Engeltod XVI – Entführung

© EINsamer wANDERER

Einsam und verlassen stand eine dunkle Gestalt auf einen Hochhaus und starrte auf die kleine Gruppe Menschen hinab, die ihr Lager unterhalb dreier Wolkenkratzer errichtet hatte. Einzig die funkelnden Sterne am Firmament verrieten seine Anwesenheit. Obwohl er sich entschlossen hatte, nie wiederzukehren, konnte er sie nicht verlassen. Viel zu stark waren die Gefühle die Kira für ihn hegte, als das er sie hätte verlassen können. Er spürte sie und wachte über sie, als wäre er ihr Schutzengel. Sie waren miteinander verbunden. Der Fluch von Baal verband sie. Wieso sind wir noch hier?, fragte der Dämon. Wenn ich das nur wüsste, dachte Dark. Im Schatten in der Nähe der Feuerstelle der Menschen machte er eine Bewegung aus. Inzwischen machten seine Augen keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht. Er konnte immer sehen. Scheint, als ob hier einige Dämonen wären, meinte Baal. Mit grimmigem Blick ließ sich Dark in die Tiefe fallen. Da unten waren sie. Schatten mit Krallen und rotglühenden Augen. Lautlos landete Dark im Rücken der Dämonen. Er ließ die Geisterklinge erscheinen. Einige Krallen rissen Darks Haut auf und zerfetzten sein Fleisch. Er kannte keine Schmerzen mehr. Die Verderbnis war zu stark. Ohne ein Wort kämpften die Dämonen gegen ihn. Ohne einen laut schmolzen die Schatten dahin, als sie starben. Am Schluss war nur noch Dark übrig geblieben. Die Verletzungen begannen bereits zu heilen. Und genauso schnell, wie er aufgetaucht war, trat er in den Schatten zurück. Lief zu seinen Wachposten, damit er einen besseren Überblick hatte. Stundenlang sah er hinunter zu der Gruppe. Er hatte sich die Menschen genau angesehen. Zuerst hatten sie Kira misstraut. Niemand verübelte es ihnen. Erst recht nicht Dark. Er lebte schon länger in dieser albtraumhaften Welt, von deren Existenz die meisten noch nicht einmal träumen konnten. Aber es waren aufrechte Menschen. Sie waren gut zu Kira und nur das zählte. „Ob sie meine Anwesenheit spürt?“, murmelte er zu sich selbst. Natürlich, meinte Baal. Aber sie denkt, dass sie sich das nur einbildet und das du in ihrem Herzen lebst oder so ein Kitsch. Pfui! Dark konnte nicht anders, als zu lächeln. Für einen kurzen Moment war er glücklich. Glück. Das Wort für ein Gefühl, an dass er nicht mehr geglaubt hatte, es jemals wieder zu verspüren. Auf einmal landete etwas auf dem Dach des Gebäudes. Als Dark sich umdrehte, erhob sich ein geflügelter Dämon. Er hatte sechs fledermausartige Schwingen. Seine Haut war ledern. Die Hörner funkelten im Licht der Sterne. Die Augen brannten sich in Darks Seele. Das Wesen konnte auf vier und zwei Beinen laufen. Dark rief die Geisterklinge. Aber sie kam nicht. Er versuchte es wieder, ohne Ergebnis. „Was zum Teufel!“, fluchte er. Das ist unsere Waffe!, meinte Baal. Und wir können es nicht ausstehen, wie du sie behandelst. Als würde sie dir gehören! Das ist unsere Waffe! Unser! Wieder einmal hatte sich Baal einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um zickig zu werden. Dark rollte sich zur Seite, als der Dämon versuchte ihn aus der Luft mit seinen Krallen zu erwischen. Erst jetzt sah er die seltsamen Zeichen auf dem Körper des geflügelten Wesens. „Was ist das?“ Baals Antwort darauf war Gekicher. Das wirst du noch früh genug erfahren, meinte er fies. Willst du etwas von unserer Macht?, fragte er diabolisch. „Ein Bisschen wäre nicht schlecht“, meinte Dark. Kriegst du aber nicht!, der Dämon lachte, während Dark einem erneuten Angriff des geflügelten Dämons auswich. „Scheiße!“, sagte er zu Recht, denn alle seine Trümpfe waren ihm genommen worden. So musste er den Dämon mit seinen bloßen Fäusten besiegen. Oder etwa doch nicht? Er beschwor die Mächte des Lichts herauf. Die rechte Hand richtete er dabei auf den Dämon. Gleißendes Licht kam aus dem Mund und den Augen der Kreatur. Er ging in die Knie. Sein ganzer Körper rauchte. Wieder tauchten die Zeichen des Lichts auf. Ein plötzlicher Schmerz durchzog Darks Hand. Es fühlte sich an, als würde ihm sämtliche Lebenskraft entzogen werden. Er sah auf seine Hand. Die Fingerspitzen färbten sich schwarz. Die Macht des Lichts wurde schwächer und mit ihr wurde Baal stärker. Jetzt erkannte Dark die List des Teufels. Er wollte so aus seinem Käfig entkommen, indem er Dark zuerst die Mächte des Lichts erschöpfen ließ, die ihn gefangen hielten. Sofort unterbrach er den Angriff. Schreiend nahm Dark die Hand runter. Das Licht versiegte wie eine schnell ausdörrende Quelle. Keuchend sah der Junge auf seine tiefschwarzen Fingerspitzen. „Scheiße“, keuchte er. Der Dämon rappelte sich wieder auf. Schreiend spie er einen Feuerball nach Dark. Schützend kreuzte der Junge die Arme. Der Feuerball teilte sich bei den Armen und löste sich auf, wie Wasser welches gegen die Brandung schlug. Es war zum Glück nur ein schwacher Angriff. Das Wesen hatte durch Darks letzten Angriff einiges abbekommen. Der Körper rauchte immer noch. „Der war auch schon mal besser in Form“, meinte Dark. Brüllend warf sich der Dämon auf den Jungen. Der versuchte den Ansturm des Dämons zu bremsen, indem er die Arme der Kreatur packte und dann mit aller Macht versuchte den Spurt abzubremsen, aber es gelang ihm nicht. Der Boden zerbarst unter der Kraft der Kreatur. Sie warf den Jungen mit sich selbst in die dunkle Tiefe. Während sie durch die Luft trudelten, drehte Dark den Dämon so, dass er selber oben auf war. Brutal schlug er auf das Gesicht der Höllenkreatur ein. Er ließ all den Frust der letzten Tage an ihr aus. Durch die Erregung des Kampfes begannen seine Augen blutrot zu glühen. Er schmeckte das dunkelblaue Blut auf der Zunge und roch es auch. Es machte ihn noch wilder, wie bei einen Hai. Ohne Bedenken biss er der Kreatur in den Hals. Er fühlte sich wie im Fieberwahn. Schreiend offenbarte der Dämon seine Schmerzen. Dark genoss die Pein in vollen Zügen, während sie dem Abgrund entgegensteuerten. Die Adern traten schwarz hervor. Aus den Eckzähnen wurden furchteinflößenden Fänge. Langsam wurden seine Haare struppig und färbten sich schwarz. Jetzt war Dark mehr Ungeheuer als Mensch. Ein Dämon. Er kannte kein Bedauern - keine Reue. Sadismus und Zorn dominierten jetzt seine Gefühlswelt. Und nichts hätte diese Verwandlung mehr rückgängig machen können. Krachend landete er mit dem Dämon auf der geteerten Straße. Direkt beim Lager. Dort bot sich dem dämonischen Dark ein herrlicher Anblick. Die Gruppe welche er seit Stunden beobachtet hatte, war fast vollkommen ausgelöscht worden. Nur noch wenige konnten vor den dunklen Herrscharen fliehen. Ihre Schlächter sahen alle genauso aus, wie der tote Dämon, der mit zerfetzter Kehle zu Darks Füßen lag. Ein schallendes Gelächter drang sacht an Darks Ohr. In weiter Ferne sah er eine hüpfende Gestalt, mit einer bunten Narrenkappe und Glöckchen. Unterm Arm hatte sie ein Mädchen, welches Dark nur allzu bekannt vorkam. Kira. Sie sah ihn auch. Dieser wehmütige, nachhilfesuchende Blick machte Dark wieder zum Herrn seiner Sinne. Schmerzend hielt er sich den Kopf. Versuchte das Untier in sich zu unterdrücken. Je mehr er es schaffte, desto klarer wurden seine Gedanken. Und in dem Moment in dem er den Tod der Gruppe und die Entführung von Kira gewahr wurde, übermannte ihn unbändiger Zorn. Inzwischen hatten ihn die anderen Dämonen umzingelt, wie ein Rudel Raubtiere. Sie würden kein Hindernis darstellen. Mit einem diabolischen Lächeln zeigte Dark seine Fangzähne. Der Dämon war wieder da. Er beschwor die Geisterklinge herauf. Mit irrem Lachen zerstückelte er die Feinde. Er biss in Hälse. Riss mit der freien Hand ihre Extremitäten ab. Es dauerte lange bis er sich wieder beruhigt hatte. Das Blut des letzten Gefallenen war schon längst erkaltet. Nur mit Mühe konnte er den Dämon in sich unterdrücken, welcher durch die Sucht nach der unheiligen Macht von Baal entstanden war. Der Dämon war Dark und Dark war der Dämon. Sie waren ein und dieselbe Person. Der Junge keuchte über die mentale Anstrengung. „Hiermit lege ich einen neuen Schwur ab“, sagte er keuchend, als er sich genug beruhigt hatte. Was?! Baal war entsetzt über diese Entscheidung. „Ich werde nicht eher ruhen, als das Kira in Sicherheit ist!“ Das kannst du nicht ernst meinen! Du kennst sie doch erst seit ein paar Stunden! „Bullshit!“, in Darks Stimme war so viel Zorn und Wut, dass er selbst Baal zum Schweigen brachte. Der Dämon konnte es mit dem Teufel aufnehmen. „Ich kenne sie“, meinte er. „Ich habe sie immer gekannt. Und sie mich.“ Jetzt erwies sich das Band zwischen den Beiden doch noch als nützlich. Egal wo Kira war, Dark würde sie aufspüren können. Er lächelte. „Danke, Baal, dass du das möglich gemacht hast“ Baal schwieg. Er schien wohl zu begreifen, dass er einen Fehler begangen hatte. Eines der wenigen Male, wo er es sich wirklich einzugestehen schien. Und Dark freute das über alle Maßen.

Schon seit Stunden folgte Lucy mit ihrem Team einem alten, verlassenen U-Bahntunnel. Die Gruppe wurde langsam unruhig. Niemand traute dem Weg so richtig. Keine Monsterhorden, keine Fallen. Es war einfach zu leicht. Lucy konnte es ihnen nicht verübeln. Sie selbst erwartete jeden Moment, dass zuschnappen einer zwecks für sie aufgestellten Falle. Unmut nagte an ihr. Den Grund kannte sie nicht. Auf einmal stieß ein gewaltiger Fangarm mit mehreren Saugnäpfen durch die Wand des Tunnels. Unschlüssig tastete er umher und zog sich dann zurück. „Was war das denn?!“, fragte Mark entsetzt. „Keine Ahnung. Hoffentlich finden wir es nicht heraus. Wir haben keine Zeit mehr für so einen Schwachsinn.“ Lucy hatte da ihre Vermutungen, wollte diese aber nicht aussprechen, ohne vorher Gewissheit zu haben. Sie gingen weiter. Wieder durchstieß der Fangarm den Tunnel. Diesmal wären sie beinahe durch die Trümmer getrennt worden. Nur mit knapper Not entkamen Leonardo und Sam dem Schutt. Dass ihnen die Trümmer aber nun den Rückweg versperrten, war fast genauso schlimm. „Das ist ja mal wieder typisch“, stöhnte Lucy. Bei jedem Auftrag passierte immer so etwas. Es war schon fast Routine. Schließlich führte sie die Karte zu einer verlassenen Abzweigung des Tunnels. Er war durch einen großen, runden Stein verschlossen. Auf der Oberfläche waren Runen. Lucy sah sie sich genauer an. „Dies ist der Ort, an dem der Sohn des Todes gebannt wurde.“, las sie laut vor. „Dies ist der Ort an welchem der Antichrist wieder in die Hölle hinabstieg. Hier wird sein Erbe fortgesetzt werden und einen neuen Krieg entfachen, der das Schicksal der drei Welten für immer verändern wird. Seht die Vorzeichen. Es ist die Rückkehr des Todes. Die aufsteigende Finsternis. Wenn jemand das dunkle Licht bringt, wird der Erbe Amons sich gegen denjenigen erheben und … Oh, man! Immer diese beschissenen Prophezeiungen! Können die nicht einmal wegbleiben?! Die gehen in den meisten Fällen doch eh nicht in Erfüllung. Oder sie enden in einem verdammten Paradoxon, so dass sie eh erfüllt werden müssen.“ Jemand zog an ihren Ärmel. „Was denn nun?!“, fuhr sie den leichenblassen Mark an. Lucy sah nur, wie in der Ferne dutzende brüllende Zombies auf sie zu rannten. Sie stöhnte entnervt. Sie hatte überhaupt keinen Bock auf so etwas. Manchmal wollte sie einfach nur shoppen gehen oder ähnliches und nicht immer diese Monster töten. Sie ging ein paar Schritte nach vorne und schrie über das Knallen ihrer Pistole hinweg: „Okay. Mark, Sam! Ihr räumt diesen beschissenen Stein beiseite. Leo und ich versuchen uns diese Typen vom Hals zu halten!“ „Eigentlich heiße ich Leonardo“, gab dieser zu Protokoll. „Keine Zeit für Höflichkeiten!“, schrie der Engel. „Dafür ist immer Zeit“, antwortete dieser ruhig. Einige der Untoten waren bereits in gefährliche Nähe gerückt. Lucy schoss und versuchte sich die Zombies mit einigen Tritten vom Leib zu halten, aber es war schwierig. Leonardo war dagegen in seinem Element. Seine Angriffe bewegten sich wieder mit mörderischer Geschwindigkeit unter den Gegnermassen. Nur ein roter Strich, der vom Glimmen seiner Zigarette kam, zeigte wo er sich befand. Auf so einem engen Schlachtfeld schien er unbesiegbar zu sein. Immer wieder stieß er sich von den Wänden ab. Niemand konnte vorhersehen woher sein nächster Angriff kommen würde. Aber die Gegner schienen kein Ende zu nehmen. Immer mehr der Untoten kamen und drohten die beiden Kämpfer zu überwältigen. „Habt ihr es bald?!“, schrie Lucy nach hinten. „Wir können sie nicht ewig aufhalten.“ Ein Krachen verriet, dass der Fels aus dem Weg war. „Gut. Und nun durch. Los doch! Los! Los! Los!“, schrie sie, während sie noch einige der Zombies tötete. Leonardo tauchte neben ihr auf. „Geht ohne mich weiter“, sagte er in aller Seelenruhe. „Bist du irre?!“, brüllte sie ihn an, während sie versuchte die Zombies auf Abstand zu halten. „Ihr werdet den Fels wieder zurückrollen, um den Untoten den Weg zu versperren. Ich bleibe unterdessen hier und verschaffe euch die nötige Zeit ansonsten schafft ihr das nicht. Hier nimm das, heiliges Geschöpf“, er überreichte ihr ein Kreuz aus Silber, welches an einem Lederband baumelte. Die Oberfläche war mit Verschnörkelungen verziert. „Ich kann das nicht annehmen“, schrie sie, während sie weiter versuchte sich mit Schüssen die Meute vom Leib zu halten. „Du musst! Und jetzt fort!“, unachtsam stieß er Lucy in den Tunnel. Das Kreuz warf er ihr hinterher. Unelegant fiel Lucy auf ihren Hintern. Sam und Mark waren sofort an ihrer Seite. „Was sollen wir tun, Lucy?“, fragte Sam, während der Engel sich erhob. Doch Lucy war zu keiner Antwort fähig. Sie sah nur, wie dieser tapfere Mann um sein Leben kämpfte. Er war so entschlossen, sich zu opfern - keine Macht weder Himmel noch Hölle - hätten ihn davon abhalten können. Mit schwerem Herzen traf Lucy eine Entscheidung. Eine Entscheidung die nur sie treffen konnte, denn sie war die Anführerin. „Versiegelt das Loch wieder“, sagte sie tonlos. Ihre Kehle war staubtrocken. Während die beiden den Stein wieder vor die Öffnung rollten, schrie Lucy dem Paladin noch etwas hinterher: „Wehe du stirbst, Leonardo! Ich sagte doch, wehe du stirbst mir weg!“, aber sie wusste, dass der Kampf nur einen Ausgang haben konnte und ein gemeinsamer Angriff nur den Tod und das Ende der Welt zufolge hätte. Wenn sie in der Lage gewesen wäre zu weinen, hätte sie es getan. Sie streichelte über die kalte Oberfläche des silbernen Kreuzes. Eigentlich war das Tragen von religiösen Zeichen für einen Engel streng verboten. Etwas was Lucy immer verstanden hatte, denn der Mensch sollte seinen Glauben an das Gute selbst wählen dürfen und die Boten sollten sie darin nicht beeinflussen. Eines der wenigen guten Gesetze, an die sich Lucy gerne hielt. Diesmal aber nicht. Diesmal würde sie dieses Gesetzt überschreiten. Einem Toten schlug man keine Bitte ab, auch wenn es der Himmel anders sehen würde. Krachend schloss sich das Loch wieder. Die Kampfgeräusche waren durch den dicken Stein noch immer zu hören. „Lasst uns gehen“, sagte Lucy monoton mit hängendem Kopf. Ihr schmerzte der Verlust des heiligen Kriegers, auch wenn sie ihn kaum gekannt hatte. Aber innerlich wünschte sie sich mehr Zeit gehabt zu haben.

Die Leichen stapelten sich im Tunnel. Immer wieder erlöste der Dolch eine weitere arme Seele. Noch nie hatte Leonardo sich so gut gefühlt. Noch nie hatte er solch eine Kälte gespürt. Inzwischen hatte er mehrere tödliche Wunden davon getragen. Er pustete ein letztes Mal den Rauch seiner Zigarette aus den Lungen, als der Letzte der Untoten fiel. Dann schnippte er den übriggebliebenen Stängel mit den Fingern weg. Seine Knie wurden weich und gaben nach. Röchelnd hustete er Blut. Nur mit den Händen konnte er sich noch auf allen vieren halten. Er hegte keinerlei Illusionen über seinen Zustand. In wenigen Sekunden würde er sein Leben aushauchen. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Züge. Er hatte sich für ein höheres Ziel geopfert. Hoffentlich würde er vorm himmlischen Vater, mit vor stolz geschwellter Brust, stehen. Der Engel hatte aber Zweifel in ihm geweckt. Zweifel an dem was er getan hatte. Für den wahren Glauben hatte er unzählige heidnische Seelen zur Hölle fahren lassen, doch Lucia hatte Zweifel an der Richtigkeit dieser Taten geweckt. Er starb mit den Zweifeln. Zweifeln und Hoffnung. Hoffnung, dass Lucia mit ihrer Mission Erfolg haben würde. Nein, er wusste, dass sie Erfolg haben würde. Nun war es für ihn aber an der Zeit eine Reise anzutreten. Eine lange Reise, ohne Wiederkehr. Der Paladin Leonardo brach tot, in der Lache seines eigenen Blutes, mit einem seligen Lächeln auf den Lippen, zusammen. Lächelnd, weil er wusste, dass Lucias Mission vom Erfolg gekrönt sein würde und er dabei mitgewirkt hatte.

Schweigend durchstampften sie den Tunnel. Niemand traute sich so recht etwas zu sagen. Die Kampfgeräusche hatten schon vor einiger Zeit aufgehört. Niemand wagte das auszusprechen, was allen durch den Kopf ging. Leonardo war tot. Schwermütig rieb Lucy an der Oberfläche des Kreuzes. Inzwischen zweifelte sie an ihrer Entscheidung. Sie hatte sich doch versprochen, alle heil hier raus zu bringen, doch sie hatte versagt. Wieder einmal. Sam war verflucht und Leonardo war tot. Azrael war immer noch am Leben und sie hatten erst ein einziges Höllentor geschlossen. Den Drahtzieher dahinter kannten sie immer noch nicht. Und was taten sie in all diesem Chaos? Sie folgten einer Karte, von der sie nicht einmal wussten, ob sie echt war. Wieder einer dieser verdammten Augenblicke, wo sie sich bewusst wurde, dass sie mehr Niederlagen im Leben gehabt hatte als Siege. Sie betrachtete das Lederband, an dem das Kreuz hing. Ohne groß nachzudenken, hing Lucy sich das Schmuckstück um den Hals, während sie an all jene dachte, die während ihrer unzähligen Missionen gestorben waren. Egal, was die da oben sagen werden. Leonardo, dein Opfer wird nicht vergeblich sein, dachte sie grimmig. Schließlich kamen sie in eine gewaltige Höhle. Erstaunt sahen sie auf eine uralte Ruinenstadt, die sich direkt in einer Art Kessel befand. Sie wurde mithilfe von Licht reflektierender Spiegel erhellt. „Oh mein Gott“, keuchte Mark. „Das war alles die ganze Zeit hier unten?!“ „Das wäre nicht das erste Mal, dass eine Stadt über eine andere Stadt gebaut worden wäre“, sagte Lucy ruhig. Sie schaute nach unten. Ein paar Steinchen lösten sich von der Plattform, auf der sie standen und fielen in unendliche Schwärze. Der Engel pfiff. „Da geht es ganz schön weit runter.“ Nachdenklich hielt sie sich das Kinn. Sie musste die beiden irgendwie sicher und vor allem schnell darunter bringen. Doch wie? Klettern kam nicht in Frage, dass wäre zu zeitaufwendig. Und fliegen ging auch nicht. Das war einer der Nachteile eines Teams. Lucy wäre alleine ohne groß nachzudenken runtergesprungen. Ihr hätte der Sturz nichts ausgemacht. Bei den anderen war das nicht so. Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als der Träger der Fangarme mit einem Satz vor ihr auftauchte. Ein weiterer Dämon den sie kannte. „Ich werde dich vernichten, Engelgesocks! Ich - der große und ruhmreiche Ridrokadash - werde Lucia die Wächterin des Himmels vernichten. Du glaubst wohl, du hättest eine Chance gegen mich, aber die hast du nicht. Es wurden schon ganze Heldenlieder über meine Gräueltaten geschrieben, die…“, Lucy hörte nicht mehr zu, sie gähnte nur noch. Immer dieser Wichtigtuer. Sie schoss auf den dicken Bauch, dem die Kugel nichts ausmachte. „Hör auf zu faseln, du Fettsack!“ Sofort wurde aus dem ruhmreichen Ridrokadash ein wimmerndes Baby. „D-du hast doch versprochen, dass du nicht mehr auf mein Gewichtsproblem herumhackst“ „Stimmt“, antwortete der Engel gelassen. Sie zeigte mit dem Lauf ihres Revolvers auf ihn. „Aber du hast auch versprochen mir im Gegenzug keine Vorträge mehr zu halten! Auch wenn es das Einzige ist, was du kannst.“ Sie trennte die Fangarme des Dämons mit gezielten Schüssen ab. Jetzt wo Ridrokadash sich gezeigt hatte, war er leichte Beute für sie. Musternd sah sie den armlosen Dämon an. „Bist du noch fetter geworden?“ Sie grinste verschlagen. Ihr kam da eine gute Idee. „Mark, Sam kommt mal her!“ Sofort standen Sam und ein nervöser Mark bei ihr. Lucy zog ihre Pistole. Ehe der Dämon wusste, wie ihm geschah, wurde ihm ein Bein weggeschossen. Taumelnd kämpfte er um sein Gleichgewicht. Lucy nahm sich unterdessen Sam und Mark unter die Arme. Mit vollem Anlauf trat sie den Dämon in den Magen und stieß somit alle in die Schlucht. Alle vier schrien. Mark vor Angst, genau wie Sam und der Dämon. Lucy schrie vor Freude, denn sie hatte einem schnellen Weg nach unten gefunden.

Dark folgte seinen Gefühlen. Er spürte Kira. Sie entfernte sich schnell und noch wusste Dark nicht, ob dieses Gespür nur für eine bestimmte Reichweite galt. Er musste sich beeilen, bevor er sie noch verlor. Leider stellten sich ihm ganze Dämonenhorden in den Weg. Jemand schien ihn aufhalten zu wollen, aber dieser kannte Dark schlecht. Immer wieder erwachte der Dämon in ihm und tötete alle. Gerade als er wieder erfolgreich einen Trupp ausgelöscht und sich beruhigt hatte, hörte er eine ihm unbekannte Stimme, die da sagte: „Hey, bist du dieser Dark von dem immer alle reden?“ Langsam drehte der Junge sich um. Das rote Glühen in seinen Augen und die schwarz pulsierenden Adern verhießen nichts Gutes. Der Dämon war wieder erwacht.

Fortsetzung folgt…


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Engeltod XVI – Entführung"

So hier Teil 16. Das schreiben ist bei mir wie mit Videospielen, je näher ich dem Ende komme, desto schwerer wird es für mich aufzuhören. Kann also sein, dass meine Arbeiten darunter leiden. Sorry.


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