Lord Erebus- Ein Unsterblicher wird erwachsen

Ich sah der eingeschüchterten Frau in die Augen. Sie zitterte am ganzen Leib und bettelte mittlerweile nur noch darum, dass ich ihre kleine Tochter verschonen möge. Ich frage mich immer wieder, warum Sterbliche diese Reihenfolge des Handelns wählen. Erst schreien sie um Hilfe und bezeichnen mich als Monster, wenn sie Mutig sind schlagen sie mit einem Gegenstand auf mich ein und dann betteln sie um Gnade. Glauben sie, dass ich den ersten Teil nicht gehört hätte? Glauben sie, ich würde einfach vergessen, dass ihr erster Wunsch es doch war, mich brennen zu sehen? Ist es ihr Stolz? Die Weigerung, ein solches Wesen, welches sie doch für eine Ausgeburt der Hölle halten, um Gnade anzuflehen? Ist es Intuition? Die Hoffnung, tatsächlich vor mir gerettet zu werden? Wie dem auch sei, ich schweife ab. Du, der du nun diesen Text liest, du fragst dich sicherlich, warum meine Gestalt sich dazu eignet, in anderen eine solche Furcht zu entfachen. Bin ich ein Tyrann? Ein Dämon? Ein blutrünstiger Mörder? Habe ich vielleicht sogar jede Eigenschaft dieser Aufzählung? Nun, ich will dir das Urteilen über mich gerne etwas erleichtern, indem ich dir schildere, wie ich überhaupt in diese kompromittierende Lage gelangte...
Ich wuchs, ich weiß, es ist ein Klischee, in einer Burg auf, weit entfernt von aller harten Wahrheit und bitterer Realität. Ich kannte nur meine Eltern, die Dienerschaft und andere Hochgeborene. Und so sehr ich dieses privilegierte Leben auch schätzte, mit der Zeit sehnte ich mich nach der Welt, welche ich nur aus Büchern kannte. Die Drohungen meines Vaters, er würde mich enterben, wenn ich meiner Familie die Schande machte, unter den Sterblichen zu leben, die Warnungen meiner Mutter, man könnte mich töten, sollte jemand meine wahre Natur erahnen, sowie die Bitten meiner Schwester, sie nicht alleine zu lassen... All dies konnte mich nicht umstimmen. Meiner Mutter schwor ich, es niemals so weit kommen zu lassen, dass man mich tötete. Meiner Schwester schwor ich, nicht nur zu überleben, sondern eines Tages zu ihr zurückzukehren. Und meinem Vater schwor ich, bei meiner Rückkehr so mächtig zu sein, dass er sich nicht trauen würde, mir jemals wieder zu drohen. Und so schickte ich einen Diener, mir von einem findigen Alchemisten einen Trank herstellen zu lassen, welchen ich aus einem meiner Bücher kannte. Er lässt, so die kryptische Schilderung des Autors, einen Menschen vergessen, wer er ist. Und so wanderte ich weit weg von meinem Geburtsort, bis ich schließlich an der Küste ankam. Nach einigen Stunden des Schwimmens kam ich an einem Ufer an, welches ich aufgrund der fortschreitenden Dämmerung traurigerweise nicht weiter zu schildern im Stande bin. Ich sah ein letztes Mal zurück, nahm tief Luft... Und trank. Mir drängte sich eine Erwartung eines ekelhaften Geschmacks auf. Doch es blieb aus. Entgegen der Schilderung eines jeden Romanautors hatte dieser Trank lediglich eine leichte Note von Kräutern und, so meinte ich wahrzunehmen, Zimtgebäck.

Als ich nun aufwachte aus meinem künstlich induzierten Schlafe, da sah ich die Sonne über mir. Ich musste einen halben Tag geschlafen haben, denn sie stand hoch über mir und erleuchtete die Welt, welche nur darauf wartete, von mir entdeckt zu werden. Das erste Mal spürte ich seit langem etwas Kindliches in mir. Vorfreude. Einen unbändigen Willen, zu entdecken und zu erobern. Ich wusste nicht, ob ich zuerst nach Norden, nach Westen oder doch nach Osten gehen sollte. Und lediglich das Meer in meinem Rücken grenzte das ein, was ich zu erkunden hatte. Ja ich zitterte fast am ganzen Körper, so intensiv war die Neugierde in mir. Und so zog ich die Kapuze meines Mantels über mein Haupt und wanderte nach Norden, in die Welt, welche mich zum ersten Male nicht erwartete. In der ich zum ersten Male nur einer von vielen war. Von meinen Beinen getragen und der Ziellosigkeit geführt gelangte ich schließlich zu einem Abhang, an dessen Ende ich ein Gebäude zu sehen glaubte. Ich machte gerade den ersten Schritt in eben jene Richtung, als ich das Knacken eines Astes neben mir vernahm. War es ein Tier? Ein Mensch? Ich hielt noch eine Sekunde ein und genoss das Gefühl der Vorfreude, bis ich die Neugierde schließlich nicht mehr auszuhalten vermochte und drehte mich um. Was folgte war ein Geräusch, welches ich, uncharmanter weise, dies muss ich zugeben, wohl am besten mit dem eines Quieken umschreibe. Vor mir stand in der Tat ein menschliches Wesen. Eine Frau. Ein Mädchen, um genauer zu sein. Sie starrte mich erwartungsvoll an, und, so meinte ich erkannt zu haben, auch etwas eingeschüchtert an. Die Arme musste gedacht haben, dass ich irgendeine Art von Spiel mit ihr treibe, denn anstatt sie anzusprechen starrte ich nur zurück. Ich wusste, wohl ebenfalls vor Überraschung, nicht, was ich ihr sagen sollte. Und so schlug mich jenes einfache Mädchen im Kampf um das Zurückgewinnen über die Herrschaft der eigenen Sinne. "Seid ihr ein Wanderer, oder etwa ein Bettler? Und wie heißt ihr überhaupt?" Ich stand noch ein paar Sekunden regungslos da, übermannt vom Anblick eines sterblichen Menschen, welcher mich wie einen seiner Spezies behandelte. Sie trat schließlich näher an mich heran und hob ihre Hand, um die Kapuze von meinem Kopf zu ziehen. Vergeblich, war ich doch schließlich deutlich größer als sie. Bei jenem Versuch berührte sie meine Stirn, was sich später als arger Fehltritt herausstellen sollte. "Warum seid ihr so kalt? Seid ihr etwa ein Monster?!" Es waren jene Worte, welche mich aus dem Reich der Gedanken zurück in diese neue Welt rissen. Und so folgte das zweite Kapitel dieser unheilvollen Begegnung. Ich zog also meine Kapuze hinunter und sprach in einer sanften Stimme "Aber nein doch, wäre ich ein Monster, hätte ich euch, werte Dame, doch längst mit Haut und Haaren verschlungen." Jene Worte vermochten es jedoch nicht, die junge Frau von der Reinheit meiner Intuitionen zu überzeugen, und so suchte sie ihr Heil in der Flucht. Natürlich holte ich sie ein. Und natürlich machte ich ihr nur noch mehr Angst, als ich aus dem Nichts mehrere Schritte vor ihr auftauchte. Dass ich dabei von meinen Flügeln gebraucht machte, trug zur Entschärfung der Gesamtsituation wohl auch nicht bei. Es war aber nun einmal Intuition, und so möchte ich von mir behaupten, dass ich am Eskalieren der Lage ebenso wenig Schuld trug, wie die junge Flüchtige. Die Frage der Schuld also geklärt möchte ich mich nun der Frage nach dem Ausgang der Situation widmen. Ich wollte dieses arme Mädchen nicht über Gebühr für ihre Panik strafen und so folgte ich ihr lediglich, bis sie schließlich an dem Haus ankam und gegen die Tür hämmerte. "Mama! Bitte mach die Tür auf! Mama bitte hilf mir! Es ist ein Monster!" So langsam war ich es leid, mich so beschimpfen zu lassen. Ich hatte mich dem Mädchen bisher übermäßig generös verhalten und ich empfand ihren Auftritt nicht nur als äußerst profan und anstrengend, sondern auch als meiner Person ungebührlich. Ich kann nicht genau beziffern, was in mir es war, was mir diesen Eindruck gab, doch ein Teil von mir war der Meinung, dass ein solches einfaches Mädchen nicht das Recht hatte, mit mir auf diese Weise zu sprechen. Es war also, zum Erstaunen des Mädchens, nicht etwa ihre Mutter welche ihr die Tür öffnete, sondern meine Hand, welche die hölzerne Tür schlichtweg aus den Angeln hob. Die Mutter, einen Schlüssel in der Hand haltend, starrte mich nun aus dem Inneren des Hauses an. Könnte man die Ernsthaftigkeit der Situation für eine Sekunde ausblenden, wäre in ihr wohl eine gewisse Komik zu erkennen. Die Mutter, welche das Gebaren ihres Kindes sicherlich nur für einen Streich oder einen Anfall von kindlicher Einbildung hielt, sah der von ihrer Tochter beschworenen Kreatur nun direkt in die Augen.
"Entschuldigt bitte mein unhöfliches Eintreten, doch eure Tochter ließ mir diesbezüglich keine Wahl." Die Mutter schrie nun, ebenso wie ihre Tochter, um Hilfe. Sie begann, dem in der Einleitung dieser schönen Geschichte beschriebenen Schema folgend, erst zu schreien, versuchte dann jedoch ihr Glück mit einem eisernen Schürhaken. Nicht mal heiß war er, stand die Sonne doch schließlich hoch am Himmel. Ich entriss ihn ihr im Bruchteil einer Sekunde und warf sowohl sie als auch ihre Tochter in eine Ecke des Hauses. "Werte Damen, meine Geduld kennt Grenzen. Ich habe es mit Höflichkeit, Erklärung und Diplomatie versucht. Da all diese Ansätze jedoch scheiterten.." "Bitte lasst sie gehen, sie ist doch nur ein Kind" Ich warf, Inspiration suchend, einen Blick in eine Ecke des Zimmers, in welchem ein religiöses Symbol die ansonsten karge Holzwand zierte. Meine Augen blieben für einige Sekunden an jenem Symbol hängen, bis sie schließlich wieder zu denen der verzweifelten Frau wanderten. Das Grinsen auf meinen Lippen schien ihr meine Gedanken nur allzu deutlich klarzumachen und sie realisierte, dass ich den Beschluss gefasst hatte, sowohl sie als auch ihre Tochter in das Reich ihrer Götter zu schicken. Und als ich mich umdrehte, um den von ihr genutzten Schürhaken zu nutzen, um den sprichwörtlichen Spieß umzudrehen, spürte ich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken. Verdutzt griff ich in das Zentrum meines Elends und zog eine lange, schartige Klinge aus ihm heraus. Ein Messer. Diese verdammte, freche, dreiste, nichtswürdige und vor allem niedere Sterbliche hatte es doch tatsächlich gewagt, mir ein Gemüsemesser in den Rücken zu stechen. In genau diesem Moment erhallten in meinem Kopf jedoch die Worte eines von mir geliebten Philosophen. "Bestrafe nicht die, die nicht auf deiner Seite stehen, sondern jene, welche nicht auf deiner Seite stehen sollten". Dieser Satz gehört zu einem seiner Werke, welche ich nie verstand. Was für einen Unterschied machte es, ob dieses Wesen vor mir gut, böse, mutig oder feige war? Es war gegen mich. Und es wollte mich töten. Ganz klar hatte sie soeben versucht, mir mein Leben zu nehmen. Und zum ersten Male verstand ich die Worte meines Idols, als ich realisierte, dass ihr Verhältnis zu mir nicht meine Basis sein sollte, um über sie zu urteilen. Sie hatte mehrmals ihr Leben riskiert und, obwohl ich in diesem Fall das Ziel ihrer Angriffe war, muss ich dies gestehen, unfassbaren Mut aufgebracht. Die Welt wäre sicherlich eine bessere und aufrichtigere, wenn mehr so wären wie sie. "Um auf deine Frage gegen Anfang unserer Begegnung zurückzukommen, mein liebes Kind-" Ich beugte mich zu dem Mädchen hinunter, was ihre Mutter sichtlich beunruhigte. "Ich weiß nicht, was ich bin. Und noch viel weniger weiß ich, wer ich bin." Ich richtete mich auf und blickte ihrer Mutter nun direkt in ihre braunen, aufgeweckten Augen. "Aber was ich weiß ist, dass deine Mutter mir soeben geholfen hat, mehr zu dem zu werden, der ich sein sollte. Und als Dank dafür, werde ich dir dein respektloses Benehmen in diesem Fall verzeihen und darauf verzichten, dich dafür zur Rechenschaft zu ziehen." Ich griff in meine Taschen, in der Hoffnung, darin etwas von Wert zu finden. Und tatsächlich ergriff ich einen Beutel voller Goldmünzen, aus welchem ich 3 Stück entnahm und auf einen Tisch legte, welcher sonst nur von Gemüse und dem Korpus eines Huhns belegt war. "Bitte verzeiht den Schaden an eurer Tür. Die Damen..." Es waren jene Worte, mit welchen ich aus dem Gebäude verschwand. Welch ein großes Glück ich empfand. Vergessen zu haben, wer ich bin, vergessen zu haben, was mein Platz in der Welt ist... Auf einmal verstand ich, dass all dies es wert war, meinen eigenen Idealen ein Stück näher gekommen zu sein. Ich verbrachte diese Nacht auf dem harten Waldboden. Und obgleich er hart war, schlief ich auf diesem Boden so friedvoll wie schon lange nicht mehr.


© Dorghar der Zweite


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Beschreibung des Autors zu "Lord Erebus- Ein Unsterblicher wird erwachsen"

Der erste Teil einer Geschichte, deren Grundidee ich schon seit einiger Zeit mit mir herumschleppe. über Kritik würde ich mich sehr freuen!

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