Engeltod XIII – Vergangenheit

© EINsamer wANDERER

Die hellen Strahlen der Sonne schienen Vanessa direkt ins Gesicht. Sie blinzelte mehrmals verwirrt. Mit Neugier und Erstaunen betrachtete sie den Sonnenaufgang. Doch genauso schnell wie ihre Faszination geweckt worden war, erlosch sie schon wieder. „Wie langweilig“, meinte sie. Ihr verstorbener Vater hatte ihr immer von der Sonne geschwärmt. Früher hatte sie diese Besessenheit vom Tag nicht verstanden und heute tat sie es erst recht nicht. Sie stand auf und reckte sich. Meister Azrael hatte ihr zwar etwas von seiner Macht gegeben, aber sie fühlte sich nicht verändert. Sie fühlte sich wie sonst auch. Aber etwas war anders, sonst würde sie den kommenden Tag als Häuflein Asche miterleben. Hätte sie einen Spiegel gehabt, hätte sie gesehen, dass ihre Haare sich schwarz verfärbt hatten und wie wilde Flammen tobten. Ihre Zähne waren die eines Haifisches. Ihre blutroten Augen besaßen geschlitzte Pupillen. Ihre Fingernägel waren schwarze Krallen. Das Einzige, was sie merkte war, dass eine Klingenkette nun den Säbel ihres Vaters mit ihren Arm verband. „Guten Morgen, Herrin“, sagte der dickliche Diener. Der Mensch war seinem Herrn bis hierher gefolgt. Er schien sie jetzt ebenfalls als Göttin zu betrachten „Ich habe die Order aufgetragen bekommen, Euch zu sagen, dass der Meister auf der Suche nach seinem Herzen ist. Ihr sollt unterdessen Eure neuen Fähigkeiten erproben. Euch zu ehren, habe ich diese hier angefertigt.“, er übergab Vanessa zwei Schlittschuhe. „Sie sehen nicht besonders aus, aber sie können auf allen laufen. Eis, Metall, Teer, Glas und anderen Oberflächen.“ Vanessa nahm die Schlittschuhe wortlos entgegen. Schnell zog sie das seltsame Paar an und machte sich auf, ihre neuen Kräfte zu erforschen. Auch wenn sie sich nicht verändert vorkam, so konnte sie keine Zweifel in sich erkennen, welche an ihr nagten. Sie würde unbesiegbar sein, sie musste es einfach sein.

Baal wurde auf der Reise durch den Nebel immer wunderlicher und die Angst vor ihm, die Dark hatte, wuchs mit jedem Schritt. Der Dämon hatte begonnen von sich selbst im Plural zu reden und Dark als seinen Bruder zu bezeichnen. Wir sind wie Brüder, meinte er immer wieder. Dark war aber auch nicht besser dran. Die gewalttätigen Visionen zerrten an seinem Verstand. Erkenne was du bist, meinte die neuste Stimme in Darks Kopf. Sie war neben Baal die einzig beständige in seinem verfluchten Schädel. Sie verfolgte ihn und sprach von Dingen die Dark nicht verstand. Er musste hier raus, bevor er seinen Verstand noch ganz verlor. Als er einen Wolkenkratzer entdeckte, dachte er sich, dass er dazu geeignet sei ihre Position zu bestimmen. Dark öffnete den Notausgang des Gebäudes, weil er ihm am nächsten war. Im Inneren war nur Dunkelheit, doch plötzlich erwachte sie zum Leben. Rote Augen mit geschlitzten Pupillen starrten ihn hasserfüllt an. Mäuler mit mehreren Reihen haifischartiger Zähne leckten sich die Finger nach ihm. Dark bekam die Tür gerade noch rechtzeitig zu, bevor die Dunkelheit ihn schnappen konnte. „Puh“, sagte er. „Keine gute Idee.“ Das war unsere wahre Gestalt, meinte Baal. Dark fiel ein rosa Kinderwagen ins Auge. Er war dreckig und hatte mehrere Löcher. Das Weinen daraus konnte nur von einem Kleinkind stammen. Behutsam näherte sich der Junge dem Wagen. Er war auf alles vorbereitet, denn es roch zu sehr nach einer Falle. Langsam schob er die schmutzige Decke des Kindes beiseite. Plötzlich sprang ihm das Skelet eines Säuglings ins Gesicht. Erschrocken hob Dark die Arme und wartete darauf, dass die Finger des Skelets sich in seine Arme krallten. Aber der Moment blieb aus und als Dark die Arme wieder runternahm, war der Kinderwagen verschwunden. „Sieh dich nur an“, meinte eine kindliche Stimme hinter ihm. Dark drehte sich um und sah einen dreizehnjährigen Teenager, wie er rauchend auf dem Bordstein saß. Er hatte dunkelbraune Haare, einem Hund nicht unähnlich. Auf seinem schwarzen T-Shirt war ein rotes Auge aufgemalt und seine Bluejeans war an einigen Stellen zerrissen. Seine dunkelgrünen Augen funkelten Dark herausfordernd an. In der einen Hand hielt er eine brennende Zigarette. „Du warst mal so cool“, meinte er. „Was ist nur aus dir geworden.“ Dark blieb stumm. Nur langsam sickerte die Erkenntnis in seinen Verstand, wer der Junge war. „Was ist aus deinen Plänen geworden? Du wolltest doch die ganze Welt beherrschen, damit alle wissen, wie mächtig und furchteinflößend wir wirklich sind“, der Teenager nahm einen Zug von seiner Zigarette. „Die Träume eines Kindes“, meinte Dark bloß. „Willst du mich anmachen?!“, fuhr ihn der Junge an. „Du bist nur eine Kopie von mir. Mich kannst du nicht berühren“, obwohl Dark überzeugt klang, so war er sich seiner Worte gar nicht sicher. „Klar doch“, meinte der Junge grinsend, „Und all die Macht? Lässt die dich auch kalt? Früher wolltest du alles haben. Du hast dich nicht mit diesen kleinen Krümeln von Baals dunkler Macht abspeisen lassen.“ Dark machte einen schmerzverzerrten Gesichtsausdruck. Das Grinsen des Jungen wurde breiter. Er hatte alte Wunden aufgerissen. Wortlos ging Dark seinen Weg weiter. „John … ich … ich mag dich. Wirklich.“ Dark würdigte die Illusion einer alten geheimen Liebe keines Blickes. Er hatte die Nase voll. Er konnte diese Bilder nicht mehr ertragen. „Dark“ Der Geistervampir stand nun vor ihm. Wieder nur eine Illusion, dachte er sich. Er wollte direkt durch dieses Hirngespinst laufen, doch stattdessen packte der Geist Dark am Handgelenk. „Ich bin echt“, meinte er. Erst jetzt betrachtete Dark ihn genauer. Alles, was vorher blau gewesen war, war jetzt weiß und besaß einen gelblichen Schimmer. Bruder was hast du getan?!, fragte Baal entsetzt. Du hast unseren Feind in dir aufgenommen! Wie konntest du nur?! Das hast du doch mit Absicht gemacht!, warf der Dämon ihm vor. Doch Dark hatte keine Ahnung gehabt. „Ja, es stimmt“, meinte der Geist. „Du hast mich vor dem dunklen Schlund des Dämons gerettet, auch wenn du es nicht bewusst gemacht hast. Inzwischen bin ich mit dem Licht in dir verschmolzen.“ Dark hatte sich inzwischen von seinem ersten Schrecken erholt und riss sich los. „Na toll“, meinte er sarkastisch, „Noch ein Dämon in meinem Körper. Hey Baal, lass uns für unseren Gast eine Willkommensparty schmeißen.“ „Hör mir zu, Dark!“ Jetzt war der Geist erbost, doch der Junge lies das Kalt. Entwaffnend und gespielt Ängstlich zitterte er vor dem Geist. „Oh, jetzt droht mir der große, böse Dämon.“, seine Stimmung änderte sich zu Wut, „Hör mal gut zu du kleiner Wichser, ich habe gerade völlig andere Probleme. Du verziehst dich jetzt oder ich töte dich noch einmal.“ „Ich weiß jetzt, warum der Dämon deine Seele besitzen will“, meinte der Geist. Abrupt wurde Dark still. Er hatte sich immer die Frage gestellt, nach dem Warum. Der Dämon hatte immer geblockt, doch der Geist schien mehr zu wissen. „Du bist ein Dämonenbändiger.“ Dark runzelte die Stirn. „Vor Urzeiten gaben die Engel den Menschen besondere Fähigkeiten, damit sie sich vor den Legionen der Hölle schützen konnten. Die Dämonbändiger waren mit die Mächtigsten unter den Gesegneten. Das Licht in ihren Seelen konnte Dämonen bannen und erlaubte es ihnen ihre unheiligen Kräfte zu nutzen.“ „Auf diese Fähigkeiten kann ich gerne verzichten“, meinte Dark genervt. „Nicht nur du“, erwiderte der Geist. „Die meisten der Bändiger fielen dem Wahnsinn anheim. Sie wurden von Visionen geplagt. Sie sahen die Zukunft und die Vergangenheit. Ich weiß, dass auch du diese Gabe besitzt. In den schlimmsten Fällen aber wurden sie von den Dämonen ausgetrickst. Wenn das geschah, wenn ein Dämon in den Besitz einer so mächtigen Seele kam, stiegen seine Kräfte um ein vielfaches. Deswegen will Baal deine Seele. Er will Macht. Er will dich. Du nährst ihn, aber die kleinen Opfergaben von dir reichen ihm nicht. Er wird erst zufrieden sein, wenn er deine Seele bekommt.“ Dark wurde schwindelig. Alles in seinem Kopf drehte sich. All die Verkettungen der Ereignisse in den letzten Jahren, all die unbeantworteten Fragen waren nur dazu da gewesen, um ihn … Er belügt dich! Er will einen Keil zwischen uns treiben, zischte Baal. „Wieso erzählst du mir das alles?“, fragte Dark den Geist. „Das Monster, das dich besiegt hat. Sein Name ist Azrael. Genau wie Baal ist er ein schwarzer Teufelstitan. Auch wenn die andere Hälfte vampirischer Natur ist. Was ich will ist, dass er vernichtet wird.“ „Sorry man, aber ich will, dass er mich vernichtet“, meinte Dark ergebend. „Wir werden sehen“, meinte der Geist geheimnisvoll. „Ich werde mich jetzt wieder zurückziehen.“ „Besten Dank“, meinte Dark sarkastisch, „vielen Dank für gar nichts!“ „Außerhalb des Nebels dürfte es schwierig werden, mit dir Kontakt aufzunehmen. Allein seine Kräfte erlauben dieses Gespräch. Aber ich werde meinen Weg schon finden“, meinte der Geist, bevor er sich in Luft auflöste. Was für eine Nervensäge, meinte Baal. „Ja, als wenn eine nicht gelangt hätte“, erwiderte Dark. Er war mehr als genervt. Dieser Nebel beeinflusste seine Persönlichkeit, soviel wusste er. Aber wie dem auch sei. Er würde hier nicht wegkommen, wenn er einfach so stehen blieb. Also musste er weiter. Er versuchte die Geräuschkulisse zu überhören, die sich ihm bot. Die Geräusche seiner Mutter, wie sie schrie, keuchte, ächzte und schnaufte. Genauso ignorierte er das Babygeschrei, das darauf folgte. Ebenso den kleinen Säugling der aus einer dunklen Gasse krabbelte. Dark betrachtete ihn kurz aus dem Augenwinkel. Für ein Kind dieses Alters besaß er eine mächtige, bösartige Aura. Das Kind selber war nicht böse. Das Böse lauerte in seinem Inneren. Wir erinnern uns an diese Zeit, meinte Baal. Unser Bruder war damals so unschuldig, so schwach. Und als er uns am dringendsten brauchte … Er legte eine Pause ein, denn die Illusion wurde gegen eine andere ausgetauscht. Ein kleiner blonder Junge wurde von ein paar Halbwüchsigen verprügelt. Schließlich verblassten die Raudies, aber der Junge blieb. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben und weinte. Kamen wir, um zu helfen., vollendete der Dämon. Damals hattest du noch blonde Haare, kommentierte Baal. Immer wieder krümmte sich der Junge unter Schmerzen. Dark schaute kalt auf den Jungen herab. Oh, du Armer, meinte eine Stimme, die wie Baal klang. Aber es war eine Stimme aus der Vergangenheit. Sie sprach zu dem Jungen. Der schniefte und rieb sich die feuchten Augen. „Wer … wer bist du?“, fragte er die Stimme in seinem Kopf. Ich bin ein Freund, der dir helfen will, meinte die Stimme aus Dunkelheit. Diese Wichser hatten überhaupt kein Recht dazu dir weh zu tun. „Solche schlimmen Wörter sagt man nicht! Aber es stimmt“, gab der Junge recht. Genau, stimmte die Stimme zu, Weißt du was? Ich gebe dir die Kraft, dich an diesen Kerlen zu rächen, na? „Was ist rächen?“, fragte der Junge. Schei… man, weißt du wenig, sagte Baal, rächen ist, wenn dir diese Typen Unrecht getan haben und du es ihnen heimzahlst. „Also sowas ähnliches wie Gerechtigkeit.“ Nein, wiedersprach Baal, es ist genau dasselbe. Wenn du dich an ihnen rächst, ist es nur gerecht. Der Junge stand auf. „Also gut. Aber nur, weil es gerecht ist.“ Du bist ein kluger Junge, schmeichelte der Dämon. Dark ging weiter. Er sah dabei sein ganzes Leben an sich vorbeiziehen. Zum Beispiel wie er die Raudies verprügelt hatte. Damals hatte er sich nicht getraut Baal direkt um seine Kräfte zu bitten, stattdessen hatte er sich auf eine viel kleinere Dosis der dunklen Mächte beschränkt, die ihm Baal von sich aus geben konnte. Der Nebel zeigte auch, wie Baal ihn dazu überredet hatte, Süßigkeiten zu klauen, obwohl es seine Mutter strikt verboten hatte. Wie er auf den Schulhof zum gefürchtetsten Schläger wurde. Ein Gespräch mit dem Schuldirektor, in dem seine Mutter empört sagte: „Mein John verprügelt niemanden! Er tut keiner Fliege was zu leide. Und erstrecht nicht so, dass diese armen Jungs dafür auch noch ins Krankenhaus müssen. Welcher Junge dieses Alters schafft es schon, zehn Jugendliche zu verprügeln, die dreiköpfe Größer sind, als er?“ Damals war er in der ersten Klasse gewesen. Er sah auch die Geburt seiner kleinen Schwester. Wie er sie gehasst hatte, ebenso wie Baal. Seine Eltern hatten sich danach nicht mehr um ihn gekümmert. Danach war er immer nur noch an zweiter Stelle gewesen. Und dann kam die Nacht seines Todes und die Geburt des Monsterschlächters. Er sah sein fünfzehnjähriges Ich mit seinem Vater streiten. „Wollt ihr mich verarschen?“, schrie Dark aufgebracht. Genau, stimmte Baal mit ein, ist ein Babysitter für diese kleine Kröte so wichtig? Was bildet sich dieses kleine, einjährige Gör ein! „Tut mir leid, Prinz“, meinte sein Vater. Er hatte Dark immer Prinz genannt, weil er ihn an einem dunklen Prinzen aus einem Märchen erinnert hatte. Der Prinz in dieser Geschichte war von der Dunkelheit gefangen gewesen und hatte unter ihren Einfluss schreckliche Dinge getan, doch am Ende hatte er sie dafür eingesetzt das Richtige zu tun. Und zum Schluss verschwand die Dunkelheit wieder, da einzig der Prinz sie am Leben gehalten hatte und er sich später von ihr hatte trennen müssen. Früher war es seine Lieblingsgeschichte gewesen. „Wir können dich nicht zu dieser Feier fahren, aber das haben wir dir auch von vornherein gesagt“, fuhr sein Vater fort, während er sich seine Krawatte zurecht zupfte. Sollen wir ihm eine Lektion erteilen, fragte Baal böse. Der echte Dark schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein!“, sagte er fassungslos. Er sprintete los, versuchte den Verlauf der Geschichte diesmal zu ändern. „Baal“, sprach die Illusion seines alten Ichs langsam. Dark rannte wie ein Besessener auf die beiden zu. Er versuchte sich zwischen sie zu stellen. „Bitte gib mir etwas von deiner Kraft.“ „Nein!“, schrie Dark die Illusion an, „Du kannst noch überhaupt nicht mit diesen Kräften umgehen!“ Baal hatte zu der Zeit Dark mit der Droge seiner Macht versorgt, ohne die Persönlichkeit seines Wirts zu verändern, aber in jener Nacht hatte er damit begonnen. Dark stellte sich zwischen dem Jungen und seinen Vater. Der Arm des jüngeren Ichs ging durch Dark durch, als würde er nicht existieren. Schockiert starrte der Junge in seine eigenen dämonischen Züge. Die Adern schwarz hervortretend. Die Augen glühend rot. Die Lippen zu einem diabolischen Grinsen verzerrt. Er wagte nicht sich zu seinem toten Vater umzudrehen. Diesen Anblick konnte er kein zweites Mal ertragen. Von einem Augenblick auf den anderen sah Dark die Leichen seiner Mutter und die seiner Schwester, welche kaum ein Jahr alt geworden war, um sich liegen. Die Augen starrten ihn anklagend an. Sein jüngeres Ich lag sich hin und her wiegend am Straßenrand. „Was habe ich getan?“, flüsterte er. Dark ging weiter. Er versuchte die Leichen möglichst nicht anzusehen. Sie verfolgten ihn schon genug in seinen Träumen. Aber das Trauerspiel seines Lebens ging weiter, ob er nun hinsah oder nicht. Die zahllosen Selbstmordversuche. Die Dunkelheit die ihn jedes Mal danach umfangen hatte. Die Erkenntnis, dass er das Dunkel selbst war. Und wie Baal ihn erklärte, was er zu tun hatte, um den Tod zu finden. All das spielte sich vor seinen Augen ein zweites Mal ab. Danach kamen die Schlachten. Die Monster, die er besiegt hatte. Die Momente in denen er seinen inneren Dämon genährt hatte. Jeder einzelne Fehler. All das versuchte er auszublenden, es zu vergessen, doch sein Verstand verweigerte ihm diese Unwissenheit. Das Einzige, was er nicht wiedererkannte, war eine riesige Schildkröte aus Glas, die ihm begegnete. Sie war wahrscheinlich die Illusion eines anderen, der im Nebel umherirrte. Sie war aber auf jeden Fall eine Illusion. Warum sonst konnte sie bei der Größe zweier Hochhäuser keinen Laut von sich geben? Auf ihren Rücken trug sie ein gläsernes Schloss. Ihr ganzer Panzer war mit gewaltigen Dornen bespickt. Am liebsten würden wir ein Erinnerungsfoto davon machen, lenkte Baal ab. Es gibt hier so viele schöne Erinnerungen von uns. Dark stellte sich ein großer Dämon in den Weg. Auch er war nur eine Illusion, die Dark entweder noch nie gesehen oder der Dämon war einfach nur in Vergessenheit geraten. Die Kreatur war groß, hatte einen gewaltigen Bauch und eine knallrote Haut. Seine gelblich verfärbten Hauer sahen ziemlich bedrohlich aus. In der Pranke hielt er einen ganzen Baum, der ihm als primitive Keule diente. Baal meinte, dass er einen Fußpfleger brauchte, was Dark mit einem Blick auf seine Nägel nur bestätigen konnte. Dark und der Dämon gingen auf einander zu. Als sie schließlich Rücken an Rücken standen, hielten sie inne. „Deine Seele ist stark“, meinte der Dämon mit verzerrter Stimme. „Und wenn schon“, erwiderte Dark und ging weiter. Im Hintergrund spielte sich eine Szene aus der Vergangenheit ab. Dark kämpfte dort gegen einen alten, ägyptischen Fledermausdämonen. Der dicke Dämon drehte sich um und versuchte den Jungen mit dem Baum zu erschlagen. Es ist nur eine Illusion, dachte sich der Junge, während der Baum auf ihn niederraste. Aber es war keine Illusion, was Dark erst bemerkte, als der Stamm schmerzend auf seinen Kopf auseinander brach. Der Junge drehte sich nun zu seinem Gegner um. Er kam erst jetzt dazu ihn richtig zu betrachten. Sein Äußeres hatte er schon verinnerlicht, aber nicht sein Inneres und dort spürte er etwas. Es war stark, rein und noch ziemlich menschlich. „Du bist stärker als ich dachte“, meinte der Dämon. Dark lächelte. „Mal sehen, ob ich ein paar meiner neuen Tricks an dir ausprobieren kann.“ Er bildete in seiner Hand zwei Leuchtkugeln, welche er auf den Boden warf. Sie explodierten in purem Licht und machten den Dämonen blind. Kreischend hielt er sich eine Pranke vor Augen und fuchtelte wild mit der anderen umher. Dark sprang auf ihn zu und wollte ihm den Schädel mit seiner Geisterklinge spalten. Aber ein unvorhergesehener Treffer schleuderte ihn an die Wand. Obwohl Dark in der Wand feststeckte, konzentrierte er seinen Willen. Viele Schwerter aus Licht begannen sich um den Riesen zu materialisieren. Und wirbelnd stießen sie in sein Fleisch. Wütend brüllend schleuderte er die Klingen aus seinem Körper. Ein zäher Brocken, meinte Baal, brauchst du unsere große Macht, mein Bruder? Dark antwortete nicht, sondern hielt seine rechte Hand ausgestreckt auf den Dämon. Schnell aktivierte er seine Kräfte. Wieder zeigten sich die Zeichen auf der Haut der Kreatur. Sie wurden heller und heller, je länger Dark sie einsetzte. Schließlich zerfiel der Dämon brüllend. Er wurde zu einer konturlosen Gestalt, die immer kleiner und zierlicher wurde, bis sie schließlich die Form eines Mädchens hatten. Dark betrachtete das bewusstlose Ding. Die kennen wir doch, meinte Baal. Dark nickte nur. Er kannte sie auch. Aber woher genau, das wusste er nicht mehr.

Witch und Vergil gingen durch die zerstörte Stadt. Ab und an stellten sich ihnen irgendwelche Monster in den Weg, aber keine würdigen Gegner. Irgendwann hielt Vergil inne und starrte zum Himmel. „Da kommt etwas auf uns zu“, meinte er bloß. „Ist es dieser Dark?“, fragte Witch. Vergil zuckte bloß mit den Schultern. Etwas krachte laut in die Straße. Aus dem Krater erhob sich ein seltsames Mischwesen in den Himmel. Zur einen Hälfte Dämon, zur anderen etwas vollkommen Gegenteiliges. Lilane Tätowierungen leuchteten auf der dämonischen Hälfte seines Körpers. In der Hand hielt es einen Stab, an dessen Enden jeweils zwei Klingen waren. „Mein Meister Dark schickt mich“, sagte das Wesen, „Ich werde nicht zulassen, dass ihr seine Pläne durchkreuzt.“ „Ach ja?“, meinte Vergil gelangweilt, „Du und welche Armee?“ Das Wesen wirbelte mit seinen Schwingen Luft und Staub auf, die den beiden Jägern entgegenschlug. „Soll das eine Antwort sein?“, fragte Vergil unbeeindruckt. „Du solltest Vorsichtig sein“, meinte Witch, „Der ist stark.“ „Komm mir nicht in die Quere“, sagte der Dämonenjäger zur Hexe, „du wolltest doch unbedingt, dass ich hier Dämonen umpflüge. Also mach ich´s, aber allein.“ Witch entfernte sich ein paar Schritte vom Geschehen. Die beiden Jäger hatten lange genug zusammengearbeitet, um zu wissen, wann es besser war, dem anderen die Bühne zu überlassen. „Glaubst du wirklich, dass du mir Raphael das Wasser reichen kannst?“, spottete das Wesen. „Ich habe unzählige Schlachten gegen Dämonen und Engel geführt. Ich habe die tiefsten Tief…“ „Hat dich jemand nach deinem Lebenslauf gefragt?“, unterbrach der Dämonenjäger die Rede des Wesens. „Ich will dich einfach nur fertig machen. Mehr nicht.“ Vergil zog seine Pistolen. Raphael lachte. „Du willst mich damit aufhalten? Lächerlich. Da sind höchstens alles im allen zwölf Schuss drin.“ Vergil lächelte herausfordernd. „Ach, meinst du wirklich?“ Er feuerte genau zwölf Schüsse auf das Wesen ab. Der Kampfstab des Mischwesens rotierte wie ein Sägeblatt und zerschnitt die Kugeln funkensprühend in der Luft. Dann griff auch Raphael an. Er legte einen Sturzflug hin und versuchte Vergil mit seinem Speer aufzuspießen. Der Dämonenjäger leckte sich in freudiger Erwartung über die Lippen. In derselben Sekunde, in der Vergil eigentlich hätte aufgespießt sein müssen, war der Dämonenjäger verschwunden. Auf der Stelle hielt Raphael an. Er starrte nach oben und schaute auf den Dämonenjäger, der auf die Flügel schoss. Dabei traf er genau die Knochen und zerstörte die Schwingen. Heulend fiel Raphael zu Boden. Vergil landete genau vor seinen Füßen. „Unendlichmunition“, meinte Vergil bloß. „Wenn man weiß wie, kann man auf das Magazin eine Rune malen. Wenn ich dann eine Kugel verschieße, redupliziert sie sich sofort. Nur ein blutiger Anfänger greift heute noch auf normale Muni zurück.“ Stöhnend erhob sich Raphael. „Nicht schlecht. Du hast genau gewusst, wo du schießen musstest, um mich an die Erde zu ketten. Du hast sogar aus dieser Höhe immer noch getroffen. Die Wunden sind halb so schlimm. Aber ich brauche meine Flügel nicht, um dich zu töten.“ Raphael stürmte auf den Jäger zu. Vergil pfiff. „Oha, ein ganz Harter. Der Bossfight scheint in die nächste Phase überzugehen. Dann will ich mal nicht so sein.“ Er steckte seine Pistolen weg und zog sein Schwert, die Scheide behielt er dabei in der anderen Hand. Während Raphael auf ihn zuraste, machte Vergil nur ein paar langsame Schritte. Der Speer zielte auf die Kehle des Dämonenjägers. Vergil duckte sich unter dem Schlag weg und griff den Bauch an, doch Raphael machte einen Sprung nach oben. Vergil sprang ihm hinterher. Beide kreuzten ihre Klingen in der Luft. Vergil aber war in der Luft genauso beweglich wie am Boden. Er fügte dem Mischwesen mehrere kleine Kratzer bei. Manchmal zahlt es sich aus die Kräfte eines Luftdämonen zu haben, dachte er. Nach ein paar Augenblicken landeten sie wieder am Boden. Raphael wirbelte mit den Schwingen Luft auf und ließ sich vom Sog ein paar Schritte nach hinten ziehen. Er keuchte, hatte mehrere kleine Verletzungen und trotzdem brach nicht seine Überheblichkeit. „Ist … ist das alles, was du … was du drauf hast?“, hechelte er. „Das sollte ich eigentlich dich fragen“, meinte Vergil schnippisch. Er war immer noch unverletzt. Er rang noch nicht mal nach Atem. Bisher hatte er auch nicht ernst gemacht. Der Stil des Anderen hatte was für sich. Und bei den wenigen Gelegenheiten, in denen er auf echte Gegner traf, sollte man nicht zu schnell Schluss machen. „Bist du da auch mal fertig?“, mischte sich Witch ungeduldig ein. Beide ignorierten sie. Die leuchtenden Tätowierungen begannen zu schwächeln. Sie begannen zu verblassen. Dann strahlten sie wieder. Doch diesmal schienen sie mehr Druck auf Raphael auszuüben. Er hielt sich den Kopf, sank auf die Knie und schrie wie am Spieß. „Bitte … bitte macht dem ein Ende.“ Langsam schritt Vergil auf den Mischling zu. Gaara in der einen und seine Hülle in der anderen Hand. Ein paar Schritte vor Raphael hielt Vergil inne. Er durchschnitt mit dem Schwert die Luft. Wieder und wieder. Mit jedem Schlag änderte er seine Pose, bis er schließlich mit dem Rücken zu seinem Gegner stand. Zischend fuhr Gaara in seine Scheide. Mit einem Klack war das Schwert wieder versiegelt. „Mission completed“, sagte er. In diesem Moment begann Raphaels Körper in viele kleine sauberabgetrennte Stücke zu zerfallen. Es schien als wenn die Klinge seinen gesamten Körper verstümmelt hätte. Allein der Rumpf war noch intakt. Der zerstörte Körper fing an zu brennen. „Du erinnerst mich stark an einem Dämon, den ich mal kannte“, meinte der besiegte Gegner, als er in den Himmel starrte. „Ich weiß genau, wen du meinst“, meinte Vergil grinsend. Er war seinem Sensei sehr ähnlich. „Du beherrschst die Luft, wie er das …“, weiter kam er nicht, denn sein Leben war zu ende.

Der alte Mann fluchte. Er hätte nicht gedacht, dass dieser Vergil so stark sein würde. Aber letztlich war es genau das was er wollte. Nur jemand mit so einer Kraft konnte seinen Plänen dienlich sein. Trotzdem war der Tod des Halbengels ein herber Verlust für ihn. Wer hätte auch ahnen können, dass dieses schwarze Schwert so eine Magie ausüben könnte oder war es gar der Dämonenjäger selbst, der die Magie des alten Mannes geschwächt hatte? Egal wie sehr er auch bohrte, er konnte diesen Kerl einfach nichts über diesen Kerl herausfinden. Was er war, von wem er abstammte, all das war ein blindes herumtappen im Dunkeln. Aber seine Vergangenheit interessierte auch nicht. Er sollte nur seine Rolle spielen. Aber nun galt es erst mal diesen schießwütigen Engel loszuwerden. Sein zweiter Lakai würde sich darum kümmern.

Vanessa sah vom Dach eines kleineren Hochhauses aus dem Kampf, zwischen dem Mischwesen und dem Mann mit dem roten Mantel, zu. Sie fand ihn sehr interessant. Vor allem an den Weißhaarigen hatte sie einen Narren gefressen. Er war genau der, an dem sie ihre neuen Kräfte erproben konnte. Als der Mischling zu Staub zerfallen war, wandte sie sich vom Geschehen ab. Als sie aufblickte, sah sie den Weißhaarigen genau vor sich. Er ist schnell, durchzuckte sie es. „Lass mich raten, du kommst auch von Dark“, sagte er ruhig. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ „Egal. Es ist mein Auftrag die Dämonen hier zu killen. Nimm ´s nicht allzu persönlich.“ Blitzschnell hatte er sein Schwert gezogen und schlug damit Vanessa dem Kopf ab. Es war ein seltsames Gefühl, nicht nur das trudeln durch die Luft oder das Wissen keinen Körper mehr zu haben. Es war ein komisches Gefühl, als sich ihr Blut zu Fäden bildete und ihren Kopf wieder an seinem rechten Platz führte. Endlich verstand sie, warum Azrael immerzu lächelte. Diese Macht konnte einen nur in den Wahnsinn treiben. Sie war besser als Blut, besser als Sex, besser als jede Droge. Sie berauschte einen. Sie wollte mehr davon. Ihr Säbel wollte das Blut des Weißhaarigen sehen. Der parierte ihren voreiligen Angriff. Funken sprühten, als Stahl auf Stahl traf. Die Hand des Weißhaarigen zitterte. Vanessa zog ihre Klinge weg und ließ gleichzeitig eines ihrer Beine nach oben schnellen, um ihren Gegner zu treffen. Der entging dem Angriff nur knapp, aber ganz konnte er sich ihm nicht entziehen. Einen kleinen Schnitt in die Wange, mehr konnte sie ihm nicht beibringen. Vanessa merkte, dass sie diesem Gegner nicht gewachsen war, noch nicht. Sie wollte nicht durch ihre Unsterblichkeit gewinnen, sondern den Mann durch ihre kämpferischen Fähigkeiten bezwingen. Sie musste sich erst mal zurückziehen. Sie musste sich andere Gegner suchen, schwächere Gegner und dann würde sie sich zu ihm vorarbeiten. Ja, genauso würde sie es anstellen. Kichernd floh sie über die Dächer der Stadt, auf der Suche nach einer geeigneteren Beute.

„Was war das denn?“, murmelte Vergil vor sich hin. Er wusste, dass diese Frau gefährlicher war als alle Dämonen denen er vorher begegnet war. Aber sie schien nicht auf einen Kampf aus zu sein. Zumindest noch nicht. Vergil leckte sich über die Lippen und schmeckte Blut. Verwundert hielt er sich die Wange. Er blutete. Es war lange her, dass er sein eigenes Blut gesehen hatte. Dieser Ausflug wurde immer interessanter. Wahrscheinlich würde sie der einzige würdige Gegner seit langem sein. Langsam rieb er sich mit dem Daumen über die blutigen Finger. „Was ist denn da oben los?“, brüllte Witch. „Gar nichts“, antwortete Vergil. „Dieser Tag wird immer besser und besser. Fehlt nur noch, dass ich einem längst verschollenen Bruder begegne, von dem ich nichts weiß.“, murmelte er sich selbst.

Fortsetzung folgt…


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Engeltod XIII – Vergangenheit"

Ok, was glaubt ihr, wer das bewusstlose Mädchen ist? Ich weiß es, aber wisst ihr es auch?

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