Golden schimmerte das Licht des Mondes in den Wellen der Nacht. Schnee glitzerte in seinem Schein und ein leises Schluchzen durchdrang die Stille. Es war Klara, eine junge Frau, die vor ihrem Leben aus der Stadt geflohen war, um am Land ihr Glück zu finden. Sie liebte die Natur, doch fühlte sie sich hier genauso einsam wie in ihrem alten Dasein. Nur ein Stern war ihr Freund. Ein kaum zu bemerkender Funke am dunklen Firmament ihr Ein und Alles.
Im kalten Schnee saß sie nun am Ufer eines Sees und weinte. Wie sehr wünschte sie sich, bei dem Stern sein zu können. Wie sehr, ihrem trostlosen Leben endlich ein Ende bereiten und mit ihrem Freund vereint sein zu dürfen.

Wie reine Diamanten erschienen dem Stern ihre Tränen, deren Glanz bis zu ihm ins Universum hinauf reichte. Einsam wie sie fühlte auch er sich. Inmitten von unzählbaren Artgenossen war er ein Außenseiter, vergessen von all den anderen Sternen. Bei weitem konnte er mit ihrer Leuchtkraft nicht mithalten und um mit ihnen eindrucksvolle Sternschnuppen zu ziehen, dafür war er zu klein. Fehl am Platz war er im endlosen Sein und hatte daher nur einen einzigen Wusch: auf der Erde zu leben wie ein Mensch.

Blass war ihr Gesicht, als Klara sich niederlegte und am ganzen Körper zitterte. Sie fror und würde die Nacht nicht überleben, wenn sie bliebe, doch fürchtete sie den Tod nicht. Sie fürchtete das Leben, doch nicht den Neubeginn, der all ihren Qualen ein Ende setzen würde.

Offen lag ihre Absicht vor ihm wie weit geöffnetes Buch. Lesen konnte der Stern in ihrer Seele, was sie bewegte, und empfinden, was sie empfand. Kein Zurück würde es mehr für ihn geben, wenn er diesen Schritt wagte, trotzdem überwand er sich dazu, sich auf die Reise zur Erde zu begeben. Nicht ertragen konnte er Klaras Kummer und wäre es ihm unverzeihlich, wenn er tatenlos dabei zusehen würde, wie sie ihr doch kostbares Leben aushauchte.
Lautes Gelächter begleitete ihn, als er sich fallen ließ. Gespött von seinen Artgenossen, für die er nicht mehr als eine misslungene Schöpfung war. Kein Leb wohl oder ein Mach’s gut konnte er von ihnen erhoffen, geschweige denn ein Wir werden dich vermissen. Dennoch waren seine letzten Worte, die er an sie richtete, Worte der Liebe. Nicht im Streit wollte er sich von ihnen trennen, sondern zumindest mit sich selbst im Reinen sein, wenn es die anderen Sterne mit ihm schon nicht sein wollten.
In rasender Geschwindigkeit bewegte sich der Stern in die Richtung von Klara und zeigte sich ihr am Firmament als eine schwache, aber doch gerade noch sichtbare Sternschnuppe.
„Ich wünsche mir, bei dir zu sein, mein geliebter Stern. Ich wünsche mir, dass du mich liebst“, flüsterte Klara mit schwerer Stimme und streckte ihre Hand nach ihm aus. Immer näher kam der Stern ihr, immer greller leuchtete sein Licht. Doch nicht Angst floss er ihr damit sein, sondern tiefe Geborgenheit.

Eilig flog der Stern auf sie zu, um bei ihr zu sein, ehe sie in der Kälte starb, doch verrechnete er sich in der Flugbahn und gelangte nicht bei ihr, sondern im See zur Landung. Hoch spritzte das Wasser auf, als er seine Oberfläche berührte, und während er eintauchte, verwandelte er sich in einen jungen Mann. Gekleidet in einem braunen Gewand, braunen Stiefeln und einem weiten Mantel sank er mit ausgebreiteten Armen anmutig in die Tiefe des Sees hinab. Fische schwammen um ihn herum und bewunderten ihn. In seinem Glanz erhellte er den Abgrund und erfüllte den See mit unsagbarer Liebe.
„Stern, der du schöner als alle anderen Sterne strahlst. Von nun an sollst du den Namen David, Geliebter des Herrn, tragen, denn Gefallen hat an dir der Allmächtige“, erklang eine zarte Stimme und ein geflügeltes Wesen kam von hinten an den Stern heran. Es war ein Engel, ein Gesandter Gottes, der geschickt worden war, um ihn bei der Erfüllung seines Schicksals zur Seite zu stehen.

Sanft umfasste der Engel den Stern, der nun als Mensch den Namen David trug, und zog ihn an die Wasseroberfläche. In einem grellen Licht tauchten die beiden auf und wieder spritzte das Wasser meterhoch. Weithin konnte man ihr Strahlen vernehmen; noch nie zuvor hatte sich Klara je so behütet und geborgen gefühlt wie in diesen Momenten.
Sehnsucht ergriff sie, als der Engel mitsamt dem Licht wieder verschwand. Die Zeit zu gehen, rückte näher und sie konnte es kaum erwarten, bis es endlich soweit war.
„Klara“, hörte sie plötzlich jemanden sagen und erblickte über sie gebeugt ihren Freund, „Klara, ich bin jetzt bei dir.“ Behutsam nahm David sie in seine Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Die Wärme seiner Liebe strömte durch sie hindurch und erweckte in ihr neues Leben. Seit langem empfand sie wieder Freude und ihre blasse Haut erlangte ihre Farbe zurück.
„Stern!“, entfuhr es ihr, als sie sich in seinen Augen verlor und dort das Leuchten ihres geliebten Sternes erkannte. „Stern, du bist es wirklich!“ Kaum konnte sie das Wunder fassen; kaum glauben, dass er wirklich bei ihr war. Dankbar für ihr unsagbares Glück umarmten David und sie sich und Ringe erschienen an ihren Händen als Zeichen ihrer Verbundenheit. Zwei einsame Seelen hatte Gott nun vereint und ließ sie heller strahlen als alle Sterne am Himmel.


© Anita Zöhrer


1 Lesern gefällt dieser Text.


Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Klara und der Stern"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Klara und der Stern"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.