Die Wurzel allen Übels (von Ragin)

© EINsamer wANDERER

Seit Stunden marschierten sie nun schon durch diesen dichten Nebel, ohne wirklich zu wissen, ob sie die richtige Richtung eingeschlagen hatten. Thor blickte finster drein und hatte die Zähne aufeinander gepresst, denn in ihm wuchs langsam der Unmut und die Wut auf seinen Reisegenossen.
Von Asgard aus hatten sie Lichtalfenheim durchquert, bis sie schließlich an der Grenze von Nifelheim angelangt waren. Vor ihnen hatte sich eine trostlose Landschaft aufgetan, in der eisige Kälte und wabernde Nebelschwaden vorherrschten.
Der Knabe, dessen Gestalt der listige Loki angenommen hatte, war leichtmütig drauf losmarschiert und hatte Thor verkündet, sie bräuchten nur ihren Schritten zu folgen, die würden ihnen schon den richtigen Weg zeigen. Dem Donnergott war nicht viel übrig geblieben, als Loki zu vertrauen, war dieser doch für seine List und Schläue bekannt.
Doch nach und nach war sein von Grund auf vorhandenes Misstrauen Loki gegenüber gewachsen, denn es schien, als würde der Knabe irgendetwas aushecken. Schließlich hatten sich düstere Erinnerungen in Thors Gedanken geschlichen, die ihm von Lokis vergangenen Taten erzählten, hatte er die Götter doch mehr als einmal in eine äußerst brenzlige Lage gebracht. Aber, und dieser Gedanke fachte die Wut des Donnergottes umso mehr an, Loki hatte den Asen doch auch stets wieder durch seine Schläue und List aus der Patsche geholfen, so dass man nie genau wusste, wie man bei dem Feuergott dran war.
Und nun stapften sie durch dieses nebelige Nirgendwo, und dieser Umstand verstärkte das Misstrauen des Donnerers noch mehr, da er sich nicht mehr ganz so sicher war, ob sie wirklich auf dem richtigen Weg waren. Hin und wieder kamen sie an gewaltigen Eisplatten und Gletschern vorbei, welche wie mächtige, behäbige Giganten aus dem Nebel auftauchten und Zeugen von der uralten, gewaltigen Macht waren, die einst bei der Erschaffung der Welt vorgeherrscht hatte. Nifelheim war die urälteste Welt, die eisige Kälte, hoch im Norden, erschaffen in den unendlichen Weiten noch vor Beginn der Zeit.
Gerade wollte Thor sich an Loki wenden, um mit dem Kerl mal ein ernstes Wörtchen zu wechseln, als vor ihnen im Nebel ein riesiger Schatten erschien, der sich beim Näherkommen als mächtige Felswand entpuppte. Der gezackte Riss darin, der sich auf Höhe des Erdbodens befand, schien geradezu winzig, und doch war die Öffnung gigantisch, aus welcher sich ein reißender Strom ins Freie schlängelte. Stirnrunzelnd wandte sich Thor um.
"Du hast doch gesagt, wir würden schon auf dem richtigen Wege sein. Was soll das?" dabei deutete er mit dem Daumen über den Rücken in Richtung des Flusses.
Die Mundwinkel des Knaben verzogen sich zu einem listigen, geheimnisvollen Lächeln, und er antwortete mit zuckersüßer Stimme:
"Nun, mein Freund, wenn ich das gesagt habe, dann wird es wohl auch so sein. Wir sollten diesem Flusslauf folgen, er wird uns gewiss zu deinem kostbaren Hammer bringen."
Thor zog die Augenbrauen zusammen und in seinen Augen blitzte es gefährlich auf.
"Ich warne dich, du falsche Schlange" knurrte er und ballte dabei bedrohlich die Faust, die groß genug schien, um Lokis Kopf mit Leichtigkeit zu umfassen, "wenn du irgendeine Schandtat vorhast, so werde ich dich zu Brei stampfen, hast du mich verstanden?"
In Lokis Augen tauchte für einen kurzen Augenblick der Schatten von Furcht auf, doch schnell gewann wieder seine listige, freche Art die Oberhand.
"Aber, aber, guter Thor" und dabei schlich er um den riesigen Asen herum wie ein streunender Kater, "was denkst du denn nur von mir? ich würde dich doch niemals hintergehen, so stark und mächtig wie du bist, oh großartiger, mächtiger Thor!"
"Du hast in der Vergangenheit nicht gerade gute Erinnerungen hinterlassen, Freundchen" entgegnete der Donnergott. Loki legte den Kopf zur Seite und blinzelte seinen Gefährten an.
"Vertraust du mir etwa nicht?" fragte er spitz.
"Eher würde ich mit der Midgardschlange kuscheln, bevor ich behaupte, dass du vertrauenswürdig seist." grollte Thor. Zu seiner Überraschung kam Lokis Antwort leise lachend.
"Wer weiß, wer weiß... Nichts ist unmöglich, mein Freund! Nur Odin weiß um die Zukunft der Welten bestellt, und selbst bei ihm bin ich mir manchmal nicht ganz sicher. Aber du beschämst mich. Folge dem Weg" dabei deutete er auf die Spalte in der Felswand, "und du wirst ans Ziel kommen."
Thor blickte ihn misstrauisch an. Er sollte diesem Kerl, dem Ursprung von Lüge und Verrat, wirklich trauen? Andererseits, er hatte keine andere Wahl. Odin hatte ihm Loki nicht ohne Grund zur Seite gestellt.
"Und was ist mit dir?" fragte er.
"Oh, ich bin ganz dicht hinter dir, oh Mächtiger. Du bist der Stärkere von uns, außerdem ist es dein Hammer, also solltest du voran gehen, während ich mit meinen Waffen, also mit meinem Gehirn kämpfe."
Der rotbärtige Ase sah den Knaben noch einen Moment lang zweifelnd an, doch dann wandte er sich um und stapfte weiterhin auf die gezackte Öffnung zu, so dass das Rauschen des Flusses stets an Intensität gewann.
Als er den gezackten Eingang passierte, schien es dem Gott, als würde er in eine andere Welt eintauchen; die Kälte, welche sich sogar schon in seinen doch sonst schier unbeugsamen Geist eingeschlichen und begonnen hatte, seine Gedanken zu verlangsamen, blieb draußen zurück, und Thor fühlte sich, als könne er endlich wieder frei durchatmen.
Doch mit jedem Schritt wuchs die Dunkelheit, und schon bald waren sie von einer wabernden, scheinbar alles verschlingenden Dunkelheit umgeben. Sie konnten nur noch das Rauschen des Flusses hören, dass hier unten dumpf dröhnte.
"He, Feuergott" rief Thor über den Lärm hinweg, "Mach deinem Titel mal Ehre und besorge uns irgendeine Fackel, damit wir was sehen."
Es kam keine Antwort.
"Loki?" fragte Thor. "He, Kleiner, wo bist du denn hin?"
Wieder verging eine ganze Weile, und Thor wollte schon umkehren und, Loki in Gedanken verwünschend, nach seinem Gefährten suchen, als plötzlich ein Prusten und Lachen ertönte, als Loki in einem aufflammenden Licht erschien und sein Gesicht zu einer spöttischen Maske verzerrt war.
"Huhuhu, der mächtige Thor fürchtet sich doch wohl nicht?" feixte er. Dann quiekte er, Thor's Stimme übertrieben hoch nachahmend: "Loki, oh Loki, so komm und rette mich, ich fürchte mich!"
"Hör mit deinen dämlichen Späßen auf und führe uns lieber hier raus!" kam die knurrende Antwort des Donnerers.
"Hab keine Angst, mein kleines Donnerchen" frotzelte Loki, "der Onkel Loki wird dich schon führen. Na los, mir nach!"
Und so sprang er lachend davon, noch bevor Thor die Gelegenheit hatte, ihn zu greifen und ihm eine Lektion zu erteilen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Loki zu folgen.
Sie folgten dem Flusslauf, der nach und nach immer schmaler und weniger reißend wurde; der Weg begann schon bald, bergab zu führen, in gewundenen Linien, mal links, mal rechts, aber stets beharrlich bergab. Stunde um Stunde marschierten sie schweigend dahin, Loki scheinbar unbeschwert und fröhlich, gefolgt von Thor, dem Donnergott, dessen Gesichtsausdruck eher an einen wütenden Eber erinnerte.
Auf die Frage, wo sie denn nun seien, antwortete Loki stets nur mit einem Schulterzucken und achtete immer ganz genau darauf, nicht in Thors Reichweite zu sein.
Mit der Zeit wurde es wärmer, und vor ihnen war ein unheimlich flackerndes, rot schimmerndes Licht zu sehen. Der Fluss war mittlerweile nur noch ein Bach. Endlich traten sie aus dem Gang in eine Höhle hinaus, deren gewaltige Größe jedoch nur zu erahnen war, verlor sich die Decke doch in der Dunkelheit über ihren Köpfen. Das flackernde Licht schien direkt aus den Wänden zu kommen, als würden dahinter zahlreiche kleine Feuer brennen.
"Wo sind wir hier?" fragte Thor und wandte sich zu Loki um.
Aber Loki war verschwunden.
Thor drehte sich einmal im Kreis und rief leise Lokis Namen, doch er erhielt keine Antwort. Er war allein.
Die Zähne aufeinander gepresst und ein bedrohliches Knirschen von sich gebend ballte er die Fäuste. Wenn er diesen durchtriebenen Hund zu fassen bekommen sollte, so würde er ihm diese Späße ein für allemal austreiben.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, und seine Hand fuhr automatisch an den Gürtel. Aber da war kein Hammer. Schmerzlich registrierte Thor, wie sehr er Mjölnir doch vermisste. Diese mächtige Waffe, die ihm so vertraut war, die besser war als jede andere Waffe... Der mächtige Zermalmer, der Blitze schleudern konnte oder, von des Gottes Hand geworfen, sein Ziel immer vernichtend traf und danach wieder treu in die Hand von Thor zurückkehrte. Er musste ihn wieder haben, koste es was es wolle.
Lauernd drehte sich der Donnergott im Kreis und zog leise sein Schwert. Mit der blitzenden Waffe, deren Größe allein schon fast die Länge eines ausgewachsenen Mannes hatte, schlich er vorsichtig am Bachlauf entlang. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase, wie von frisch geschnittenem Holz, und er fragte sich, ob es wirklich in diesen finsteren Tiefen möglich sei, dass hier noch Pflanzen wuchsen.
Der Weg stieg nun leicht bergan, und als er schließlich die Spitze des Hügels erreicht hatte, lag vor ihm die Quelle des Flusses: Es war ein Brunnen.
Seltsam, dachte Thor. Ein Brunnen in dieser Tiefe? Welche Bedeutung mochte er wohl haben? Wem sollte er hier nutzen?
Ein lautes Schaben und Kratzen riss ihn aus seinen Gedanken, und er hob den Kopf und blickte nach oben. Über seinem Kopf gewahrte er den Schatten eines riesigen, hölzernen Gebildes. Gewaltig schlängelte es sich durch die Höhle und warf weitere Stränge zur Seite.
So seltsam es klingen mochte: Thor befand sich unter einer Wurzel.
Plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Schlag! Yggdrasil! Die Weltenesche! Es hieß, dass eine ihrer mächtigen Wurzeln in Nifelheim lag, am Brunnen Hwergelmir, dem ältesten aller Brunnen und dem Ursprung aller kalten Gewässer.
Doch es hieß auch, dass dieser Brunnen sowie die Wurzel in Nastrand lagen, und in Nastrand hauste der Legende nach...
Den gigantischen Schatten, der sich über ihm erhob, bemerkte er nur Sekunden, bevor das markerschütterndste Gebrüll ertönte, das er je vernommen hatte. Als Thor aufsah, war ihm, als blicke er in den Rachen der Zerstörung selbst, und vielleicht war dem auch so: Vor ihm erhob sich der gewaltige Leib von Nidhögger, dem Vater aller Drachen. Pechschwarz, mit einem langen Schlangenleib, einem furchteinflößenden Kopf in dem sich schwertlange Zähne befanden, dunkelrot glühenden Augen, Pranken, die ein Haus mühelos zerschmettern konnten und Schwingen, die mit einem Schlag einen Wirbelsturm entfachen konnten.
All diese Entdeckungen machte der Ase in einem einzigen Augenblick, denn der Drache ließ ihm gar keine Zeit, ihn näher zu betrachten. Sofort zuckte der gewaltige Kopf auf Thor hernieder, der sich mit einem beherzten Sprung gerade noch in Sicherheit brachte. Grimmig blickte er sich um. Verrat! Loki hatte ihn verraten und ihn quasi dem Drachen zum Fraß vorgeworfen. Wenn er nur seinen Hammer gehabt hätte... Doch auch ohne Mjölnir würde er nicht einfach kampflos aufgeben. Er war der Donnergott, und das sollte auch diese alte Schlange spüren, wenngleich Nidhögger als eines der mächtigsten Wesen in allen neun Welten galt.
Fauchend schlug das Untier mit einer seiner Pranken nach Thor, und er konnte die vorbeifliegenden Rindenfetzen sehen, die sich zwischen den Krallen eingehackt hatten. Stücke der Wurzel, an der der Drache der Sage nach alle Zeit hindurch nagt, um die mächtige Weltenesche eines Tages zu Fall zu bringen. Nidhögger, der Wurzelnager, der Drache, der sich von den Toten ernährte... Doch Thor sollte er nicht haben. Zumindest noch nicht.
Der Drache sprang von der Wurzel und landete auf dem Erdboden, so dass die ganze Höhle erzitterte. Mit weit geöffnetem Rachen ging er auf Thor los, der sich im letzten Moment zur Seite warf und dem Drachen das Schwert in den Hals rammte.
Zumindest versuchte er dies.
Die Klinge sprang mit einem lauten Klingen vom Schuppenpanzer des Drachen ab, ohne auch nur einen Kratzer darin zu hinterlassen. Fassungslos starrte Thor auf die Stelle. Einen Moment zu lange. Den Schatten, der von der Seite heransauste, bemerkte er den Bruchteil einer Sekunde zu spät, und so traf ihn die volle Wucht des Drachenschwanzes, und er flog gute dreißig Meter durch die Luft, bis er schwer auf dem Boden landete. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die dunklen Schatten vor seinen Augen und seine Benommenheit zu bezwingen. Keuchend rappelte er sich auf und blickte zum Drachen hinüber. Dieser hatte nun die Schwingen gespreizt und erhob sich wie eine geschmeidige Schlange im Wasser hinauf in die Luft, um sich jedoch sofort wieder auf Thor herabzustürzen. Dieser sprang hoch und hechtete sich unter einen nahen Wurzelstrang, so dass die gewaltigen Klauen des Monsters nur tief in den felsigen Boden fuhren und massive Brocken herausrissen.
Thor wusste, dass er diese Auseinandersetzung nicht lange würde durchhalten können. Er hatte keinerlei wirkungsvolle Waffe gegen diesen Giganten der Unterwelt. Sollte dies wirklich das Ende sein von Thor dem Mächtigen, von Donar, dem Gott des Donners, dem Schutzpatron der Menschheit, der Welt Schirmherr und Beschützer?
Er ballte die Faust und blies zornig in seinen dichten, roten Vollbart. Nein! Er würde niemals aufgeben! Nicht umsonst war er Odins Sohn und der Stärkste der Asen!
Von dieser neuen, grimmigen Entschlossenheit erfüllt, trat er aus seinem Versteck hervor und direkt auf den Drachen zu. Er wusste nicht, ob Nidhögger ihn verstehen würde; dennoch hob er die Hand und deutete auf den brüllenden Wurm.
"Lass ab von mir, alter Wurzelnager!" schrie er, und obwohl das Gebrüll der Bestie die Höhle in ihren Grundfesten erschütterte, so übertönte seine donnernde Stimme den Lärm. "Ich bin Donar, Yggers Sohn, dem Herrn dieses Baumes und Vater allen Seins! Nicht wirst du Thor, den Mächtigen, bezwingen, solange die Sonne am Himmel steht!"
So stand er also da, furchtlos, ein Gott zwar, aber dennoch winzig im Gegensatz zu dem gewaltigen Schatten, der sich einer Gewitterwolke gleich vor ihm ausbreitete.
Der Drache neigte den Kopf und schien für einen Moment verwirrt, war es doch in diesen vielen tausend Jahren seiner schrecklichen Existenz noch nie vorgekommen, dass hier unten menschliche Worte gesprochen wurden. Für einen winzigen Moment glühte in den von Bosheit und Gier erfüllten Augen so etwas wie Überraschung und sogar Respekt auf, verschwand dann jedoch, um dem schlimmsten Ausdruck von Hass und Abscheu Platz zu machen, den Thor je gesehen hatte. Dennoch wich der Ase keinen Schritt und senkte auch nicht den Blick.
"Ich werde dir so schwer im Magen liegen, dass du dir wünschst, nie existiert zu haben" knurrte er und hob das Schwert, bereit für den Ansprung der Bestie und in Erwartung des nahenden Todes.
Doch es kam nie dazu. Denn plötzlich war hinter dem Drachen eine schmächtige Gestalt aufgetaucht mit einer Armbrust im Anschlag. Der Bolzen, der den mächtigen Schädel des Untiers traf, prallte zwar wirkungslos daran ab, hatte jedoch den Effekt, die Aufmerksamkeit des Drachen von seinem bisherigen Opfer abzulenken. Fauchend schwenkte der gigantische Leib herum, um zu sehen, wer sich diese Frechheit erlaubte.
Die Gestalt jedoch war bereits katzenartig weiter gesprungen und hatte einen weiteren Bolzen auf das Untier abgefeuert, natürlich erneut ohne jegliche Wirkung. Mit einem Wutgebrüll stürmte der Drache hinter dem neuen Angreifer her, der es sich doch erdreistete, ihn anzugreifen. Loki jedoch, denn kein anderer verbarg sich hinter der Gestalt, war viel zu leichtfüßig und schnell für den Wurm, sprang hierhin und dorthin, ohne dass ihm die zuschnappenden Klauen und der umherpeitschende Schwanz gefährlich werden konnten.
Thor beobachtete die Szene staunend. Loki war also doch gekommen, um ihm zu helfen! Zunehmend besorgt jedoch sah er, dass es dem Drachen gelang, seinen Gefährten immer weiter ins Eck zu drängen, so dass der Knabe wohl bald in der Falle sitzen würde.
Er stürmte los. Nidhögger beachtete ihn nicht, lag seine Aufmerksamkeit doch ganz und gar auf Loki, der es geschafft hatte, den Drachen bis über alle Maßen zu reizen.
Thor erreichte das rechte Bein des Drachen und holte aus. Er musste Loki helfen, denn sonst war er verloren. Mit aller Macht ließ er seine Faust auf den Fuß des Monsters niedergehen.
Es war, als hätte er gegen die Mauern von Asgard geschlagen. Ein zuckender Schmerz jagte durch seinen Körper und betäubte ihn für einen Augenblick. Aber der Schlag zeigte die gewünschte Wirkung. Der Drache heulte wütend auf und schlug mit dem Schwanz um sich. Dieser traf den Asen und schleuderte ihn mehrere Meter davon.
Thor hob stöhnend den Kopf, als er plötzlich von hinten gepackt wurde.
"Du barbarischer Tölpel!" hörte er Loki hinter sich. "Da versucht man, dich zu retten, und was machst du? Wirfst dich diesem Untier noch in die Arme!"
Thor riss den Kopf in den Nacken und sah Loki verdutzt an. "Aber wie hast du das gemacht?" fragte er. Loki zog ihn jedoch als Antwort auf die Füße und zerrte ihn dorthin, wo sie hergekommen waren: Zur Felsspalte, durch die das Wasser des Brunnen Hwergelmir entfloss.
"Du Dummkopf vergisst, dass ich mich verwandeln kann!" fauchte Loki kratzbürstig. "Nun komm, wir müssen hier weg! Ich würde dich zwar liebend gerne hier lassen, so dass Nidhögger zur Abwechslung mal eine göttliche Mahlzeit bekommt, aber ich befürchte, Odin wird etwas dagegen haben. Außerdem hättest du dich mit deinem Selbstopfer eher zum Heiligen gemacht, und das kann ich nun wirklich nicht durchgehen lassen. Komm jetzt!"
Hinter ihnen ertönte bereits wieder wutentbranntes Gebrüll, und der Windstoß verriet, dass der Drache sich in die Luft erhoben hatte.
Sie rannten verbissen auf den Ausgang zu, nicht hinter sich schauend, um nicht von der Verzweiflung gepackt zu werden, und überwanden die letzten Meter in einem verzweifelten, gewagten Sprung.
Sie stürzten in das eisig kalte Wasser der Höhle. Als sie auftauchten, ertönte ein gewaltiges Donnern und Krachen; der Drache war gegen die Höhlenwand geprallt. Das wütende Gebrüll drang ihnen noch lange nach, während sie dem Wasserlauf folgten, der sie fort von der finsteren Höhle führte, jener Höhle, in der der Wurzelnager hauste und die als die schlimmste Station der Unterwelt galt.

FORTSETZUNG FOLGT...


© Ragin


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