Das Volk der Fliegen hatte einmal einen König, der mit seinem Leben nicht zufrieden war. Anstatt es zu genießen, grübelte über die Vergänglichkeit nach. Sein Hofstaat machte sich Sorgen und so beschloss man, etwas gegen die Trübsal des Königs zu tun. Weil sie ein sehr junges Volk waren – Eintagsfliegen – hielten sie es für eine Krankheit und wollten ein Heilmittel finden. Aber als junges Volk hatten sie ein begrenztes Wissen und wussten sich nicht zu helfen. Also schlug einer vor, Boten in alle Teile der ihnen bekannten Welt zu schicken und jemanden zu suchen, der es wusste.
Eine dieser Boten war eine Fliege, die sich gleich am Anfang verflog. Sie entkam einige Male knapp einem Vogel, der sie fressen wollte, und stieß noch mit einem Grashüpfer zusammen, wobei sie sich den Flügel brach. So landete sie schließlich irgendwann erschöpft auf einem Hügel.
Doch wie erschrak sie, als sie merkte, dass es ein Ameisenhaufen war! Die Ameisen waren nicht gerade Freunde der Fliegen.
Der Bote bat darum, mit der Königin sprechen zu dürfen. Er sei ein Diplomat, behauptete er kühn. Nun sind die Ameisen ein Volk mit kollektiven Wissen, das heißt, sie denken zusammen. Sie fanden nichts Falsches am Bestreben der Fliege und zeigten ihr den Weg zu ihrer Königin, der einzigen Ameise, die für sich selbst dachte.
Die Fliege erklärte also, weshalb sie gekommen war. Die Ameisenkönigin, die schon alt und weise war, antwortete ihm, das einzige Heilmittel gegen Trübsal sei Freundschaft. Die Fliege verstand nicht, weil sie dieses Wort nicht kannte. Also trug die Königin einigen ihrer Untertanen auf, eine schöne Himbeere vom Strauch neben dem Ameisenhaufen zu holen, in schöne Mohnblätter zu wickeln und der Fliege mitzugeben.
Da die Fliege sie nicht alleine tragen konnte, lieh die Königin ihr die Ameisen aus. Sie sagte: „Wenn du wieder bei deinem König bist, gib ihm diese Himbeere als Festessen. Alles weitere wird sich fügen.“
Die Fliege tat, was die weise Ameisenkönigin ihr geraten hatte. Als der Bote vor dem König stand, wiederholte er die Worte. Der König machte sich daran, die Himbeere zu essen, aber eine Himbeere ist viel zu groß für eine einzelne Fliege, deshalb mussten alle mitessen - und der König vergaß seine Sorgen im Beisein seiner Artgenossen und wurde fröhlich. Das Heilmittel wirkte.
Seitdem ist es Brauch beim Volk der Fliegen, jedesmal, wenn jemand Trübsal hat, gemeinsam eine Himbeere herbeizuschaffen und sie im Kreis der Freunde zu teilen.
Sie nennen es das Himbeerfest.


© Stefanie T.


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