Situation Null von X

"Die Dinge liegen anders. Und weit weniger kompliziert!" Er nippte an seinem schon kalt gewordenen Kaffee.
"Was du dir weiß zu machen versuchst," fuhr er fort "ist nichts weniger als es für OK! zu erklären damit weiter zu machen, womit du dich auch schon in diese Situation gebracht hast. Und das Mal davor! Und die Male davor!! Ich war zwar nicht dabei, aber so wie ich dich jetzt erlebe. Du glaubst gar nicht wie weit weg du bist. Du bist so weit weg von dem, der du eigentlich schon lange bist,... das kannst du dir gar nicht vorstellen. Du hast sogar aufgehört zu begreifen, warum du derjenige bist, der du eigentlich bist. Du bist nur noch der, der denkt dass er doch so und so sein müsse. Vielleicht weil die Anderen es sagen. Oder meinetwegen auch: weil die Anderen es so sagen könnten." Ich hatte den Faden verloren. Und mein Kaffee war auch kalt geworden. Aber das kam mir eher entgegen. Ein Gebräu in sich schütten, das nicht schmeckt. Das den Sinn haben soll die Augen wieder auf zu bekommen. Nachdem man am Vorabend zu viel eines anderen Gebräus in sich geschüttet hat das den genau entgegengesetzten Effekt haben soll. Und auch hatte.
Ich hatte allerdings schon schlimmere Tage erlebt. Und schlimmere Morgende! Was hier vor sich ging zu ertragen wäre ein Leichtes gewesen. Auch an einem halbhellen Morgen danach. Wenn,... wenn er bloß nicht so scheiße gut gelaunt gewesen und mit der bloßen Absicht zu nerven hier aufgetaucht wäre.
In der Sache hatte er natürlich recht. Deswegen ließ ich mich ja überhaupt nur von ihm nerven.

"Wenn ich es mir genau überlege,... du und dieses Mädchen! Noch genauer müsste ich eigentlich sagen: du und diese Mädchen!" Wenn sogar schon die Grammatik für ihn das Plädoyer hält... "Aber ich war ja nicht dabei! Ich weiß nur was du mir erzählst. Und - natürlich! - hab ich dich auch selbst schon erlebt. In der einen oder anderen Situation. Dadurch kann ich mir denken was von deinen Erzählungen wahr ist und was Übertreibung. Und was davon einzig und alleine deinem traurigen Blick auf die Welt geschuldet ist."
Erklärt er mir jetzt die Liebe..? "Erklärst du mir jetzt die Liebe!?"
Er lachte. Nicht, weil er es irgendwie lustig gefunden hätte. Oder sonstwie ironisch. Er lachte, weil es die einzig mögliche Reaktion war. Was anderes blieb ihm nicht übrig. Wäre niemandem übrig geblieben der klar bei Verstand und,... gut gelaunt gewesen wäre.
Ich konnte es an seinen Augen ablesen. Und daran, wie sie beim Lachen unmerkliche Schlitze bildeten. Daran, wie sein Brustkorb sich bewegte, sein Bauch aber nicht. Und an seinem Blick. Damit konnte er nicht anders als mir eingestehen, dass er keine Ahnung hatte wie schlimm es tatsächlich um mich stand wegen diesem Mädchen. Wegen diesen Mädchen! Diesen Punkt konnte ich ihm nicht streitig machen.

"Ich bin doch nicht verrückt! Es ist ein sonniger Tag. Ich bin ausgeschlafen und mir geht es gut! Was sollte ich mir mit sowas die Laune verderben!? Aber du gefällst mir überhaupt nicht. 'Erklärst du mir jetzt die Liebe..?' Da hätte ich mehr von dir erwartet! Wer bin ich? Dein Vater!?? Ich glaube nicht!!!"
Danach bewegtes Schweigen. Auf beiden Seiten des Horizonts. Und zwei halbherzige Versuche mit Themenwechseln ein Gespräch am Laufen zu halten. Fußball. Und Fernsehn. Tatsächlich eher so meine Reichweite im Moment. Wegen diesem Mädchen. Die Sportgemeinde steht derzeit gut da. Nicht so gut wie erhofft. Aber immerhin gut! Der neue Krimi war zu sehr voraus zu sehen. Der Kommissar,... klar! Wenn der nicht gewesen wäre hätte er keine fünfzehn Minuten bekommen. Seine Sprüche mal wieder. Einzigartig! Wer so etwas schreibt...

Den letzten Rest Kaffee aus der Kanne aufgeteilt. In zwei mittlerweile auch kalt gewordene Tassen. Eiskaffee geht anders...
"Sie erinnert dich daran, wie sehr du Neger hasst. Und Schwule. Und Juden. Und Frauen. Und Behinderte. Und Menschen! Sie hält dir die Melonen vor die Nase und du hasst dich selbst, weil du in Trab geraten bist! Es ist dein Schicksal, oder was du dafür hältst, das dich ankotzt! Du bist nicht für diese Frau gemacht. Und für die andere auch nicht. Und für die auch nicht! Sie sind für dich gemacht! Damit du dich hassen kannst immer wen du in Trab gerätst wenn du eine von ihnen zufällig beim Lächeln beobachtest! Du bist pervers!! Mehr ist es im Grunde nicht! Ob das etwas mit Liebe zu tun hat kannst du getrost selbst entscheiden!!" Meine Augen fingen Feuer! Es konnte nicht mehr lange dauern bis der Löschvorgang gestartet wurde. Weil es die einzig mögliche Reaktion auf seine Worte gewesen wäre.

Und damit hat er mir einen Moment Freiheit geschenkt....