Der 5. Tag bringt es ans Licht.

Die 6 Zwerge (von denen einer ein Troll ist) versammeln sich und diskutieren über Sex. Doch vorher arbeiten sie sich durch sehr viel heiße Luft. Der mediterrane Horizont über Hügeln und See ist blauer denn je. Es scheint als suche eine leibhaftige Fata Morgana Einlass über die sieben Hügel ins Zwergenland, ins Zwergenhaus, ins Zwergenhirm. Und manche schwere Zwergenhand streift leicht durch die Zweige im Olivenhain vor dem Pool, im Garten von Disneyland, so als führe sie durch Schneewittchens tiefschwarzes Haar.

Zwerg Thommy schlägt mit der geballten Faust auf das Tischlein-deck-dich und ruft „Knüppel aus dem Sack!“ In der Etage über dem Zwergenhaus, das eigentlich eine Ferienwohnung ist erwacht ein Dutzend kleine Kinder, deren Ohren jetzt meterlang werden. Sofort strömt eine Herde Mütter herbei und ärgert sich.

„Seidentücher!“ ruft Zwerg Thommy enthusiastisch, „Seidentücher und Kalziumtabletten für ein Spiel ohne Grenzen“.

Zwerg Siggi, der eher ein Romantiker ist und lieber in verborgenen Wäldern Hexenröhrlinge erforscht, als mit anderen Morcheln zu teilen, grinst hintergründig. Bevor er Seidentücher in Erwägung zieht, fesselt er seine Gespielinnen lieber mit viel zu offenen Worten. Und an Stelle von Kalzium lässt er bevorzugt den zärtlichen Schauder geheimnisumwitterter Treffpunkte wirken. Dies teilt er auch vorsichtig mit.

Zwerg Hansi atmet an dieser Stelle schwer. In der Ferienwohnung über uns geht für kurze Zeit jemandem ein Licht auf.

„Sex ist grundsätzlich gut, solange er ehrlich ist“, doziere ich, der Troll, selbstgefällig, muss mich jedoch von Zwerg Klausi zurecht verbessern lassen. Er sei, sagt Zwerg Klausi, in seinem vorigen Leben Polizist gewesen und von daher wisse er ganz genau, daß es zweierlei Arten von Sex gebe: guten und schlechten. Sadismus, sowie Sex mit Kindern sei schlechter Sex und Masochismus sei zumindest sehr fragwürdig. Sofort stimmen ihm alle bei, denn das ist unbedingt richtig.

Erleichtert atmet Zwerg Hansi wieder auf. Allerdings gesteht er, daß für ihn Sex immer schlecht sei. Nur die Liebe zähle in Wahrheit und die, so behauptet er, nicht ganz steif aber fest, sei Meilen vom Sex entfernt. Da zieht Zwerg Milan eine goldene Kette aus seiner Brusttasche im Hemd. Sie hatte direkt über seinem Herzen gelegen. Am Ende der Kette baumelt ein Medaillon auf dem eine zierliche Zwergenfrau abgebildet ist. Er lässt das Medaillon wie ein Hypnotiseur an der Kette vor den Augen hin und her schwingen – vor seinen eigenen wohlgemerkt. Und bevor er einen, für diesen Zusammenhang verständlichen Satz aussprechen kann ist er in Trance gefallen. Von irgendwoher ist ein Geräusch zu hören als schnappten Handschellen zu.

Niemand will Zwerg Milan auf dieses Terrain folgen. Alle Zwerge wissen, wie gerne er einmal Schneewittchen im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte, all ihrer Attraktionen wegen (nicht nur der geistigen), bewundert hätte. Als ich davon spreche, daß erotische Begegnungen sogar wie andere Naturschönheiten – er nennt Beispiele wie faszinierende Sonnenuntergänge oder grandiose Wasserfälle – sein können, hört er heftigen Protest. Es ist nicht der Protest der Mütter im ersten Stock, die sich immer noch, ihrer Kinder wegen, stark ärgern. Es ist auch nicht der Protest der übrigen Zwerge, denn auch Milan nickt weise und wissend. Der Protest kommt aus einer einzigen Richtung. Heiser und zitternd verbreitet er sich über dem Tischlein-deck-dich und er lässt die Nacht noch ein wenig dunkler werden. „Sex macht man überhaupt nur mit Nutten“, ruft Zwerg Hansi entrüstet. „Frauen dürfen ausschließlich nur geliebt werden. Dabei kann man sie zwischendurch auch mal berühren, aber man muss nicht!“

Während er das sagt, geht der Mond auf über dem glitzernden See. Das milde Licht versilbert die Hügel und das Gesicht von Schneewittchen, das jetzt wie ein unbezahlbares Schmuckstück aussieht. Hatte es gerade eben geblinzelt? Waren für den Bruchteil einer Sekunde nicht ihre dunklen Augen zu sehen, deren warmherziger und sicher auch erotischer Glanz schon so manches Zwergenhirn dahinschmelzen ließ? Ein kleines, silbernes Wölkchen zieht am Mond vorbei. Es lässt seine mächtigen Krater und weiten Ebenen zu einer versöhnlichen, zweidimensionalen Scheibe verschwimmen. Leichter Wind kommt auf und im oberen Stockwerk hat eine der Mütter begonnen aus einem Märchen zu lesen. Angeregt vom Mondschein und dem leisen Rascheln in den Olivenzweigen des Hains buchstabiert sie: „Spieglein, Spieglein an der Wand, Zwerg Hansi hat sich nicht erkannt, aber hinter den 7 Bergen, bei den 6 Zwergen hätte er 1000 Gelegenheiten dazu“. Und wie ein göttliches Zeichen aus dem Zentrum aller lebendiger Gewalten wird der See auf einmal so glatt wie eines von Zwerg Thommys Seidentüchern. Jetzt sieht er, im durch die kleine, silberne Wolke weitverstreuten Mondlicht, wie ein einziger Spiegel aus, auf dessen polierter Fläche sich alle Herrlichkeiten unseres blauen Planeten manifestieren können. Es kommt eben nur darauf an ob man unvoreingenommen hineinschaut oder nicht.

„Du bist kein verwunschener Prinz!“ tönt da ein volles Frauenstimmchen plötzlich. Doch woher kam es? Ohne sich weiter darum zu kümmern pfeift Zwerg Hansi darauf. Sein Pfiff ist scharf! So scharf, daß alle Gläschen auf dem Tischlein-deck-dich zerspringen. Selbst drinnen, im Zwergenhaus knackst es verdächtig im Küchenschränkchen. Hat vielleicht eines der Tässchen dort einen Sprünglein bekommen? Zwerg Hansi pfeift noch einmal darauf und auf einmal wissen alle wessen volles Frauenstimmchen vorhin gesprochen hatte. Schneewittchens gläserne Box ist geplatzt. In tausend Scherben ist sie zersprungen und die Schöne steigt lauthals lachend heraus. Mit ihrer wohlklingenden Stimme bringt sie die ganze Ferienanlage zum Erwachen. Auch die Väter bekommen jetzt meterlange Ohren und erheben sich, nach Märchen verlangend, von ihren Lagern.

„Wo ist der siebte Zwerg?“ fragt Schneewittchen verwundert, doch wir schütteln nur unsere Zipfelmützen. Von einem siebenten Zwerg haben wir nichts gesehen.

Wieder einmal gerät die Nacht zu einem rauschenden Fest!

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 12

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 12"

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 12

Autor: Sonja Soller   Datum: 31.08.2022 16:06 Uhr

Kommentar: Gerne gelesen!!!

Trollige Grüße aus dem Norden, Sonja

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman) 12

Autor: Alf Glocker   Datum: 31.08.2022 18:16 Uhr

Kommentar: Man dankt herzl aus dem trolligen Süden
Alf

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