Der Mond schien heller als ein Stern am Nachthimmel und tauchte ganz Paris in ein gespenstisches Licht. Man würde erwarten, dass die ganze Stadt in ihrer höchsten Pracht erstrahlen müsse. Ein warmer Sommerabend, perfekt für einen Spaziergang zu zweit. Doch unglücklicherweise war dem nicht so. Es war sogar tausend Mal schlimmer. Denn es fand ein erbitterter Kampf zwischen Gut und böse statt. Und diese nahmen bekannter Weise nie ein gutes Ende. Auch dieses Mal nicht.


,,Crimson Crowblood, im Namen der Gerechtigkeit bist du hiermit verhaftet.“
Ein blondhaariger Junge, dessen hellblaue Maske die obere Gesichtshälfte verdeckte, schwebte weit über dem Boden in der Luft. Die ebenso eisblauen Augen funkelten Crimson erbost an. Ihn und Crimson trennten nur einige Meter voneinander. Sein rabenschwarzes Haar, sein langer schwarzer Umhang und seine Krähenmaske verliehen ihm ein beinah mörderisches Aussehen. Eigentlich sollte er aufgrund seiner misslichen Lage sich gewaltige Sorgen machen müssen. Unten waren zahlreiche Pistolenläufe auf ihn gerichtet und hier oben bedrohte ihn ein Held mit einem Blitzstrahl. Doch trotz all dem verzogen sich Crimsons Mundwinkel zu einem boshaften Lächeln. Trotz all dem musste er lachen.
,,Luke, genauso charmant wie immer. Wie viele Male hast du mir das schon bereits angedroht? Und dennoch entkomme ich dir jedes Mal. Heute wird es nicht anders sein.“
Bedauernd schüttelte er seinen Kopf, so als wenn er ihm eine schreckliche Nachricht mitteilen würde.
,,Ach ja? Du hast doch nicht allen ernstes geglaubt, dass ich zulassen werde, wie du den Eiffelturm zum Einstürzen bringst und so vielen Menschen das Leben nimmst. Dieses Mal hast du versagt, Crimson. Ich bin dir zuvorgekommen.“, konterte Luke triumphierend.
Crimson konnte es einfach nicht glauben. Hat dieser Schwachkopf von einem Superhelden es immer noch nicht realisiert? Auch wenn es kein schlechter Gedanke war… Anmutig ragte der Eiffelturm hinter Luke in den klaren Himmel. Ohne den Lichtern, die nun ausgeschaltet waren, schien er unter dem Mondlicht viel magischer auszusehen. Nein, dieses Prachtwerk…. Crimson würde es nicht einmal in seiner Verzweiflung übers Herz bringen ein solch schwerwiegendes Delikt durchzuführen. Und obendrein noch so vielen Menschen einen unnötigen Tod bereiten. Das alles hatte nur als Lüge gedient, um Luke vom wahren Kern seiner Mission abzulenken. Denn sein Plan war in Wahrheit ein ganz anderer gewesen. Dazu gehörte ebenfalls den Strom in ganz Paris auszuschalten und somit alle erdenklichen Sicherheitsanlagen außer Gefecht zu setzen. Zu Lukes Pech hatte er diesen leider schon vor Stunden durchgeführt. Es war weit über Mitternacht hinaus und wenn er morgen nicht verschlafen wollte, sollte er lieber unverzüglich nach Hause, bevor jemand sein Fehlen bemerkte.
,,Weiß du Luke, ich hätte wirklich nichts gegen einem Smalltalk, aber bedauerlicherweise muss ich wirklich dringend los. Und wenn es dich beruhigt: Das mit dem Eiffelturm war gar nicht mein Plan, denn ich habe bereits die Diamanten.“
Das selbstbewusste Lächeln entgleiste Luke, als ihm die bitterböse Erkenntnis wie ein Ball ins Gesicht traf.
,,Das Licht… Die Diamanten…“
Allerdings kam er nicht weiter, denn in diesem für Crimson äußerst günstigen Moment beschwörte er seine Schattenmagie hinauf. Schatten schlängelten sich aus seinen Armen und verwandelten sich in Krähen, deren Anzahl stetig stieg, bis Millionen von ihnen die Stille der Nacht mit ihrem Krächzen durchbrachen. Sie stürzten sich wie Aasgeier auf Luke und die Polizisten. Crimson dagegen flog immer weiter hinauf, um eine möglichst große Distanz zwischen ihm und das Geschehen zu bringen. Er vernahm hinter sich schmerzvolle Schreie, doch kein Funken Mitleid flammte in ihm auf. Sie hatten nichts anderes verdient. Von oben blickte ein letztes Mal hinunter auf das Chaos von schwarzen Schatten. Plötzlich durchbrach ein Blitzstrahl die wogende Menge. Crimson konnte ihm in letzter Sekunde ausweichen, sodass er haarscharf wie ein heißer Pfeil an ihm vorbeischoss. Das war äußerst knapp gewesen. Luke fixierte ihn aus der entstandenen Lücke so hasserfüllt, dass Crimson sich wunderte, wer hier der wahre Bösewicht war. Krähen zogen an Lukes Anzug, der bereits an mehreren Stellen ziemlich zerrissen war. Eine blutige Wunde zierte seine Stirn und in seinen Haaren hingen lauter Federn. Mit anderen Worten: Er sah einfach nur schrecklich aus.
,,Eines Tages werde ich dich in die Finger bekommen Crimson. Du kannst mir nicht ewig entkommen. Alle werden erfahren, wer sich hinter deiner Identität verbirgt. Und du wirst endlich für deine Taten büßen.“
Crimson blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen verächtlich an. Dieser Held war nach nichts anderem als Ruhm und Ansehen besessen. Wenn er sich wirklich Sorgen um Menschenleben machen würde, hätte er schon längst diesen Polizisten geholfen. Crimson ersparte sich eine Antwort, denn er hatte nicht vor, Luke diese Genugtue zu gewähren. Er drehte sich einfach um und flog mit wehenden Mantel davon.
,,Crimson…!“, brüllte Luke hinter ihm her, bevor sein Kopf ein weiteres Mal unter das Meer aus Schatten tauchte, die den Rest seiner Worte wie ein Knebel im Mund dämpften.
Er war Crimson Crowblood und keiner würde ihn jemals in die Finger bekommen, ganz zu schweigen über seine wahre Identität erfahren. Wie denn auch? Am Tag war er der Sohn einer angesehenen Superheldenfamilie, ein schüchterner Junge und der Klassenbeste, der das Potenzial zu einem herausragenden Superhelden besaß. Doch in der Nacht war er ein anderer. Früher einmal wollte er nur aus einem einzigen Grund Bösewicht werden: Da sein Bruder kaum mit ihm Zeit verbrachte, hatte er beschlossen, die Rolle als Bösewicht anzunehmen, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Allerdings sind ihm zwei Dinge klar geworden. Erstens war er verdammt gut in seinem Job, der ihn obendrein noch Spaß bereitete. Zweitens waren die Superhelden nicht so, wie sie in Wahrheit schienen. In seinen Augen waren sie die wahren Bösewichte…
In London angekommen, flog er geradewegs durch sein offenes Fenster in sein Zimmer. Dort zog er sich unverzüglich um, verstaute sein Anzug in dem geheimen Raum hinter seinem Schrank und fiel erschöpft wie ein Kaninchenbaby in sein weiches Doppelbett, wo er sofort einschlief. Doch er fürchtete sich tief in seinem Inneren. Fürchtete, was der nächste Tag für ihn bereithielt. So bekam er in all seiner Erschöpfung auch nichts von der gewaltigen Explosion in Paris mit.


© Starlight of the night


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