Liebe Leser,

sicher haben Sie diese Meldung bereits über Zeitung, Radio, Fernsehen oder Internet erfahren. Ich spreche von dem geheimnisvollen Metallklumpen, der vor einigen Monaten im Silikon Valley niederging.

Das Material, aus dem dieser etwa medizinballgroße Klumpen mit einem Durchmesser von 320 Millimetern bestand, war in der Tat geheimnisvoll. Es war mit keinem Material zu vergleichen, das auf unserem Planeten existiert. Es handelte sich um eine Legierung mit ganz ungewöhnlichen Eigenschaften. Nicht magnetisch, in irdischen Hochöfen nicht zum Schmelzen zu bringen, zugleich aber leicht wie ein Kinderluftballon.

Professor Joel Smith von der Princeton University hat es jedoch schnell geschafft, diesen Metallklumpen zu spalten, indem er nämlich zwei gegenpolige Stromstöße von der etwa hunderttausendfachen Stärke eines Blitzes durch dieses Materiestück jagte. Wie gesagt, er brachte es nicht zum Schmelzen, sondern er spaltete es. Es fiel auseinander, als hätte es von Anfang an aus zwei Hälften bestanden. Ja, viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es von Anfang an als spaltbar konzipiert war, dass diese Spaltbarkeit also durchaus vorgesehen war.

Auf der Schnittfläche einer der Hälften waren Schriftzeichen eingegraben. Um die Entzifferung dieser Schriftzeichen bemühten sich die namhaftesten Kryptologen, die wir auf der Welt haben. Ja, sie waren sogar klug genug, diesmal als Team zusammenzuarbeiten und nicht – wie gewohnt – in Konkurrenz gegeneinander.

Vor zwei Tagen habe ich infolge meiner Beziehungen und Vernetzung mit der internationalen Wissenschaft eine Vorabfassung der Übersetzung der Schriftzeichen des gespaltenen Objektes zugesendet bekommen. Sie gestatten mir, diese Botschaft zu Gehör zu bringen, die uns ganz zweifelsfrei von einer außerirdischen Intelligenz übermittelt wurde. Übrigens seltsamer-, ja, fast unverständlicherweise nicht als digitalisierte Funkbotschaft, sondern eben in der vorliegenden, scheinbar ein wenig primitiver analogen Form.
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Bewohner des Materiekrümels Biluminoscum 25386, den ihr „Erde“ nennt, wir beobachten euch seit vielen Millionen Jahren.

Abgesehen davon, dass wir den Namen „Erde“ für euren Planeten nicht verstehen, denn Erde ist ja ein Gemisch aus biologischen und mineralischen Bestandteilen, durchsetzt mit Kleinstlebewesen, Pilzen, Abfall und Miniwürzelchen von Pflanzen, übermitteln wir euch folgende Botschaft, wobei wir uns dabei auf eure kulturellen Leistungen beschränken:

Geniale musikalische Werke, die die Grenze dessen erreichen, was für euch vorstellbar ist, beispielsweise die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach oder das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart sind – verglichen mit der Musik auf dem Planeten Asikomov 37534 – ein Nichts.

Dort ist es den Komponisten gelungen, Harmonien zu erzeugen, die gleichzeitig aus Infraschall und aus Ultraschall bestehen. Wer das einmal wahrgenommen hat, was euch Erdlingen natürlich nicht möglich ist, wird jedes musikalische Werk, das ein Erdbewohner geschaffen hat, für vollkommen unbedeutend halten.

Nehmen wir als zweites die Literatur. Auf dem Planeten Hellmerk 76529 vermögen es Dichter, sprachliche Kunstwerke aus einem einzigen Wort zu gestalten, dem – wenn man es vernimmt – alle nur denkbaren Bedeutungen entströmen, die zugleich insgesamt eine solche Menge darstellen, dass alles, was auf der „Erde“ bisher an eher Bedeutungslosem geschrieben wurde, allerhöchstens ein Milliardstel davon ausmacht.

Jetzt die bildende Kunst. Maler auf dem Planeten Van Recken 93735 sind in der Lage, Werke aus molekularen Verschiebungen der Atmosphäre zu schaffen, die mit Magnetfeldern koloriert sind. Gegen diese Bilder wirken selbst die hübschen Nordlichter auf eurer Erde lächerlich, nicht zu sprechen von dem, was Eure Künstler mit Pinseln auf über Holzrahmen gespanntem Leinentuch zustande bringen.

Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ihr zwar danach strebt, immer weiter voranzukommen, wobei ihr noch nicht einmal wisst, ob das was vor euch liegt, eigentlich das Erstrebenswerte darstellt.

Auch versucht ihr, immer tiefer in das einzudringen, das ihr für die endgültige „Wahrheit“ haltet. Das erkennen wir durchaus an, ja, es rührt uns in gewisser Weise.

Beurteilt man eure kulturelle Leistung jedoch verglichen mit dem, was im Universum geschaffen wurde, bleibt uns nur ein Satz, um euch als Urheber eurer Leistungen zu beschreiben. Das oberste Entscheidungsgremium des Universums hat es folgendermaßen ausgedrückt:

Die Menschheit auf Biluminoscum 25386 ist absolut belanglos!


© Peter Heinrichs


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