Leise rieselten kleine und große weiße Flocken zu Boden. Jede einzelne war ihr eigenes Kunstwerk, einzigartig und schön anzusehen, aber auch so zerbrechlich. Sie umhüllten die kleine Isabelle, rieselten auf ihr Haar und verfingen sich in ihrem braunen Mantel. Vor Freude lachend versuchte sie die Flocken aufzufangen, die jedoch bei der kleinsten Berührung mit ihrer nackten Hand dahin schmolzen.
„Isabelle, komm ins Haus“, rief ihre Mutter. Traurig ließ Isabelle die Schneeflocken, Schneeflocken sein und lief zu der kleinen Hütte, ein süßes Häuschen aus dunkelbraunem Holz, dass von dem Schnee spielerisch umrahmt wurde, welches sie ihr zu Hause nannte. Kurz vor der Tür aus Ebenholz, die sie in das warme Innere des Hauses führte, blieb sie stehen und blickte zurück.
Die Welt war in ein völliges, vollkommenes Weiß getaucht. Jede einzelne Schneeflocke versuchte sie in sich aufzunehmen, jeden Eiskristall zu entdecken und diese Bilder niemals wieder zu vergessen. „Isabelle“, rief ihre Mutter erneut und Isabelle wandte sich abermals dem Haus zu und dieses Mal endgültig.
Leicht drückte sie gegen die Holztür. Es brauchte nur einen kleinen Spalt und schon streifte ein warmer Lufthauch ihr Gesicht. Schnell schlüpfte sie in das Innere und schloss die Tür hinter sich. Ihre Mutter wartete schon auf sie, fertig angezogen und bereit das Haus zu verlassen. Immer wenn sie in die Stadt ging musste Isabelle im Haus bleiben und warten bis sie wieder zurück kehrte, da es draußen so nah am Wald zu gefährlich war. Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf die Stirn, schärfte ihr noch einmal ein das Haus nicht zu verlassen und verschwand aus der Tür.
Isabelle streifte sich ihren Mantel vom Leib und setzte sich an das erste Fenster das sie sah. Es viel ihr schwer hinauszusehen, selbst als sie mit ihrem Arm über das Glas strich. Es war viel zu beschlagen um Einzelheiten erkennen zu können. Seufzend lehnte sie den Kopf gegen die Scheibe und schloss die Augen. Während der Wind durch jede Ritze fegte, hunderte von Schneeflocken mit sich brachte, und das Feuer im Karmin knisterte, glitt Isabelle in die Welt der Träume.

Ein Klopfen riss sie aus dem Schlaf. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Ihre Mutter war noch nicht zurück und das Feuer im Kamin war schon fast erlöscht. Wie lange hatte sie geschlafen? Dann wieder dieses Klopfen. Isabelle stand auf um die Tür zu öffnen, doch dann hielt sie inne als es erneut klopfte. Es war viel zu nah, als dass es von der Tür stammen konnte.
Sie wandte sich dem Fenster zu. Ein seltsames Wesen stand auf der anderen Seite. Es war braun, leicht verzerrt und viel zu unscharf. Langsam schlich Isabelle zur Tür, öffnete sie und trat hinaus. So leise wie sie konnte setzte sie einen Fuß vor dem anderen und hinterließ dabei sichtbare Spuren im Schnee. Bei jedem Schritt knirschte er. Vorsichtig lief sie an der Wand entlang bis dort keine mehr war und spähte dann um die Ecke. Überrascht weiteten sich ihre Augen und erstaunt öffnete sie den Mund, bis sich auf ihren Lippen ein Lächeln abzeichnete.
Ein majestätischer Hirsch mit einem prächtigen Geweih stand vor dem Fenster, vor dem sie vor kurzem noch gesessen hatte, blickte sie an während eines seiner Ohren zuckte, wandte sich dann um und tottrete in den Wald zurück. Ohne auf das Verbot von ihrer Mutter zu achten, lief Isabelle ihm hinterher, zu fasziniert vom König des Waldes.
Wie lange sie ihn verfolgte, wusste sie nicht, genauso wenig in welche Richtung sie lief. Doch irgendwann verlor sie den Hirsch und nachdem sie ihn nicht wiederfand, drehte sie sich traurig um und wollte wieder nach Hause. Doch die Schneeflocken hatten ihre Fußspuren bedeckt. Die Bäume sahen alle gleich aus, kahl und behangen von Schnee. Es gab kein Hinweis aus welcher Richtung sie gekommen war.
Isabelle wusste nicht wie sie wieder nach Hause kam. Ein schluchzen kroch ihre Kehle hinauf und Tränen traten in ihre Augen. Dann schlang sie ihre Arme um sich und zitterte. Sie hatte gar nicht bemerkt wie kalt es war. Isabelle hatte ihren Mantel nicht an und trug nur ihr grün-weißes Kleid, ihre weiße Strumpfhose und ihre braunen Schneestiefel.
„Was ist denn los?“, fragte eine leise helle Stimme. Schniefend sah sie auf und erblickte eine kleine Gestalt, kaum größer als ihre Hand, die vor ihrem Gesicht flatterte. Isabelle streckte ihre Hand aus und das kleine Ding landete auf ihr. Sie blinzelte ihre Tränen weg, damit sie das Wesen betrachten konnte. Es hatte ein hübsches kleines Gesicht, eine kleine Stupsnase, volle rote Lippen und eisblaue Augen. Das schneeweiße Haar umrahmte es, fiel ihr über den Rücken bis zu ihren Kniekehlen. Ihr Körper war menschlich und wurde kaum bedeckt von einem roten Kleid in der Form einer Rosenblüte. Das Rot wurde von einer dünnen Eisschicht überzogen und glitzerte im Sonnenlicht. Das prachtvollste waren jedoch die Flügel. In der Form erinnerten sie an Schmetterlingsflügel, sie waren weiß und durchscheinend. Ein Muster von hunderten von Schneeflocken überzogen sie.
„Wer bist du?“, fragte Isabelle leise und voller Ehrfurcht. Das Wesen lächelte. „Elura, die Winterfee.“
„Eine Fee? Meine Mama sagt es gibt keine, es wären alles nur Märchen.“
„Deine Mama irrt sich“, sagte Elura und stemmte die Hände in die Hüften, sie war wohl verärgert darüber. „Menschen denken immer das es uns nicht gibt, nur weil sie uns nicht sehen.“ Dann wurde ihr Gesicht weicher und sie ließ ihre Hände wieder sinken. „Außer ihre Kinder, Kinder wie du eines bist.“
Ihre Flügel begannen zu schlagen, sodass sich Elura in die Luft heben konnte. Ihre kleinen Füße schwebten knapp über Isabelles Hand. „Was führt dich in den Wald?“, fragte die kleine Fee. „Und warum hast du geweint?“ Isabelle ließ den Kopf hängen. „Ich habe mich verlaufen und weiß nicht wie ich wieder nach Hause komme.“ Nachdenklich neigte Elura ihren Kopf zur Seite. „Ich kann dir helfen“, sagte sie dann, „wenn du mir auch hilfst.“
Isabelle nickte eifrig mit dem Kopf. Sie würde alles tun um wieder nach Hause zu kommen und nicht hier draußen zu erfrieren. „Gut“, sagte Elura strahlend. „Dann komm mit. Ich werde dir einen Ort zeigen, auf dem noch nie ein Mensch einen Fuß gesetzt hat.“ Die kleine Fee flog voraus. Aufgeregt folgte ihr Isabelle. Was das wohl für ein Ort war?
Es brauchte nicht lange bis grüne Nadelbäume den Platz der kahlen trostlosen Bäumen einnahmen. „Wir sind gleich da“, sagte Elura. „Wohin bringst du mich?“, fragte Isabelle. An einem der Nadelbäume hielt die kleine Fee an und wandte sich um. „Ich bringe dich in meine Welt, das Feenland.“ „Das Feenland?“, flüsterte Isabelle. Elura nickte, dann legte sie wieder ihren Kopf zur Seite. Das schien sie immer zu tun wenn sie nachdachte. „Nur, bist du im Moment ein klein wenig zu groß.“
Irritiert blickte Isabelle sie an, doch die kleine Fee achtete nicht darauf und begann um sie herum zu flattern. Etwas fiel auf sie herab. Es sah so aus wie winzig kleine Schneeflocken, doch als Isabelle sie berührte waren sie nicht kalt. „Das ist Glitzerstaub“, erklärte Elura. „Glitzerstaub?“ Bewundernd betrachtete Isabelle die winzigen funkelnden Körnchen die plötzlich anfingen zu wachsen, nein, dass war es nicht, sie schrumpfte. Panisch sah sie von einer Hand zur anderen und drehte sich dabei im Kreis. „Hab keine Angst“, sagte die kleine Fee, die immer größer zu werden schien.
Als Isabelle kaum größer war als ein Blatt, gesellte sich Elura zu ihr, die nun größer war als sie selbst und ihr die Hand reichte. Mit großen Augen betrachtete Isabelle die riesigen Bäume, die so bedrohlich wirkten, als wollten sie das arme Mädchen verschlingen, und den Schneeboden, in dem sie zu versinken drohte. Ihre Beine steckten schon bis zu ihren Kniekehlen im Schnee und sie rutschte weiter hinab, wie Treibsand, ein weißer Tod. Schnell streckte sie ihren Arm aus und ergriff Eluras Hand, die mit den Flügeln schlug, vom Boden abhob und Isabelle so aus dem Schnee zog.
Auf einem Ast setzte sie das Mädchen wieder ab. Zitternd sank Isabelle auf das harte Holz des Astes. Tröstend legte Elura einen Arm um sie. „Ich passe auf dich auf. Nichts, auch der Schnee nicht, kann dir etwas anhaben solange wir Winter haben, dafür sorge ich.“ „Versprochen?“, wisperte Isabelle. Die Fee nickte. „Versprochen.“ Dann reichte sie ihr erneut die Hand. „Komm, denn noch sind wir nicht im Feenland.“ Isabelle ergriff ihre Hand und kam wieder auf die Füße. „Wobei soll ich dir eigentlich helfen?“
Elura blickte an ihr vorbei, ihre Augen auf eine entfernte Erinnerung gerichtet, das Blau bekam einen trüben, schon traurigen Ausdruck. Doch dann sah sie zu Isabelle und die Trauer verflog wie eine Feder im Wind, wurde ernst. „Sieh es dir mit eigenen Augen an, dann wirst du verstehen.“ Das Mädchen nickte stumm, was hätte sie auch darauf erwidern sollen?
Elura wandte sich um, schwebte elegant über den Ast und zog Isabelle hinter sich her zu einem Loch im Baumstamm, einem Baumauge wie Isabelle es nannte. „Das ist der Eingang“, erklärte die kleine Fee und riet ihr noch: „Halt dich gut an mir fest.“ Dann hob sie vom Ast ab und schwebte in das Loch. Ängstlich blickte Isabelle nach unten. Sie schluckte. Immerhin wusste sie jetzt warum sie sich gut festhalten sollte. Es ging weit nach unten, so tief das sie den Boden nicht erkennen konnte. Generell war es in so einem Baum verdammt dunkel. Und wäre das nicht schon schlimm genug, flog Elura auch noch in die Dunkelheit hinein. Schnell faste Isabelle Eluras Hand noch mit ihrer zweiten, damit sie nicht versehentlich abrutschen und in die Tiefe stürzen konnte.
„Gleich wird es wieder hell.“ Kaum hatte die Fee ihre Worte gesprochen, erstrahlte wie aus dem Nichts ein schönes doch viel zu helles Licht, in das die beiden kleinen Wesen eintauchten und kurz danach von ihm verschlungen wurden. Isabelle schloss die Augen, damit das Licht sie nicht blenden konnte.
Es fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an, bis sie festen Boden unter ihren Füßen spüren konnte und Elura sagte: „Du kannst deine Augen wieder öffnen.“ Isabelle musste einige male blinzeln, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, dass nicht mehr ganz so hell war, und sie somit etwas erkennen konnte. Erstaunt riss sie ihre Augen auf. Sie befanden sich in einer großen, hellen, von Eiskristallen überzogenen Halle. Hellblaue Blumen hingen wie Kronleuchter von der Decke und spendeten reines weißes Licht, obwohl dies nicht nötig war. Die Wände selbst erstrahlten, in einer Mischung aus Weiß und Eisblau. Der Boden war von einer Schneeschicht überzogen.
„Schön nicht war“, sagte Elura, ließ Isabelles Hand los und ging voraus. „Das hier ist die Halle der Zeiten. Ein Zauber liegt auf ihr, sodass sie sich den Jahreszeiten anpasst. Dieser Zauber überträgt sich von hier dann über das ganze Feenland.“ Ehrfürchtig setzte Isabelle einen Fuß vor dem anderen. „Für den Zauber des Winters bin ich verantwortlich“, sagte die kleine Fee eher zu sich selbst. Dann seufzte sie. „Was ist los?“, fragte Isabelle. Traurig wandte sich Elura zu ihr. „Es ist eine große Ehre für uns Feen der Jahreszeiten, den Zauber über die Halle der Zeiten und somit über das ganze Feenland zu wirken. Er ist sehr wichtig für das ganze Feenvolk.“ Sie winkte Isabelle zu sich heran und wies mit einer Kopfbewegung aus einem riesigen Fenster.
Isabelle blickte hinaus. Die Halle der Zeiten schien höher gelegen, denn unter ihr erstreckten sie hunderte Knospen und Blüten mit kleinen Fenstern, Schornsteinen und Türen, dass musste das Feenland sein. Doch es war nicht ganz so wie Isabelle es sich vorgestellt hatte. Enttäuscht schürzte sie die Lippen. „Was siehst du?“, fragte Elura. „Ein Haufen von Blumen die am verwelken sind“, antwortete Isabelle, „schmutziger Schnee und Feen mit gesenkten Köpfen, alles ist irgendwie düster und trostlos.“ Elura nickte traurig. „Das ist leider wahr. Der Zauber ist für mein Volk überlebenswichtig.“
„Dein Volk?“, fragte Isabelle. Abermals nickte die Fee. „Meines und das der anderen drei Feen die für die Jahreszeiten stehen. Wir sind die einzigen die den Zauber wirken können, der Zauber der für das Überleben der Feen unabdingbar ist. Wir brauchen ihn sonst sterben wir.“ „Der Zauber wirkt doch, oder nicht?“, fragte Isabelle und blickte in die Halle. „Sonst würde die Halle doch nicht so aussehen, oder?“ Elura blickte auf das Feenland als sie antwortete: „Der Zauber wirkt noch, ja, aber ist schwächer als je zuvor. Meine Kraft hat vor Jahren schon angefangen zu schwinden und die der anderen tut es langsam auch. Deshalb brauche ich, nein, das ganze Feenvolk braucht dein Hilfe.“
Ernst und voller Hoffnung blickte sie in Isabelles Augen. Diese zweifelte jedoch daran etwas bewirken zu können. „Wie soll ich euch helfen können? Ich bin doch nur ein schwaches kleines Mädchen.“ „Nein“, widersprach Elura. „Du kannst vielleicht nicht zaubern oder schwere Gewichte heben, aber du hast etwas viel wichtigeres und stärkeres. Dein unschuldiges reines Herz ist es was uns Feen retten wird.“ „Und wie soll ich das machen?“ „Du musst uns vieren, den Feen der Jahreszeiten, hier in diesen Hallen deine Kraft leihen, damit wir ihnen neue Macht verleihen können. Denn unsere Kraft zur Zauberei, nehmen wir aus dieser Halle, wie wir dieser mit unserem Zauber neue Macht schenken.“
„Tut das weh?“
Elura schüttelte den Kopf und zum ersten mal lachte die kleine Fee. „Wartest du hier? Ich gehe und wecke die anderen drei aus ihrem Schönheitsschlaf.“ Isabelle nickte, sie würde warten. Mit einem Lächeln verschwand Elura.
Isabelle blickte erneut aus dem Fenster auf die trübe, düstere Welt der Feen. „Ich hoffe ich kann euch helfen,“ flüsterte sie.

Es brauchte nicht lange bis Elura zurückkehrte und drei weitere Feen mit sich brachte. Die Fee des Frühlings war Vesna. Sie hatte langes rosanes Haar, dass wie weiche Blüten aussah. Ihre Flügel hatten die Farbe von frischem grünen Gras, es war die selbe Farbe das sie auch in ihren Augen hatte. Ihr Kleid hatte die Form einer Knospe und besaß die Farbe ihres Haares. Vasara war die Fee des Sommers. Ihr blondes Haar strahlte so gelb wie die Sonne, ihre Augen waren Himmelblau und ihre durchscheinenden Flügel leuchteten wie tausende von kleinen Sternen. Akis Haar hatte eine tiefe dunkle Farbe, ihre Flügel waren durchzogen von den Adern der Blätter und ihre Körper war bedeckt von Blätter in den verschiedensten Farben. Sie war die Herbstfee.
Isabelle stellte sich vor ihnen, so selbstbewusst wie sie konnte, was ihr bei den so schönen und eleganten Feen schwer fiel, und fragte: „Was soll ich tun?“ „Wir werden gleich alle, deine Brust an der Stelle berühren wo sich dein Herz befindet“, erklärte Elura. „Versuche dir vorzustellen wie sich unser Land in den Jahreszeiten aussieht und wünsche dir, so fest du kannst, dass es dieses Aussehen annimmt.“ Isabelle schluckte. „Ich hoffe das funktioniert“, sagte Vesna leise und unsicher. Vasara und Aki nickten zustimmend. Dann traten alle Feen an Isabelle heran, streckten jeweils eine ihrer Hände aus und berührten ihr Herz.
Isabelle schloss die Augen. Sie stelle sich das Feenland im Winter überzogen von hellen weißen unberührten Schnee mit Eiszapfen und Eiskristallen vor. Im Frühling wäre alles noch ein wenig verschlafener. Überall wunderschöne Knospen die aus der Erde sprießen und Morgentau der von den Blättern tropfte. Riesige Grasflächen, mit kleinen Bächen und Aussicht auf die Sonne im Sommer. Zu guter Letzt die buntesten Blätter im Herbst, mit Kastanien und Eicheln. Isabelle stellte sich alles so intensiv vor. Sie kniff die Augen fest zusammen und konzentrierte sich nur auf die Bilder in ihrem Kopf.
„Es funktioniert nicht“, stöhnte Vasara traurig. „Vielleicht hast du dich geirrt Elura“, sagte Aki. „Sie kann uns womöglich doch nicht helfen.“ „Seid still!“, zischte Elura und flüsterte zu Isabelle: „Lass dich von ihnen nicht beirren. Ich weiß das du das kannst.“
Isabelle konzentrierte sich so gut sie konnte auf ihre Feenweld, bis sie dann selbst ein teil von ihr wurde. Sie führte mit ihren Fingern alles an ihren richtigen Platz, damit es perfekt war. Dabei fühlte sie sich federleicht, schon so als würde sie schweben. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, dass aus ihr herausbrach und alles um sie herum umgab. Überrascht keuchten die Feen auf. Dann, als Isabelle ihr Werk vollbracht hatte, öffnete sie ihre Augen und blickte in verständnislose Gesichter. „Hat es funktioniert?“
Elura nickte schwach. „Ja...“ Ihre Stimme brach, die Fee räusperte sich und versuchte es erneut. „Ja, dass hat es, nur...“ „Nur?“, harkte Isabelle nach. Elura wandte sich an Vesna. „Wärst du so freundlich und zeigst ihr ihr Spiegelbild?“ Diese nickte, schluckte und schnippte mit dem Finger. Wassertropfen bildeten sich zu einer Kugel und zogen sich dann auseinander. Noch bevor Isabelle sich fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, starrte sie auf das Wesen das in dem Wasserspiegel sie selbst sein sollte.
Isabelle, zumindest die Isabelle in dem Spiegel, war älter, eleganter und viel hübscher. Ihr eigentlich blondes Haar glitzerte in den verschiedensten Farben, ihre grünen Augen hatten eine unendliche tiefe und wirkten dennoch so nah, aber das wichtigste war, sie besaß zwei große strahlende Flügel, die Licht und Dunkelheit gleichermaßen in sich aufnahmen, in sich vereinten. Ihr grün-weißes Kleid war verschwunden und an dessen Stelle war etwas leuchtendes getreten das sie nicht benennen konnte. Isabelle betastete ihr Gesicht.
„Ich dachte sie wäre nur eine Legende“, hauchte Aki. „Ich auch“, stimmte Vesna leise zu. Isabelle blickte Elura hilfesuchend an. „Was ist passiert?“ Einige zeit herrschte stille, bevor sie antwortete: „Ich bin mir nicht sicher. Aber es gibt eine Legende von einem Menschenkind das von der Zeit zu uns in größter Not geschickt wird. Als ich dich gesehen habe, habe ich gespürt das du dieses Kind bist.“ „Das war aber noch nicht alles“, sagte Vasara. „In dem Moment, in dem das Menschenkind uns rettet, erscheint die Fee der Zeit, die dann über uns wachen wird.“ Elura nickte. „Niemals hätte ich gedacht, dass das Menschenkind selbst die Zeitfee ist. Es wird nicht erwähnt.“ „Es ist eine Legende“, sagte Aki, „und wie es bei Legenden so ist, ist über die Jahre wahrscheinlich das eine oder andere verloren gegangen. Vielleicht wurde es einst erwähnt, nur wir wissen es nicht.“
„Moment mal“, unterbrach Isabelle die Feen. „Soll das etwa heißen, dass ich eine Fee bin?“
Die Feen nickten.
„Das kann nicht sein.“ Alles in Isabelles Kopf wirbelte umher. Sie eine Fee? Niemals! Doch ihr Spiegelbild, sprach eine andere Sprache. Sie betrachtete sich. Isabelle würde Lügen, wenn sie sagen würde, dass es ihr nicht gefiel eine Fee zu sein, hier zu leben in dieser wundervollen Welt, voller Magie und Zauberei. Doch dann dachte sie an ihr zu hause und ihre Mutter, die tot traurig über ihr verschwinden sein würde.
Elura trat an sie heran. Wissentlich blickte sie sie an. „Du machst dir Gedanken wegen deiner Familie nicht wahr?“ Isabelle nickte. „Meine Mutter würde krank vor Sorge sein und ich würde sie vermissen.“ Elura nickte, sie hatte verstanden und reichte Isabelle ihre Hand. Fragend blickte diese die Winterfee an. „Ich möchte mein Versprechen einlösen. Im Gegenzug das du uns geholfen hast, helfe ich dir den Weg nach Hause zu finden.“
„Was tust du da?“, fragte Vasara entsetzt. „Die Zeitfee ist erschienen um über uns zu wachen und du willst sie wegbringen?“ Elura blickte ihr Fest in die Augen. „Unsere Kraft und die Macht der Halle sind wiederhergestellt, wir schaffen es nun wieder allein zu überleben. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass die Zeitfee durch ihre Trauer eingeht. Sie hat etwas besseres verdient.“ Mit diesem Worten packte sie sich einfach Isabelles Hand und zog sie hinter sich her.
Dann verließen sie das Feenland. Elura nahm den Zauber von Isabelle, die so ihre wahre Größe wieder erlangt hatte, seltsamerweise auch ihr altes aussehen, und führte sie durch den Wald bis hin zu der kleinen Hütte in der sie lebte.
„Du bist jederzeit im Feenland willkommen“, sagte Elura und verschwand. Einige zeit stand Isabelle so dar, bis sie sich traurig umwandte und ins Haus lief. Erschöpfte setzte sie sich an das erste Fenster das sie sah, dass an dem der Hirsch geklopft hatte, lehnte sich gegen das Glas, schloss die Augen und schlief ein.

„Isabelle, ich bin wieder da“, rief ihre Mutter, während die Holztür zufiel und riss Isabelle so aus ihrem Schlaf. „Hallo Mama“, rief sie zurück und blickte aus dem Fenster, was noch immer so beschlagen war dass sie kaum etwas erkennen konnte. Dann sprang sie auf und lief aus dem Haus, an die Stelle wo der Hirsch gestanden hatte. Es gab keine Spuren von ihm, keinen Hinweis das er da gewesen war. Hatte der Schnee alles begraben oder war ihr Ausflug ins Feenland vielleicht doch nur ein Traum, ein schön aber immer noch ein Traum, gewesen? Es hatte sich so real angefühlt, aber Träume konnten hin und wieder so real sein, dass man nicht mehr wusste ob es sich um Wirklichkeit oder Phantasie handelte.
Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel ließ sie aufhorchen. Als sie genauer hinschaute war dort nichts, außer Schnee und kahle Bäume, aber sie war sich sicher eine kleine Gestalt mit Flügeln, schneeweißem Haar und einer roten Rose als Kleid gesehen zu haben. Was es nur Einbildung oder wahrhafte Realität gewesen?


© Lighania


2 Lesern gefällt dieser Text.




Beschreibung des Autors zu "Das Feenland im Winterwald"

Die kleine Isabelle lebt mit ihrer Mutter zusammen in einem kleinem Häuschen am Waldrand. Immer wenn ihre Mutter sich auf den Weg in die Stadt macht, muss sie im Haus auf sie warten, da der Wald voller gefahren steckt. Doch dann als Isabelle vor einem Fenster einschläft und durch ein klopfen wieder geweckt wird bricht sie die Regel, verfolgt einen Hirsch bis tief in den Wald und begegnet dort der Fee Elura, die sie mit in das Feenland nimmt.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Das Feenland im Winterwald"

Re: Das Feenland im Winterwald

Autor: noé   Datum: 01.01.2014 5:40 Uhr

Kommentar: Ein sanfter Traum.
Willkommen im Neuen Jahr!
noé

Kommentar schreiben zu "Das Feenland im Winterwald"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.