Ich fühlte mich grässlich, als ich aufwachte.
Meine Kehle war trocken, meine Haare klebten an meinem Kopf und meine Haut war feucht von Schweiß.
Und ich dachte wieder daran, immer noch. Ich konnte meine Gedanken einfach nicht mehr davon abhalten sich zu erinnern, es ging nicht mehr, es war immer in meinem Kopf. Ich hatte schon so lange damit gekämpft, zu lange. Ich hätte alles anders machen sollen, aber das war jetzt egal.
Wichtig war: Was mache ich jetzt?
Am liebsten wäre ich in ein riesiges Becken mit eiskaltem Wasser gesprungen. Ich sah schon die blaue kühle Flüssigkeit und die Luftblasen, die entstehen würden, wenn ich mich mit voller Wucht hinein schmeißen würde, vor mir. Doch dann war ich wieder von der Dunkelheit umgeben, in der ich lag.
Was könnte ich sonst tun?
Ich könnte raus gehen. Die eiskalte Winterluft würde mir bestimmt gut tun und es würde ja keiner merken, wenn ich mich für ein paar Minuten aus der WG schleichen würde.
Als ich mich aufsetzte und die Füße auf den blauen Teppichboden stellte rieselte mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich richtete mich auf und der weiße Stoff meines Nachthemds fiel an mir herunter. Es war so lang, dass es hinter mir auf dem Boden schleifte, als ich in den Flur ging. Ich schlüpfte in meine Winterstiefel, doch den Mantel ließ ich hängen, ich weiß selbst nicht warum.
Ich steckte auch keinen Schlüssel ein oder nahm eine Taschenlampe mit. Ich zog die Tür einfach hinter mir zu und setzte einen Fuß vor den Anderen.
Meine Zähne schlugen hart aufeinander, doch das beachtete ich gar nicht. Ich sah nur in den schwarzen Himmel, der vom kreisrunden Mond beleuchtet war.
Es rührte sich nichts, kein Windstoß, kein Lüftchen nur Dunkelheit und weißer, Knie hoher Schnee.
Ich ging immer weiter, doch die Bilder, die durch meinen Kopf jagten wurde ich nicht los. Sie verfolgten mich überall hin. Die frische Luft brachte da gar nichts außer vielleicht eine Gänsehaut.
Die Stufen, die unter der Schneedecke verborgen waren knarrten, als ich sie betrat um auf die Eisenbahnbrücke zu kommen. Eine nach der Anderen stieg ich sie hoch, immer höher, doch die Bilder wollten nicht verschwinden, sie wurden nur immer deutlicher und mir wurde immer kälter.
Als ich oben war und in die Ferne sah begann es wieder zu schneien. Die Flocken waren klein und fielen langsam auf die Erde um die Schneedecke noch höher wachsen zu lassen.
Ich lehnte mich an das Geländer, doch die Beine wollten mir weg knicken und so stemmte ich mich hoch und saß mit einem Ruck auf dem Holzbalken, an dem man sich normalerweise festhalten sollte.
Ich hob die Beine über die Brüstung und ließ sie auf der anderen Seite herunter baumeln.
Die Brücke war hoch, doch die Angst gewann nicht die Überhand über mich. Ich krallte zwar die Finger in das Holz auf dem ich saß, doch ich sah ja nur die schrecklichen Bilder in meinem Kopf und nicht den Abgrund vor mir.
Ich sah die Luft, die ich ausatmete in der Luft kondensieren und den weißen Rauch dann wieder verschwinden.
Und ich glaube die Kälte spürte ich in dem Moment gar nicht mehr, ich saß nur da und wollte den Kopf frei kriegen, wollte meine Ruhe, wollte allein sein, irgendwo, ganz weit weg.
Und dann sah ich in die Tiefe, sah die von Schnee bedeckten Gleise unter mir und mir war es egal. Mir war mein Leben egal und der Tod wäre mir auch egal gewesen. Ich hatte keine Gänsehaut mehr, meine Zähne blieben auch ruhig und ich wunderte mich nicht mal, als sich plötzlich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
Ich sah nur nach unten und dann stieß ich mich vom Geländer ab und stürzte in die Tiefe.


© Linn


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