Kippe ,rauche sie und lege mich wieder schlafen.
Diesmal ohne Albträume ,der klassische Schlaf der Erschöpften.
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Am Frühstückstisch fallen mir immer wieder die Augen zu ,die Nacht hat mich mal wieder komplett geschafft. Ist ja auch ne schöne Scheisse : eine 14 Jährige mit Schlafstörungen und das beste ist das mich das schon plagt seit ich aus der Geschlossenden entlassen worden bin . Was ihr glaubt mir nicht ? Doch ,doch ihr habt ganz richtig gehört : Geschlossene !
Als ich in die Klinik kam war ich 13. Es fing alles damit an, das ich meiner Mutter etwas klaute was ihr anscheinend unheimlich wichtig war. Wichtiger als ich vielleicht… Es war ein grosses ,pralles Tütchen Gras. Ich rauchte es ,vertickte es und kaufte mir von meinem Einkommen gleich wieder neues um den Shit dann wieder zu rauchen. Einfach nur high sein ,das war was zählte. Das Mädchen was ich einmal war ,war dabei in einen Abgrund zu versinken ,wo es auch nicht so schnell wieder herauskommen sollte.
Natürlich bemerkte sie es und ein riesen Krach stand mir bevor: Ich kam gerade von der Schule nach Hause ,als meine Mom wutentbrand auf mich zustürzte und anfing mich anzubrüllen : „Wo ist ES ?!“ „Was? Wo ist was ?“ fragte ich mit der reinsten Engelsstimme. „Du weist ganz genau was ich meine ! Die Tüte die unter meinem Tisch in der Box lag ! Wo-ist -sie ?“ Ich meinte nur ,diesmal wieder mit meiner normalen ,gleichgültigen Tonart , : „Keine Ahnung…“ schob mich an ihr vorbei und ging in mein Zimmer.
Trotzdem kam sie mir hinterher und wir fingen an zu streiten . Meine arme Mutter wusste ganz genau das ich es genommen hatte und das warf sie mir vor.
Schliesslich reichte es ihr. Sie hohlte aus und ohrfeigte mich. Direkt ins Gesicht ,mit voller Wucht.
Fast zwei Jahre liegt dieser Tag nun schon zurück und trotzdem erinnere ich mich ,wie sehr meine Wange gebrannt und es mich verletzt hat. Genau an diesem Tag entschied ich mich auszuziehen . Ich kam ins Heim.
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Die ersten Tage waren grauenvoll . Ich konnte weder schlafen ,noch essen oder sonst irgendetwas tun außer in meinem neuen kahlen Zimmer herumzusitzen ,die Wände anzustarren und mir eine Zigarette nach der Anderen zu drehen. Ich bereute es.
Aber nur kurz denn nach einer Woche lernte ich Samantha kennen ,sie war auch neu und genauso wie ich hatte sie kein Bock auf diesen ganzen Mist. Also hauten wir ab ,ließen uns zulaufen ,kifften ,klauten und machten alles was dazu gehört wenn man von der Polizei gesucht wird.
Diese Faas hielten wir knapp 2 Monate durch .Immer wieder gingen Sammy und ich ins Heim zurück . Entweder um etwas zu essen und uns zu duschen oder weil die netten Beamten in grün zwei hacke dichte Mädchen irgendwo aufgriffen und sie wieder zurück ins Körbchen brachten.
Irgendwann kamen wir wieder mal zurück ,aber anstatt etwas leckeres zum Essen vorzufinden standen dort meine Eltern.
Alle Luken wurden geschlossen, so dass ich mich ja nicht wieder aus dem Staub machen könne und meine Vater fing an eine Volksrede zu halten. Doch ich hörte ihm nicht zu, ich hörte ihm nie zu.
Erst ab dem Punkt als er das Wort geschlossene Einrichtung und Klinik missbrauchte. „WAS ???? WAS FÜR EINE BESCHISSENE KLINIK ? WOVON REDEST DU?“ schrie ich. „Mäusschen, du wirst jetzt mit uns mitkommen, in das Taxi steigen das gleich vorfährt und wir werden dich in ein Krankenhaus bringen wo du Hilfe bekommst“
Tja und nach einigen verstrichenen Minuten des Streits und der Diskussion (mein Vater hatte mir gedroht einen Krankenwagen zu rufen, wenn ich mich nicht beruhigen würde) stieg ich also in dieses verdammte Taxi. Es war mir von Anfang an klar dass ich den Arzt nicht umstimmen könne (nicht das ich es nicht versucht hätte) aber es blieb trotzdem die reinste Kapitulation….Also eigentlich gar nicht mein Still.
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3 Wochen saß ich letzendlich hinter Schloss und Riegel. Kunsttherapie ,Musiktherapie ,ein total bescheuerter Lehrer und Berlin konnte ich auch nur wage hinter dem Panzerglas erkennen.
Wie hätte ich ahnen können ,das ich mich eineinhalb Jahre später einmal an diesen grauenvollen Ort zurück sehnen würde ?
Der Tag der lang ersehnten Entlassung rückte immer näher und schliesslich war es dann soweit . Ein letztes Gespräch mit meinem Therapeuten und ich war so gut wie draussen. Endlich wieder chillen ,saufen und Party machen. Doch daraus wurde dann leider auch nichts denn in diesem letzten besagten Gespräch, musste ich erfahren wo es hingehen sollte :
Magdeburg, weit weg von allem was ich kannte und lieben gelernt hatte. Weit weg von meiner Unabhänigkeit ,von meiner Freiheit. Es ging Berg ab für mich.
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Zurück in der Gegenwart : da sitze ich nun am Tisch ,penne fast ein und denke dabei an diese Zeit des Wiederstands ,an die Zeit wo ich noch vor meinen Problemen wegrennen konnte ,an diese Zeit die entgültig vorbei war. Ein neues Leben hatte begonnen : in diesem musste ich lernen mich meinen Gefühlen und meinen Problemen zu stellen und ihnen nicht immer den Rücken zu zu kehren.


© Lina R.


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Beschreibung des Autors zu "Das Leben holt dich ein"

Ein Teil meines Lebens diente als Vorlage ,auch wenn einiges dazuerfunden wurde..

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Kommentare zu "Das Leben holt dich ein"

Re: Das Leben holt dich ein

Autor: noé   Datum: 01.04.2014 3:14 Uhr

Kommentar: Dann aber sehr geschickt dazuerfunden. Guter Text!
noé

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