Die Innenstadt war kurz beschrieben, voll. Ich hatte dezent Mühe nicht den Überblick zu verlieren. Stadtfahren war meine Stärke nicht. Ich hörte und sah alles auf einmal. Nach außen um Gelassenheit und Ruhe bemüht, fand ich ein Parkplatz in den der Wagen passte. Ich atmete unbewusst etwas auf, das sie meinen Fahrstil akzeptabel genug fand, das es nicht zwischendurch Schläge geregnet hatte. Bemüht hatte ich mich, als würde ich eine kostbare und zerbrechliche Fracht transportieren. Für gewöhnlich fuhr ich nämlich derart kantig, das einem Beifahrer schlecht würde.
„Da bist du froh, was?!“
Ihr entging nichts.
„Ja meine Herrin. Wa- “ Sie verpasste mir ein Nackenschlag. Ich duckte mich instinktiv, was mir noch einen weiteren Schlag einbrachte. „Was hast du geplant?“, fügte ich trotzdem noch hinzu.
„Ich werde etwas bummeln gehen… gegen Abend einkaufen und sonst mal sehen was sich so ergibt.“, meinte sie leichthin.
Was sie wirklich geplant hatte, wenn das überhaupt der Fall war, würde sie mir nicht verraten. Bei ihr hatte das meiste die Angewohnheit, sich spontan zu ereignen.
„Und DU wirst ein braver Hund sein, hast du verstanden?!“
Ich sah, geschockt von der plötzlichen Heftigkeit in ihre blitzenden Augen und nickte langsam. Hoffentlich stand mein Mund nich offen.
Nachdem ich ihr die Autotür aufgehalten hatte, kniete ich mich vor sie. Schweigend betrachtete ich ihre Schuhe und den Boden, während sie irgendetwas tat, das ich nicht sehen konnte.
Der schmale rote Streifen oberhalb des Absatzes, der sich unterhalb der Ferse entlang zog, war von hell leuchtendem rot. Der Teer des Stadtparkplatzes war trocken und etwas rissig, die Luft warm, ohne den sachten Wind bereits sehr warm.
Meine Herrin beugte sich leicht vor und löste den Karabiner von meiner Halskette. Dabei streifte einer ihrer Unterarme mein Gesicht. Ihr Duft erfüllte die Luft um uns. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber ich atmete tief ein, um etwas davon zu erhaschen. Sie holte eine längere Leine aus dem Auto und befestigte sie. Ich gab kein Ton von mir. Anschließend nahm sie ihre Handtasche und suchte etwas darin. Kniend verharrte ich, während sie anscheinend eine sehr lange Nachricht in ihr Handy tippte. Mit wem sie wohl schrieb? Ich konnte mein Blick nicht von ihrem Gesicht wenden und beobachtete, wie sich ihre Mimik je nachdem was sie schrieb, minimal veränderte. Feinheiten, die zu deuten mir leider verwehrt blieben.

Die Geräusche um uns herum störten etwas. Das war immer der Nachteil, aufgrund dessen ich es schöner fand, wenn wir einsame Orte besuchten. Der Lärm des geschäftigen Treibens bohrte sich in meine Ohren. Ich hörte alles. Das Aufheulen der Motoren an der Kreuzung, ein fetter Mercedes stach heraus, eine quäkende Hupe, das Pochen der Ampeln, trappelnde Schritte, empörte Ausrufe, Kindergeschrei, Fahrradklingeln, das Rattern der Einkaufswagen vor dem nächsten schäbigen Discounter an der Ecke und das Rascheln des vertrockneten Laubes der Bäume auf dem Parkplatz, wie ein Rauschen über allem. Ich versuchte das alles in den Hintergrund zu schieben.
„Mama, was machen die da?“, rief auf einmal eine Kinderstimme ziemlich nahe. Langsam drehte ich den Kopf und sah in die Richtung der Geräuschquelle. An der gegenüberliegenden Autoreihe von uns stopfte eine Frau ihre Einkäufe in einen Kleinwagen. Am Tankdeckel begann der Lack zu blättern. Neben ihr stand ein kleiner Junge, der unentwegt zu uns herübersah. Kauend zupfte er seine Mutter am Hosenbein. „Was ist denn?“ Sie klang wie eine bärtige Ziege. „Guck mal!“ Er zeigte mit seiner kleinen, wahrscheinlich noch von irgendeiner Backware klebrigen Hand auf uns. Die Frau warf ein raschen Blick hinüber, sah erst erschrocken aus, dann empört.
Ich sah grinsend wieder weg. Immer lustig wie die Menschen reagierten.
„Hatten wir die Lektion nicht schon?!“, erkundigte sich meine Herrin, vom Bildschirm aufblickend. Leider hatte sie das Grinsen aufgefangen.
„Ja meine Herrin.“, antwortete ich, ein wenig zu schnell.
„Wie schlau du doch bist! Du bleibst am Boden!“, entschied sie, ignorierte die Zuschauer, verstaute ihr Handy, fasste meine Leine kurz und ging los. Die Kette drückte enorm. Ich holte schwer Luft, als der Schmerz an meinem Hals wie hunderte Nadeln in die gereizte Haut stach und folgte ihr.
Der grobkörnige Teer auf dem Parkplatz scheuerte an meiner Hose, und drückte sich in die Knie. Ungeduldig zog sie an der Kette. Am Ende des Parkplatzes angekommen, ließ sie mich aufstehen. Der kleine Weg vom Auto dahin war ungewöhnlich lang.

Wir bewegten uns zur Einkaufsstraße, einer breiten Fußgänger Zone. Den Boden legte eine perfekte Struktur aus glatten rechteckigen Steinen. Über den ein- oder zweistöckigen Ladenlokalen putzten sich die Hausfassaden, in frischem hellseeblau, weiß, blassrosa oder mokkacremefarben im Schein der Sonne heraus, mit Fenstertüren und modernen Rollos, von denen die meisten wegen der aufkommenden Hitze halb heruntergelassen waren. Darunter herrschte eine bunte Vielfalt, schmale und weite Eingänge, mit grellen Preisschildern versehene Aufsteller, blinkende Schriftzüge hinter den Glasfronten von Pizzeria und Imbiss, automatische Türen von Markenkleiderläden, welche surrten wie Bienen und schematisch durcheinanderlaufende Menschen, auf dem Weg zum Einkaufen, zum Shoppen, zum Bus, zum Bahnhof oder zur Mittagspause. Viele von ihnen waren sommerlich gekleidet. Manche nicht.
Wir gingen in der Mitte der Einkaufsstraße. Meine Herrin sah über die glotzenden Leute hinweg, welche erst sie bemerkten und damit in der Regel schon ausreichend beschäftigt waren, bevor sie mich schwarzen Schatten hinter ihr registrierten.
Die Leine lag gut sichtbar auf meinem schwarzen Pullover. Für die Kapuze war es dezent zu warm heute. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis ich schwitzen würde.
Sie betrachtete glatte Blazer und Anzughosen hinter den Glasfronten eines Modehauses, genauso wie randvoll mit Kram vollgestopfte kleine Läden, als würde sie alles ebenso detailliert sehen, wie ich es tat. Über ihrer Schulter hing eine schwarze Handtasche, während sie mit der Hand des anderen Armes meine Leine hielt. Ihre Beine kamen unterhalb des Rockes sehr zur Geltung bemerkte ich plötzlich.
Und sie fing wie üblich eine Menge Blicke ein. Vielen der Passanten schien der Anblick offensichtlich zu normalotypischen Schlussfolgerungen zu führen, was wiederum oft lustige Reaktionen auslöste: Unter anderem ein Ehepaar, dessen männlicher Teil den Kopf auch noch zu meiner Herrin drehte, als sie längst vorbei gegangen waren, ein Maßschneider, fette Armbanduhr mit goldenen Ziffern, der sie sehnsuchtsvoll, fast verträumt anstarrte, sowie ein schmieriger Typ mit Kappe, deren Nähte sich auflösten, der sie gierig anglotzte, das in den Tiefen meines Bauches ein wildes Tier knurrte, welches sich für gewöhnlich ruhig verhielt. Ein paar Dinge konnte ich nicht vergessen. Außerdem gab es immer eine Reihe von Leuten, deren Unwissenheit sie zu mehr oder weniger humoristischen Kommentaren jeglicher Art verleitete.
„Die Leute gucken wieder.“, stellte ich gelassen fest.
„Wenn du nichts Sinnvolles zu sagen hast, dann halt dein Kötermaul!“, erwiderte meine Herrin und zog an der Leine. Die Wirkung meiner Halskette glich der einer Brennnessel, aber sie schien kein bisschen daran zu denken, die Spannung zu verringern. Ich zog instinktiv die Schultern hoch und sah auf den Boden.

Eine Gruppe Schüler trampelte links an uns vorbei. Darunter waren einige unsicher aufgebrezelte Mädchen, durcheinander plappernd. Hinter ihnen stolzierten Jungen in tief hängenden Jeans, betont lässig und laut daherproletend. Die Mädchen gackerten los, sobald sie uns bemerkten. Albern, wie ein Haufen Gänse machten sie sich darüber lustig, das ich angeleint war. Meine Herrin amüsierte sich dezent. Meine Lippen zuckten. Von den Jungen schlossen sich zwei der Lachfraktion an, während die anderen, mit auf unbestimmte Zeit geöffneten Mündern meine Herrin anglotzten, als hätte ihr Verstand ausgesetzt. Was für Kinder.
Doch das Gelächter hallte nach. Trotz allem was ich dachte, war es sehr unangenehm. Es war nicht die Gegenwart, welche mir zusetzte, nicht wegen der einfachen Begegnung mit irgendwelchen dummen Kindern. Ich war voller Stolz ihr zu gehören, das sollte ruhig jeder sehen. Es war das Verhalten dieser Kinder, welches mich zu sehr an meine eigene Schulzeit erinnerte.
„Du darfst dich ruhig darüber amüsieren wie unreif und beschränkt diese Kreaturen sind, mein Hund.“
„Ja meine Herrin. Ich… “
Ich sah zur Seite.
„ - köstlich.“, erheiterte sich eine dickliche Frau im Vorbeigehen, in einem weiten, etwas fleckigen Blumenkleid und offenen Sandalen, die sich bei einem ergrauten Alten einhakte, der meinem Vater nicht unähnlich sah, als hätte man ihr ein guten Witz erzählt. Aber nicht ähnlich genug, um zusammenzuzucken.
„Wenn du das schon erniedrigend findest, brauche ich ja nichts mehr machen.“, überlegte meine Herrin laut.
„Nein meine Herrin. Ich gewöhne mich noch etwas daran.“, wich ich aus.
„Gut…“
Vermutlich nicht überzeugend genug.

Wir waren keine drei Schritte weiter, da blieb sie plötzlich stehen und hielt mich an der Leine zurück. Sofort verstärkte sich der Druck um meinen Hals, sodass für ein Sekundenbruchteil Fantasien durch meinen Kopf schossen, wie dieser Druck sich erst anfühlen würde, wenn ich dabei nackt wäre, und sie stünde vor mir… Sie würde ihren Absatz in meinen Nacken stellen und mein Kopf an den Boden zwingen, die Kette stramm ziehen und mir die Luft abschnüren. In diesem Zustand befahl sie mir dann, ihren Schuh sauber zu lecken.
„Knie dich hin, du Hund!“
Sämtliche Leute, welche sich in Hörweite befanden, drehten sich um. Inmitten der Einkaufsstraße sank ich vor ihr auf die Knie. Im Hintergrund waren überraschte Ausrufe zu hören. Ich sah zu ihr hoch. Der Ausdruck in ihren Augen war unergründlich. Ein Haufen neuer Gedanken explodierte in meinen Gehirnwindungen. Sie sagte nichts und ließ mich nur dort knien.
Langsam verunsichert von ihrem Schweigen fragte ich: „Was soll ich tun meine Herrin?“
„Was denkst du denn, was du tun sollst?“
Ich weiß es nicht, wollte ich nicht sagen. Ein paar Sekunden verstrichen. Bevor die Spannung mich komplett lähmen würde, sollte mir besser etwas einfallen. Mir brach dezent der Schweiß aus. Aber unter dem Druck fiel mir nichts ein. Stattdessen beugte ich mich weit vor, um ihren Schuh zu küssen. Da riss sie heftig an meiner Leine und nahm diese ganz kurz, wodurch sie meinen Kopf in den Nacken zwang. Würgend musste ich zu ihr hochsehen.
„Was sollte das denn werden?!“
Aber es kam kein Wort mehr aus meinem Mund, nur Geröchel. Heftiger Schmerz schoss durch meinen wund gescheuerten Hals. Ich kämpfte um Selbstbeherrschung. Sie hielt die Kette weiter auf Spannung, während ich vor ihr kniend am Boden festgewachsen war, holte aus und schlug mir mit der Hand feste durchs Gesicht. Mein Kopf flog zur Seite. Es traf deutlich härter, als ich erwartet hatte. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, wie meine Wangen brannten vor Scham und Schmerz.
„Wie kannst du es wagen, du dreckiger Köter! Wirst du etwa ungezogen?!“, schimpfte sie vor allen Leuten. Gelächter ertönte. Diese waren wohl stehengeblieben in Erwartung, das etwas Spannendes passieren würde.
„Entschuldige bitte meine Herrin.“, stammelte ich verwirrt.
„Hab ich dir gesagt, du sollst irgendetwas machen?!“, half sie mir auf die Sprünge.
„Nein, meine Herrin.“, antwortete ich betreten und guckte auf den Boden.
„Und ist dir schon in den Sinn gekommen, das du einfach nur knien solltest?!“
Langsam sah ich auf. Sie betrachtete eben ihre Fingernägel. Nicht mehr lange und sie würde die Geduld verlieren.
„Ja… ähm… nein, meine Herrin.“ Ihre Augen wurden schmal.
„Weißt du... das hätte für dieses Mal ausreichen können, aber du wolltest ja unbedingt mehr… “ Sie verzog die dunklen Lippen.
„Es kommt nicht mehr vor, meine Herrin.“
„Das will ich für dich hoffen.“, schloss sie und packte mich wie ein ungehorsamen Köter im Nacken an meinem Halsband. „Wir gehen!“
Das kam einem Wegschleifen recht nahe, wenn das möglich gewesen wäre. Aber so schürfte ich mir nur die Knie auf, beim Versuch dabei aufzustehen. Empörung und Gelächter gleichermaßen.
Etwas durcheinander lief ich hinter ihr her, weg vom Schauplatz. Das hatte mich getroffen, stärker als ich zugeben wollte. Doch mein Bedürfnis nach Demütigungen hörte damit natürlich nicht auf. Ich hoffte fast, das sie mich eines Tages zugrunde richten würde. Eine Erniedrigung von ihr, so bitter und doch süß, so schmerzvoll und zugleich brennend heiß, das ich danach nicht mehr aufstehen könnte.

Das gute Wetter meinte es zu schön. Die Luft flirrte in der Ferne über den Gehwegplatten. Mir wurde dezent zu heiß. Meine Herrin hingegen genoss das Wetter sichtlich. Wir passierten mehrere Bekleidungshäuser, ein Schuhgeschäft und eine größere Buchhandlung über zwei Etagen.
Mein Hals schmerzte. Ich begann gerade damit den Ausflug etwas zu genießen, als ein kleines bezopftes Mädchen in hellblau-weiß gestreiftem Kleid vorbeilief. Es ließ vor Staunen sein Eis fallen, als es uns bemerkte. Die einst stolzen zwei Kugeln Erdbeereis landeten als ein geschmolzenes Häufchen auf dem Boden, welches begann sich mit dem Dreck zu vermischen. Aus einiger Entfernung eilte, mit den Armen herumwedelnd, der erwachsene Vormund in Form eines fast haarlosen Mittvierziger heran. Das Mädchen aber sah mit großen Augen meine Herrin an.
„Du bist aber voll schön. Warum hast du den da an der Leine? Spielst du Hund mit dem?“, quietschte sie laut und übertönte damit die Rufe aus dem Hintergrund.
„Ja genau,“, antwortete meine Herrin belustigt, „aber er ist auch wirklich ein Hund.“, fügte sie augenzwinkernd hinzu.
„Toll! Darf ich den streicheln?“, fragte die Kleine begeistert.
„Ja... warum nicht.“, sagte meine Herrin lachend. Völlig entgeistert schaute ich zu ihr. Das konnte nicht ihr Ernst sein. Wieso denn? Aber es sah leider kein bisschen danach aus, als wolle sie das Mädchen abhalten. Nebenbei, dieses sah mich gerade an, als wäre ich eines dieser Plüschtiere, die ein Geräusch von sich geben, wenn man an einer bestimmten Stelle zudrückt. Mir wurde brennend heiß im Gesicht. Wenn selbst ein Kind mich nicht ernst nahm, was zum Teufel machte sie nur mit mir? Aber ich wollte jetzt nicht im Boden versinken.
„Kannst du machen das er sich bückt?“, fragte das kleine Mädchen meine Herrin und streckte die Kinderhand nach meinem Kopf aus. Ich bewegte mich kein Zentimeter. Der entnervte Mann war inzwischen näher gekommen und schimpfte, nun akustisch deutlich verständlicher: „Louisa! Warum rennst du vor? Wieso hast du das Eis runter geworfen? Man spielt nicht mit - “
Da bemerkte er meine Herrin und in was für eine Situation er geplatzt war und erstarrte erst mal, nun einem steinernen Kapuzineraffen ähnelnd, mitten in der Bewegung. Sie sagte jedoch nichts, woraufhin er zögerte, ihr einen langen verunsicherten Blick zuwarf und sich schließlich besann. Er packte das Kind am Arm und trat den Rückzug an. Vielleicht hatte ich auch zu düster geguckt. Die Kleine winkte noch, als ihr Vater sie wegzog.
Ja… womit spielte man nicht?
Die Waffel zeigte wie ein spitzer Hut nach oben, während das Eis in die Fugen zwischen die Steine lief.

„Los, gehen wir. Du hast lange genug wie ein Idiot dagestanden!“
Ich brachte kein Ton raus.

Sie suchte sich ein Café zwei Querstraßen weiter aus. Im Außenbereich davor standen kleine runde Tische unter einfarbigen Sonnenschirmen, von großen Tontöpfen zur Straße abgegrenzt. Nur etwa die Hälfte davon war belegt. Ein Kellner hing unauffällig neben der Eingangstür rum.
Meine Herrin setzte sich an einen der äußeren Tische und bestellte Kaffee und ein Stück Schokoladenkuchen, bei dem nicht überraschend hastig herbeigeeilten Kellner. Dieser war für meine Begriffe überspitzt freundlich. Später fand ich mich, innerlich erstaunt, gegenüber von ihr auf dem Stuhl sitzend wieder. Ich hatte anscheinend Glück. Meine Leine hing von meiner Halskette vor meinem Oberkörper hinunter, führte unterm Tisch entlang und endete in ihren manikürten Fingern, also signifikant anders, als hier normal zu sitzen. Die Kette biss immer wieder zu, ein Schmerz wie Funken, die auf meine Haut trafen. Ich überlegte, ob sie nun bessere Laune hatte, wegen des Kuchens.
Unter den Sonnenschirmen her wehte ein warmer Wind. Aus der offenen Eingangstür des Cafés klang das Brummen eines Kaffeeautoamts, Wolken von Kaffeearoma quollen auf die Straße und frisches Zuckergebäck duftete durch die Gegend, zwei Kinderstimmen, die sich offenbar darum stritten, wer das größere Stück bekam, sowie eine sie ermahnende Stimme. Trotz der steigenden Temperaturen erschien mir die Atmosphäre sehr stimmig.
Nachdenklich saß ich da und stellte mir ihr Gesicht mit offenen Haaren darum vor. Der Kellner brachte ihr den Kaffee und das Stück Kuchen.
Meine Herrin legte das Ende der Kette kurz auf ihrem Schoß ab, um Süßstoff in den Kaffee zu geben. Den hätte ich auch gerne gehabt, am besten so drei Tassen. Mir fiel auf, das ihr tiefschwarzer Rock einen ebenso schönen Kontrast zu der Kette bildete wie mein Hoodie, wobei es für den jetzt dezent zu warm wurde. Ich merkte, das ich anfing zu schwitzen. Über ihr Bein erstreckte sich ein kunstvolles Tattoo.
„Wo siehst du hin, mein Hund?“
„Ich habe dich angesehen, meine Herrin, dein Rock und dein Bein.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Der Briefkasten gegenüber, rechts neben dem Regenfallrohr ist rot. Das ist ungewöhnlich.“ Ich hatte diesen eben aus dem Augenwinkel bemerkt.
Sie sah gelangweilt aus. Ich nahm die Frage von der ich dachte, sie würde sie noch stellen vorweg, so wie ich das leider öfter tat. „Du hast recht meine Herrin. Ich hab nicht daran gedacht, das dich sowas nicht interessiert.“
Wozu erwähnte ich dergleichen denn überhaupt, wenn es keinen Eindruck machte? Die Erkenntnis kam mir ja dezent spät. Und sie half nicht.
Vier Tische weiter saß eine überdosierte Frau in einem Einmannzelt und bis genüsslich in ein fettiges Teilchen. Sowohl der Geruch des Gebäcks, als auch das Kaugeräusch erschienen zu beträchtlich für die Entfernung.
„Das ist egal.“, antwortete meine Herrin knapp. Sie hob ihre Tasse an die tiefroten Lippen und trank ungerührt ihren Kaffee leer. Ich saß geknickt und mit durchhängender Leine da. Ich hatte die Stimmung verbaut und wusste nicht mal wodurch.
Eine Bedienung kam schon vorbei, um Tasse und Teller abzuräumen. „Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte sie.
„Nein danke. Ich habe alles.“, antworte meine Herrin und versetzte mir unterm Tisch einen wohldosierten Tritt vors Schienbein. Ich zuckte zusammen.
„Steh auf du Köter!“
Ich schoss vom Stuhl hoch, um mich hinzuknien. Die Bedienung, gerade im Gehen, war erschrocken stehen geblieben.
„Was … soll ich denn machen?“, fragte ich meine Herrin etwas durcheinander, worauf sie mich ansah, als wolle sie mich erwürgen. „Entschuldigen Sie bitte - …“, fing die Kellnerin an.
„Die Rechnung bitte.“, unterbrach meine Herrin sie in normalem Tonfall, um mich gleich darauf anzufahren: „Ich frage mich ja, warum du nicht längst kniest und dich für deine Nutzlosigkeit entschuldigst?!“, woraufhin sich die Kellnerin rasch zurückzog.
„Ja meine Herrin, ich - “
Aber ich war nicht schnell genug. Sie rammte ihren Absatz in rascher Folge in meine Kniekehlen, sodass ich zu Boden ging.
Es war sehr schmerzhaft. Ich blieb liegen und wagte kein Muskel zu bewegen. Genau dahin hatte ich heute schon ein Tritt bekommen. Für eine Sekunde fror der Augenblick ein und ich sah selber die Szene, wie ich vor ihr auf dem Boden lag. Sie hatte ihre Hände in die Seiten gestützt und starrte kalt auf mich herab. Dann beförderte mich etwas wieder brutal in die Gegenwart.
„Auf die Knie!“ Sie riss an der Leine und zwang mich hoch. „Was habe ich gerade gesagt, du dämlicher Köter?!“, schrie sie so laut, das nun sämtliche Gäste zusammenfuhren und sich auf ihren Stühlen umdrehten.
Sie drehte meine Halskette bis zum Anschlag ein und raubte mir den Atem. Ihr Blick war messerscharf. Ich würgte und schnappte nach Luft. Verzweifelt versuchte ich etwas zu sagen. Langsam stieg mir das Blut in den Kopf. Ich bettelte sie mit Blicken an mir Luft zu schenken. Doch sie ließ mich schwitzen. Erst nach einigen Minuten lockerte sie die Kette zwei Zentimeter. Ich musste husten.
„Entschuldige bitte meine Herrin. Ich habe wohl etwas falsch interpretiert.“
„Es interessiert mich nicht, was für eine Ausrede du hast! Wenn du weiter derartigen Unsinn treibst, dann ist der Ausflug für dich schnell vorbei. Hast du verstanden?!“
Sie legte eine Hand unter mein Kinn. Ihre Krallen bohrten sich erbarmungslos in meine Haut. Ich konnte ihrem Blick nicht standhalten.
Sie hatte recht. Ich war ein Nichtsnutz, der reden konnte. Das hatte schon öfter jemand gesagt. Doch ich wollte nicht darin zu versinken oder es gar zugeben.
„Ja meine Herrin.“, sagte ich gehorsam, Kraft daraus schöpfend.
„Du bist heute dezent ein Ja-Männchen, was?“, spottete sie.
Ich wollte nicht antworten und fing mir dafür eine.
„Ja, meine Herrin.“
Ich sah sie wieder an, unverändert. Die Ohrfeige war heftig gewesen. Aber dergleichen musste ich einstecken können. Was von außen eisern aussah, war voller Gefühle. Ich konnte es in ihren Augen sehen, auch wenn ihr Ton nichts davon verriet.
„Immerhin siehst du es ein. Und lass dieses dumme "wohl" stecken!“, schnaubte sie.
Anschließend ließ sie mich warten. Sie setzte sich hin, schlug die Beine übereinander und beobachtete die Leute.

Etwas Zeit verstrich. Die Sonne knallte von oben herab. Gebeugt kniete ich vor den Füßen meiner Herrin, die Hände flach auf dem Boden abgestützt. Ich zitterte fast vor Anspannung. Die Haare hingen mir vor dem Gesicht, so tief sah ich auf den Boden. Ihre Tritte taten noch im Nachhinein weh.
Sie hielt die Leine nicht viel lockerer als vorhin. Die Wahrscheinlichkeit schrumpfte, das ich sie noch besänftigen konnte oder die, das ich heute Abend am Rücken blutend auf dem Boden lag. Andererseits wusste ich nie wirklich, was sie vorhatte. Die Pflastersteine unter meinen Handflächen glühten von der Hitze.
Schließlich stand sie auf. Ihre Beine waren dadurch nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt und ihre Heels befanden sich nun direkt vor meinen Händen. Eine kleine Bewegung von ihr und ich würde schreien. Ich rührte mich keinen Zentimeter.
„Hmmm, was mach ich denn jetzt mit dir?“, meinte sie nachdenklich.
Ich hob den Blick nicht, war mir aber nahezu sicher, das sie die Arme verschränkte. Bestimmt war das rhetorisch gemeint und sie hatte mehr zu sich selbst gesprochen. Aber nichts zu sagen, war auch eine grandiose Idee, du Idiot?
„Du wirst noch sehen, was du davon hast.“, meinte sie.


© D.M.


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