Der Anfang eines seltsamen Endes 5


Die Reaktion des Holodecks auf meine Intervention folgte auf dem Fuß. Es war als hätte ich mit meiner Energieentladung für Unruhe im Zeitgefüge des Universums gesorgt, dessen programmierter Ablauf ja bereits lange vor der Entstehung der Menschheit feststand (wie ich meine). Wie auch immer – ich hatte einen Stein ins Wasser geworfen und die dadurch ausgelösten Wellen kamen nun auch auf mich selbst zurück...genauer gesagt auf mein näheres Umfeld.

Der Zustand der Unzufriedenheit hatte wieder Besitz von Dingsbums ergriffen. Sie wusste aber noch nicht wie sie ihn zum Ausdruck bringen sollte. Waren Hirnkrämpfe angebracht? Sollte sie sich selbst verletzen? Woher sollte sie jetzt einen direkten Anlass nehmen auszurasten?? Das Schicksal, das meistens gegen Trolle und nicht für sie arbeitet (weil sie dafür zu wertvoll sind) würde ihr schon den richtigen Zeitpunkt für einen geeigneten Einsatz ihrerseits zur Verfügung stellen. Und dann würde sie zuschlagen - egal wie...

Des Weiteren hatte mir eben jenes Schicksal eine weitere Bürde zugespielt, die allerdings auch einen kleinen finanziellen Zugewinn versprach. Noch ein Malschüler hatte sich gemeldet, der vorrangig keinen Malunterricht benötigte, sondern ebenfalls eine Therapie. Es handelte sich um einen kleinen, total verängstigten Mann, der zwischen seiner dominanten Frau und seiner dominanten Mutter verging – die Frau (Mutter seiner 2 Kinder) hielt von ihm so viel wie von feuchten Socken und seine Mutter – in deren Haus er mit seiner Familie wohnte – hatte ihm verboten eine Wohnungstüre einzubauen. So konnte sie jederzeit überraschend auftauchen und sich überall einmischen!

Mit der Zeit hatte dieses arme männliche Wesen eine schlimme Krankheit entwickelt über die mir verboten ist zu sprechen, denn Trolle sprechen niemals über schlimme Krankheiten!
Seinen „Unterricht“ absolvierte ich meist vor dem von Frau Restöv, denn nach der guten Restöverin war eines sicher: daß ich nicht mehr konnte. Dazu war das Ende der Verlustierung mit ihr ohnehin zeitlich ungewiss. Ich konnte nie sagen wann alle meine Hilfsmaßnahmen abgeschlossen sein würden.

Das Männchen, es hieß Herr-Mann Schmied, erwies sich als strenggläubig, was so viel bedeutete wie: Alles was nur im entferntesten nach einer gefährlichen Gestalt (Teufel und Dämonen) aussah durfte von ihm nicht malerisch ausgeführt werden. Dazu zählten auch Clowns, die nicht 100%ig lustig aussahen, oder sogar Spaziergänger in einer Allee die eine dunkle Kleidung trugen...

Ich versuchte natürlich darauf einzugehen, denn der arme Schüler zahlte gut und er war stets außerordentlich optimistisch gestimmt. Daß er nicht mehr lange zu leben hatte war mir, nach allem was er mir erzählt hatte, klar. Doch ich bestätigte ihn, wenn er sich mit der Planung seiner „unendlichen Zukunft“ beschäftigte. Dabei bot er mir die zauberhaftesten Dinge an. Auf dem Grundstück seiner Mutter stand noch das alte Vaterhaus. Herr M Schmied schlug vor wir sollten es uns zu einem kuscheligen Atelier umbauen, wo wir für den ganzen Rest unseres Lebens ungestört arbeiten könnten.
Als ich darüber nachdachte sah ich wie tausende winzige schwarze Kügelchen auf uns zurasten und sich kurz vor dem Auftreffen in Luft auflösten. Das war mir Warnung genug – trotzdem befragte ich zuhause noch einmal die Kristallkugel, legte die Karten und hörte mir an was die Geister wussten. Doch von überall her kamen nur undurchdringliche Wolken auf mich zu und ich wusste, daß dies die Barriere zum Jenseits war.

Also verhielt ich mich vorsichtig und zögerte den Beginn der Renovierungsarbeiten immer wieder hinaus. Lustig fragte ich mich noch nebenbei ob das Atelierhaus denn eine verschließbare Türe haben würde, die der Mutter nicht jederzeit ungehinderten Eintritt erlauben würde...

Die Verwirklichung der Absichten von Dingsbums konnte ich jedoch nicht willkürlich beeinflussen. Sie strebte die Erfüllung ihrer Wünsche an und die lauteten auf Eintritt einer Katastrophe!
Wie so oft war eine Radtour geplant. Der Herbst kam vielversprechend warm daher. Es boten sich noch diverse Gelegenheiten für einen luftigen Ausflug in die freie Natur!
Der düstere Blick meiner holden Partnerin hätte mich eigentlich vorwarnen müssen, aber was hätte ich tun sollen?! Daß sie zu einer derartig schmerzhaften Attacke auf sich selber gewillt war hätte ich aber auch nie gedacht...

Wir radelten den sonnigen Nachmittag entlang, auf einem Wanderweg am Flussufer nach Süden, als plötzlich eine kleine Gruppe aus Menschen und Tieren in Sicht kam. Die Tiere, Huskies, tollten mit der kleinen Tochter einer ca. 40jährigen Frau herum. Sie kreuzten immer wieder den Weg. Das war die Gelegenheit! Dingsbums, die normalerweise etwas Angst vor größeren Hunden hatte, fuhr wagemutig auf die herumtollende Gruppe zu, da sprang, wie zu erwarten, eins der übermütigen Tiere direkt vor das Rad von Dingsbums. Die bremste nicht, sondern riss – geistesgegenwärtig in ihrem speziellen Sinn – den Lenker bis zum Anschlag herum, worauf sie erwartungsgemäß einen Purzelbaum mitsamt dem Fahrrad schlug und am Ende des akrobatischen Akts so ungünstig zum Liegen kam, daß ihr linkes Bein zwischen Rahmen und Reifen eingeklemmt wurde.

Sie selbst wurde obenauf gewuchtet, so daß sie sich einen komplizierten Splitterbruch am Schienbein zuzog. Schon die eiligst hinzugerufenen Sanitäter staunten über die Art des Missgeschicks, aber der Arzt in der Notaufnahme des Krankenhauses schüttelte nur noch den Kopf als er die Röntgenaufnahmen sah. „So etwas habe ich noch nicht gesehen“ staunte er anerkennend. Dann kündigte er einen sehr langen Heilungsprozess an.

Als ich am Abend alleine zuhause auf dem Sofa saß und vor mich hin sinnierte – denn zum Fernsehen war ich zu deprimiert – rief ich das Universum um Rat an, denn eine dermaßen ausgesuchte und alle Gefahren verachtende Bosheit konnte ich mir einfach nicht mehr erklären.
Natürlich erwartete ich keine Antwort zu bekommen, doch ich hatte mich getäuscht: Ganz nahe vor dem Bücherregal schälte sich eine glitzernde Gestalt aus der Zeit des Holodecks. Sie hielt einen Zettel in der Hand. Und, oh Wunder, sie begann sogar zu sprechen:

„Du brauchst noch viele Rationen Inspi, mein Lieber, bis du reif für die Anstalt bist!
Hier sind ein paar Lebenshilfen für Dich...“ krächzte sie heiser.


Die seltsamen Lebenshilfen von Gozilla Gottshäuser:

Wenn du nicht willst daß einer weiß, dann sei gleich noch einmal so frei.

Von Zwölfen wäg die 13 aus, dann hast du alles frisch im Haus.

So einer 3 bis 4 mal meint, dann sieht es aus als ob's dir scheint!

Bei keinem Aus ist dir stets klar, wo niemals etwas Großes war.

Ein Wagnis kommt selten allein.

Für Fünfe mach den 6 dir grade, das ist dann fast wie ein Kalkül...

Wer immerfort bei Tage schläft, der hat sich selber ausgewählt.

Komm fröhlich an, bleib gänzlich um, dann ist die ganze Welt so rund.

Mit Niemandsland und Donnersack entsteht kein Regenbogenwald.

Nehmt etwas Weiß und seid euch blank, dann kommt die gute Welt ins Lot.

Aus welchen Eimern du auch trinkst – es wird sich meistens vieles kaum.

Im Frühspät kocht der Kälteschock!

Wo wirklich gar nichts ist, da wird das Kornfeld dick!


Einen Reim auf die kuriosen Zeilen konnte ich mir jedoch nicht machen! Deshalb begann ich mein ganzes Leben in der Zukunft als eine Art Wunder zu betrachten. Die Dinge mussten unbedingt umbenannt werden. Ich durfte keinesfalls mehr Hoffnungen in irgend etwas setzen, sondern ich wollte mich einfach nur noch wundern, was man mir noch alles zumuten würde. Daß ich damit nicht falsch liegen würde ahnte ich bereits deutlich.
Und woraus das Zentrum meiner Verwunderungen bestehen sollte wusste ich nun ebenfalls: aus Dingsbums!
Aus diesem kühlen Grunde beschloss ich auch sie um zu benennen. Sie sollte nicht länger „Dingsbums“ heißen, sondern treffender „Wunderle“.

In dieser Nacht dachte ich noch lange an Wunderle und wie schön es doch einmal mit ihr gewesen war...ich wusste nur nicht mehr wann es so makellos schön war, daß ich keine Sorgen im Zusammenhang mit ihr hatte.

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 41

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 41"

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 41

Autor: Sonja Soller   Datum: 13.10.2022 11:52 Uhr

Kommentar: Sehr wundersam, sehr realistisch geschrieben!!

Herzliche Grüße aus dem verwunderten Norden, Sonja

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 41

Autor: Alf Glocker   Datum: 13.10.2022 14:49 Uhr

Kommentar: Herzl Grü aus dem entwunderten Süden zurück!

LieGrü
Alf

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