Ich wohne in Gotham City. Die Stadt, in der es niemals richtig hell wird. Viel Industrie, viele qualmende Hochöfen, aber auch eine beeindruckende Architektur. Eine Stadt aus Stein und Stahl. Und alles sehr verwinkelt. Viele Winkel, in denen das Verbrechen lauert. Nachts sollte man da besser zu Hause bleiben. Und auch nicht unbedingt Polizist werden. Lieber Versicherungsmakler, so wie ich. Denn wer mit Sicherheit handelt, der kann in Gotham gute Geschäfte machen.
An jenem unheilvollen Tag hatte ich gerade Feierabend und wieder einmal nichts Bares in der Tasche. Nicht wegen Geldsorgen, mit Geld hatte ich noch nie ein Problem, aber in Gotham macht man es sich schnell zur Gewohnheit, niemals mehr einzustecken als unbedingt nötig. Ich also auf dem Weg zur Bank. Schnellen Schrittes durch die dichten Nebelschwaden, die Gotham einlullen wie Heroin den Abhängigen. Im Bankgebäude das immer gleiche Bild. Wartende Menschen vor dem Bankschalter. Ernste Gesichter. Wenn es um Geld geht, verstehen die Leute keinen Spaß. Ich reihe mich geduldig in die Schlange ein. Zehn vor mir, dann fünf, und auf einmal wird es laut. Ein schlecht geschminkter Clown mit Lippenstift und grünem Haar stürmt durch die Eingangstür. Im Gefolge mehrere schwer bewaffnete Männer. „Alle nach hinten auf den Boden, bitte!“ hallt es höflich, aber bestimmt durch den Raum. Ich sehe den Clown hektisch mit seiner Knarre herumfuchteln und beschließe, einfach zu tun, was er sagt. Im abgelegenen hinteren Teil des Raums hocke ich mich neben einen Herrn mittleren Alters, Marke hüftsteifer Anzugträger mit konservativem Seitenscheitel. Von dort aus beobachten wir, wie auf Geheiß des Clowns hin die Eingangstüren verriegelt werden. Während seine Schergen ihre Arbeit verrichten, nutzt der Clown die Zeit für eine Ansprache. Leicht hinkend wackelt er auf uns zu. „Meine Damen und Herren, Sie sind von jetzt an meine Geiseln. Ich muss Sie bitten, sich ruhig zu verhalten und keine Dummheiten anzustellen. Wenn alles glatt läuft, bin ich guter Dinge, Sie schon bald wieder aus dieser für Sie sicherlich unangenehmen Situation entlassen zu dürfen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!“ Er sagt es und humpelt wieder in Richtung Bankschalter. Zwei seiner Gorillas behalten uns mit etwas Abstand im Auge. Die nächsten Minuten verharre ich stillschweigend auf dem Boden. Minuten, die sich wie Stunden anfühlen. Aus Angst wird Ungeduld. Ich frage mich, wo er bleibt. Ob er überhaupt kommt. Aber er kommt doch immer! Batman. Der Held Gothams. Wo das Verbrechen naht, ist er nicht fern. Wo es dunkel wird, strahlt sein Licht. Seid auf der Hut, böse Menschen von Gotham, denn euer größter Feind ist bereits auf dem Weg. Und er hat keine gute Laune im Gepäck!
„Batman lässt sich ganz schön viel Zeit“, flüstere ich meinem hüftsteifen Nachbarn ins Ohr.
„Batman kommt heute nicht!“ höre ich ihn säuseln.
„Du darfst den Mut nicht verlieren, Mann. Batman kommt auf jeden Fall, er kommt immer!“
„Nein, heute nicht, ich weiß es ganz bestimmt“.
„Und woher willst du das wissen?“
„Ich bin Batman. Er kommt nicht, weil er schon da ist.“
Ich versuche mein Lachen irgendwie zu unterdrücken. „Du willst Batman sein? Ein Batman für Arme bist du!“
„Das ist wahr, für wen auch sonst, wenn nicht für die Armen?“
„Was sagst du da? Und überhaupt, wenn du Batman bist, was sitzt du denn hier herum? Als Geisel auf dem Boden! Lässt dich einfach gefangen nehmen! Der Batman, den ich kenne, würde die Tür sprengen und mit seinem Batmobil den verdammten Clown überfahren!“
„Hört sich lustig an, aber deswegen bin ich nicht hier.“
„Du bist nicht hier, um dem Spuk ein Ende zu machen? Weswegen dann, Banktermin, oder handelt der feine Herr Batman neuerdings mit Aktien?“
„Um ehrlich zu sein bin ich wegen dir hier.“
„Wegen mir???“
„Und ja, ich will dem Spuk ein Ende machen. Ich will dir sagen, dass du kein Geld abheben sollst. Du sollst das Geld nicht für die Prostituierte ausgeben, zu der du unterwegs bist. Du sollst nach Hause gehen und dich um deine Frau und deine Kinder kümmern!“
Ich glotze ihn entgeistert an, spüre, wie mir das Blut in den Adern gerinnt.
„Wer bist du?“
„Ich bin Batman!“
Dann geht alles ganz schnell. Schweiß steht mir auf der Stirn. Mein Gehirn ist blockiert. Ich springe auf und schreie ihn an: „Du willst Batman sein? Wenn du Batman bist, dann beweise es und hilf uns hier raus!“ Hinter mir bricht schlagartig Tumult aus. „Halts Maul, hinsetzen!“ brüllt einer der beiden Gorillas, die Waffe im Anschlag. Wie von Sinnen brülle ich zurück: „Ihr wollt Batman? Hier ist Batman!“ Der Mann, der sich für Batman hält, steht ebenfalls auf, versucht, mich zum Hinsetzen zu bewegen. Dann fällt ein Schuss. Ich blicke hinüber zum Clown, sehe sein hässliches Grinsen. Es ist auf einmal totenstill im Raum. Alle Augen sind auf den Mann neben mir gerichtet, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann. Ich versuche, ihn zu stützen, aber sein Gewicht zieht mich mit runter. Wir beiden stürzen zu Boden, er in meine Arme. Ich sehe, wie Blut aus seinem Mundwinkel fließt. Mit allerletzter Kraft bewegt er noch einmal die Lippen. „War nett, dich kennengelernt zu haben!“, stammelt er. Und das waren sie. Die letzten Worte eines toten Mannes. Die letzten Worte von Batman.


© ABR


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