Das Märchen von der Intelligenzbestie

© Alf Glocker

„Du“, hörte ich kürzlich jemanden klagen oder sagen, „ich habe von jemandem gehört der kann ein heiliges Buch auswendig“. „Und ich“, quatschte daraufhin der andere Gesprächsteilnehmer, kenne einen, der kann das Telefonbuch von San Francisco!“ Da mischte sich ein Dritter ein, der von einem oder einer wusste, die, der die Relativitätstheorie vorwärts und rückwärts aufsagen konnte: Dabei, so führte er weiter beredt aus, handle es sich um einen Dr. Dr. Professor Nimmermehr, der praktisch jedes Jahr ein neues Fach in sich aufnimmt um es wieder daherlabern zu können.

„Heiliger Strohsack“ nuschelte da plötzlich ein dubioses Irgendwas, das ohne Hemd und Kragen, ohne Stock und Hut, ja sogar völlig körperfrei daherzukommen schien, als gäbe es kein Überübermorgen und keinen Abend aller Alltage im Jenseits. „Das sind schon ganz fantastische Fännomene“ Jubelten nun alle, samt den Körperlosen in die Nacht des bestehenden Tages hinein. Daraufhin gingen sie in den Kindergarten um sich dort nach weiteren Sensationen umzusehen. Das war eine wunderschöne Aufgabe.

Daß es keine Aufgaben ohne vorherigen Annahmen gibt erfuhren sie aber, in diesem ihrem Dasein, leider nicht mehr. Sie schwammen in ihrer Glückseligkeit auf und davon, wie Felle im Bach, oder das Goldene Vlies von Kolchis, das es ja auch einmal gegeben haben muss, obwohl man es, genau genommen gar nicht versteht. Hauptsache es gibt Nauten ohne Arg und O! Dann braucht man nur noch den entsprechenden Odysseus, der sie 10 Jahre lang auf allen verfügbaren Weltmeeren in die Irre schippert. Er kann aber gerne auch eine Frau sein.

Frauen konnten ja eine Zeit lang sogar Multitasking, bis man herausgefunden hat, daß das nicht wirklich geht. Und von da an konnten es die Männer auch nicht mehr, von denen schon immer behauptet wurde sie seien nicht unbedingt besonders Schappi, wobei jedoch zugegeben werden muss, daß es offensichtlich auch unter ihnen Ausnahmebegabungen geben muss. Besonders natürlich in anderen Ländern, wo man ganz viel von Bildung hält und die Schulen überquellen von superbraven Eiferschülern, die fast alles wissen, nur nicht wie man damit sinnvoll umgeht.

Aber lernen kann man bekanntlich alles! Nur das Wahlfach „Erfindungen“, was es heutzutage bereits imaginär an allen Stellen in der Welt gibt, lässt in der Realität noch auf sich warten. Dafür brauche man ungeheuer viel Bildung, sagte mir kürzlich ein anerkannter Weiser aus meiner Verwandtschaft, um mich gehörig einzuschüchtern. Denn bevor man nicht weiß was man wissen sollte, kann man beispielsweise auch gar nie nichts erfinden. Einen solar getrieben Reagenzreflektor zum Einfangen von Mondstrahlung auf der Rückseite der Erde z.B.!

„Und wenn ich vielleicht in einem Land lebe wo es nur garnichts gibt – könnte ich dann vielleicht erst einmal ein...“ „Schluss damit!“ herrschte mich die verwandte Respektsperson gravitätisch an, „du willst wieder nur von deiner Faulheit ablenken, damit du den Kopf für deine dreimal vermaledeiten Phantasien frei hast...damit hat's noch keiner zu was gebracht!“ So kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus und nicht in die Welt der gebildeten Erwachsenen hinein. Punkt, aus und Schluss – es gibt keinen Musenkuss!

Das demoralisierte mich grenzenlos und ich begann darüber nachzudenken, daß und nicht warum ich nun halt eben keine Intelligenzbestie werden konnte. Das musste ich mir wohl für ein späteres Leben aufheben, nahm ich an und dann gleich ab. Mein kleines Geistchen wurde schmal und blass, verblassend vor diesen Giganten der Menschheit, die schon wenigstens Autisten sein mussten, wenn sie etwas bedeuten wollten. Das war bitter! Natürlich, mit ein bisschen von diesem Zauber-Elexier „Guten Willen“ hätte mir auch ein Stückchen vom Erdkreis gehören können.

Aber nein, ich wollte ja nicht. Ich wollte viel lieber den Vögelchen zuhören. Mich interessierten die Pflanzen, vornehmlich die Bäume, die Blumen, die Menschen vor allem, obwohl ich mir da heute, was die Menschen anbetrifft, nicht mehr so ganz sicher bin. Irgendwie habe ich Angst vor ihnen, vor ihren Ritualen, vor ihrem gigantischen Wissen, ihrem Stolz darauf zu wissen, wenn sie etwas auswendig gelernt haben. Damit kann ich mich selbstverständlich nicht vergleichen – ich bin nur ein kleines Dummerchen, das sich gerne belehren lässt und vieles von allen Seiten betrachtet bevor es etwas tut, das einen schlechten Leumund hat: das Entdecken.

Aber so ist sie nun einmal, die Welt der Märchen und Sagen: wild und zügellos...vor allem was einen geordneten Ablauf angeht, in welchem immer alles so hin getrimmt werden kann wie es Leuten passt die ein Telefonbuch auswendig können, oder eine heilige Schrift hersagen. Daß die meisten dabei ganz komisch wackeln (wobei es mir einfach nur schwindlig werden würde) beeindruckt mich zusätzlich noch über die Maßen. Ich rette mich dann immer auf meine Insel, wo ich mich damit beschäftige meine eigenen Märchen treudoof zu erfinden.


© Alf Glocker


5 Lesern gefällt dieser Text.




Unregistrierter Besucher
Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Das Märchen von der Intelligenzbestie"

Re: Das Märchen von der Intelligenzbestie

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 27.01.2022 9:55 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
gekonnte Lektüre mit Hintergrund.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Das Märchen von der Intelligenzbestie

Autor: Sonja Soller   Datum: 27.01.2022 12:48 Uhr

Kommentar: Interessante Sichtweise lieber Alf,
aus Erfahrung kann ich sagen, jeder braucht (s)eine Insel!!!!!

Herzliche Grüße aus dem inselfreundlichen Norden, Sonja

Re: Das Märchen von der Intelligenzbestie

Autor: Angélique Duvier   Datum: 27.01.2022 13:22 Uhr

Kommentar: Wieder genial gedacht und umgesetzt, lieber Alf!
L.G.
Angélique

Re: Das Märchen von der Intelligenzbestie

Autor: Alf Glocker   Datum: 29.01.2022 11:26 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde

LieGrü
Alf

Kommentar schreiben zu "Das Märchen von der Intelligenzbestie"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.