Am Nachmittag wurde ich von selber schweigsam, während ich meiner Herrin durch die Hitze folgte, über einen Marktplatz, an dem sich rundum Gaststätten und Restaurants befanden. In der Mitte stand ein flacher rechteckiger Brunnen, aus dem zentral zwei Wasserfontainen in die Höhe sprangen. Die Tropfen glitzerten in der Sonne. Es war einiges los, aber die Menschen waren zwischenzeitlich eine Masse wild umherspringender Formen, Ecken und Kanten.
Sie zog mich weg. Wir spazierten durch einen Park, dessen Wege niedrige Hecken und grün gestrichene Laternen säumten. Klingeln. Zwei Radfahrer schossen vorbei. Allzu breit waren Wege nie.
Im Schatten eines großen Baumes machte sie auf einer Bank Pause und trank eine eisgekühlte Limonade, die neben ihr in der Luft schwebte. Womöglich hatte sie diese auch unterwegs gekauft. Vielleicht auch nicht. Unwahrscheinlich. Während sie ihre Beine ausstreckte, kniete ich in der vollen Sonne und schwitzte noch mehr. Die Wärme lag drückend zwischen den Laubbäumen. Die anderen Fußgänger auf den Wegen, alte Menschen mit Gehstöcken aus Holz, eine reporterartige Frau ohne Zeitung auf einer Bank, eine zerknüllte braune Papiertüte der Bäckerei lag neben einem leeren Mülleimer, ein hüpfender roter Fleck, ein Ball, Kinder die über den Rasen liefen, stechend, geradezu leuchtend grasgrün.
Meine Kiefermuskeln spannten sich immer wieder. Mein Hals blutete erneut und säftete. Was war das fürn Talent nicht aufgeben zu können? Warum konnte ich nicht fliegen oder Gedanken lesen? Jedoch wusste ich längst, das ich daran festhalten würde.
Sie beachtete mich kaum, nur selten ein Seitenblick. Wenn sie mir solche Schmerzen zufügte, verlieh es unserer Verbindung immer mehr Tiefe. Das war nichts äußerlich Sichtbares, gerade sah es optisch eher distanziert aus, dennoch konnte ich sie so nahe spüren, ihre Präsenz und ihren Geist.
Und endlich war ich in der Lage die Hitze, die Geräusche, diesen Krach… die Leute, die ganze Umgebung auszublenden. Es war, wie sich mit einem Mal selbst im kühlenden Schatten zu befinden. Die Geräusche verklangen, gedämpft wie Nebel, durch den man nicht sehen kann, noch bevor sie richtig bei mir angekommen waren. Ich schaute zu meiner Herrin und versank darin sie zu sehen.

Auf dem Rückweg stand die Sonne tiefer. Die Leute waren jetzt farbige Gestalten geworden, deren Umrisse Unschärfe hatten, die rasch an uns vorbeihuschten oder am Straßenrand standen wie ausgestopft. Ich sah zu ihr, wenn sie vor mir ging und ansonsten auf den Boden. Die lange Kette hing dabei zeitweilig durch und schwang ein wenig. Das Gewicht verstärkte den Druck um meinen Hals. Sie scheuerte die Haut immer weiter auf. Es hatte keine Chance zu heilen. In meinem Kopf schwammen nur zwei Worte und der Wille durchzuhalten, nicht aufzuhören. Keine schlechte Strategie.
Wir überquerten den Marktplatz von vorhin. Meine Konzentrationsfähigkeit war dezent hinüber. Ich folgte meiner Herrin, während ich vergeblich versuchte, mich zu fokussieren. Der fast erdrückende Geruch von warmem fettigen Essen lag in der, ohnehin noch warmen Luft. Zudem legte die entzündete Haut unter meiner Hundekette nun so richtig los. Der Schmerz zuckte quälend unter dem Metall entlang, als hätte sie die Kettenglieder scharfkantig geschliffen. Besteckkratzen und Stimmengewirr schallten über den Platz und wurden von den Hauswänden rundum hundertfach zurückgeworfen. Überall saßen Gäste unter gestreiften Markisen und Sonnenschirmen vor Pizzerien und Kneipen in der sommerlichen Abendsonne und genossen eisgekühltes Bier zu deftigem Grillfleisch. Gleichzeitig kam diesem kräftigen Aroma ein süßer Duft nach Pancakes in die Quere, solche mit diesen unglaublich kreativen Garnierungen. Ich schüttelte mich.
„Du bist tatsächlich ein Hund.“, meinte sie belustigt.
„Ja meine Herrin.“
Ich betete, das der liebevolle Unterton keine Einbildung war.

Wir liefen keinen Meter entfernt an dem niedrigen Brunnenrand in der Mitte vorbei. Argwöhnisch sah ich zum Wasser. Sie würde das doch nicht noch einmal machen? Wir waren fast daran vorbei. Nichts passierte. Ich entspannte mich ein wenig. Da schubste sie mich ohne jegliche Vorwarnung doch hinein. Ähnlich einem tollpatschigen Welpen verlor ich das Gleichgewicht und fiel mit lautem Platschen in den flachen Brunnen. Die Tropfen flogen weit durch die Gegend. Es war tiefer als von außen angenommen, aber wohltuend kühl. Entgeistert setzte ich mich auf, das Wasser lief an mir herunter, und sah meine Herrin erheitert über mir stehen. Sie fand es enorm lustig. Das zog mächtig. Ich starrte auf das Wasser. Der Boden des Brunnens war erstaunlich sauber. Gelächter im Hintergrund.
Triefend nass stieg ich aus dem Wasser und trat mit gesenktem Kopf vor sie. Meine Klamotten hingen an meinem Körper. Der Kapuzenpullover hatte sich komplett mit Wasser vollgesaugt und die weite Hose klebte mir in Falten an den Beinen. Die Schuhe schwammen.
„Ein nasser Hund. Steht dir.“, meinte sie grinsend.
„Danke, meine Herrin.“, murmelte ich. Die Restaurantgäste, welche die Szene von ihren Tischen aus mitbekommen hatten, lachten und wieherten. Eine handvoll Fußgänger war ebenfalls interessiert stehengeblieben. Gute Unterhaltung schien hier Mangelware zu sein. Hoffentlich gefiel es ihr mich zu demütigen. Wenn ich dafür herhalten konnte erbärmlich auszusehen, war ich nicht nutzlos.
Ich tropfte den ganzen Boden voll, wo ich stand. Sie packte mich fest an der Halskette, wie einen ungezogenen Köter.
„Du dummer Hund! Eigentlich hab ich dir ein Gefallen getan.“, kommentierte sie trocken.
„Warum hast du mich reingeschubst meine Herrin? Ich hätte gern darauf verzichtet nass zu werden.“, fragte ich deprimiert.
Es gab keine Antwort. Da überlief mich eiskalt, wie rotzfrech diese Frage sein konnte.
„Entschuldige bitte, meine Herrin.“, sagte ich noch, da schlug sie ihre Hand mit voller Wucht durch mein Gesicht, samt Krallen. Das tat verdammt weh.
„Glaubst du etwa, das interessiert mich?!“, schrie sie, so laut, das es jetzt jeder im Umkreis gehört haben musste.
„Ähm... Nein meine Herrin.“
Darauf zog sie die Kette so eng, das es keinen Millimeter Platz mehr zwischen den länglichen Metallringen und meiner Haut gab. Hilflos zog ich die Schultern hoch.
„Dann verhalte dich entsprechend, du dämlicher Köter.“, fauchte sie und zerrte mich an der Leine weg. Völlig durchnässt und erniedrigt folgte ich ihr, eine Spur aus Tropfen auf dem Boden hinterlassend. Der tosende Beifall blieb aus.

Hauptsächlich den Boden betrachtend, ging ich hinter ihr her. Meine Kleidung begann zu trocknen. Mir kam der dezent hirnlose Gedanke, das ich jetzt möglicherweise Wasserdampf von mir gab, von der Feuchtigkeit der Klamotten, welche langsam in die Luft kondensierte, wie das Kaninchen, das über die Wiese hoppelte. Ich musste einiges an Gelächter und belustigten Reaktionen von shoppenden Mädchencliquen, Pärchen, Wocheneinkaufsfamilien und auch Senioren einstecken. Inzwischen sah ich wahrscheinlich dezent jämmerlich aus. Mein Verstand versuchte noch, alles zu verarbeiten.
Meine Herrin allerdings schien noch Kraft für sechs weitere Ausflüge zu haben. Obwohl ich schon etwas erschöpft war, entging mir kein bisschen, wie ein paar felllose Nichthunde, sie anstarrten oder anglotzten.
„Trödel nicht rum, du fauler Köter.“, trieb sie mich an. „Wenn du jetzt schon erschöpft bist, muss ich mir wohl jemand anderen herrufen.“, fügte sie sachlich hinzu.
Das traf. Aber so war es. Und ich musste durchhalten, so oft wie irgend möglich.
„Ich halte das aus, meine Herrin.“, antwortete ich, mit noch halbwegs fester Stimme.
Ich konnte nicht loslassen, demnach würde es immer diese Antwort sein. Es ging nie darum, mit Waffen zu kämpfen. Es ging nur um sie. Und Sklaven welche dachten sie würden gegeneinander kämpfen, vergeudeten ihre Kraft an der falschen Stelle.
„Wir werden sehen.“

Beim Parkplatz waren unmerklich weniger Autos als zuvor, mit dem Unterschied, das die Luft jetzt stand. Es war kein Windhauch zu spüren.
Sie lief auf direktem Wege zum Auto. Keine Umwege mehr. In meinem Kopf kreisten Gedanken, ob sie womöglich wegen des ganzen Ausflugs verärgert war. Meine Bilanz kannte ich nicht. Es war vermutlich kein gutes Zeichen, das sie nichts sagte.
Es war zu warm, trotz feuchter Klamotten. Die Schmerzen machten es zunehmend schwerer zu funktionieren. Ich spürte, das meine Kraft beachtlich zur Neige gegangen war. Der Boden wiederum, hatte sich einfach entschieden schneller unter uns wegzugleiten, als wir uns bewegten. Die Schwerkraft war seltsam, meine Füße leicht, mein Körper dennoch wie Zement.
Meine Herrin… ich tat alles, schaffte es, um Schritt zu halten. Warum war sie so zielgerichtet? Hatte sie letztendlich keins? Was war, wenn der Weg ihr Ziel war? Ich hatte letztlich keine Ahnung, was es war. Aber die Frage, ob ich in ihrem Weg überhaupt eine Rolle spielte, quälte mehr, als die enge Kette es vermochte.
Ihre Haare bewegten sich im nicht vorhandenen Wind. Waren sie nicht zusammen-gebunden gewesen? Und warum stand der Wagen so weit hinten? An dem Punkt, wo ich merkte, das meine Wahrnehmung Unsinn hinzufügte, wurde es fraglich, ob ich durchhielt. Ich blinzelte. Der Wagen stand noch immer dort, wo ich ihn geparkt hatte, ziemlich mittig. Benutz verdammt nochmal dein Verstand, dachte ich. Aber dennoch verwischten die Formen der kleineren hellen Steine im Asphaltboden, als wären sie einem Mikrobeben ausgesetzt, und der Dreck schrieb Wörter durch sein Gesicht.
Ich hob den Kopf und sah zu den Parkplatzbäumen. Sie schienen in herbstlichen Farben zu leuchten. Es war Sommer. Mein Blick huschte ruhelos über die Autos. Verstaubt und blitzend, blank poliert und rostig standen sie da. Es gab zu viel, das sich in meine Linsen einbrannte. Ich schloss die Augen und spürte nur den Druck an der Leine, die sie hielt und den Schmerz, der Antrieb und Hindernis zugleich war, und atmete ruhig ein und aus. Im Dunkeln zu gehen war diesmal außergewöhnlich sinnestief.

An einem Kombi zwei Reihen weiter, packten zwei Schwestern, die sich sehr ähnlich sahen, ihren Einkauf weg. Ein älterer Herr mit Hut saß hüstelnd in der offenen Fahrertür seines ebenso alten Mercedes. An der anderen Straßenseite spazierte ein Familienausflug. Zudem sah ich noch weitere verschwindende Einzelpersonen zwischen den Fahrzeugen, und ein Raucher an der Ecke zur Kreuzung. Bisher waren nur Seitenblicke gefallen. Vielleicht würde der Abend jetzt ruhiger.
Wir erreichten den Wagen. Aber als ich einsteigen wollte, riss sie dezent brutal an der Kette, sodass ich erschrocken aufschrie. Verständnislos sah ich sie an.
„Wa - “
„Denkst du etwa, ich lasse dich so einsteigen?! Kommt nicht in Frage, das du die Polster voll tropfst!“
„Nein meine Herrin. Das lag nicht… war nicht meine Absicht.“, stotterte ich verdattert.
„Ach ja?! Es sah sah aber ganz danach aus!“, entgegnete sie scharf.
„Meine Kleidung, ist doch kaum noch nass… “, verteidigte ich mich, merkte aber schon dabei, das dieses Argument für sie nicht zählte.
Sie verpasste mir ein Nackenschlag. Ich jaulte unwillkürlich, als sie genau oberhalb der Kette traf. Es tat scheisse weh.
„Deine Kleidung kannst du in den Kofferraum legen.“, meinte sie darauf mit einem uneindeutigen Lächeln. Ich konnte sie nur mit offenem Mund anstarren.

Hieß das, ich hatte verloren? War es nicht der Sinn, mich fertig zu machen? Oder war er, das sie Spaß wollte? Unter der Oberfläche war Demütigung in Wahrheit eine gemeinsame Sache, ein Beweis ihrer Zuneigung, meines Vertrauens, und unserer Hingabe. Und auch, wenn das nun wirklich nicht nett war, so liebte ich doch das Gefühl, als würde sie mich erbarmungslos am Halsband packen und mein Kopf in eiskaltes Wasser tauchen.
Übersetzt in ihre Textsprache wäre es ein Zwinkern, was meistens so der Moment war, in dem ich mal wieder merkte, das ich ihr nicht das Wasser reichen konnte.
„Ja meine Herrin.“, antwortete ich, was spät.
Sie hatte die Arme in die Seiten gestemmt. Zögernd zog ich meinen schwarzen Hoodie über den Kopf. Meine Bewegungen waren langsam.
„Beeil dich! Ansonsten darfst du gleich auch nackt mit zum Einkaufen gehen.“, sagte sie anzüglich grinsend.
Entsetzt starrte ich sie an. Das konnte sie doch nicht machen? Aber sich darauf verlassen, sollte man besser nicht.
„Das meinst du nicht ernst, meine Herrin?“, fragte ich besorgt.
„Wer weiß… “, deutete sie an.
Gut, dachte ich, wie sie wünschte, und zog mit einer fließenden Bewegung mein T-Shirt aus. Leider hatte ich keine Tattoos und mein Oberkörper war dezent blass. Sonnenbäder waren nicht so meins. Die Schuhe streifte ich eben mit den Fersen ab. Im Hinterkopf war mir eigentlich klar, das irgendjemand das mitkriegen musste, aber ich verdrängte es gekonnt. Die immer noch nasse, weite Hose klatschte mit einem beeindruckenden Schmatzen auf den Boden, als ich sie runterschob. Ich hatte Schwierigkeiten, sie von den Fußgelenken zu bekommen. Unter ihren Augen bückte ich mich und hob sie auf. Dabei blickte ich flüchtig zu ihr hoch. Sie sah aus, als gefiele ihr was sie sah, was mich beflügelte.
Dann bemerkte ich aus den Augenwinkeln, das, beziehungsweise wie viele aufmerksame Zuschauer wir tatsächlich hatten. Der alte Mann war aufgestanden und sah, die buschigen Augenbrauen zusammenziehend, über das Dach seines Autos, der Raucher schaute irritiert hinüber. Die Schwestern am Auto zwei Parkreihen weiter hatten sich umgedreht und glotzten blöde. Zudem starrte eine Reihe zufälliger Passanten hinüber. Ich wurde nervös. Es war doch nichts außergewöhnliches, das irgendein Lauch sich auszog.

Ich sah ihr in die Augen. Da war noch eine andere Art von Verbundenheit. Wir dachten dasselbe. Außerdem…
„Es ist dir völlig gleich, meine Herrin, das wer zusieht.“, stellte ich fest.
„Da liegst du richtig, mein Hund.“
Sie hatte recht, gleich doppelt, denn unter ihren Absätzen war der beste Platz für mich. Ich zog auch meine Shorts runter. Anschließend verstaute ich meine Sachen im Kofferraum und wandte mich wieder zu ihr. Es fühlte sich falsch an vor ihr zu stehen. Knien wäre angemessener. Aber die Tatsache das ich jetzt vollkommen nackt war, verdeutlichte nur, das ich dennoch nicht mit ihr auf einer Augenhöhe war. Schamgefühl gab es dabei nicht. Für mich war in diesem Moment nur sie auf der Welt. Ich fror nicht, sei es, weil sie dort stand und mich ansah oder weil die Luft warm war. In stummem Austausch, nur durch Augenkontakt griff sie meine Leine, wir gingen zur rechten Seite des Autos und ich hielt ihr die Tür auf. Bevor sie einstieg, wanderte ihr Blick tiefer, woraufhin sich dieser Idiot regen musste. Ich spürte, wie ich nun doch etwas rot wurde.
„Du gehst auf allen Vieren außen herum!“, befahl sie.
„Ja meine Herrin.“
Ich krabbelte um den Wagen, die Leine schleifte dabei geräuschvoll über Boden. Brennen um den Hals inbegriffen. Glucksendes Gelächter der näheren Zuschauer begleitete mich. Dann kletterte ich hinters Steuer. Aufatmend schloss ich die Fahrertür. Ich sah zu ihr.
Meine Herrin bog sich vor Lachen. Ihre Stimme schillerte dabei glockenhell. Ich war bass erstaunt und guckte dementsprechend ungläubig. Sie klang nicht mal schadenfroh, sondern durchweg erheitert.
Und es war nicht seltsam. Es war unangenehm und erniedrigend gewesen, aber, zum ersten Mal überhaupt, fand ich mich selber zum Lachen und musste grinsen. Bei ihrem Blick darauf, ließ ich es allerdings schnell wieder sein.


© D.M.


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