Die Kette saß jetzt ganz eng um meinen Hals, die Leine rasselte bei jedem Schritt. Wir hatten das Café verlassen, um die Ecke, wieder auf die breitere Einkaufsstraße. Der Schmerz wurde noch stärker. Ich ging schräg hinter meiner Herrin, durfte nicht aufsehen und musste zudem schweigen, bis mir etwas Ordentliches in den Sinn kam. Es fehlte nur, das sie mir die Hände auf dem Rücken fesselte, um es noch erniedrigender zu machen, wobei dieser Gedanke erregend war. Und ihre Fantasie dazu hätte ich zu gern gewusst.
Während ich mir den Kopf zerbrach, was nach ihrem Ermessen ordentlich war, betrachtete ich ihre Schuhe mit den monströsen Absätzen. Innerhalb der letzten Stunde schienen sie auf unerklärliche Weise noch höher geworden zu sein.
Ich hörte ihre Schritte zwischen all dem Lärm der Umgebung. Ich spürte, wie sie meine Leine auf Spannung hielt und der Schmerz um meinem Hals sich manifestierte. Die Haut war aufgescheuert und begann zu bluten.
Ich wollte sie nicht verlieren, brauchte sie und die Gewissheit, das sie da war, um nicht verloren zu gehen, in der sonnendurchfluteten bunten Straße voller lärmender Menschen. Und ich schwitzte noch mehr.

Junge Eichen, grün, in sieben-Schritte-Abständen am Rand, entlang einer hüfthohen Steinmauer, in Beetquadraten zwischen dem Pflaster. Der Bach unterhalb plätscherte. Wasser. Ein Busch, eine getigerte Katze darunter. Ich schüttelte den Kopf. Mein Gehirn assoziierte schon irgendein Mist. Plastiktüten raschelten über die linke Straßenseite, vom Wind zum tanzen und schweben aufgefordert. Wie gerne würde ich mit ihr tanzen… und das nicht nur symbolisch.
Noch hatte ich keine Ahnung, wie fertig ich heute Abend sein würde. Meine Herrin betrat mehrere Geschäfte, suchte nach einem neuen Paar Heels, stöberte in einem Plattenladen und zog im Vorbeigehen die Aufmerksamkeit einiger Männer auf sich. Doch die für mich amüsanteste Reaktion war ein dürrer Typ, der mich neidisch ansah und dabei eine Grimasse zog.
Vor den Umkleidekabinen der Damenabteilung eines größeren Kaufhauses ließ sie mich warten. Nachdem ich ihr einen Haufen schwarzen Stoff an Metallbügeln hergetragen hatte, welche sie sich zuvor ausgesucht hatte, band sie mich neben ihrer Umkleide an. Es war kühl und ruhiger hier. Ich betrachte die spiegelglatte Bodenfläche aus Fliesen unter meinen Knien. In der Mitte, des mit milchweißen flachen Deckenlampen beleuchteten Ganges lag ein schwarzer langer Teppich darüber. Reihen von Trennwänden mit schwarzen Vorhängen bildeten die sich gegenüberliegenden Umkleidekabinen. Darunter schauten helle Teppiche hervor. Mein entzündeter Hals hatte sich etwas beruhigt. Neben mir stand ein runder flacher Sessel, welcher wohl normalosichtlich für Begleitpersonen gedacht war, die dort sitzen sollten, um ihre Meinung abzugeben, zu was auch immer. Wie unnötig.
Meine Herrin probierte, ganz ohne meine ohnehin geschmacklose Meinung, eine Reihe schwarzer enger Kleider an und wohl auch ein paar Röcke. Bestimmt sah es wunderschön aus, nur konnte ich nichts außer ihre Füße dabei sehen, was sehr schade war.
In dem Augenblick schob sie unerwartet den Vorhang beiseite. Sah sie nach, ob ich noch brav wartete oder bereits träumte? Womöglich war es auch ihr Ziel gewesen zu sehen, wie mir daraufhin die Kinnlade herunterklappte, als ich sie erblickte.

„Was gibt es da zu grinsen?!“ Das war mehr… nur so wie Lächeln.
„Ich hab kein Grund zu grinsen, meine Herrin.“, antwortete ich, bemüht ruhig zu wirken.
„Exakt.“
Ich bewunderte, wie das schwarze lange Kleid mit nur einer Schulter, sich um ihren Körper schmiegte. Ein langer Schlitz in dem glatten Stoff, welcher von ihrem Fuß bis kurz vor die Hüfte verlief, ließ eines ihrer Beine sehen und ermöglichte es ihr erst, damit einen Schritt zu machen. Der Kontrast zu ihren Haaren war zudem zauberhaft.
„Wie ich sehe, gefällt es dir.“, stellte sie fest und verschwand wieder hinter dem Vorhang.
Keine Minute später schob sie ihn wieder beiseite und erwischte mich dabei, wie ich weggetreten vor mich hinstarrte. Ich hatte ein Schlag in den Nacken sitzen und jaulte gequält auf, als die in der Haut eingegrabene Kette sich verschob.
„Du wartest gefälligst aufmerksam, du frecher Köter! Ansonsten darfst du heute noch eine neue Seite von mir kennenlernen!“, meinte sie hart.
Ich brauchte ein paar Sekunden, um die Bedeutung ihrer Worte zu verarbeiten. Geschockt sah ich sie an. Sie meinte ihre Kehrseite.
„Bitte meine Herrin… “, flehte ich. Warum? Ich hatte doch nur eine Fantasie gehabt... über sie.
„Bitte was?!“
„Bitte nicht meine Herrin. Ich… das passiert mir hin und wieder beim Warten.“ Lahm. Das war nicht mal eine Ausrede. Die Spannung wie sie reagieren würde, wurde zu groß. Mein Verstand blockte.
„Ja, hab ich gemerkt.“, erwiderte sie schroff.
Ich konnte nicht antworten, erstarrte auf der Stelle, wie in einer dieser Situationen, in denen ich absolut handlungsunfähig war. Scheisse. Nicht bei ihr… da durfte mir das nicht passieren.

Während ich noch innerlich nach einer Antwort suchte, konnte ich ihre wachsende Ungeduld spüren. Das würgte beinahe mehr, als die es Kette tat.
Etwas war da… ein Satz, auch wenn es nicht der Beste war. Ich steuerte darauf zu. Und schließlich durchbrach ich allein mit Willenskraft die Fassade. Es brauchte eine unglaubliche Überwindung und Kraft da herauszukommen. Das war nicht natürlich, und ich tat es für sie.

„Dafür kann ich nichts… meine Herrin.“, versuchte ich zu erklären. „Ich mein, das mache ich nicht mit Absicht.“, korrigierte ich, als ich ihren eisigen Blick spürte.
Eigentlich hatte ich für dergleichen kein Gespür, doch jetzt merkte ich, wie sie mich förmlich zu Boden starrte. Nach außen musste es ausgesehen haben, als hätte ich gerade für ein paar Minuten einfach regungslos und mit leerem Blick da gekniet.
„Dann sieh zu, das du es dir sofort abgewöhnst. Sonst kannst du dir jemand suchen, der mehr Geduld hat dich zu erziehen.“
Sie klang auch enttäuscht. Hatte es sie verletzt? Ich musste etwas Überzeugendes sagen.
„Ja meine Herrin. Ich werde alles dafür tun, damit das nicht mehr passiert.“
„Ach ja?! Davon sehe ich aber nicht viel. Bist du denn bereit die Konsequenzen zu tragen?“
„Was immer du willst, meine Herrin.“
Sie lachte abfällig. „Ich nehme mir schon was ich will, du dummer Hund. Als ob du deine Versprechen halten könntest!“
„Bitte… ich kann meine Versprechen halten, meine Herrin.“, flehte ich.
Offenbar hatte ich sie ordentlich zornig gemacht. Es musste wie Ignoranz gewirkt haben. Ich wusste, das die gleichen Worte sie nicht überzeugen würden. Sie hatte sie schon zu oft gehört. Zu erklären, das es auch ein Missverständnis war und ich nicht hundert Prozent schuldig, erschien mir in der gegebenen Situation nicht möglich. Demnach blieb mir nur zu schweigen, was… mindestens sehr riskant war. Sie verschränkte die Arme.
Nach meiner Schätzung vergingen mehr als fünf Minuten, in denen die erneute Anspannung immer unerträglicher wurde. Es begrub meine Nerven. Meine Muskeln spannten sich, um das Zittern zu unterdrücken, das die Form von Verdrängung auslöste, welche damit einherging. Ich versuchte mich darin ihrem Blick standzuhalten, aber hatte kein dauerhaften Erfolg.
„Du bist also ein braver Hund, ja?!“, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Und gibst all deine Kraft dafür?“
Die Ironie darin tat weh. Es war wohl auch ein Vorwurf. Das der Preis hoch war, das sie das Äußerste an Kraft abverlangte, wenn sie wollte, wusste ich.
„Ja meine Herrin.“
Ich atmete aus. Nur schlicht und das blieb übrig, wenn ich den Brei drumherum wegließ. Ich würde alles mitmachen, immer wieder. Letztendlich wollte ich nur, das sie glücklich war. Auch wenn es hart war an den Nachmittagen, von denen ich wusste oder ahnte, das ein anderer bei ihr war.
Sie zog den Vorhang wieder zu und ließ mich im Ungewissen, was jetzt Sache war. Meine extrem positive Einstellung malte mir direkt ein paar Bilder in den Kopf, die ich nicht sehen wollte.

An der Stirnseite des Ganges saß eine ältere Frau auf einem zweiten Sessel, mit einem Knoten aus graubraunen Haaren auf dem Kopf, in welchem scheinbar zwei Essstäbchen steckten. Vielleicht waren es auch Stricknadeln. Sie trug einen bunt gemusterten Mantel. Während sie vor einer der anderen Kabinen wartete, warf sie mir irritierte Blicke zu. Man hörte eine verwöhnte Rotznase über das sonstige Gemurmel hinweg motzen, das alles scheiße aussähe, sodass die Frau immer wieder losgehen und neue Teile suchen musste.
Als sie das dritte Mal an mir vorbeilief, blieb sie stehen und zischte gedämpft: „Sie sollten sich was schämen. Hier sind Kinder! Und Sie sind ein Mann! Also mein Mann würde niemals - “ In dem Moment trat meine Herrin aus der Umkleide, was die Tante im Redefluss unterbrach und warf dieser beiläufig ein abschätzigen Blick zu, während sie die Kleiderbügel mit aussortierten Stücken zusammensuchte und mir achtlos in die Arme drückte.
„Räum die auf.“ Sie löste meine Leine.
Ich stand auf, ging wortlos an der Buntmantelfrau vorbei, ihren verständnislosen Blick ignorierend und brachte die Kleider weg.

Als ich zurückkam, kniete ich mich ebenso stumm wie vorhin, wieder vor meine Herrin. Sie hatte inzwischen ihre Sachen zusammengeräumt und befestigte die Leine wieder an meiner Halskette, woraufhin der Karabiner ein metallisches Klicken von sich gab.
Die Essstäbchentante, welche immer noch dezent dumm dort rumstand, beobachtete uns, gab ein entrüstetes Schnauben von sich und keifte: „Und das auch noch in der Öffentlichkeit! Haben Sie gar kein Anstand? Was sind das für obszöne Spiele? Sie… “
Ich sah hoch und tauschte einen Blick mit meiner Herrin, welche das auch amüsant fand und konnte ein minimales Grinsen nicht vermeiden. Ok, vielleicht war es auch ein bisschen mehr als minimal. Die Vorstellungen der Haarknotenfrau was Anstand betraf, schienen verschoben und dezent altmodisch. Es war lustig, wie die sich aufregte und zudem auch, wie lange sie gebraucht hatte, um den Mund ein zweites Mal aufzumachen.
Es ergab schlicht keinen Sinn jemandem etwas zu erklären, dessen Hirnkapazität schon mit Guano überlastet war. Von dem Gekeife aufmerksam geworden, streckten die Rotznase, sowie andere Kunden neugierig ihre Köpfe durch die Vorhänge.
„Haben Sie etwa ein Problem damit, das Ich meinen Hund mit zum Einkaufen nehme?!“, fragte meine Herrin unterdessen kühl, als ob sie die Auffassungsgabe der Frau in Frage stelle. Gleichzeitig packte sie mich unsanft im Nacken und drückte meinen Kopf mit eiserner Hand runter.
Die Frau starrte meine Herrin ein paar Sekunden lang an und öffnete den Mund, um was zu sagen, und schloss ihn dann wieder. Ihr fiel offenbar keine Antwort ein. Nicht, das es tatsächlich eine Frage gewesen war. Meine Herrin nahm die Kleider, welche sie sich ausgesucht hatte und zog an meiner Leine. „Los!“
Im Hintergrund hatten sich soeben weitere Leute ins Bild bewegt, welche die Umkleiden nutzen wollten. Ich stand auf und wollte ihr gerade die Kleider abnehmen, als sie kräftig an der Leine riss und mich bremste. Gleißender Schmerz zuckte durch meine Haut. Ich sank schnell zurück auf die Knie.
„Hatte ich etwa gesagt, du sollst aufstehen?!“, schrie sie mich plötzlich an.
„Nein meine Herrin.“, murmelte ich.
Mein Hals blutete abermals. Der Druck nahm mir die Luft. Schnell sah ich auf den Boden. Ich kämpfte darum, nicht zu winseln. Das war hart, und demütigend.
Meine Herrin beachtete die angesammelten Leute nicht und blaffte: „Du darfst kriechen, du armseliger Köter, und mehr nicht! Oder denkst du etwa, du hättest es gegenwärtig verdient an meiner Seite zu laufen?!“
Ich konnte nicht antworten. Es pochte unter der Halskette. Das Blut lief langsam zwischen die trockenen Krustenfetzen. Die Haut darum war wund und fleischig geworden. Ich verlor den Kampf, mir entwich ein Winseln. Es quälte. Die Kette war aus Feuer. Mir wurde dezent schwindelig. Gedämpfte Stimmen im Hintergrund. Jetzt würde ich möglicherweise gern im Boden versinken.
„Wie war das?!“, schimpfte sie. Ich musste antworten.
„Nein meine Herrin, ich hab es nicht verdient.“, krächzte ich tonlos.
„Na dann, krieche! Und zwar sofort! Wage es nicht meine Zeit zu vertrödeln!“
Zügigen Schrittes ging sie an den Schaulustigen vorbei und zerrte mich rücksichtslos hinter sich her. Ich stolperte fast über meine Hände. Wenn ich zu langsam war, trat sie mir auf die Pfoten. Ich schrie auf.
„Wimmer nicht rum, du erbärmlicher Köter. Ich will nichts mehr hören! Kein Ton!“

Ich bekam nicht genau mit, wie der Rest des Ladens aussah oder wie der Kassiervorgang ablief. Ihre Stimme irgendwo über mir, ihre Schuhe vor mir. Grauer Teppich, er roch nach Staub, glatte Holzdielen, die Ladentheke war so hoch, eine surrende Klimaanlage. Ich war durcheinander, vor Schmerz. Desorientiert. Meine ganze Anstrengung galt mit ihr Schritt zu halten, ein, auf den ersten Blick scheinbar aussichtsloses Unterfangen.

Wir betraten einen Fahrstuhl. Es stand bereits ein älteres Ehepaar darin. Beide weißgraue Haare, vornehm gekleidet in gedeckten Farben und ihnen fielen die Augen aus dem Kopf und kullerten wie sehr große Murmeln über den Boden, als sie uns erblickten. Mein Hals brannte wie verrückt. Meine Herrin trat neben sie.
„Na komm.“, forderte sie mich auf und schlug dabei neckend einen Ton an, als würde sie einen kleinen braven Hund locken.
Den beiden Senioren schien das die Sprache zu verschlagen. Ich sah nicht auf, krabbelte zu ihr und kniete mich neben ihre Beine. Die einzigen Geräusche dabei waren das elektrische Summen des Aufzugs und das metallische Klimpern der Kette. Meine geschundenen Hände stützte ich dabei absichtlich direkt neben ihren Highheels ab.
Während der zeitlich sehr begrenzten Fahrt kniete ich vorgebeugt neben ihr an der Leine und sah auf das Linoleum am Boden. Drei Paar Schuhe waren ebenfalls in meinem Blickfeld. Die beiden alten Menschen trugen nahezu dasselbe Modell breiter Lederschuhe. Abgesehen davon, das die der Frau mehrere Farbtöne heller waren, als die des Mannes, kastanie und lehmbraun.
Es wurde kein Wort gesprochen. Meine Herrin fühlte sich sichtlich wohl, während die beiden Alten den Eindruck machten, als wollten sie der Situation möglichst schnell entkommen.

Vor dem Ausgang im Erdgeschoss, beschleunigte sie ihre Schritte. Um wenige Zentimeter hätte ich ihren Absatz ins Gesicht bekommen und anschließend die Glastür.
Draußen war es heiß und windstill, sodass mir sofort wieder der Schweiß ausbrach. Der Schmerz zermürbte mich. Sie blieb stehen, packte mich wortlos am Halsband und zwang mich aufzustehen. Wir brachten die Sachen zum Auto. Meine Worte kamen zurück. Die Zeit dehnte sich aus und schnappte wieder zusammen.


© D.M.


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