Das Gefühl ist sehr einnehmend, fast unbeschreiblich. Ich laufe hinter meiner Herrin, folge ihr wie ein Hund. Wir gehen durch die mäßig belebten Straßen eines Wohngebiets. Ein paar Leute gucken blöde. Mich amüsiert das höchstens ein bisschen.
Ich sehe auf die Leine herunter, die an meiner Halskette befestigt ist. Es passt, als müsste es einfach so sein. Aber an das Gefühl muss ich mich trotzdem noch gewöhnen.
Als sie mich vorhin vor ihrem Haus empfing und mir klar wurde was sie vorhat, musste ich perplex auf die lange Hundekette in ihrer Hand starren. Die freche Frage, ob sie mit mir „Gassi" gehen wolle, habe ich mir schlauerweise verkniffen.
Wir erreichen die Innenstadt. Es herrscht viel Betrieb. Sie geht vor mir, durch die breite Fußgängerzone, in der es von Menschen wimmelt.
Ein Geschäft reiht sich ans andere. Rechts von mir erstreckt sich eine große Bücherhandlung, darauf folgt ein Juwelier, daneben ein Damenschuhgeschäft und ein Starbucks. Auf der anderen Seite befindet sich ein Laden für Sportartikel, mehrere Bekleidungsgeschäfte, ein Spielwarenladen und ein Friseursalon.
Ich folge ihr in respektvollem Abstand, aber bleibe konstant bei ihr wie ein Schatten. Meine Augen huschen aufmerksam durch die Gegend, ob von irgendwo eine Gefahr drohen könnte. Bei so einer Menschenmenge wäre es nicht ungewöhnlich, das darunter Kreaturen sind, welche meine Herrin belästigen oder ihr schaden wollen. Dabei fällt mir auf, das die Leute, welche uns begegnen, hauptsächlich auf zwei verschiedene Arten auf das Bild, das sich ihnen bietet, reagieren: Die einen sind ziemlich entsetzt davon, laufen schnell weiter oder reagieren empört. Andere sind neugierig und stellen der Herrin recht unhöflich einige Fragen. Und da ist die dritte Sorte, die zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist und blind durch die Gegend läuft.
Die Herrin besucht ein paar Läden, aber ihr scheint nichts zu gefallen. Ihre Laune verschlechtert sich zusehends.
Sie verlässt die Einkaufsstraße und betritt den großen Stadtpark. Im Gewimmel der Innenstadt, wo es jeder eilig hat und ohnehin Reizüberflutung besteht, sind wir nicht ganz so sehr aufgefallen.
Hier dagegen, wo die meisten sich Zeit lassen, starren alle Passanten meine Herrin an. Ich bin stolz ihr Hund zu sein. Sollen die Leute ruhig gucken. Das Wetter war vorhin ein wenig bedeckt, aber jetzt haben sich die Wolken verzogen.
Ich genieße den Ausflug. Der Park ist schön. Die Sonne scheint warm auf gepflegte Rasenflächen und grün belaubte Bäume. Frischer Wind weht mir ins Gesucht und eine Vielzahl von Gerüchen erfüllt die Luft. In Gedanken versunken muss ich lächeln. Ich fühle mich frei wie ein junger Hund.
Ich bin überrascht, wie viel Frieden und Geborgenheit mir meine Herrin schenkt, dadurch das ich ihr ergeben sein darf. Ich erfreue mich am Anblick ihrer Gestalt und schweife gedanklich völlig ab.

Kurz darauf bemerkt sie, das ich geistig abwesend bin.
„Denkst du nach oder schläfst du?“ Sie gibt mir einen kräftigen Schlag in den Nacken. Ich werde unsanft zurück ins Jetzt gestoßen und weiß so schnell keine Ausrede.
„Ich war unaufmerksam, Herrin.“ Ich bin betroffen von mir selbst.
„Warst du ein frecher Hund?! Du hast nicht auf mich achtgegeben?“ Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll und beleidigt.
„Ja Herrin“, gebe ich niedergeschlagen zu.
Ich muss wirklich sehr jämmerlich bzw. bedrückt ausgesehen haben, denn ihr Blick schwankt kurz zwischen Ärger und Belustigung.
„Auf die Knie, wo du hingehörst!“, befiehlt sie und zieht kräftig an der Leine. Erregung fährt durch meinen Körper. Gehorsam knie ich mich vor sie auf den Boden. Wir sind mitten auf dem Weg. Die wachsende Zahl an Zuschauern kümmert sie herzlich wenig. Ein bisschen unwohl fühle ich mich jetzt allerdings schon. Ihre Hand fasst die Kette kurz und zieht sie straff, sodass sie unter Spannung steht. Sie sieht mir ernst in die Augen.
„Bist du etwa Unaufmerksam während du mich, Die Eine, begleiten darfst?“, fragt sie drohend.
„Es tut mir leid, ich…“ Ja was? Mir fiel nichts ein.
Da greift sie mit der anderen Hand nach meiner Kehle und würgt mich. Ihr Griff ist fest. Die Luft wird mir knapp. Ich atme schwer.
„Wie kannst du es wagen, so respektlos zu sein?! Wirst du jemals wieder unaufmerksam sein?“ Mit der Hand, mit der sie mich würgt, drückt sie mir nun zugleich den Kopf in Nacken, beugt sich über mich und schaut mir von oben ins Gesicht. Prüfend sieht sie mir in die Augen. Ihr Gesicht ist für einen Moment nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ihr Blick ist hart wie Stahl.
„Nein Herrin.“, stammle ich. „Ich glaub´ dir nicht.“ Sie spuckt mir ins Gesicht und stößt mich zu Boden. Ich schnappe keuchend nach Luft.
„Du taugst als Beschützer nicht viel, du dreckiger Hund!“, meint sie abfällig. Dann zwingt sie mich zurück auf die Knie, indem sie feste an der Kette zieht.
„Also?“, fragt sie fordernd. Ich muss kräftig schlucken und verspreche nicht wieder Unaufmerksam zu sein.
„Los steh auf! Wir gehen. Du hast mich sehr enttäuscht. Halte den Kopf gesenkt und wag es ja nicht mich anzustarren!“ Mit diesen Worten reißt sie erneut an meiner Halskette. Der Druck wird zunehmend unangenehm. Dann zerrt sie mich unsanft vom Ort des Geschehens. Sie legt ein ganz schönes Tempo vor und ist sehr ungeduldig mit mir. Mehrmals muss sie kräftig an der Leine ziehen. Langsam scheuert es sich wund. Ich halte den Kopf gesenkt und schäme mich wegen meiner Ungezogenheit.

Wir passieren einen Platz in der Mitte des Parks. Es wird laut. Ich schaue auf. Auf der anderen Seite befindet sich ein Pulk Leute, die dicht gedrängt beieinander stehen. Ein junger Mann, der sich offenbar gerade durch die Menschenmenge gekämpft hat (so zerzaust wie er aussieht), schubst jemanden beiseite und kriegt dessen Rucksack ab.
Seine äußere Erscheinung sticht mir dabei ins Auge. Er ist von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet, recht klein und dürr, und blass. Ein Grufti.
Er entschuldigt sich hastig und will in unsere Richtung weiterlaufen, als er die Herrin bemerkt. Naja, es ist auch ziemlich unmöglich, sie nicht zu bemerken. Jedenfalls erstarrt er mitten in der Bewegung, was ihn ziemlich bescheuert aussehen lässt. Sein Blick huscht kurz zu mir. Er ist nicht überrascht. Und für einen Moment sehe ich mich selber.
Meiner Herrin fällt er nur wegen seines Auftritts als Eisskulptur auf. „Das ist dieser unverschämte Haufen Dreck aus dem Kaufhaus.“ , sagt sie abschätzig, allerdings mehr zu sich selbst. Ich senke den Kopf. Mir wollte sie das ganz bestimmt nicht mitteilen. Offenbar hat sie ihn irgendwoher wiedererkannt.
Das er sie so unverfroren anstarrt, passt mir gar nicht. Wie kann er es wagen sie so anzuglotzen?! Ich will etwas sagen, aber bevor ich den Mund aufmachen kann, zischt sie mir zu ich solle leise sein. Der Junge gegenüber sieht die Herrin mit geweiteten Augen an. Ich vermute stark, das sie ihn gerade mit ihrem Blick aufspießt, ihn die volle Macht, die von ihr ausgeht, spüren lässt. Er senkt den Blick.
Die Herrin beachtet ihn nicht weiter. „Komm!“, sagt sie scharf und zieht mich an ihm vorbei. Er bleibt völlig geflasht stehen. Wir sind bereits dutzende Meter weiter, als ich das Geräusch schneller Schritte hinter mir höre. Dieser Mistkerl läuft meiner Herrin hinterher?! Er starrt sie ungeniert von hinten an und versucht sie aufzuhalten, wagt es, sie zu berühren! Zorn kocht in mir hoch. Doch noch bevor ich eingreifen kann, hat sich die Herrin zu ihm umgedreht und ihn mit zwei schnellen Bewegungen zu Boden geschickt.
Neugierige Blicke heften sich von allen Seiten auf den Jungen. Verwirrt darüber, plötzlich auf dem Boden gelandet zu sein, rappelt er sich auf und sieht zu ihr hoch. Sie sieht ihn höhnisch von oben an. „Du elender Hund wagst es, mich zu berühren?!“, schreit sie ihn an, in einer Lautstärke, dass es der halbe Park hört.
Sie wendet sich verächtlich schnaubend ab und zerrt mich weiter. Ich stolpere hinter ihr her. Es trifft mich sehr, das ich wieder nicht richtig gehandelt habe. Ein so schlechter Wachhund zu sein, zieht mich runter. Wir sind am anderen Ende des Parks angekommen. Ich atme schnell.
Sie zieht fragend die Augenbrauen hoch.
„Ich tauge nichts als Wachhund.“, gebe ich zu. Sie sieht mich ohne jedes Mitleid an.
„Dich selber schlecht zu machen, wird dir nicht helfen besser zu werden, oder gar in meiner Gunst zu steigen.“, meint sie kalt. Die Kettenglieder scheuern an meinem Hals. Es brennt ziemlich. Inzwischen dürfte er gerötet sein.
„Ich wollte ja noch in ein Cafe gehen, aber das hast du jetzt nicht mehr verdient.“ Ich betrachte niedergeschlagen den Boden.
„Na los! Ab zurück, du Hund.“ Sie treibt mich an. Das scheint sie aufzuheitern.
Ich laufe ihr den ganzen Weg hinterher, bis vor ihre Haustür.

Dort angekommen dreht sie sich um, sieht mir auf einmal tief in die Augen. Ich gehe vor ihr auf die Knie.
„Fürs erste Mal nicht schlecht. Aber du musst dich bessern!“ Sie nimmt mir die Leine ab.
Sie wendet sich halb zur Tür. Es sieht nicht aus, als dürfe ich ihr ins Haus folgen. Wird sie mich etwa wegschicken?
„Ich werde jetzt gehen. Du wartest, bis ich im Haus bin, erst dann darfst du dich entfernen!“
Tiefe Traurigkeit und schmerzende Kränkung erschüttern mein Herz. Sie erlauben es mir nicht meine Stimme zu verwenden, ohne diese Gefühle auch augenblicklich preiszugeben. Ich schweige.
„Bis dann, mein Hund.“, sagt sie, wendet sich ganz ab und schließt die Haustür auf.
Mein Kopf fällt mir auf die Brust. Ich habe sie enttäuscht.
„Bis dann, Herrin.“, murmele ich. Sie ignoriert es und ist im Haus verschwunden.

Langsam stehe ich auf und mache mich auf den langen Weg, zurück durch die Stadt. Die Gebäude sind hohe graue Rechtecke. Es regnet lange Bindfäden. Es ist kalt und feucht. Meine Kleidung wird klamm.


© D.M.


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