Ich stieg aus und betrat einen großen Raum. Direkt mir gegenüber breitete sich eine lange Fensterwand aus, deren Ausblick zum Teil von großen Jalousien verschleiert wurde. Sie waren halb geschlossen und die abendliche Sonne tauchte das Apartment in schimmernde Goldtöne. Zu meiner Rechten befand sich eine Küche. Ich erkannte eine Wand voller Bildschirme dahinter. Auf den meisten Schirmen waren sämtliche Plätze zu sehen, die von den Überwachungsdrohnen eingefangen wurden, auf anderen wiederum waren Zeichen und Matrizen zu sehen. Ich konnte nicht zuordnen was sie darstellten oder wofür sie da waren. Je genauer ich diese Wand betrachtete, desto mehr eigenartige Technik fiel mir auf. Erneut fragte ich mich, wie Jean an dieses Sicherheitssystem kam. Aber vor allem fand ich es merkwürdig, dass er diese ganze technische Vorrichtung brauchte.

Mein Blick glitt weiter durch das Apartment. Es war sehr gemütlich und stilvoll eingerichtet. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein großes Bett. Ich erwischte mich dabei, wie ich mich fragte, wie viele Frauen in diesem Bett bereits nächtigen durften.

Zwischen zwei massiven Säulen, die in der Mitte des Raumes bis zur Decke ragten und den Bau unterstützen, war eine Eisenstange angebracht. Ein verschwitzter, nackter Oberkörper zog sich mit seinen muskulösen Armen immer wieder an der Stange hoch. Jean betrachtete mich gar nicht. Als ob er mich nicht bemerkte. Seine pechschwarzen Locken waren klatschnass und hingen ihm ins Gesicht.
Plötzlich ließ er die Stange los und sprang ab.
„Du hast echt Nerven, Mack.“, sagte er, während er mit einem Handtuch sein Gesicht abwischte.
„Es tut mir leid! Gebe es einen anderen Weg, wäre ich nicht hier.“, es war die Wahrheit. Als ich mit der Underground zurück zur Stadt fuhr, ging ich im Kopf alle Möglichkeiten durch, die ich hatte. Dies war die einzige, die ich nach langem Brainstorming gefunden habe. Ich wusste, dass ich möglicherweise Jean in Gefahr brachte. Wenn es dafür überhaupt einen Weg gab, würde ich mich später revanchieren.

Jean zog für einen Moment die Augenbrauen hoch, dann lachte er kurz auf. Er war sichtlich nicht begeistert. Ohne mich anzublicken lief er an mir vorbei und griff nach einer Wasserflasche. Gierig trank er mit großen Schlucken, dann schüttete er sich ein wenig Wasser über den Kopf und trank schließlich den Rest aus.

Einen Augenblick schaute er nachdenklich zu Boden, dann sprach er das aus, was ich erwartet hatte: "Was ist dein Plan?"

"Es gibt keinen.", das war kein guter Anfang, doch war der Gefallen, um den ich ihn bitten würde, so groß, dass ich mich entschied in allem die Wahrheit zu sagen. Er blickte mich bereits ungläubig an, als ich fort fuhr: "Ich habe keinerlei Vermutung, wer hinter der Sache steht und es ist mir unmöglich die Datenbank durchzukämmen, um rauszufinden, wem ich in der Vergangenheit auf die Füße getreten bin.", ich zögerte, um seine Reaktion abzuwarten, doch sein Blick hatte sich nicht verändert. "Ich werde ganz von vorne anfangen müssen.", weiter war ich mit meinen Gedanken nicht gekommen. Ich würde den Tatort untersuchen müssen. Jede Spur, die mich zu dem Scharfschützen führte, jeder noch so kleine Abdruck, würde mir große Dienste bei seiner Suche erweisen. Fände ich den Scharfschützen, so wäre auch sein Auftraggeber nicht weit. Schlussendlich könnte ich beweisen, dass ich den Anschlag auf den Präsidenten nicht verübt hatte. "Ich muss zum Tatort!", es gab keinen anderen Weg.

"Wie stellst du dir das vor, Mack?", meldete sich Jean zu Worte. "Spazierst du dahin und kratzt ein wenig am Beton? Abgesehen davon, dass du kein Equipment hast: Du wirst von der gesamten GN5 und der Regierung gesucht!", er ging an mir vorbei zur Küche und stützte sich mit beiden Händen an den Tresen ab. "Deshalb brauche ich deine Hilfe. Du musst für mich die notwendigen Gadgets besorgen und eine neue Tarnung. Außerdem wäre es nicht schlecht, wenn du dich umhören würdest.“
Ruckartig stieß sich Jean von den Tischplatte ab und drehte sich wieder zu mir: „So läuft das nicht, Mack! Du kannst nicht hier in der Sicherheit meines Apartments bleiben und Däumchen drehen, während ich meinen Arsch für dich riskiere. Wenn die erfahren, dass du hier bist, dann bin ich auch dran, weil ich dich hier verstecke. So als sei ich dein Komplize.“, das letzte Wort sprach er mit einer deutlichen Abneigung aus. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, er sah mir eindringlich in die Augen. Er war wütend.

„Du glaubst also auch, dass ich den Präsidenten ermorden wollte.“, stellte ich fest.
„Es geht nicht darum, was ich glaube. Du bist überall in den Nachrichten – das Thema Nummer Eins. Hier.“, er malte mit seinen Fingern ein unsichtbares Zeichen in die Luft, sofort wurden die Nachrichten auf die Wand hinter mir projiziert.
Augenblicklich fiel mir das Foto ins Auge, das neben der Nachrichtensprecherin förmlich in der Luft hing. Mein ganzer Körper zog sich zusammen, so dass es schmerzte. Übelkeit stieg in mir hoch. Hätte ich heute etwas gegessen, so hätte mein Körper es in dieser Sekunde mit großer Gewalt hochgewürgt.
Sie fahnden nach mir, schoss es mir in erster Linie durch den Kopf.

Noch bevor ich mich darauf konzentrieren konnte, was die Nachrichtensprecherin sagte, schaltete Jean weiter. Er zappte durch mehrere Kanäle und jedes Mal wurde mein Foto gezeigt. Es war eins der Bilder aus meiner Akte, aus meinem Profil in der Agenten Datenbank. So wie ich mich dort in den Nachrichten sah, kam ich mir vor wie ein Verbrecher. Als hätte ich tatsächlich den Präsidenten ermorden wollen.
Die Stimme einer weiteren Nachrichtensprecherin riss mich aus meinen Gedanken.
„…morgen wurde ein Mordanschlag auf den forteonischen Präsidenten, Sir Michael Cavanaugh, verübt. Der Präsident befand sich zur Zeit des Attentats in seinem Büro, als vom Dach des gegenüberliegenden Gebäudes auf ihn geschossen wurde. Sir Cavanaugh überlebte den Anschlag, da der Täter ihn knapp verfehlte. Laut Angaben des Behördenleiters der GN5, Desmond Creamer, soll es sich bei dem Scharfschützen um die Agentin Imogen Mack handeln. Welche Motive sie für dieses Verbrechen hatte ist noch nicht geklärt. Die GN5 ermittelt den Fall und fahndet nach der Täterin….“
Wie in einer Trance, stand ich da und bewegte mich keinen Millimeter. Ich starrte zwar weiterhin auf die Leinwand, doch mein Blick war verschwommen. Das war mein Ende.

„...Imogen? IMOGEN", Jean holte mich wieder zurück.
„Ich bin erledigt.", darauf wurden wir beim Sicherheitsdienst nie vorbereitet. Ich konnte aus jeder noch so unangenehmen und gefährlichen Situation entkommen. Angeblicher Verrat gehörte da nicht zu. Wie hätte ich das Problem lösen können, wenn ich nicht wusste, was vor sich ging?

„IMOGEN, verdammt!", Jean klang genervt, doch an seinem Unterton merkte ich, dass er besorgt war.
Langsam ordnete ich meine Gedanken. Ich zwang mich zur Besinnung. Ich konnte es mir nicht erlauben, mich gehen zu lassen.

Während ich vom gesamten Kontinent gesucht wurde, musste ich einen Weg finden meinen eigenen Fall zu lösen. Mir blieb weder viel Zeit, noch hatte ich die notwendigen Gadgets und sollte etwas schief gehen, blieb mir keine Möglichkeit über die Grenze zu fliehen.

Die Grenzen - augenblicklich fiel es mir wieder ein. Es war eigenartig, dass sie gesperrt waren. Noch nie, seit der Erschaffung der Kontinenten-Konstellation und der unterirdischen Globalvernetzung, waren die Grenzen jemals gesperrt. Es war die einzige Möglichkeit auf die anderen Kontinente zu kommen.

„Die Grenzen sind gesperrt.", ich richtete das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit das Wort an Jean. Zu meiner eigenen Verwunderung klang ich gelassen und gefasst zu gleich. „Was weißt du darüber?"

Jean sah mich überrascht an. Er wollte scheinbar ansetzen, um mir etwas zu sagen, doch dann wendete er sich wieder der Leinwand zu. „Cainwis!"

„Ja, mein Herr?"

Ich hielt die Luft an. Hatte Cainwis die ganze Zeit zugehört?

„Sortiere alle Nachrichten der letzten 24 Stunden. Zeig mir alles was mit der Sperrung der Grenzen zu tun hat.", "Jawohl, mein Herr!"
Dann wandte sich Jean wieder mir zu. „Bist du sicher, dass die Grenzen gesperrt sind? Woher weißt du das?"
„Sie haben mich heute nicht passieren lassen.", rutschte es mir heraus.
„Du... WAS?!", sein Entsetzen stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. „Du wolltest fliehen?!"
Ich blickte zu Boden und schämte mich fast schon. Nicht wegen Jean, sondern weil ich so leicht aufgeben und vor meinen Problemen fliehen wollte. Als ob es irgendetwas lösen würde.

„Sir?", durchbrach Cainwis die peinliche Stille die soeben eingetreten war. "Ich habe einen Nachrichten Bericht über Ihr gewünschtes Thema gefunden. Wollen Sie, dass ich es jetzt abspiele?"

Jean antwortete nicht. Er starrte mich nur weiterhin an. Schließlich nickte er unmerklich und auf der Leinwand tauchte wieder eine Nachrichtensprecherin auf. Cainwis konnte scheinbar tatsächlich menschliche Körpersprache lesen.

Neben der Nachrichtensprecherin ragte ein Umriss unseres Kontinentes in die Höhe. Darunter war eine Schlagzeile zu lesen:

Forteon bald verkauft?


„Der Nachbar Kontinent Fertileon möchte Forteon aufkaufen. Laut des Präsidenten Sprechers von Forteon soll der fertileonische Präsident, Archibald Sapin, ein großes Interesse an dem kleinsten aller Kontinente haben. Er möchte auf diesem eine Entsorgungs- und Recycling-Basis errichten, die von allen Kontinenten genutzt werden kann. Jedoch habe Sir Michael Cavanaugh nicht vor Forteon abzutreten. Als vorübergehende Sicherheitsmaßnahmen wurden sämtliche Underground-Verbindungen über die Grenzen gesperrt, solange der Konflikt andauert….."

Wie einbetoniert standen wir da. Keiner von uns beiden wagte sich auch zu bewegen. Selbst das Atmen schienen wir eingestellt zu haben. Doch auch wenn von außen keine Bewegung zu vernehmen war, kreierten meine Gedanken ein komplex vernetztes Informationssystem, ausgelöst durch die Informationen aus den Nachrichten.

„Das ist es..“, entglitt es mir als ein Flüstern.
Jean, der zuvor seinen eigenen Gedanken nachhing, blickte zu mir hoch. „Was genau meinst du jetzt?“
„Cavanaugh steht im Konflikt mit Sapin! Wenn Sapin wirklich Interesse an Forteon hat, hat er vielleicht jemanden beauftragt Cavanaugh zu töten.“
„Und weiter?“, Jean zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Der Scharfschütze, den ich töten sollte, der, der versucht hat den Präsidenten zu töten, vielleicht gehört er zu Sapin.“ Und mich haben die dafür hingehalten, vervollständigte ich meine Theorie.
„Das ist ja alles schön und gut, aber den Auftrag hast du doch von der GN5 erhalten, oder? Meinst du nicht, die hätten gewusst, auf wenn die dich aufgesetzt hätten und was derjenige vor hat?“, Jean hob eine Augenbraue und sah mich erwartungsvoll an.

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu lächeln. Er stand wirklich auf meiner Seite. Zumindest glaubte er nicht, dass ich es auf den Präsidenten abgesehen hatte.

„Und dennoch wirst du von ihnen gesucht und kein anderer!“
Einen Augenblick dachte ich über seine Worte nach. Zwar hatte Jean mit seinen Ausführungen recht, jedoch nur zum Teil. „Die GN5 existiert kontinentübergreifend. Sapin hätte keine Probleme gehabt, die nötigen Leute zu kaufen und die haben alles in die Wege geleitet.“, noch bevor ich meine Gedanken weiter ausschweifen konnte unterbrach mich Jean.
„Imogen, hast du eine Ahnung, wovon du da redest?! Die GN5 vertritt das Gesetz! Ferner noch: Sie sorgt dafür, dass Verbrechen verhindert werden. WIR sorgen dafür, du bist ein Teil davon!“, während er sprach, kam er leicht auf mich zu. Die ganze Zeit über sah er mir direkt in die Augen.

Vor einem Tag noch dachte ich genau wie er. Ich hätte nicht einmal im Traum an dem System, der GN5 oder der Regierung gezweifelt. Jahrzehnte lang schien alles perfekt zu funktionieren.

„Nicht mehr.“, korrigierte ich ihn und wandte mein Blick von ihm ab. Wieder einmal schwiegen wir uns an und ich dachte darüber nach wie ich vorgehen sollte.

„Egal wer hinter der Sache steckt, ich werde es ja früher oder später rausfinden. Zunächst muss ich zum Tatort. Also, wie sieht es aus?“, diesmal war ich es, die Jean direkt in die Augen blickte. Ich musste wissen, ob er nicht nur auf meiner Seite stand, sondern auch bereit war mir zu helfen. Übel nehmen, wenn er es nicht würde, könnte ich es ihm nicht. Immerhin gab es für ihn keinen besonderen Grund sein Leben für mich zu riskieren, bis auf das wir Partner waren. „Hilfst du mir, Jean?“

Eine Weile stand er einfach nur da und blickte mich an. Dann entspannte sich sein Körper und seine Gesichtszüge. Er atmete laut aus bevor er sprach. „Du brauchst Gadgets? Aus der GN5 kann ich dir keine besorgen. Ansich sollte ich mich erst einmal dort ruhig verhalten. Da wir Partner sind werden die vermuten, dass ich dir helfe.“
Ich nickte leicht. Ich hatte auch nicht erwartet, dass er mir hilft.
Er legte eine kleine Pause ein bevor er weitersprach:
„Aber ich kenne jemanden, der dir helfen kann!


© Ronia Tading


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Beschreibung des Autors zu "Forteon - Kapitel 2.3"

Ich habe "chased for nothing" in "Forteon" umbenannt. Über Feedback würde ich mich freuen! :)




Kommentare zu "Forteon - Kapitel 2.3"

Re: Forteon - Kapitel 2.3

Autor: Homo_Ingenuus   Datum: 03.08.2015 19:36 Uhr

Kommentar: Erster Kommentar :D
Gute Fortsetzung, die Idee vage bekannt, aber zum Glück weiß ich nicht woher ;)
Deshalb gefällt sie mir. Manche Kritikpunkte schrieb ich schon bei den vorherigen Kapitel . Also weiß ich die Antwort schon haha

liebe Grüße
Flo

Re: Forteon - Kapitel 2.3

Autor: Ronia Tading   Datum: 03.08.2015 21:48 Uhr

Kommentar: Erster und einiziger Kommentar :D Vielen lieben Dank :)

Ui, also ich kann versprechen, nichts "abgeguckt" zu haben, zumindest nicht bewusst. (Denn wie gesagt, die Idee entstamm aus meinem Traum, aber bekanntlich verarbeitet unser Gehirn Dinge wenn wir träumen...)
Genau, Wortwiederholungen und komplizierte Sätze werden später umgeschrieben und entwirrt. :D

Liebe Grüße
R.T.

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