Engeltod XV – Sensenmänner

© EINsamer wANDERER

Es regnete Asche auf die beiden Monsterjäger nieder. Vergil wirbelte die Luft zum Glück so um, dass die beiden nicht allzu viele Flocken abbekamen. Der Himmel war voller Rauchwolken. Die Sonne konnte mit all ihrer Kraft gar nicht durchkommen. Bei jedem Atemzug füllten sich die Lungen mit Rauch und dem Gestank von Schwefel. Das Atmen fiel schwer. Witch hatte inzwischen eines ihrer zahllosen Amulette aktiviert, um die Hitze zu ertragen. Vergil brauchte sowas nicht. Die Hitze machte ihm nichts aus und brachte ihn noch nicht einmal zum Schwitzen. Vorsichtig folgten sie den schmalen, brüchigen Faden der Straße. Sie war zu einer lebenden Todesfalle geworden. Unter ihnen flossen kochende Lavaströme. Die dicke Ascheschicht auf der Straße machte sie zur Rutschbahn. Jeder Schritt konnte der letzte sein. „Och, Scheiße!“, fluchte Witch. „Was ist denn nun schon wieder?“, stöhnte der Dämonenjäger. „Wir müssen nach links.“ Gelangweilt schaute Vergil nach links. Es gab keine Abbiegung oder der gleichen. Nur Feuer. „Sieht aus, als würden wir lernen müssen, auf flüssiger Lava zu laufen.“ Witch schnalzte mit der Zunge. Gerade als sie zu einer Antwort ansetzen wollte, brach durch das Feuer ein großer Schwarm geflügelter Dämonen empor. Sie waren wie raubtierartige Libellen aus heißer Lava. Sie bildeten einen glühenden Wirbel um die beiden Jäger. Anscheinend erhofften sie sich dadurch bessere Chancen auf einen Sieg. Aber es war egal, was sie taten, den beiden Profis konnten sie nicht das Wasser reichen. „Nanananana. Calling Mr. Killjoy!“, sang Vergil laut, während er mit seinen Pistolen Tod und Verderben säte. Der Song war Mr. Killjoy von Lordi, sein zweitliebster Song überhaupt. Jeder Dämon, der getroffen wurde, erkaltete und fiel als Steinstatue in den heißen Fluss. Während Vergil sang und um sich feuerte wie ein Wahnsinniger, versuchte Witch es ebenfalls mit ihrer Schrotflinte. Obwohl sie es nicht schaffte so viele und zielgenau zu erwischen wie Vergil, machte sie doch einen ganz guten Schnitt. Als der Letzte erkaltete und in den flammenden Fluss fiel, meinte Witch: „Genau deshalb habe ich dich mitgenommen. Ist dir schon mal aufgefallen, dass du für einen Elementar ganz schön stark bist?“ Trotz zahlreicher Einsätze, verblüffte Witch immer wieder, wie schnell, stark und zielgenau der Dämonenjäger doch war, das wusste Vergil und er liebte es. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Vergil ohne auf ihre Frage einzugehen. „Warte mal einen Moment.“ Witch spielte eine kleine Melodie auf Bon Scott. Aus dem feurigen Fluss erhob sich eine Art Straße aus Lava nach links. Schnell erkaltete sich das flüssige Gestein. Ohne die neuentstandene Straße auf ihre Sicherheit hin zu prüfen, schritt der Dämonenjäger einfach drüber. Witch folgte ihm, aber sie war nicht ganz so selbstsicher wie er. Ihr schien die Hitze nicht zu bekommen, welche die provisorisch errichtete Straße noch in sich hatte. Oder war Vergil, was das anbelangte, abgehärteter?
Die beiden folgten den Weg, bis sie zu einer Art Vulkan kamen. Aus seinem Krater ergoss sich die flüssige Lava der Unterwelt in die Welt der Sterblichen. Dichter Qualm und Ascheflocken entstiegen ihm und machten das Atmen schwer. Witch zeigte auf den Vulkan. „Das ist das Tor.“ Vergil zog Verdammnis und Erlösung. „Also gut. Bringen wir die Nummer zwei hinter uns.“ Aus der Lava entstieg, als wäre es einfaches Wasser, ein rothäutiger Dämon mit einem bepelzten und wütend peitschenden Schwanz. Zwei Hörner sprossen aus seinem kahlen Kopf. Ein großer, brennender Hammer diente ihm als Waffe. „Ihr niederen Kreaturen werdet den Plan von Meister Dark niemals durchkreuzen! Ich bin einer der wenigen Überlebenden von Amons Armee. Des mächtigsten aller Höllenfürsten. Der, der fast alle seine Männer auf seinen Kreuzzug durch die Hölle tötete. Nur die Stärksten überlebten und nun steht ihr vor einem dieser Überlebenden.“ Bei diesen Worten verschränkte Vergil die Arme. „Wirklich? Ich habe schon viele getötet, die behauptet haben, Amon zu dienen und unter uns gesagt, hatten die überhaupt nichts drauf. Und das müssten ungefähr …“, Vergil tat so, als ob er überlegen würde. „Vielleicht so um und bei siebzig Legionen gewesen sein. Amon hatte aber nur sechzig Armeen. Und einige passten auch vom Alter gar nicht. Daher meine Theorie, dass so gut wie jeder von euch Dämonenloser behauptet seinen Angriff überlebt zu haben, um seinen eigenen Ruf aufzumotzen. Und jetzt kommen wir zu meiner eigentlichen Frage. Hast du es nun drauf oder nicht?“, dabei zog er provozierend eine Augenbraue hoch. Witch klatschte anerkennend in die Hände. „Schöner Vortrag.“ Der Dämon zitterte vor Wut. Wütend stampfte er auf die beiden zu, den Hammer hoch erhoben. „Ihr werdet sterben!“, brüllte er zornig, doch die Monsterjäger beachteten ihn gar nicht weiter. „Danke“, meinte Vergil. „Das musste aber auch mal jemand sagen.“ Der Hammer sauste genau auf Vergil nieder. Man hörte, ohne es zu sehen, wie ein Schwert die Luft durchschnitt. Genau in dem Moment, in dem die Waffe Vergil hätte treffen müssen, flog der Kopf des Hammers weg und ließ nur den abgetrennten Stiel zurück. Verwundert starrte der Dämon auf das sauberabgetrennte Ende seiner stolzen Waffe. Sobald er erkannte, was geschehen war, begann er am ganzen Leib zu zittern. Panisch stolperte er rückwärts in die Lava. Seine verängstigten Augen starrten auf den Dämonenjäger, der ihn mit einem verwegenen Lächeln bedachte. Witch hatte unterdessen damit begonnen das Portal zu schließen. Der Dämon fing sich wieder. Wütend versuchte er Vergil zu packen. Der Dämonenjäger machte noch nicht einmal Anstalten auszuweichen oder anzugreifen und ließ sich ohne Gegenwehr in die Hand einschließen. Freudig lachend tunkte der Dämon die Faust mit dem Jäger in die Lava. Als er sie wieder rausnahm, sah er keine Spur von Vergil, nur einige Überreste vom flüssigen Gestein. Lachend schüttelte er die Reste der langsam abkühlenden Lava ab. Gerade als er sich Witch widmen wollte, hörte er eine bekannte Stimme. „Hey! Solltest du dich nicht erst einmal um mich kümmern.“ Voller Angst schaute der Dämon auf seine Schulter. Dort lag Vergil vollkommen entspannt auf dem Rücken und schaute zum verhangenen Himmel. „Die Farbe gefällt mir. Ist mal was anderes als immer dieses Blau.“ Gerade als der Dämon ihn wieder greifen wollte, sprang er von der Schulter. Er landete sauber auf einem Flecken getrockneter Lava. Der Zauberspruch zeigte bereits erste Auswirkungen auf dem Schlachtfeld. Das Gestein begann abzukühlen. Der Vulkan schrumpfte und hatte aufgehört neue Lava zu produzieren. Der Ascheregen war weniger geworden. Aber der Qualm hatte dafür vollkommen aufgehört. Vergil lächelte fies. „Finish him!“, sagte er zu sich selber. Wieder zog er Gaara. Mit der scharfen Klinge durchschnitt er die Luft und tötete den Dämon auf fast genau dieselbe Weise, wie Raphael. Der einzige Unterschied war, dass der Dämon diesmal nicht in Flammen aufging. Aber er zerfiel genau auf dieselbe Art und Weise. Gerade als Vergil sich dem Vulkan zuwandte, hörte er das Brüllen des eigentlich toten Dämons. Sein Geist raste auf Vergil zu. Der verzog keine Miene oder würdigte den rasenden Dämon auch nur eines einzigen Blickes, als er Verdammnis zog und ihn mitten in die Stirn schoss. Funkensprühend löste der Dämon sich auf. „Und wieder hat Dark einen Dämon weniger“, murmelte Vergil amüsiert zu sich selbst, während er die Pistole weggesteckte. Der Vulkan war Geschichte und mit ihm das Höllentor. „Und das war die Zwei“, meinte Vergil zu Witch, die erschöpft nickte. „Dir scheint diese Hölle ja ziemlich eingeheizt zu haben“, meinte Vergil scherzend. „Lass uns weitergehen, bevor ich dich noch in eine Kröte verwandel.“, murrte sie.

Kira umklammerte Darks Arm so stark, dass er kaum noch Gefühl darin hatte. Ihre Angst kann man schon beinahe schmecken, meinte Baal hämisch. Sie folgten der Straße aus Totenschädeln. An allem haftete der Geruch des Todes. Es war gespenstisch ruhig. Dark fragte sich was schlimmer war, totale stille oder ein gespenstisch heulender Wind. Überall lagen Knochen umher. Keine Vögel. Keine Ratten. Alles was hätte Grün sein müssen, war verdorrt und eingegangen. An einige Laternenmasten baumelten erhängte Skelette. Nichts deutete auf Leben hin. „Sag mal“, brach Kira nach einiger Zeit das Schweigen, „was bist du eigentlich? So eine Art Superheld?“ Dark schaute sie nicht an. Seine Augen waren nach vorne gerichtet und sondierten die Gegend. „Eher nicht.“ „Bist du so wie Jackie Estacado aus The Darkness?“ Dark gluckste. „Wer?“ „Er ist ein Mafiakiller, der von einer dämonischen Macht besessen ist und von den Mächten des Himmels gejagt wird.“ Haben wir noch einen großen, bösen Bruder von dem wir nichts wissen, John?, den Namen sprach der Dämon voller Häme und Genuss aus. Der Junge ignorierte Baal. „So ähnlich“, meinte er. „Was dagegen, wenn ich dich dann Jackie nenne?“ Dark stöhnte. „Nenn mich, wie du willst. Mir egal.“ Er ließ Kira seine schlechte Laune spüren. Wieso müssen Mädchen immer so viel reden?, fragte er sich. Wie um seine Ansichten zu bestätigen, fuhr Kira mit ihrer Stocherei weiter. „Nervt es dich gar nicht, dass dir der Pony so ins Gesicht hängt?“ Dark richtete die Augen nach oben. Sein Pony war wirklich etwas lang, aber es störte ihn nicht weiter. Er hatte Wichtigeres zu tun, als sowas. „Sag mal, nervst du jeden, der dir das Leben gerettet hat?“, fuhr er sie böse an. Seine Geduld war am Ende. Er wollte nachdenken. Für ihn gab es nur zwei Möglichketen. Entweder er ging zurück in den Nebel oder ließ sich von Azrael töten. Und er wusste nicht so recht, welche Option die Richtige war. Welche Realität die Richtige war. Und deshalb musste er nachdenken. Deshalb brauchte er für einige Zeit vollkommene Ruhe. Sofort ließ Kira seinen Arm los und entfernte sich ein paar Schritte rückwärts. „Wieso bist du nur so gemein zu mir? Wieso bist du so …“, weiter kam sie nicht. Plötzlich hielt sie sich den Kopf und fing an zu schreien. Aus dem Boden stiegen Geister empor, die wie wild um sie wirbelten. Es war wie bei einem Hurrikan, dessen Zentrum Kira war. Sie schrie immer weiter. Durch die Geister hindurch klang es aber seltsam verzerrt und schrill. „Was ist denn jetzt los?!“, fragte Dark. Das Mädchen schien mehr zu sein, als es den Anschein hatte. Ach, haben wir dir das nicht erzählt?, meinte Baal gespielt überrascht. Die Kleine ist ein mächtiges Medium oder was meinst du, warum dieser Dämon so stark gewesen war, obwohl du ihn mit einem Schlag hättest besiegen können? Das Mädchen ist mächtig. Aber scheinbar hat sie keine Kontrolle über ihre Fähigkeiten, wie schade. Jetzt muss sie leider sterben. Dark biss die Zähne zusammen. „Wir müssen doch irgendetwas tun können!“ Wie zum Beispiel …?, fragte Baal. Dark überlegte kurz. „Hey, ihr! Ich bin der Monsterschlächter! Wer von euch will sich mit mir Anlegen?! Wer will den Tod?! Kommt her! Wenn es sein muss, nehme ich es mit euch allen auf einmal auf!“ Sehr einfallsreich, kommentierte Baal. Aber die Geister ließen nicht ab. Sie sogen etwas Blaues, Durchsichtiges aus Kira heraus. Dann ließen sie von ihr ab und wirbelten ein Stückchen weiter entfernt. Sie wirbelten immer schneller und schneller, bis sich ein großer, schwarzer Sensenmann mit dem Gesicht eines alten Mannes im Zentrum herauskristallisierte und den Strudel einfach absorbierte. Sie haben sich ein bisschen von der Energie des Mädchens zunutze gemacht und sind dann mit einander verschmolzen, um ihren „Beschützer“ zu besiegen und sich dann alle Macht zu nehmen. „Ihren Beschützer?“, fragte Dark. Der Sensenmann schaute ihn herablassend an. So wie es aussah, war Dark ihr Beschützer. Dann wandte sich der Sensenmann an Kira. Die Sense wirbelte durch die Luft. Er schien sie töten zu wollen, bevor es zu einem Kampf kam. Dark konnte nichts machen. Sein Körper bewegte sich wie von selbst – wie in einem Traum. Und ehe er es sich versah, steckte ihm das Sensenblatt auch schon im Bauch. Die Kälte in seinem Körper ließ keine Schmerzen zu. Dunkel und Unheilverkündend starrte er in die trüben Augen des Sensenmannes. Die Geisterklinge zertrennte die Sense. Der Dämon stolperte überrascht einige Schritte zurück. Dark setzte zu einem Sprung an. Mit einem Schlag zerschnitt er die Fratze des Sensenmannes. Das Gesicht teilte sich in zwei Hälften und die Seelen kamen heraus. Sie alle wurden von einem Sog in Darks Körper gezerrt. Der Ort – diese Hölle- hatte die Macht sie zu zeigen und zum ersten Mal sah Dark, wie die Seelen der Dämonen und Monster auf ihn übergingen. Mehr sogar. Er spürte es richtig. Sie mussten zu ihm. Er hatte sie besiegt. Es war ein unbeugsames Gesetz, welches sie dazu zwang. Er spürte, wie sie sich dagegen sträubten, aber sie konnten sich dem Zwang nicht entziehen. Als auch der Letzte von ihnen auf ihn übergegangen war, zog er sich das Sensenblatt heraus. Er drehte sich zu Kira um. „Alles in Ordnung?“ Im nächsten Moment wurde Dark bleich. Kira lag leblos auf dem Boden. Sofort rannte Dark auf sie zu. Er schlug ihr leicht gegen die Wangen. „Hey! Wach auf!“ Sie ist bestimmt nur in Ohnmacht gefallen, meinte Baal abtuend. Ein Blick über ihren Körper sagte das genaue Gegenteil aus. Die Sense hatte nicht nur Dark durchbohrt, sondern auch sie. Genau ins Herz „Oh, Scheiße! Was machen wir denn jetzt?!“ Wir hätten da einen Vorschlag der … Nein, nein, das wäre völlig absurd … Das würde niemals klappen. Keine Chance. Dark hörte nur halb zu. Seine Augen klebten an der Blutlache, die sich immer weiter ausbreitete. „Sie ist tot“, meinte er mit hängendem Kopf. Was?! Nein! Ein kleiner Lebensfunke steckt noch in ihr. Wenn du uns die Seelen des Sensenmannes von eben überlässt, werden wir dir zeigen, wie du sie retten kannst. „Ja, ja. Du bekommst sie.“ Okay. Schneide dir in die Hand und gib etwas Blut in ihre Wunde, dann wird sie Leben! Dark machte wie ihn geraten war. Mit der Geisterklinge schnitt er sich in die Handfläche. Schwarz und zähflüssig tropfte ein Faden verdorbenes Blut langsam in Kiras offene Herzwunde hinein. Als das schwarze Blut schließlich in die Wunde eintauchte, schloss sie sich. Doch an ihrer Stelle kamen schwarze Tribale, welche ein Auge bildeten. Beim Anblick stieg Panik in Dark hoch, aber er unterdrückte sie. Langsam schloss sich das Loch in der Kleidung, wie lebendes Gewebe. Er überprüfte ihren Puls und seufzte erleichtert. Sie lebte noch. Er nahm die noch ohnmächtige Kira auf seine Schulter und ging weiter. „Wie lange wird die Ohnmacht anhalten?“ Ein, vielleicht zwei Stunden, vorausgesetzt sie überlebt. „Was?!“ Dark hielt sofort inne. Es gab also doch einen Hacken! Na, ob sie unserer Verderbnis standhält. Nicht jeder kann unsere Macht so vertragen, wie du, erklärte der Dämon unwirsch. Aber keine Sorge. Sie ist ein mächtiges Medium und hat auch nur eine kleine Dosis abbekommen, die in deinen Blut schwimmt. Die Chancen stehen gut. Dark seufzte. Irgendwann würde der Dämon ihn noch ins Grab bringen. Aber genau das ist ja seine Absicht, schalt er sich. Schließlich roch er Rauch. Leise Stimmen drangen an sein Ohr. War das jetzt wieder nur Einbildung? Er schüttelte den Kopf. Der Nebel war fort. Jetzt war Schluss mit den Illusionen. Also schlug er die Richtung ein, aus der er die Stimmen vermutete. Schließlich bog er in eine kleine Seitenstraße ein. Dort war eine kleine Gruppe von zerlumpten Menschen, die um ein kleines Lagerfeuer saßen. Sie waren mit Schmutz und Blut verdreckt. In ihren Augen waren Angst und Hoffnungslosigkeit. Wortlos ließ Dark Kira auf den Boden sinken und setzte sich ans Feuer. Dark fühlte, wie sie ihn argwöhnisch betrachteten. Plötzlich fühlte er eine seltsame Veränderung. Er fühlte sich verwirrt und orientierungslos. Wusste nicht, wo er war oder wie er hierhergekommen war. Es dauerte einen Moment, bis er merkte, dass es nicht seine Gefühle waren. Es waren die von Kira! Was hatte Baal bloß wieder angerichtet? Ach? Haben wir wieder vergessen dir das zu sagen?, wieder spielte der Dämon den Verwunderten. Wütend knirschte Dark mit den Zähnen. Die Kleine ist nun unsere Dienerin, genau wie du. Ihr seid mit uns verbunden und wir mit euch. So sind wir alle eins. Ihr werdet fühlen, was wir fühlen und fühlen, was ihr untereinander fühlt. Baal lachte hämisch. Jetzt war auch Kira in seiner Gewalt. Je schneller Dark von ihr weg kam, desto besser. Sie sollte nicht so enden, wie er. Sofort war er auf den Beinen. Er wandte sich an die Menschen. „Ich übergebe sie in eure Obhut. Behandelt sie gut und bringt sie hier raus.“ Dark wandte sich zum Gehen „Wo wollt Ihr hin?“ Dark hielt inne. Er drehte sich nicht um, denn er wollte gar nicht wissen, wer da sprach. „Ich will auch weg von hier. Aber wir haben zu unterschiedliche Ziele und Wege. Ich kann euch nicht folgen.“ Damit verschwand Dark. Er spürte noch die Trauer von Kira, als sie merkte, dass er weg war. Für immer.

Langsam schritt Azrael zur Bühne. Sein Instinkt hatte ihn zu einem alten, verlassen Theater gebracht. Beim Eingang hatte er einen alten Gaul gesehen und getötet. Dadurch wusste er, wem er hier begegnen würde. Die Vorhänge waren in roten Fetzen. Die Polster der Sitze teilweise aufgeschlitzt. Überall war Staub. In den Ecken waren Spinnenweben. Dort vorne auf der maroden Bühne stand er. Tod einer der vier Reiter. Einst war er Azraels Idol gewesen, doch heute würde er der Bewunderung für den Dämon ein Ende bereiten. Er würde den Tod selbst töten. Lächelnd schritt er auf den Reiter zu, der unbeweglich wie eine Statue auf der alten Holzbühne stand. Die Sense in einer Hand haltend, wie einen Stab. Seine Haltung war wie die eines legendären Beschützers. Keiner von beiden wechselte ein Wort. Es war auch gar nicht nötig. Sie verstanden auch ohne Worte. Nur einer der beiden Sensenmänner würde diesen Kampf überleben. Tod sprang mit einem Satz von der Bühne. Die Sense furchteinflößend durch die Luft wirbelnd. Als die Waffe auf Caedes traf, sprühten Funken. Die beiden, die schon so vielen den Tod gebracht hatten, sahen sich unverwandt gegenüber. Azrael schleuderte den Reiter von sich. Er stürmte brüllend auf seinen Gegner zu. Doch Tod sprang in die Höhe und ließ ihn unter sich weg rennen. Sofort neigte Azrael seinen Körper in Richtung seines Gegners. Er stürzte fast, konnte aber seinen Fall mit der freien Hand abstützen. Er kam gar nicht zum Stehen, da sprintete er erneut auf Tod zu. Der warf seine Sense in Richtung Azrael. Die Waffe des Todes teilte den Todesengel in zwei Hälften. Aber das Blut verband die Hälften des Körpers wieder miteinander. Wütend stieß Azrael sein Schwert in den Bauch von Tod. Dann schleuderte er den Sensenmann in die Sitzreihen. Krachend flogen die Sitze gegen die Wände. Staub wurde aufgewirbelt. Azrael zog an der Kette und holte damit sein Opfer zurück. Er schleuderte ihn erneut von sich, diesmal gegen die Tribüne. Er zog Caedes aus dem Leib des Reiters. Langsam schritt er auf den Sensenmann zu. „Und dich soll ich mal bewundert haben? Was für ein Narr muss ich damals gewesen sein.“ Azrael sprang in die Luft und mit einem heftigen Hieb, teilte er den Sensenmann in zwei Teile, gerade noch bevor er die Sense zur Verteidigung heben konnte. Aber die Bewegung des Reiters war zu langsam. Als Azrael auf die zerrissene Kutte des Reiters schaute, sickerte Sand, Staub und Asche daraus hervor und verteilte sich in alle vier Himmelsrichtungen. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt Azrael an den Überresten des Reiters vorbei. Er ging hinter die Bühne. Dort war eine Luke, die er hinabstieg. Den Ruf seines Herzens folgend. Bald würde er seine alte Macht wiedererlangt haben. Und dann war das Ende dieser Welt gekommen. Aber sie würde nicht ausreichen. Azrael würde sich noch nicht einmal zufrieden geben, wenn er die Hölle und den Himmel zerstört hatte. Seine Gier nach Blut und Tod kannte keine Grenzen. Aber bald würde diese Gier wenigstens etwas gestillt werden.

Die Sense des Reiters lag einsam und verlassen im Raum. Nichts als die paar Fetzen Kleidung waren von ihren einstigen Besitzer und Herren übrig geblieben. Leise schlich sich ein Dämon in den Saal. Mit einer schnellen Bewegung nahm er die Sense an sich. Niemand sollte bemerken, dass sie weg war, erst recht nicht der Todesengel. Und so machte sich der Dämon mit der Sense aus dem Staub. Jetzt war er ein viel mächtigerer Dämon. So waren die Gesetze der Hölle. Nur der Mächtigste überlebte. Nicht selten stahlen Dämonen, um ihren Hunger nach Macht zu stillen. Sie stahlen, betrogen, intrigierten und mordeten - allein um an die Macht zu kommen. So war es und würde es immer sein. Bis zum Ende der Zeit.

Lucy schaute aus dem Fenster und sah, dass es inzwischen schon früher morgen war. Sie und Sam hatten eine Hälfte des Apartments bezogen, die Männer die andere. Lucy schaute, wie friedlich Sam schlief. Der Engel hatte hingegen kein Auge zugetan. Die Geschöpfe des Himmels schliefen niemals. Aber manchmal wünschte Lucy sich es zu können. Sie hätte vieles getan, um zu wissen, wie es war zu träumen. Das ihr schwarz vor Augen wurde, war nichts Neues, aber sie hatte dabei nie geträumt und auch in Zukunft würde sie es nicht tun. Auf einmal wurde ein Stein durch das Fenster geworfen. Klirrend durchschlug er die Scheibe und riss sie aus ihren Gedanken. Lucy hob den Stein auf. Er war in Papier eingewickelt. Sie schaute aus dem zerbrochenen Fenster und sah gerade noch, wie etwas mit einer ihr bekannten, glockenreichen Narrenkappe floh. Verwundert wickelte sie den Stein aus dem Papier. Zuerst sah sie sich den Stein genau an. Er war ganz normal und besaß keine Anzeichen von schwarzer Magie und war somit vollkommen harmlos. Das Papier war jetzt entscheidend. Es war eine Karte. Der Weg war mit einem roten Faden gekennzeichnet. Am Ende war ein eingekreister Brunnen zu sehen. Und darüber stand in einer vergessenen Schrift Quelle des Lichts. „Egal, wer das geschrieben hat, er muss sehr alt sein und eine grauenvolle Klaue haben. So eine Sauschrift. Ist das jetzt ein e oder ein a?“, murmelte sie scherzhaft zu sich selbst. Leonardo schritt herein. „Was ist los? Ich habe gehört, wie Glas splitterte, während ich mein Morgengebet sprach.“ Ohne den Blick vom Papier zu wenden, sagte sie: „Irgend so ein Raufbold hat Randale gemacht.“ „Was ist das?“, Leonardo zeigte auf das Stück Papier. „Das ist die Karte, die uns zur Quelle des Lichts führen wird. Sie wurde uns per Luftpost zugestellt.“, dabei deutete sie auf das zerbrochene Fenster „Also ein Geschenk von Gottes himmlischen Boten.“ „Nicht ganz.“ Lucy wollte nicht, dass Leonardo wusste, dass der Bote ein Dämon war. Obwohl sie Feinde waren, war der Hofnarr immer zuverlässig gewesen, auch wenn er immer zu Überraschungen neigte. „Was ist das?“, sacht hob Leonardo das Papier an einer Stelle an. Lucy drehte wendete die Karte. „Was steht da?“, fragte der Paladin. „Sagt Sam, ihr Daddy vermisst sie. Und wenn sie ihn lebend wiedersehen will, dann muss …“ Sofort war Sam auf. „Mein Vater wo?!“ „Ruhig, ruhig. Wir finden deinen Vater schon noch“, meinte Lucy abwinkend. Dem Engel kam jetzt aber eine andere Erkenntnis, welche ein vollkommener Gegensatz zu ihrer vorherigen Aussage darstellte. Sams Satz von eben. Er klang nicht so aus, als ob ein Treffen zwischen ihr und ihren Vater friedlich verlaufen würde. „Du sollst in drei Tagen um fünfzehn Uhr auf dem Dach des …“, las der Engel laut vor. Dann hielt sie auf einmal inne, ihre Augen folgten den Angaben aber weiter. Sie rollte das Papier zusammen. „Puh, da sind wirklich viele Angaben mit bei, da können wir den Treffpunkt ja gar nicht verfehlen. Wo ist eigentlich unser Pressefritze?“ Lucy sah sich um Raum um, ohne eine Spur von ihm zu sehen. „Er schläft noch“, meinte Leonardo achselzuckend. Sofort schritt sie in den zweiten Raum. Mark saß aufrecht in einem Sessel und schnarchte vor sich hin. Auf den Boden lag eine leere Dose. Sie hob sie hoch und stellte sie auf Marks Kopf. „Hoffen wir mal, dass er keine plötzliche Bewegung macht, wenn ich schieße“, kaum waren die Worte ihr über die Lippen gekommen, schoss sie. Der Knall weckte Mark unsanft auf. Verängstigt schaute er sich um. Die Dose rollte mit einem großen Loch zu seinen Füßen. Seine Augen weiteten sich, als er erkannte, was passiert war. „Hast du etwa auf mich geschossen?!“ Lucy zuckte mit den Schultern. „Nö. Ich hab bloß auf die Dose geschossen. Ein Glück, dass du dich nicht bewegt hast.“ Was Lucy daraufhin sah, war das Musterbeispiel eines Wutanfalls. Zuerst knirschte Mark mit den Zähnen. Dann versuchte er durch die Zähne hindurch sie anzuschreien, dabei gestikulierte er wild mit den Armen. Schon nach ein paar Augenblicken war Lucy seiner Wut überdrüssig. Sie hatten nicht den ganzen Tag Zeit. Die Uhr tickte bereits. Grob zerrte sie ihn an einem Ohr aus dem Gebäude. Der Paladin und Zombie-Queen folgten ihnen. Ihr nächstes Ziel war klar. Die Quelle des Lichts

„Es ist alles so gemacht worden, wir ihr befohlen hattet“, der Narr verbeugte sich, bis er fast den Boden berührte. Durch die Übertreibung seiner Ehrerbietung, wusste jeder, dass diese nicht ernst gemeint war. „Sehr schön. Jetzt können wir uns um das Mädchen kümmern. Jetzt, da dieser Engel vorerst aus dem Weg geräumt wäre.“ Der Narr lachte innerlich. Hätte der alte Mann gewusst, dass auf der Karte, die den Engel aus dem Verkehr ziehen sollte, eine Nachricht gewesen war – er wäre vor Angst gestorben.

Fortsetzung folgt…


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