Die Uhr
An einem Samstagmorgen, ich hatte es mir mit Marmeladen- und Honigbrötchen auf meiner Terrasse gemütlich gemacht und wollte gerade einen kräftigen Schluck aus meiner Kaffeetasse nehmen, da klingelte mein Handy.
Normalerweise gehe ich am Wochenende ja nicht ran. Das ist seit Jahren bei mir Gesetz. Doch die Nummer auf dem Display zeigte mir, dass es mein alter Kumpel Martin war.
Bei Martin mache ich die einzige Ausnahme, denn er ist quasi mein fünf Jahre älterer Zwilling. Nur haben wir keine gemeinsamen Eltern, wenn sie verstehen, wie ich das meine.
Martin ist der Geschicktere von uns beiden. Dieses gebe ich neidlos zu. Doch er muss genauso neidlos zugeben, dass ich der Inspirativere bin.
Gegenseitig ergänzen wir uns und das hat seit Jahren hervorragend funktioniert.
Also nahm ich den Anruf entgegen.
Er erzählte mir irgendeine Geschichte von einem Bekannten, der eine alte Standuhr auf den Sperrmüll gestellt hatte. Das ist ja nichts ungewöhnliches. Aber er hatte sie wieder und wieder hingestellt. Sie wurde ja auch abgeholt und am nächsten Tag stand sie erneut da. Er hatte mir ein Foto der Uhr gesendet. Es war eine wunderschöne alte Standuhr. Ich vermutete, dass sie mindestens hundert Jahre alt war. Martin fragte mich, ob ich ihm helfen würde, die Uhr zu ihm zu bringen, denn sie sei ziemlich schwer und er hätte Lust, sie wieder zum Laufen zu bringen.
Ich sagte also zu und weil ich als Antiquitätenhändler den richtigen Transporter besaß, war es sowieso einfacher zu bewerkstelligen. Vorher jedoch frühstückte ich ausgiebig.
Danach fuhr ich meinen alten Crafter aus der Garage, sackte Martin ein und schon ging es los die Uhr zu holen. Wir mussten etwa fünfzig Kilometer fahren. Als wir um die letzte Kurve bogen, sahen wir sie schon im Sonnenschein blinken.
Martins Freund Peter gab uns zu verstehen, dass er sehr erfreut sei sie endlich loszuwerden. Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen, denn er meinte, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, dass die Uhr immer wieder zu ihm zurückkehrte.
Ich sagte jedoch, dass sich da wohl irgendein Scherzbold einen Spaß mit ihm erlaubt habe. Die Uhr war eine wirklich wunderschöne teilweise aus Mahagoniholz geschnitzte große Standuhr. Ich revidierte mich bei der Altersbestimmung und schätzte sie etwa auf das achtzehnte Jahrhundert. Den Hersteller konnte ich nicht einschätzen. Auf Grund der Intarsien, die übrigens recht ungewöhnlich waren, würde ich denken, dass sie britischer Abstammung war. Einige Schnitzereien im Inlay der Uhr zeigten Menschen im Todeskampf oder im Fegefeuer. Ich konnte sie nicht deuten.
Auch hatte sich jemand viel Mühe gegeben, wichtige Teile zu entfernen. Fast sah es so aus, als ob man die Uhr mit Absicht stillgelegt hatte. Es fehlten das Pendel, die Gewichte, Federn und Zahnräder aus dem Getriebe. In ihrem Zifferblatt, das etwa so aussah wie ein menschlicher Totenkopf, befanden sich links und rechts jeweils ein Loch, in dem sich dunkle Scheiben befanden. Ich vermutete, dass sie während des Betriebes der Uhr schwingen würden. Das Ganze gab dem Zifferblatt etwas gruseliges, wie ein Schädel mit Augen. Aber genauso war es wohl auch gemeint. Es gab also auch damals schon Freaks.
Ich versuchte Martin zu erklären, dass es ein sinnloses Unterfangen wäre diese Uhr mitzunehmen. Es wäre wohl doch zu viel daran zu reparieren.
Er hörte jedoch nicht auf mich, denn er hatte Blut geleckt. Es war ein neues Projekt für ihn und davon konnte ihn nichts mehr abbringen.
Als wir das über zwei Meter hohe Ungetüm auf den Transporter hievten, sah ich unter dem Standfuß den Namen seines Erbauers. Theodor Orwell Dover stand in fein geschwungenen Stichen ins Holz graviert. Wir brachten das Ungetüm zu Martins Werkstatt, holten es von meinem Laster und stellten es auf den Boden. Beim Absetzen gab es einen ächzenden, röchelnden Ton von sich und ich konnte mir nicht vorstellen, wo dieser herkam.
Nun ja, das war jedenfalls erledigt und ich freute mich darauf den Rest des Samstags nichts mehr machen zu müssen.
In den nächsten Wochen hörte ich nicht sehr viel von Martin. Er rief zwei Mal an, um mir zu berichten. Er gab mir zu verstehen, dass es nur noch zwei andere Dover Uhren auf der Welt gab und jede von ihnen war ausgeschlachtet und somit eigentlich wertlos. Jedoch das Ungewöhnliche war, dass die Teile, die in den jeweiligen Uhren fehlten, in den anderen vorhanden waren. Man musste also alle drei haben, um eine funktionstüchtige daraus zu konstruieren.
Seltsamerweise befanden sich die Uhren an den entferntesten Orten der Welt und es schien als wäre dies absichtlich alles so herbeigeführt worden. Vielleicht sollte aus irgendeinem Grund gar keine der Drei wieder funktionieren!
Jedenfalls stand eines der Exemplare in Nepal und das Andere in Australien. Martin hatte genug Geld geerbt, um jeden Preis dafür zahlen zu können und dies tat er dann auch. Ich kannte meinen Freund und er ließ nicht locker bis die Opfer seiner Begierde auf dem Weg nach Deutschland waren. Hätten wir geahnt, wie hoch der Preis am Ende tatsächlich war….
Martin hatte seit Tagen ein Hochgefühl. Er freute sich darauf sein neues Spielzeug in Gang zu bringen. Ich jedenfalls teilte seine Freude nicht, hatte ich doch schon immer einen Sinn für seltsame Geschehnisse, die noch bevorstanden. Ich konnte nicht schlafen und hatte ein komisches Gefühl im Bauch.
Eines Tages standen dann die riesigen Pakete vor seinem Haus und ich half ihm dabei sie zu entpacken.
Gleich nachdem wir die Uhren in seine Werkstatt gebracht hatten, fröstelte ich, denn es schien als sei die Temperatur gesunken. Da standen sie nun, die drei Kolosse aus Mahagoni, jede mit einem Torso, der etwas abstrakt Menschliches hatte. Das Zifferngehäuse war der Kopf, dann verbreiterten sie sich zu Schultern und der Rest hätte ein Umhang aus Holz sein können. Die gespenstische Gruppe hatte sich nach vielen Jahren ihres getrenntseins hier endlich wieder versammelt und es schien, als würde hier eine besondere Atmosphäre entstehen.
Martin jedoch merkte nichts von alledem, öffnete Klappen und Luken und zog gelegentlich etwas aus den Gekrösen der Mechanismen heraus. Die Uhren standen stumm wie Unheilsboten, die auf den richtigen Augenblick warteten.
Es war so kalt geworden, dass mir schon der Atem aus dem Mund dampfte. Ich verabschiedete mich eilig von Martin und er versprach mir, sobald er eine Standuhr zum Laufen gebracht hätte, würde er ein paar Leute einladen und eine urige Party veranstalten. Er grinste und zwinkerte mir zu. Damit ließ ich ihn allein. Draußen war es angenehm mild und gar nicht so kühl wie in seiner Werkstatt.
Nach ein paar Tagen, lag dann eine offizielle Einladung in meinem Postkasten. “Zurück in die Uhrzeit“ lautete das Motto.
An einem Samstagabend war es dann soweit.
Mit der Aussicht auf einen vergnüglichen und feuchtfröhlichen Abend ließ ich mich von einem Taxi chauffieren. Der Hof stand voller Fahrzeuge. Martin hatte mit den Einladungen wahrscheinlich wieder sehr übertrieben.
Nachdem ich den Fahrer bezahlt hatte, betrat ich den Flur des Hauses und spürte sofort wieder diese unbeschreibliche Kälte, die sich auf mich legte und mir den Atem kondensieren ließ.
Ich begab mich in Martins luxuriöses und weitläufiges Wohnzimmer. In seiner Mitte befand sich eine der Standuhren, herausgeputzt und trutzig wie ein Ritter. Sie glänzte wohlpoliert und geölt.
Um sie herum standen wie Ziffern auf dem Zifferblatt einer Uhr, in gleichmäßigen Abständen zwölf Stühle, auf die sich schon Martin und seine Gäste platziert hatten. Martin kam mir entgegen und sprach:,, Sorry, du bist etwas spät dran, die Plätze sind leider alle schon vergeben, denn überraschender Weise kam heute auch noch meine Exfrau. Aber du kannst, wenn du so lieb bist, die Inbetriebnahme meiner neuesten Errungenschaft denkwürdig in einem Video festhalten.“ Er führte mich zu einem dreizehnten Stuhl in einer Ecke des Raumes. Vor ihm befand sich ein Stativ mit einer Videokamera, die ich dann wohl bedienen sollte.
Sodann begab sich Martin zu der Uhr. Das Stimmengewirr im Raum wurde leiser und verstummte dann ganz.
Er ließ sich Zeit um die Spannung zu steigern. Dann nickte er mir zu. Das war das Zeichen den Videodreh zu beginnen.
,,Liebe Freunde,“ begann er, ,, Ich habe Euch eingeladen um mit Euch meinen Stolz zu feiern. Ihr wisst, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, bringt mich nichts davon ab, es auch zu erreichen, beziehungsweise zu reparieren und dann zum Laufen zu bringen. So auch diese wunderschöne Uhr.“ Er strich mit seiner Hand über die Konturen des alten Zeitmessers, der mit einer für mich beunruhigenden Präsenz den Raum einnahm. ,,Heute nun werde ich diese uralte Schönheit nach vielen Jahrzehnten Stillstand wieder ins Leben zurückrufen. Ich habe weder Kosten noch Mühen gescheut, um sie in ihren ehemaligen Zustand zurückzuversetzen und ich hoffe, sie wird es mir danken.“
Mit diesen Worten trat er vor die Uhr, öffnete das Gehäuse und zog die schwere Kette mit den Gewichten auf.
In diesem Augenblick ging ein Ächzen durch den Raum, wie das Stöhnen eines uralten befreiten Geistes.
Die Kette rasselte, wie die eines alten Schlossgeistes. In die leeren Löcher der Uhr schob sich von innen etwas, das wie Augen aussah. Im Rhythmus des Tickens, das sich wie das Knacken von Knochen anhörte, blickten sie mal in die eine und dann wieder in die andere Richtung. Ich hatte das Gefühl, dass das Monstrum Maß nahm.
Nun geschah etwas sehr seltsames. Wir hatten es neunzehn Uhr. Doch plötzlich begannen sich die Zeiger schneller zu drehen und eilten auf Mitternacht zu. In dem Maße, wie sie rotierten, begann es draußen zu dunkeln.
Die Gäste saßen mit offenen Mündern da und einigen war die Angst ins Gesicht geschrieben. Es war so kalt geworden, dass die Gläser in den Händen der Leute kondensierten und der Atem sich als Reif absetzte.
Beim ersten Schlag Mitternacht, ging ein Ruck durch die Uhr und um die Stühle der im Kreis Sitzenden legte sich ein Ring aus milchigem Nebel wie ein Bannkreis. Aus meiner Ecke konnte ich nicht mehr allzuviel sehen. Doch traute ich mich auch nicht weiter heran und filmte was ich sah.
Die Uhr stand wie ein riesiger schwarzer Mönch im Nebel und längst war allen klar, dass hier eine nichtmenschliche Macht die Fäden führte. Dieses Alles erkannte ich beim ersten Schlag des teuflischen Mechanismus. Ich sah auch, wie die Augen des Mönches immer von einem zum anderen blickten und wen sie bei jedem neuen Schlag trafen, dem wurde mit entsetzlicher Gewalt der Kopf nach hinten gedreht, so dass das Genick brach. Ich war belesen genug, um zu wissen, dass das die beliebteste Methode des Teufels war, um an neue Seelen zu gelangen. Die armen Menschen versuchten aus dem Bannkreis auszubrechen. Aber es war vergeblich. Sie heulten und schrien. Doch das Böse holte sich einen nach dem anderen. Es schlug also zwölf Mal. Bei jedem Schlag verstärkte sich der Nebel und färbte sich blutrot.
Beim letzten und zwölften Schlag war er so dicht, dass ich wirklich nichts mehr erkennen konnte.
Dann verflüchtigte er sich plötzlich, als hätte es ihn nie gegeben. Es knallte einmal fürchterlich und ein Schatten huschte an mir vorbei durch die Wand.
Alle Stühle waren leer. Nicht ein Gast war mehr anwesend. Während ich schlotternd und taumelnd aus meiner Ecke trat, entdeckte ich in der Wand, durch die der Schatten entflohen war, einen Fußabdruck, sehr groß und ähnlich dem eines Ziegenbocks. Ich konnte mir denken wem er gehörte.
Eine Luke der Uhr war offen, Ich öffnete sie ganz und erblickte noch einmal die Schnitzereien, die sich um zwölf vermehrt hatten...
Plötzlich machte auch der Name des Erbauers, Theodor Orwell Dover, einen Sinn, wenn man seine Anfangsbuchstaben betrachtete. Und Sinn machte auch, dass die Uhren so viele Jahre voneinander getrennt und demontiert waren. Das Böse jedoch hat immer freiwillige oder unfreiwillige Handlanger.
Hastig stürzte ich zur Kamera, um meine Aufzeichnungen zu betrachten, doch sie waren weg. Spur-und beweislos konnte ich niemandem erklären, was hier passiert war.
Bevor mein geschundener Geist sich durch eine Ohnmacht rettete, fiel mein Blick noch einmal in den Kasten. Dort befand sich nun eine geschnitzte Kamera in der Hand eines Verfluchten, der irgendwie aussah wie Martin...


@P.I.Collo

MD


© Picolo


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Kommentare zu "Die Uhr"

Re: Die Uhr

Autor: Angélique Duvier   Datum: 13.03.2022 10:57 Uhr

Kommentar: Wow, tolle Geschichte, lieber Michl!

Liebe Grüße zu Dir,

Angélique

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