Das Märchen vom kupfernen Kessel


Vor vielen, vielen Jahren lebte im Dorf Breitenbach Marie mit ihrer Großmutter.
Marie und ihre Großmutter wohnten am Ende des Dorfes, in einer alten,
halb zerfallenden Lehmkate. Sie lebten in großer Armut, und an manchen Tagen hatten sie nichts zu essen. In Breitenbach lebten nur arme Tagelöhner.
An solchen Tagen sagte die Großmutter: „ Ach, wenn wir doch nur den kupfernen Kessel hätten, dann brauchten wir nicht zu hungern.“
Der kupferne Kessel war ein Zauberkessel, und man konnte sich viele Nahrungsmittel wünschen. Wie zum Beispiel Hirsebrei, Roggen-Kringel, Dinkel-Brot und rote Äpfel.
Marie dachte am Tag öfter an den kupfernen Kessel, selbst in ihren Träumen
kam der kupferne Kessel stets darin vor.
Die Großmutter war schon sehr alt. Sie hörte schwer, und gehen konnte sie nur mit zwei Krücken.
Marie arbeitete in ihrem Garten, und als sie mittags in die Kate kam, war ihre Großmutter im Korbsessel friedlich eingeschlafen.
Die Tränen rannen ihr über das Gesicht und sie schluchzte laut auf.
Was sollte sie denn ohne ihrer Großmutter bloß machen? Sie hatte doch
keinen Menschen mehr, ihre Eltern waren in Maries Kindheit gestorben.
Es kam aber für Marie noch schlimmer. Der Großbauer Hartherz jagte Marie
aus der Lehm-Kate, und das mitten im kalten Winter.
Marie stand nun frierend und zitternd auf der Dorfstraße. Es schneite heftig
und kein Mensch war weit und breit zu sehen.
Plötzlich und unerwartet stand der Küster Fröhlich vor ihr. Dem Küster tat
das frierende Mädchen sehr leid.
Er sagte zu Marie: „ Ich gebe dir den Schlüssel zur Kapelle, da hast du wenigstens ein Dach über dem Kopf.“
Sie nahm dankend den Schlüssel und ging zur Kapelle. Marie betrat die
Kapelle, und in ihr war es warm.
Sie setzte sich auf eine Bank und schlief ein.
Unerwartet wurde Marie aus ihrem Schlaf gerissen, denn jemand klopfte
heftig an die Kapellentür.
Marie dachte, hoffentlich ist das nicht der Teufel, und ihr wurde Angst und Bange. Sie nahm sich zum Schutz einen silbernen Leuchter, und öffnete die Kapellentür.
Vor der Tür stand Küster Fröhlich, Er sah aus, wie ein Gespenst.
Sein bleiches Gesicht glänzte im Mondlicht. Der schwarze Umhang mit der Kapuze wirkte irgendwie unheimlich, und der Schnee auf seiner Kleidung tat das Übrige.

Fröhlich übergab Marie eine gegerbte Pferdedecke, ein Wollkleid, und ein paar Holzpantinen von seiner Frau.
Der Küster berichtete Hochwürden Langrock, von der Einquartierung Maries,
in die Kapelle. Hochwürden Langrock hatte nichts dagegen.
Es war irgendwie komisch, denn in kurzer Zeit hatte jeder im Dorf Kenntnis
über Maries Verbleib.
Alle Dorfbewohner brachten Marie von Stund an, Speisen und auch Früchte.
Die Zeit verging wie im Fluge, und der Frühling meldete sich.
Marie schnürte ihr Bündel, verabschiedete sich von allen Dorfbewohnern,
und ging auf Wanderschaft. Sie wollte unbedingt den kupfernen Kessel finden.
Sie war schon drei Tage unterwegs als sie an einem Weiher auf einen Buben
traf. Der Bube hatte eine Sehne an seiner rechten großen Zehe befestigt.
Ihm war das Anglerglück hold, denn zwei Güstern lagen vor ihm auf dem Gras.
Die Beiden kamen ins Gespräch. Der Bube hieß Franz, und auch Marie stellte sich mit ihrem Namen vor.
Franz fragte Marie: „Wo willst du denn hin?“ Marie antwortete: „ Ich will den kupfernen Kessel suchen.“
Der Bube meinte: „ Marie da hast du dir ja viel vorgenommen, wenn das mal
bloß gutgeht!“ Das Mädchen sagte: „ Von meinem Vorsatz bringt mich niemand ab.“
Franz meinte: „ Wenn ich nun mit dir gehe, dann hast du auch einen Beschützer!“ „ Nun gut, du kannst mit mir gehen, vielleicht ist das kein schlechter Vorschlag.“ sagte Marie.
Am dritten Tag kamen sie an eine Wiese. auf der Apfelbäume standen.
Unter einem der Apfelbäume saß ein altes Mütterchen. Als sie die Kinder sah, sagte sie mit leiser Stimme: „ Liebe Kinder könnt ihr mir einige rote Äpfel pflücken, ich will mir Apfelgelee machen.“
„ Natürlich, wir pflücken dir gerne Äpfel,“ sagte der Bube. Der Korb, den die Alte mitgebracht hatte, war im Nu gefüllt.
Das Mütterchen bedankte sich, und sie kamen ins Gespräch. Die Alte
sagte: „ Wenn ihr den kupfernen Kessel suchen wollt, dann müsst ihr bis zu den gläsernen Bergen gehen.“ „ Wo sind denn die gläsernen Berge?“ fragte Marie.
Das Mütterchen sagte: „ Ich gebe euch einen Raben mit, der wird euch den Weg zeigen.“
Sie klatschte in die Hände und ein Kolkrabe kam angeflogen. Er setzte sich auf die linke Schulter der Alten. Das Mütterchen flüsterte dem Raben etwas in sein Ohr.
Marie und Franz bedankten sich bei dem Mütterchen, und sie begaben sich auf den Weg. Sie rief ihnen noch nach: „ Seid weiterhin so freundlich und hilfsbereit.“


Der Kolkrabe flog immer vor ihnen her, und er wartete von Zeit zu Zeit
auf die Beiden.
Nach einigen Tagen trafen sie auf einen Bauern, der mit seinem Beinen
im Moor steckte.
Als er die Beiden sah, rief er aus Leibeskräften: „ Helft mir, helft mir, ich stecke im Moor fest!.“
Franz und Marie befreiten ihn aus seiner misslichen Lage. Franz gab dem Bauern einige Schlucke Branntwein aus seiner Feldflasche.
Der Bauer erholte sich sehr schnell.
Sie kamen ins Gespräch, und die Kinder berichteten von ihrem Vorhaben.
Der Bauer sagte: „ Hinter den gläsernen Bergen wohnt und lebt der Riese Rotbart. Er hat den kupfernen Kessel in seinem Besitz.“
Marie wurde sehr traurig und sagte: „ Da werden wir wohl den kupfernen Kessel nie bekommen.“
Franz lachte ausgelassen, und er meinte: „ Das bekommen wir schon hin.“
Der Bauer sagte noch: „Die gläsernen Berge müsst ihr erst überwinden,
bevor ihr zu dem Riesen Rotbart gelangt.“
Die beiden Kinder verabschiedeten sich vom Bauern, und schritten zügig los.
Der Bauern rief ihnen noch nach: „ Gutes Gelingen, gutes Gelingen.“ Nach fünf Tagen gelangten sie an die gläsernen Berge.
Der Kolkrabe, den ihnen das Mütterchen als Wegbegleiter mitgegeben hatte, war plötzlich verschwunden.
Die gläsernen Berge türmten sich bis in den Himmel, wie sollten die Beiden
diese bloß überwinden. Franz und Marie suchten nach einem Eingang, doch
sie konnten keinen finden.
Die gläsernen Berge konnte man auch nicht besteigen, sie waren aalglatt.
Die Kinder waren am verzweifeln, sollte ihr Vorhaben denn hier scheitern?
Sie schauten zum Himmel, denn eine krächzende Schar Raben flog über ihre
Köpfe. Beim Hochschauen entdeckten sie auf einer Bergspitze einen Geier.
Sie riefen beide aus Leibeskräften: „ Lieber Geier kannst du uns helfen, wir
möchten über die gläsernen Berge?“
Der Geier kam angeflogen und landete mit einem Schwung vor Marie und Franz. Er sprach zu den Kindern mit menschlicher Stimme: „ Natürlich kann ich euch helfen, aber erst müsst ihr mir helfen.“ Der Geier schüttelte sein Gefieder und dann sprach er weiter: „ Mein Junges, der Fidibus ist in eine Glasspalte gefallen und ich kriege ihn nicht raus.“ Franz sagte: „ Wir helfen dir, aber wir brauchen ein starkes Hanfseil.“ Der Geier flog los und nach kurzer Zeit kam er wieder zurück. In seinem Schnabel hatte er ein Hanfseil. Franz befestigte das Seil um seinen Leib und ging zur Glasspalte. Der Junge kletterte in die Spalte und Marie und der Geier hielten das Seilende fest.
Nach einiger Zeit tauchte Franz aus der Glasspalte wieder auf. Aus seiner Joppe guckte der Kopf des Geierjungen hervor.

Der Geier freute sich über die gelungene Bergung seines Fidibus so sehr,
das er mehrmals mit seinen Flügeln schlug.
Der Geier nahm erst Marie, und danach Franz auf seinen Rücken und brachte beide über die gläsernen Berge.
Bevor die Kinder loszogen, gab der Geier ihnen noch einen Rat. Er sagte:
„ Der Riese Rotbart hält immer zur Mittagszeit ein ausgiebiges Schläfchen,
zu dieser Zeit könnt ihr ihn überraschen.“
Die Kinder gingen, mit Freude im Herzen, los. Sie kamen an ein Wäldchen, da bewegten sich die Zweige der Bäume so sehr, als ob ein starker Sturm vorherrsche. Franz und Marie betraten eine Waldlichtung, und mitten in derselbigen lag Rotbart schlafend und schnarchte vor sich hin. Den kupfernen Kessel hielt der Riese in seiner rechten Hand.
Franz sagte ganz leise zu Marie: „ Das ist eine günstige Gelegenheit, die lasse ich nicht verstreichen.“
Der Junge ging zum Riesen und griff nach dem Kessel. Jedoch Rotbart
hielt den Kessel so fest, das ihn Franz nicht nehmen konnte.
Der Junge griff zu einer List. Er zündete den Bart des Riesen mit seinem Feuerzeug an.
Rotbart sprang. wie von der Tarantel gestochen. in die Höhe und er lies dabei
den kupfernen Kessel fallen.
Während der Riese das Feuer ausschlug, nahm Franz behände den Kessel.
Beide Kinder liefen so schnell sie nur konnten mit dem kupfernen Kessel davon. Sie merkten plötzlich, das Rotbart sie verfolgte.
Mit Ach und Krach erreichten sie den schützenden Wald. Die Kinder versteckten sich hinter einer Brombeerhecke. Die Zweige der Brombeerhecke
reichten bis auf die Erde, und es war somit ein sicheres Versteck. Marie und Franz kuschelten sich eng zusammen, und sie zitterten beide wie Espenlaub.
Mit Getöse und lauten Schritten eilte der Riese Rotbart an ihnen vorbei!
Die Kinder trauten sich nicht aus ihrem Versteck hervor, und das war gut so.
Der Riese kam wieder zurück. Sein Gesicht war stark gerötet und sein Mund war mit Schaum bedeckt.
Rotbart riss vor Wut beim Gehen, von Zeit zu Zeit, Bäume aus der Erde.
Einige Male brüllte er auch ganz laut: „ Wenn ich euch kriege, zerreiße ich euch in der Luft!“
Der Riese blieb vor dem Versteck der Kinder stehen und lauschte in den Wald. Marie wollte vor Angst losschreien, doch Franz hielt ihr den Mund zu.
Rotbart ging zum Glück los, und er murmelte etwas in seinen versenkten Bart.
Die Kinder verließen ihr sicheres Versteck. Beide nahmen jeder einen Henkel des kupfernen Kessel und gingen los.
Als sie ein gutes Stück des Weges hinter sich hatten, begannen sie zu singen.
Der Wald lichtete sich, und die Kinder sahen wieder das alte Mütterchen unter einer Birke sitzen.


Als Franz und Marie, das Mütterchen erreicht hatten, fragte die Alte: „ Kinder, habt ihr vielleicht für mich ein Schlückchen zu trinken?“ Der Bube reichte der Frau seine Trinkflasche, worauf diese mehre Schlucke aus der Flasche nahm.
Das Mütterchen gab die Flasche an Franz zurück, und sprach: „Der liebe Gott sieht jede gute Tat eines Menschen!“ Sie schnaubte ihre Nase und meinte noch, ihr werdet eines Tages für eure Hilfsbereitschaft belohnt werden.
Marie antwortete darauf: „ Aber Mütterchen, wir haben doch schon den kupfernen Kessel und mehr brauchen wir nicht!“
Die Alte kicherte und lachte, und war mit einem Mal verschwunden.
Die Kinder gingen von dannen, als sie nach einer Weile das alte Mütterchen am Feldrand sitzen sahen.
Vor der Alten stand eine große Kiepe mit Bruchholz. Die Kinder fragten die Alte: „ Mütterchen können wir dir irgendwie helfen?“
„ Ja“ meinte die Frau: „ Mein Häuschen liegt nicht allzu fern, aber ich kann
die schwere Kiepe nicht mehr tragen.
Franz nahm die Kiepe auf seinen Rücken. Er fasste den einen Henkel an und sie gingen weiter.
Auf einmal stand vor ihnen am Weg ein kleines, hübsches Häuschen.
Das Häuschen gehörte der alten Frau. Die Alte lud die Kinder in ihr Häuschen ein. Sie bedankte sich, und gab Marie und Franz Kirschsaft zu trinken.
Das Mütterchen fragte die Beiden nach diesem und jenem.
Die Kinder gaben der Alten bereitwillig auf alles eine Antwort. Es dämmerte
schon, und Franz sagte zur Alten: „ Mütterchen wir müssen gehen, sonst
finden wir nicht nach Hause zurück.“
Die alte Frau sagte: „ Weil ihr immer so hilfsbereit wart, gebe ich euch einen
Tipp zum Umgang mit dem kupfernen Kessel.“
Das Zauberwort heißt, „ Hohei, hohei, gebe mir mein Gewünschtes frei!“
„Der Zauberkessel erfüllt dann alle Wünsche!“
Das Mütterchen sagte dann weiter: „ Zur Beendigung des jeweiligen Wunsches sagt man: „ Kessel, Kessel das reicht aus, mehr brauchen wir nicht, Hexenspucke, und Mäusedreck“!! Franz und Marie kamen nach mehreren Tagen in ihrem Dorf Breitenbach an. Im Dorf angekommen, luden sie alle Dorfbewohner zu einer großen Feier ein. Jeder Dorfbewohner durfte sich etwas wünschen, und der kupferne Kessel erfüllte alle Wünsche.
Die Knappen des Raubritters Eisenherz, erzählten diesem von der Feier
der Dorfbewohner.
Der Raubritter befahl seinen Knappen, sie sollen den kupfernen Kessel auf seine Burg bringen.


Die Knappen ritten zu Marie und Franz und nahmen den Beiden den Kessel weg. Franz wollte den Kessel nicht hergeben, da schlug ein Knappe Franz mit der Reitpeitsche ins Gesicht. Vor Schmerz schrie Franz laut auf.
Der Raubritter Eisenherz freute sich über den kupfernen Kessel, und er sagte: „Morgen werden wir den Kessel gebührend einweihen.“
Die Gemahlin des Raubritters Eisenherz war äußerst neugierig.
Nachts als alle schliefen schlich sie zum Kessel. Sie sagte: „ Hohei, hohei,
Kessel ich wünsche mir süßen Hirsebrei!“
Der Deckel vom Kessel öffnete sich, und Hirsebrei quoll aus diesem heraus.
Eisenherz Ehefrau schrie: „ Du dummer, dummer Kessel ,soviel Hirsebrei wollte ich gar nicht haben!“
Sie hatte die Zauberformel zur Beendigung des jeweiligen Wunsches vergessen.
Der Hirsebrei quoll aus dem Kessel, und er füllte den Raum. Kunigunde wollte weglaufen, jedoch der Brei hinderte sie daran.
Er umschloss ihren Körper, und sie erstickte jämmerlich.
Der Hirsebrei kroch durch alle Gemächer und Räume, und er überraschte
die schlafenden Knappen, sowie den Raubritter Eisenherz.
Der Brei machte auch diesen den Garaus.
Als Franz am frühen Morgen die Ziegen füttern wollte, sah er den Brei
der Dorfstraße entlang quellen. Er sprach die Zauberformel, und der Hirsebrei hielt inne
Marie, Franz, sowie alle Dorfbewohner luden den Brei auf Karren und Wagen
und brachte diesen, zu den hungernden Bewohnern der umliegenden Dörfer.
Marie und Franz waren von Stund an bei allen beliebt und geachtet!
Nach ihren Tode setzten die Dorfbewohner den Beiden zwei große,
prunkvolle Grabsteine.
Diese Grabsteine kann man noch heutzutage auf dem Breitenbacher Friedhof sehen!!













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© Jürgen


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