Das Leben ist ein Traum

© Alf Glocker

Ich bin in einer fremden Stadt auf dem Einwohnermeldeamt verabredet. Ich darf mich dort gar nicht aufhalten, solange ich keinen Ausweis habe – und ich habe eben keinen. Vom Bahnhof aus versuche ich die Straße zu finden in der das Amt steht. Ich war schon mal dort, aber die Stadt ist einfach zauberhaft...mit ihren Altstadt-Gebäuden. Vor mir entsteht ein Wirrwarr aus Gassen und Fachwerkhäusern, von Einkaufspromenaden und Geschäften. Alles ist hell erleuchtet!

Teilweise haben die Ladenbesitzer sogar ihre Waren auf kleinen Plätzen ausgestellt. Ich sehe große Ritterburgen und Bausätze für die köstlichsten Sammlerstücke, die es schon längst nicht mehr zu kaufen gibt. Aber ich habe kein Geld und keine Zeit für den Modellbau; ich muss ja zum Einwohnermeldeamt! Wo ist dieses verdammte Amt? Ich muss irgendwen fragen – einen Einheimischen am besten, aber das dürfte wohl ein Leichtes sein jemanden Geeigneten zu finden.

Alles ist von Leben erfüllt! Ich frage mich durch die Menge und endlich gerate ich in eine kleine Fußgängergruppe, die mit fröhlichen Gesprächen beschäftigt ist. Wie von selbst werde ich integriert, darf mitreden, werde angesprochen als sei ich ein Freund und mein Problem wird winzig klein. Sie seien zufällig geradewegs am Einwohnermeldeamt mit einer anderen Gruppe verabredet, sagen die freundlichen Leute zu mir, ich solle einfach nur mitkommen.

Auf einmal kann ich fliegen! Ich erhebe mich leicht wie eine Feder in die Luft und schwebe, als wäre nichts dabei, neben, vor und über den Leuten herum – und auf einmal sind sie spurlos verschwunden. Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe bemerke ich, daß ich mich jetzt in einem anderen Stadtteil befinde...an einem Knotenpunkt für öffentliche Verkehrsmittel! Straßenbahnen und Omnibusse fahren gerade ab und überall verpassen die Menschen ihren Anschluss. Obwohl sie rennen und hetzen kommen sie nur auf ca. 50 Meter an ihr betreffendes Beförderungsmittel heran, um dann resignierend zuzuschauen wie es sich unbestiegen entfernt.

Das scheint nicht besonders erfreulich zu sein. Überall stehen bestellte und nicht abgeholte Personen herum, in fatale Unterhaltungen vertieft. Es scheint als ob man sie vergessen habe. Ich allerdings habe noch einen Trumpf in der Tasche: Ich habe eine Telefonnummer von hiesigen Verwandten in der Tasche: Sie muss auf dem Handy zu finden sein! Ich krame es aus meiner Jackentasche hervor und versuche es einzuschalten – sein Akku ist leer!

Ich kann niemanden anrufen, ich weiß nicht wo ich hingehen soll. Wunderbar! Zu allem Unglück sind die umher wuselnden Menschen jetzt auch viel zu hektisch geworden. Keiner lässt sich mehr ansprechen, keiner hat Zeit für mich. Ich stehe da wie ein begossener Pudel und als ich wieder versuche mich in die Luft zu erheben, da klappt das auch nicht mehr. So langsam macht sich Verzweiflung in mir breit! Was soll ich jetzt noch machen? Ich könnte versuchen wenigstens mit einem Taxi in mein Hotel zu fahren und mich dort erst einmal von den Strapazen erholen.

Weil mir nur das übrig zu bleiben scheint greife ich nach meinem Geldbeutel – was sich gleichzeitig als ein Griff ins Leere herausstellt, um geschockt festzustellen, daß er nicht mehr da ist! Sollten die freundlichen Leute, die mich an ihrem Gespräch teilhaben ließen...?? Heiliger Strohsack! Muss ich auf der Straße übernachten? Oder soll ich zur Polizei gehen, um dann gleich wie ein verwirrter Trottel behandelt zu werden?! Es muss doch einen vernünftigen und nicht entwürdigenden Ausweg geben. In meinem Kopf purzeln die Gedanken durcheinander...

Auf dem Höhepunkt der Katastrophe fällt mir der einzige gangbare Ausweg ein: Ich brauche einfach nur aufzuwachen, dann ist wieder alles gut! Langsam gleite ich aus meinem Traum in die Realität hinein – wo der nächste Schock erwartet! Was ich im Traum erhofft hatte geschieht einfach nicht. Denn als ich zu mir komme muss ich zu meinem Schrecken feststellen, daß ich offensichtlich in einer völlig verqueren Welt lebe. Es ist als würde ich hier niemanden kennen!

Bei näherer Betrachtung meiner realen Situation stelle ich grübelnd fest, daß ich eigentlich keine Identität mehr habe: Mir fällt niemand ein, den ich persönlich kenne, der mich so akzeptiert wie ich bin. Der Weg in eine akzeptable Zukunft scheint gründlich verbaut und mein direktes Umfeld beobachtet mit misstrauisch. Werde ich überwacht? Mir wird klar: Daß ich vor allem in der jüngsten Vergangenheit, aber auch davor, stets vertrauensvoll auf die Menschen zugegangen bin und mich bemüht habe sie zu verstehen. Damit scheine ich jedoch alleine gewesen zu sein, denn meine Bemühungen haben 1. nichts gefruchtet und sie wurden 2. gar nicht erwidert.

Was könnte ich jetzt noch tun? Soll ich mich umdrehen und versuchen in einen Traum zu gelangen, der mir Lösungen angedeihen lässt? Soll ich wild um mich schlagen, damit mich ein Ende mit Schrecken von einem Schrecken ohne Ende erlöst? Dann stünde ich aber ohne Obdach da. Sollte ich einer religiösen Vereinigung beitreten und anfangen nach den Gesetzen eines verrückten Idols zu leben? Wieder beschleicht mich die Verzweiflung, diesmal jedoch so stark, daß ich mir überhaupt keinen Rat mehr weiß. Dann fällt mir plötzlich erneut eine richtige Lösung ein:

Ich erhebe mich in die Luft und schwebe vor, neben und über meinen Problemen her. Nebenbei lasse ich mir meinen Geldbeutel entwenden, mich von hinterhältigen Zeitgenossen belabern – abends trinke ich 2 bis 3 Biere und gehe nach dem letzten Film (einem Fantasyschinken) erlöst von mir selbst und von meinen Problemen, um einen guten Weg durch das Leben zu finden, schlafen. Mein Bett ist eine wahre Wohltat! Entzückt schaue ich noch einmal auf meine Bettgenossin, von der ich weiß, daß sie ein bisschen sehr spinnt, dann...

entgleite ich in einen Traum wo ich in einer fremden Stadt auf der Suche nach dem Einwohnermeldeamt bin um dortselbst einen Ausweis zu beantragen. Leider habe ich vergessen wo genau dieses Amt liegt und die Telefonnummer meiner Verwandten habe ich nicht auf dem Handy gespeichert. Zu allem Überfluss habe ich nun auch noch anscheinend das Gedächtnis verloren, denn ich habe keine Ahnung mehr wer ich bin. Um mich herum kommt mir zwar alles irgendwie bekannt vor, aber das ist auch schon alles. Soll ich jetzt aufwachen???


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Das Leben ist ein Traum"

Re: Das Leben ist ein Traum

Autor: Sonja Soller   Datum: 18.02.2022 11:39 Uhr

Kommentar: Traum und Wirklichkeit sind eng miteinander verwoben.

Lieber Alf, du hast deine Gedanken wieder wunderbar in Worte gefasst!!
Kompliment!!!

Herzliche Grüße aus dem nachdenklichen Norden, Sonja

Re: Das Leben ist ein Traum

Autor: Alf Glocker   Datum: 18.02.2022 17:08 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Sonja!

Herzl. Grü. aus dem ebenfalls nachdenklichen Süden
Alf

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