Engeltod XII – Spielschulden

© EINsamer wANDERER

Das Dorf stand in Flammen. Er hatte sich immer vom Feuer faszinieren lassen, bloß dieses Mal nicht. Voller Entsetzen sah er, wie die Silhouette seiner Mutter im Feuer umkam. Etwas warmes und feuchtes rann seine Wange hinunter. Waren das Tränen? Weinte er? Wenn ja, war es das erste Mal. Aber so schnell wie die Tränen gekommen waren Versikten sie wieder. Hasserfüllt blickte er auf die Dämonen hinab. Wie sie voller Freude schrien und brüllten, es machte ihn krank. Und ihr Anführer. Eine Gestalt mit einer riesigen Axt, die sie mit der Leichtigkeit eines Astes schwang. Eines Tages würde er stärker sein als sie und sie töten, wie jeden anderen Dämonen auch.

Vergil wachte aus dem unruhigen Schlaf auf. Seine Augen blieben aber geschlossen. Der Wagen in dem er sich befand ruckelte immer wieder leicht. Aus dem Radio sang irgend so ein Penner: „Living easy, living free. Season ticket on a one-way ride. Asking nothing, leave me be. Taking everything in my stride.“ Das war eine dieser Band die nichts drauf hatte. „Oh Gott, Witch! Kannst du diese Scheißmucke nicht aus machen?!” „Halt die Schnauze, Devilboy! Mein Wagen, mein Soundtrack, kapito?“ ,,Don’t need reason, don’t need rhyme. Aint nothing I would rather do. Going down, party time. My friends are gonna be there too“, trällerte das Radio weiter. „Das ist die größte Band der Welt, sag nichts gegen sie, sonst verdoppel ich deine Spielschulden.” „Ja, ja.“, antwortete Vergil entnervt. Immer dasselbe. Er wusste noch nicht mal warum er sich überhaupt von Witch Geld geliehen hatte. Wie hatte er sich auch von ihr Überreden lassen können? Es ist doch nur für eine Weile. Die Schulden sind nicht hoch und du musst auch nur einen niedrigen Zinssatz zahlen. Mach schnell, sonst ist das Casino bald alle!, äffte er sie in Gedanken nach. Danach war er aus der Spielhölle rausgeschmissen worden, weil er seine Spielschulden nicht hatte bezahlen können und danach kam Witch mit ihren Schulden an. Es war immer dasselbe mit ihr. Sie gab einen mehr, als man wollte und dann kam sie mit ihren Wucherzinsen. Aber sie war nun mal die Beste. Nur sie konnte Pistolen bauen, die Vergils enormen Kräften standhielten. Ansonsten hätte er sie vor seiner Tür stehen gelassen. „Hast du sie schon ausprobiert?“, fragte Witch. Vergil gähnte ungeniert. „Nein. In letzter Zeit hatte ich keine Aufträge und wenn dann war es nur Kleinkram. Du sag mal, ist das Gebiet nicht unter Quarantäne? Die Kontrolle müssten wir doch schon längst durchlaufen haben.“ „Haben wir auch, aber du hast tief und fest gepennt, als wir da waren. Die haben vielleicht geguckt, als der Name Deviloser fiel.“ Deviloser. Jeder Monsterjäger hatte einen anderen Spitznamen mit einer anderen Bedeutung, einer anderen Geschichte und anderen Gerüchten, die sich um ihn rankten. Witch hatte ihren, weil sie die einzige Hexe in der Branche war. Angeblich soll sie wegen irgendwelcher Schwarzmagie aus dem Orden rausgeflogen sein, aber Vergil glaubte nicht daran. Sie war nun mal keine Zauberkünstlerin, sie war eher eine Waffenschmiedin und eine ganz passable Monsterjägerin nebenbei. Jeden Auftrag den man ihr gab, nahm sie an. Auf der einen Seite war es lobenswert, auf der anderen aber waren ihre Honorare dafür sehr deftig. Die meisten überlegten es sich zweimal, ob sie die Hexe engagierten. Und Vergil. Er hatte sich ausschließlich auf die Dämonenjagd spezialisiert. Seine Lieblingsband war Lordi. Sie hatten den Song Devil is a Loser geschrieben, nachdem er dann seinen Laden benannt hatte. Dadurch war er auch zu seinem Spitznamen Deviloser gekommen. Indem man die Nomen seines Ladens zusammengelegt hatte, war er entstanden. Das war die Wahrheit. Es ging aber das Gerücht um, dass Satan ihn in die menschliche Welt geschickt hatte, um sämtliche Pizzas der Welt zu verschlingen. Natürlich war Vergil sich dafür zu schade gewesen, also rebellierte er gegen seinen Meister und seine Brüder. Und dieses Gerücht hatte sich durchgesetzt und Vergil war es wie immer scheißegal. Er machte seine Arbeit gut, dass bestritt niemand. Trotzdem gab es immer irgendwelcher Neidhammel, die sich über solche Gerüchte totlachten. Deviloser, der Halbdämon der die bescheuertste Aufgabe der Hölle erledigen musste. Nicht gerade ein ruhmreicher Name, aber Vergil machte das nichts aus. Er stand darüber und hatte somit seine Philosophie gefunden: Wer sich von einem Loser besiegt lässt, ist ein noch größerer Loser. Und das hatten seine Monsterjäger-Kollegen spätestens dann mitbekommen, wenn sie mit dem Gesicht im Dreck lagen. Die meisten von ihnen brauchten viele Jahre, um sich an die Spitze zu kämpfen. Doch Vergil hatte es innerhalb eines Jahres geschafft, der beste Dämonenjäger zu werden. Viele Kollegen mochten ihn nicht. Er war arrogant, überheblich und launisch. Außerdem war der Dämonenjäger wählerisch, was die Annahme von Aufträgen anging. Er entschied allein aus einem Bauchgefühl heraus, ob er den Auftrag annahm oder nicht. Es gab nur wenige, die mit seinen Launen klar kamen und eine davon war Witch mit ihren Schulden, die sie bei ihm noch eintreiben musste. „Was soll ich da überhaupt?“, quengelte Vergil. „Vor ein paar Tagen ist dort eine Zombieseuche ausgebrochen, welche wir im Auftrag der Regierung beseitigen müssen.“ „Mit Zombies hab ich nichts am Hut, das weißt du alte Hexe doch.“ sagte Vergil verschlafen. „Es geht ja nicht um die Zombies. Sie haben einen dämonischen Ursprung, den wir ebenfalls beseitigen müssen.“ „Und deswegen holst du mich von meiner PS2 weg? Ich war grad dabei den Endboss von Devil May Cry 3 auf sehr schwer zu killen.“ Witch schaute ihn verwundert an. „Ist das nicht das Spiel, wo der Typ ist, der genauso aussieht wie du?“, stichelte sie ihn. Sie hielt nichts von solchen Spielen, das wusste der Dämonenjäger. „Ich imitier Dante nicht, sondern er mich.“ Witch lachte auf. „Klar. Und das ihr beide weiße Harre und einen roten Mantel habt, ist reiner Zufall.“ Sie starrte auf den Mantel von Vergil. „Apropos. Was ist eigentlich mit deinem Mantel passiert? Der sieht ja nach Totalschaden aus.“ Der Dämonenjäger zuckte mit den Schultern. „Ach, so ein paar Mafiosos wollten Schutzgeld von mir haben. Die sind mit einer halben Killerarmee gekommen. Hab´ keinen Kratzer vom Kugelhagel abbekommen. Dafür hat mein Mantel einige Schüsse einkassiert. Aber versuch nicht vom Thema abzulenken. Wieso brauchst du mich nun? Ich kille keine Zombies.“ „Nein, mit den Zombies komm ich schon klar, allerdings hat da anscheinend irgendjemand in all dem Chaos ein paar Portale zur Hölle geöffnet.“ Zum ersten Mal seit der Fahrt schlug Vergil die Augen auf und starrte Witch an. „Soll das heißen, dass dort die Welt untergeht?“ Witch lächelte. Sie schien zu wissen, dass sie sein Interesse geweckt hatte. „Ganz genau.“, bestätigte die Hexe grinsend. „Und da hat mich niemand eingeladen.“ „Nö. Wieso auch? Du bist doch nur der beste Dämonenkiller dieser Generation. Du bist unwichtig.“ Um Vergil begann die Luft zu wirbeln und aufzubrausen. Er selber schien äußerlich zwar gelassen zu sein, innerlich aber tobte er. Für ihn war der Weltuntergang wie eine Party, mit viel Prominenz und er gehörte zu den Promis. Aber niemand hatte es für nötig erachtet ihn direkt einzuladen. Also musste er so die Tanzfläche stürmen. „Da werden aber einige dunkle Götter ziemlich angepisst zu Bett gehen.“, meinte er kampflustig. „Sieht ganz danach aus. Und außerdem …“, sie betrachtete Vergil von Oben bis Unten, als ob sie etwas suchen würde. „kann ich dann meine Babys mal in Aktion sehen.“ „Von mir aus.“, antwortete Vergil. Der Wind legte sich wieder. Er hebte sich seine Kraft für später auf. „Denen werd ich zeigen, was es bedeutet sich mit einem Halbdämon anzulegen.“ Witch schaute ihn entnervt an. „Du bist kein Halbdämon, man! Du bist nur ein Typ, der zufälligerweise die Kräfte von einem Dämon geschenkt bekommen hat.“ Vergil schwieg. Er war zu sehr in seinen Erinnerungen versunken.
Der legendäre, weiße Hundedämon war es gewesen, der Vergil das Kämpfen und alles andere beigebracht hatte. Nachdem sein Dorf von Dämonen überfallen worden war, hatte ihn dieser weise Dämon ironischerweise aufgenommen und war zu seinem Sensei, seinem Lehrmeister, geworden. Damals waren Vergils Haare noch braun und nicht schneeweiß gewesen. Sie waren erst weiß geworden, als sein Sensei in der Lache seines eigenen Blutes sein Leben aushauchte und damit die Kräfte an Vergil weitergereicht hatte. Die Kraft die Luft zu kontrollieren und zu manipulieren. Ein besserer Geruchs- und Gehörsinn. All das und noch einiges mehr hatte der alte Hund Vergil vermacht. Und eben diese Fähigkeiten nutzte er um die Brut der Hölle zu töten.
„I´m on the highway to hell. No stop signs, speed limit. Nobodys gonna slow me down. Like a wheel, gonna spin it. Nobodys gonna mess me round“, ging der Song in all seiner Grotigkeit weiter. Am Wagen kamen die ersten Gebäude vorbei. An einem stand mit Graffiti geschrieben: Welcome to Hell! „Ich seh schon, das wird eine nette Party.“, murmelte Vergil vor sich hin. Auf einmal hielt der Wagen an. Vergil schaute nach vorne. Dort war eine ganze Horde Zombies, die die gesamte Breite der Straße in Anspruch nahm. „I‘m on the Highway to hell.“ Der Dämonenjäger blickte weiter zu Witch. „Warum fahren wir jetzt nicht weiter.“ „Komm einfach mit und helf mir bei der Müllentsorgung.“ Vergil stieg stöhnend aus. Der Wind streichelte ihm durchs Gesicht. Seine Augen mit dem Blau kalten Eises schauten in den wolkenverhangenen Himmel, der ungewöhnlich dunkel war. Genüsslich sog er den beißenden Geruch der Hölle in sich auf. Er war vertraut und doch konnte er ihn nicht beschreiben. Aber nie hatte der Jäger ihn mit so einer Intensität gerochen. Er konnte schon fast die dunklen Kräfte, die hier am Werke waren, auf seiner Zunge schmecken. Routiniert glättete er die Falten seines blutroten Mantels, dessen Saum von Schusslöchern zerfressen war. Unter dem Mantel trug er ein schwarzes T-Shirt mit dem goldenen, grimmig dreinblickenden Totenschädel eines Dämons drauf. An der tarnfarbenen Hose waren zwei leere Halfter befestigt. Sein asiatische Schwert Gaara, war an Vergils Seite befestigt. Eine schwarze Scheide schützte die Klinge. In ihr stand nochmal in goldenen, japanischen Schriftzeichen der Name der Waffe. Vergil hielt sich eine der Ohrmuscheln seines Kopfhörers, den er um den Hals trug, an sein Ohr. Leise dudelte die Musik seiner Lieblingsband Lordi an sein Ohr. Zwei Wildlederstiefel machten den Look komplett. Gelangweilt ging der Dämonenjäger zur Tür des Rücksitzes, um seine neuen Waffen zu holen. „Pass bloß auf damit! Wenn du diese auch noch kaputt machst, werde ich dir keine neuen bauen. Ich hab nämlich die Schnauze voll davon, dir jeden Monat zwei Neue zu machen. Und wehe du machst Kratzer in den Lack, dann bring ich dich eigenhändig um!“, sagte Witch, während sie sich umschaute und eine Karte aus dem Kofferraum hervorholte. „Ja, ja.“, war alles was Vergil dazu sagte. Als wenn die schwarze Karre, mit den Flammen und dem AC/DC-Logo vorne auf der Motorhaube, es wert gewesen wäre berührt zu werden. Inzwischen hatten die Zombies sie schon fast erreicht. Aber die beiden Jäger ignorierten sie starrsinnig weiter. Vergil holte einen kleinen Kasten vom Rücksitz. Vorsichtig öffnete er ihn. Darin lagen sie. Die perfekten Pistolen. Die eine war weiß und für Linkshänder konzipiert. Sie hatte einen einzelnen Lauf und auf ihr stand in kobaltblauer, verschnörkelter Schrift Erlösung. Die andere war ihr Gegenstück. Schwarz, hatte zwei Läufe. Sie war für Rechtshänder. Auf ihr stand in weißer, fetter Druckschrift Verdammnis. Das waren seine Schätze. Sie waren zu gut für diese Zombies. Nein, die musste Gaara schon erledigen. Wie von selbst glitten die beiden Pistolen in ihre Halfter. „Bin soweit. Und du?“, brüllte er zu Witch rüber. Sie schaute abwechselnd zur Karte und zum Kompass, den sie in der Hand hielt. Die Zombies hatten ihr Bewegungstempo verringert. Sie schienen auf etwas zu warten. In einiger Entfernung hörte Vergil einen Hubschrauber. „Witch, ich glaube, du solltest dich beeilen.“ Vergils Stimme war trocken wie die Wüste. Alles schien ihm egal zu sein. Selbst als ein Helikopter der Zombies auftauchte und einer von der Untoten mit seiner Bazooka das Auto in die Luft sprengte, regte er keine Miene. Witch dagegen war wie versteinert. Sie hielt die Sachen immer noch in Händen. Nach einem Moment des Schocks ließ sie diese aber achtlos fallen und ging ungewöhnlich ruhig zu ihrem brennenden Wagen. Ihr Gesicht war grimmig, wie das eines Kriegshelden aus den alten Sagen. Ihre feuerroten Locken bebten sacht, wie ein schlechtes Omen. Bei jedem Schritt klimperten ihre hundert magischen Amulette, Armreifen, Ringe und anderen Schmuck, die sie als Glücksbringer oder wegen ihrer magischen Eigenschaften trug. An ihrer Hüfte war eine doppelläufige Schrotflinte. Witch machte den Kofferraum auf und kramte darin herum. Dabei konnte Vergil sehr gut die Rückseite ihres dunkelbraunen Mantels sehen, auf der ein Pentagramm zu sehen war in dessen Mitte Witch-Bitch stand. Was den Charakter der Hexe anging. Sie war geldgierig, unfair und hatte ein Fable für AC/DC, welches schon fast an Besessenheit grenzte. Warum würde sie sonst ein mit Perlen besetztes Oberteil, wo AC/DC draufstand, tragen? Zu guter letzt holte sie ihre Gitarre hervor. Bon Scott war ihr Name. Sie war nach dem Bon Scott benannt worden. Seltsamerweise funktionierte das Autoradio immer noch. Es begann mit einem neuen Titel. Thunderstruck. Witch spielte unterdessen ein Solo, welches das Lied perfekt ergänzte. Der Himmel über dem Helikopter öffnete seine Schleusen und ließ ein grelles Licht auf ihn niederscheinen. Vergils Nackenhaare sträubten sich. Die Luft lud sich statisch auf und roch nach Magie. Mit ausdrucksloser Miene winkte der Dämonenjäger den Zombies zum Abschied. Verblüfft starrten die Untoten nach oben. Und genau dann, als der Sänger Thunderstruck sang, schlugen tausend Blitze in den Helikopter. Mit einem gewaltigen Knall flog das Ding in die Luft. Blitzschnell holte Vergil Gaara aus der Scheide und schlug dem Zombie, der gerade seine Zähne in ihm versenken wollte, den Kopf ab. Inzwischen waren die Untoten nahe genug dran, so dass sie angreifen konnten. Sofort begangen die beiden Monsterjäger mit ihrer Offensive, ohne das geringste Anzeichen für Gnade oder Mitleid. Vergil schien die Zeit einzufrieren. Viel zu schnell waren seine Bewegungen für die schwächlichen Untoten. Die Klinge schnitt ihr Fleisch in kleine Scheibchen. Er wusste den Raum perfekt auszunutzen. Sich selbst hielt er alle Möglichkeiten offen, während er sie den Untoten verbaute. Witch legte währenddessen ein Solo nach dem anderen hin. Einige der Zombies gingen dadurch in Flammen auf, andere Flogen in die Luft oder schmolzen dahin. Als auch der letzte Zombie fiel, sah Witch, dass sie ganz allein auf der Straße war. Sie schaute zu einer kleinen Pizzeria am Straßenrand. „Das ist ja mal wieder typisch.“, stöhnte sie.
In der Pizzeria stand Vergil an einer Mikrowelle und machte sich eine Pizza warm. Ein Zombie torkelte langsam auf ihn zu, doch er ignorierte ihn. In der Pizzabäckerei herrschte absolutes Chaos. Die Gäste schienen in heller Panik von ihren Plätzen geflüchtet zu sein, denn überall auf dem Boden lagen zerbrochene Gläser, ausgelaufene Getränke und zertrampelte Pizzen, manche waren aber auch im Ofen verbrannt. Besonders der letzte Punkt, löste bei dem sonst so entspannten Vergil eine echte Hasskappe auf die Geflohenen aus. Er verstand zwar Spaß, aber nicht bei Pizzas. Und der beißende Geruch nach der verbrannten Speise war unerträglich. Das kleine Glöckchen über der Tür ertönte. „Hier steckst du also.“, schimpfte Witch ihn sofort aus, als sie den Laden betrat. Vergil ignorierte ihr Gezeter und zeigte auf den Zombie hinter ihm. „Und wegen sowas holst du mich von der Konsole weg? Wenn wir Glück haben, ist der nächstes Jahr hier, um mich anzuknabbern. Wenn ich mit meiner Pizza fertig bin, hau ich ab. Das ist mir alles ´ne Nummer zu mickrig.“ Ein seltsames Summen, das von tausend Fliegen zu kommen schien, unterbrach das Gespräch. Beide Monsterjäger schauten nach oben zu den Lüftungsschächten. Und wie schon vermutet, summten viele, kleine Insekten durch die Schlitze der Klimaanlage. Sie steuerten genau auf den Zombie zu. Schnell flogen sie in alle Körperöffnungen und verteilten sich im Leib. Der Untote brach zusammen. Sein Körper blähte sich auf. Mehrere Skorpionenstacheln brachen durch seinen Rücken. Die Hände wurden zu todbringenden Klauen. Seine Augen waren von einem unheilvollen Grün erleuchtet, die von den Zangen, welche aus seinem Mund raus wuchsen, ablenkten. Wütend preschte er vor. Dabei war er um einiges schneller als zuvor. Vergils Augen änderten ihren Ausdruck von Langeweile zu Vorfreude. „Endlich gibt es mal wieder was zu tun.“ Seine Pistolen schienen praktisch wie von selbst in seine Hände zu gleiten und zielten auf den dämonischen Zombie. Zuerst feuerte Erlösung einen Schuss ab. Der Rückstoß war mörderisch. Vergil hielt aber die Pistole ruhig in der Hand. Einem normalen Menschen hätte dieser Schuss leicht den Arm auskugeln können. Aber die Wucht ließ sich nicht verleugnen. Der Zombie geriet ins Taumeln, nahm seinen Spurt aber schnell wieder auf. Erlösung war eine Waffe, die schwer zu beherrschen war, dafür besaß sie jedoch eine enorme Durchschlagskraft. Nun war Verdammnis an der Reihe. Der Rückstoß war nicht im Ansatz so stark wie der ihrer Schwester, dafür schoss sie aber zwei Kugeln auf einmal. Der Zombie mit den drei Schusslöchern stand immer noch aufrecht. Sein Wille zu töten war noch lange nicht erloschen. Die Kugeln hatten seinen Ansturm gebremst, aber nun raste er mit voller Kraft weiter. Vergil betrachtete sich unterdessen die beiden Pistolen genauer an. Sie waren perfekt. Nein, das waren sie nicht. Erst wenn sie der ungeheuren Belastung standhielten, welche die anderen Pistolen geschrottet hatte, waren sie würdig seine Waffen zu sein. „Also zeigt was ihr könnt.“, meinte Vergil zu ihnen, als wenn sie ihn verstehen würden. So zog er den Abzug in irrsinniger Geschwindigkeit. Schneller als eine automatische Maschinenpistole. Und zu seiner Verwunderung hielten die beiden Waffen der Belastung stand. Weder explodierten sie, noch schienen sie in irgendeiner Art zu verschleißen. Während Vergil seine neuen Waffen bewunderte, war der Spurt des Untoten vollkommen zum Erliegen gekommen. Er stand nur noch da und wurde zuckend mit Blei vollgepumpt. Witch brach beim Anblick der Schweiß aus. „Wow! Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schnell den Abzug hintereinander abdrückt.“ Der dahin gemurmelte Satz war trotz des Lärms für Vergils ausgeprägtes Gehör immer noch hörbar. Erst, als der Zombie ein toter, fleischiger Klumpen war, hörte er auf zu schießen. Lässig pustete er die Rauchfahne der Läufe weg und steckte seine beiden Schätzchen zurück ins Halfter. „Nette Wummen. Witch, das ist die beste Arbeit, die du je gemacht hast.“ Die Hexe stand noch immer benommen da. Vergil klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter und die beiden gingen nach draußen.
Dort auf der Straße wartete ein Hofnarr. Er war offensichtlich ein Dämon. Witch machte sich sofort kampfbereit. „Was hat denn der Clown hier zu suchen?“, fragte Vergil. Er machte keine Anstalten sich in Verteidigungsstellung zu bringen. Der Hofnarr schien auf die Frage des Dämonenjägers beleidigt zu sein. „Ich bin kein Clown! Ich bin ein Hofnarr. Siehst du meine Narrenkappe mit den Glöckchen nicht?“ Vergil regte keine Miene, als er sagte: „Ich wiederhole meine Frage: Was hat der Clown hier zu suchen?“ „Wenn du so weiter machst, helf ich dir nicht.“ Der Hofnarr verschränkte beleidigt die Arme und drehte den beiden Monsterjägern den Rücken zu. „Du hast Infos? Sag sie mir.“ Witchs Interesse schien geweckt zu sein. „Hey komm! Der verarscht uns doch nur.“ „Halt die Klappe, Devilboy!“ Der Dämonenjäger stöhnte, hielt ansonsten aber den Mund. Wie aus dem Film der Exorzist, drehte der Hofnarr seinen Kopf um hundertachtzig Grad. „Sehr schön. Also ihr werdet euch sicherlich fragen, wieso das alles? Welchen Grund könnte man haben, solch ein Chaos anzurichten und dieser jämmerlichen Welt den Gnadenstoß zu versetzen.“ „Nicht direkt wir wollen nur seinen Namen.“, tönte Vergil gelangweilt rum. Er hielt sich wieder eine seiner Ohrmuscheln ans Ohr. Der Hofnarr schien überrascht. Er drehte sich jetzt ganz um. „Also gut, lassen wir die Gründe mal beiseite. Nur der Name. Der Name des Verursachers dieses Chaos, des brennenden Infernos hier, der gefrorenen Hölle, des grünlichen Wahnsinns, des düsteren Todes in dieser Welt lautet …“ „Jetzt mach mal hin, verdammt!“, drängelte der Jäger. Schnell schoss er ein paar Mal auf die Füße des Hofnarren. Dieser machte keine Anstalten den Kugeln auszuweichen, wozu auch? Sie zielten eh daneben, was auch beabsichtigt war. „Daaaaaaarrrrrrrk.“, sagte der Hofnarr langgezogen. „Er ist nicht sonderlich groß. Immer schlecht gelaunt. Trägt eine Jacke mit einem weißen Wolf auf den Rücken und Kapuze.“, beschrieb er den Auslöser schnell. „Gut mehr brauchen wir nicht.“ Vergil richtete einer seiner Pistolen auf den Hofnarren. „Wenn ich dich noch einmal sehe, dann wirst du ein Loch von der Größe eines Gullydeckels in deinem Kopf habe. Verstanden Pennywise?“, knurrte Vergil wie ein Hund. „Verstanden! Hoffentlich ist das Pflaster hier nicht zu hart für euch.“ Lachend verschwand der Hofnarr in einer blitzenden, donnernden Rauchwolke aus der viel Konfetti kam. „Glaubst du, er hat die Wahrheit gesagt?“, fragte Witch. „Keine Ahnung.“, meinte Vergil. „Normalerweise rieche ich es, wenn jemand lügt, aber dieser Kerl … Kein Plan. Also lass uns mit der Feier beginnen.“ Witch ging vor. Kaum, dass sie mit dem Rücken zum Dämonenjäger stand, hielt sie inne und sagte in aller Seelenruhe: „Das mit dem Auto ist übrigens deine Schuld. Du hättest mich früher vor dem Helikopter warnen müssen oder ihn einfach aus dem Verkehr ziehen können. Die Rechnung für die Reparatur wirst du früh genug erhalten.“ Vergil stöhnte bloß. Gegen Witch konnte er nicht anmotzen.

Unterdessen im giftgrünen Nebel. Lucy und die anderen stampften tapfer weiter. Sie hatten schon längst sämtliches Zeitgefühl verloren. Jeder von ihnen sah unvorstellbare Dinge. Dinge die sie liebten und begehrten oder fürchteten und verabscheuten. Freunde die sie noch nicht kannten oder die schon tot waren. All das war auf Dauer zu verwirrend und schlug auf die Moral der Truppe. Vor allem Sams Verhalten wurde immer sonderbarer. Aber alle sahen etwas anderes, was sie verstörte. Zum Beispiel sah Lucy gerade den Jungen aus der Kirche, wie er an ihnen vorbeilief, dabei sah er ihr direkt ins Gesicht und schien sie wiederzuerkennen. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen, dachte sie. Der Junge war wichtig, er musste leben. Und sie hoffte, dass er bis jetzt überlebt hatte. „Ich muss wirklich verrückt sein. Ich sehe gerade einen schon längst besiegten Feind.“, sagte Leonardo verwundert, als der Junge an ihm vorbeiging. Er schaute ihm ebenfalls direkt ins Gesicht. „Meinst du diesen Jungen mit der Kapuze? Den sehe ich auch“ Lucy biss sich auf die Lippen. Wieder einmal wünschte sie sich Mark für seine Dummheit töten zu können. Sofort verschwand der Gedanke wieder. Sie hatte den Job nicht so lange durchgehalten, weil sie sich schnell solchen Gedanken hingab. Von einer Sekunde auf die andere war der Nebel fort. Sie waren in einer Eislandschaft. Überall nur Weiß, Weiß und nochmal Weiß. Der starke Wind brachte die Schneeflocken zum Tanzen und einige in der Gruppe zum Zittern. Wie tausend Nadelstiche schlugen sie gegen Lucys Gesicht. Ruhig sog sie die kalte Luft dieser Hölle ein. „Sind wir immer noch im Nebel?“, fragte Sam. Der Engel drehte sich zu Zombie-Queen um. Lucy kniff die Augen zusammen, als sie sah, wie Sam ihren Unterarm begutachtete. „Alles okay?“ Sam zuckte hoch. „Ja, ja. Alles bestens.“ Lucy glaubte es zwar nicht, gab sich aber vorerst damit zufrieden. „Willkommen in der Eishölle. Das ist keine Illusion. Der Nebel tut, was er will. Er kann uns gehen lassen oder behalten, je nachdem wie er gerade Lustig ist. Na dann Leute. Wir müssen das Portal zur Hölle finden und schließen. Dann wird alles gut. Zumindest sollte es das.“, der letzte Satz war von ihr nur hingenuschelt, damit ihn keiner hörte. Hoffentlich ging es dem Jungen gut.

Umfangen von Dunkelheit schwebte er träge dahin. Gelöst von der Welt der Sterblichen. Die eisige Kälte war so tief in ihm eingedrungen, dass er nichts mehr spürte. Alles war gut, bis ein Licht seine Ruhe störte. Es drang zu ihm durch. Es schmerzte. Seine Augen wurden fast blind davon. Er wehrte sich dagegen. Er wollte nicht zurück. Hier war jetzt sein Zuhause. Schnell kroch er vom Licht weg, aber es folgte ihm. Die Dunkelheit schien ihn auch nicht länger behalten zu wollen. Unachtsam stieß sie ihn ins Helle. Plötzlich riss er die Augen auf. Er befand sich mitten auf einer mit leeren Wagen vollgeparkten Straße. Giftgrüner Nebel waberte um ihn herum. Aber das Schlimmste befand direkt vor ihm. Vor ihm stand … er selbst! Eine genaue Kopie seiner Selbst. Aber nicht ganz. Die Augen waren schwärzer als schwarz und dunkler als die Nacht. Mit einem hämischen Grinsen klatschte sie freudig in die Hände. „Bravo. Bravissimo. Endlich hast du es geschafft zu sterben. Nun ja. Wenigstens für sechs Stunden. Aber jetzt brauche ich dich nicht mehr.“ Diese Stimme war seine eigene! Dark war ganz perplex. Hatte es Baal geschafft sich von ihm zu lösen? Wie war es ihm gelungen? Da stimmte etwas nicht. Vorsichtig stupste Dark sein Spiegelbild an. Die Kopie löste sich in Luft auf. Ach verdammt! Ich wollte dich doch noch eine Weile damit verarschen., stöhnte Baal. Seine Stimme war inzwischen die des Jungen. Nun war der Dämon wie ein Hirngespinst. Das konnte für Dark mehr als gefährlich werden. Wie sollte er Baals Stimme von seinen eigenen Gedanken unterscheiden können? Und? Wollen wir weiter nach dieser Mistgeburt suchen?, fragte der Dämon. „Ja.“, stöhnte Dark, als er aufstand. Sein ganzer Körper war noch steif vom todesähnlichen Schlaf. „Er war schon kurz davor gewesen. Das nächste Mal wird er es zu Ende bringen.“ Der Junge schaute sich um und versuchte die Aura des Wesens zu spüren, aber der Nebel schien alles zu verschlucken. Er konnte nichts und niemanden aufspüren. Also machte er sich in eine X-Beliebige Richtung auf. Seinen Gegner wieder aufzusuchen hatte oberste Priorität und wenn er dieses Viech einmal gefunden hatte, würde er es wieder finden können. Plötzlich durchzuckte ein scharfer Schmerz Darks Kopf. Vor seinem geistigen Auge sah er sich selbst, umhüllt von Dunkelheit. Er beschwor das Licht aus dem Inneren seiner Seele herauf. Er formte es, gestaltete es neu und lies ihm freien Lauf. Scheppernd zersprang die Finsternis. So plötzlich wie die Schmerzen und die Vision aufgetreten waren, verschwanden sie wieder. Dark hatte auf einmal das Wissen, wie er seine neuen Kräfte beherrschen konnte. Er beherrschte Techniken für die er Baal nicht brauchte. Techniken, die gutes vollbringen konnten. Igitt. Dieses Licht. Ich hasse es, fauchte Baal. Dark konnte nicht anders, als zu lächeln. Alles was schlecht für Baal war, war wiederrum gut für ihn. „Erfülle mein Schicksal“, wisperte eine Stimme hinter Dark. Er drehte sich um. Für einen kurzen Moment erhaschte er einen Blick auf den Besitzer dieser Stimme. Aber als er weiter hinschaute, war da niemand. Er musste es sich eingebildet haben. Das war einfach zu lächerlich. Er hatte keine Zeit für derlei Fantasien. Und so ging er durch den giftgrünen Nebel. Irgendwann begann er weitere seltsame Dinge zu sehen. Zum Beispiel die Frau in Weiß, in Begleitung einiger seltsamer Gestalten, unter denen auch der Mann mit dem grauen Mantel war. Auch wenn sie ihn anstarrten und über ihn redeten, er ignorierte sie und setzte seine Reise trotz dieser Illusionen weiter fort. Doch auf eine solch unerwartete Wendung war er nicht vorbereitet gewesen.

Fortsetzung folgt…


© EINsamer wANDERER


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