Am Rande der Stadtmitte stieg ich aus und schlich mich, mit der Menge verschmelzend, durch die engen Straßen. Der zentrale Teil der Stadt bestand aus schwindelerregenden Hochhäusern, die über hunderte von Stockwerken hatten. Ich fragte mich oft, ob es möglich gewesen wäre, solche riesigen Gebäude zu bauen, wenn wir ein natürliches Wettersystem hätten.
Zu den Hochhäusern kam ich nicht. Stattdessen bog ich in einige menschenleere Gassen, die die Wohnblöcke bildeten. Jedes Haus war individuell gestaltet und hatte sein eigenes System, um es zu betreten. Ich hielt vor einer Glaswand an. Als ich ein Blick hineinwarf stellte ich fest, dass es sich um ein unterirdisches Einkaufszentrum handelte, was mindestens so viele Stockwerke in die Tiefe ging, wie die Wolkenkratzer in die Höhe ragten. Es sah sehr einladend aus, mit den vielen Läden und Cafés. Ein wonniges Gefühl durchströmte mich und für einen Moment vergas ich meine Situation. Ich wollte es betreten, mich unter die Menschen mischen und mich einfach dem euphorischen Gefühl hingeben ein Teil davon zu sein.

Ich zwang mich zur Besinnung zu kommen, doch versprach mir, dass wenn alles vorbei wäre, ich an diesen Ort zurück kommen würde.

Ich ging weiter an der Glaswand entlang und fand, was ich suchte. Eins der Asphaltplatten sah anders aus, als die anderen. Ich stellte mich drauf. Nach drei Sekunden fuhr aus einer Lücke ein Menü hoch, mit Buchstaben, Zahlen und Zeichen. Daneben stand außerdem eine Auswahl an Namen, die die Bewohner dieses Hauses kennzeichneten. Ich drückte auf die Taste, auf der „Defort“ zu erkennen war. Eine automatische Stimme begrüßte mich: „Bonsoir. Vous avez choisi ….“, noch bevor die Stimme zu Ende sprechen konnte rief ich genervt dazwischen, „Standardsprache aktivieren!“ Die gleiche Stimme wiederholte, was sie mir zuvor auf Französisch hatte sagen wollen: „Guten Abend. Sie haben Monsieur Defort gewählt. Bitte, warten Sie einen Moment.“
‚Verdammter Mistkerl, mit seiner Scheiß Romantik‘, fluchte ich innerlich und ahnte, dass das französische Getratsche für seinen weiblichen Besuch war.

Eine kleine Drohne – nicht größer, als mein Kopf – kam vom Dach geflogen. Sie piepste niedlich und richtete sich direkt auf mein Gesicht. „Ich bin’s, Jean“, sagte ich, denn ich war noch in Gestalt von Beth. „Imogen“, flüsterte ich der Drohne zu. Die Drohne piepste zwei Mal und nickte mir dabei zu. Die Drohne nickte mir zu? Ich war verblüfft von der Eigenart der Sicherheitstechnik. Noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte verschwand die Drohne und die Asphaltplatte, auf der ich stand, setzte sich in Bewegung. Langsam beförderte sie mich auf das Dach über der Glaswand. Eine grüne Fläche fiel mir augenblicklich ins Auge – eine Wiese! Sie war nicht groß, vielleicht sechs oder sieben Quadratmeter und es war eindeutig, dass sie künstlich war, da unser unfruchtbarer Boden eine solche Kostbarkeit nie zulassen würde. Trotzdem war ich fasziniert, über ihre Schönheit.
Ich hockte mich vor ihr hin und streckte zögerlich die Hand aus. Diese Wiese mochte harmlos aussehen, jedoch war ich mir sicher, dass sie so modifiziert war, dass sie bei ungewolltem Besuch sich zu spitzen, dornenähnlichen Zacken aufstellen konnte, welche sämtliche Sohlen durchbohren würden. Der Einbrecher würde qualvolle Schmerzen erleiden und könnte nicht fliehen, schließlich würde er einen grausamen Tod durch die Drohnen sterben. Doch das Gras unter meiner Hand war gefügig, es fühlte sich unglaublich weich an. Ich überlegte kurz, meine Sandalen auszuziehen, wenn ich darüber laufen würde, jedoch verwarf ich den Gedanken schnell.

Meinen Blick immer noch auf den Boden gerichtet, durchquerte ich den Rasen und stieg in einen geräumigen Aufzug, der seine Türen bereits zum Empfang geöffnet hatte. Er befand sich schräg gegenüber der Asphaltplatte, die mich nach oben brachte.

Die Türen schlossen sich hinter mir und ich blickte auf eine Wand aus Milchglas die von hinten beleuchtet wurde. Plötzlich begann sich das Licht zu bewegen. Es formte Wellen und spitze lang gezogene Figuren, während es sich visuell der Stimme fügte, welche sich an mich wendete. Obwohl ich erkannte, dass es eine automatische Stimme war, überraschte es mich, dass es sich ausnahmsweise um eine männliche Stimme handelte.

„Guten Abend, Agent Mack. Wie war Ihr Tag?“

Für einen Moment vergas ich zu atmen. Mir war bewusst, dass es sich um ein Programm handelte, welches vermutlich so geschrieben wurde, jeden nach seinem Befinden zu fragen.
Trotz allem war ich solche Gesten von einer Maschine nicht gewohnt. Sämtliche sprachfähigen Gadgets waren zwar darauf programmiert höflich zu sprechen, jedoch waren soziale Interaktionen auf einer empathischen Basis unmöglich. Die Macher der Gadgets sahen es als schlichtweg unnötig den Gadgets solch menschliche Züge zu verleihen. Ich fragte mich, wie Jean an dieses Sicherheitssystem kam.

„Äh… mein Tag war .. gut.“, antwortete ich, während ich mir überlegte, was der Fahrstuhl mit dieser Information anfangen würde.
„Das freut mich sehr.“, antwortete die Stimme, wobei sie einen fröhlichen Unterton hatte. „Mister Defort erwartet Sie bereits.“, sprach er weiter und setzte sich in Bewegung.

Vom Gefühl her zu urteilen fuhr der Fahrstuhl nicht einfach rauf und runter. Wir glitten erst nach links, stiegen dann am Haus eine Etage auf, um daran entlang weiter nach hinten zu gleiten.
„Mögen Sie Chopin, Miss Mack?“, gleichzeitig setzte eine sanfte, flüssige Melodie ein, die, wie ich vermutete, an einem Klavier gespielt wurde. Mir klappte der Mund auf und ich schaute perplex umher. „Bitte, was?“, es war mir unbegreiflich, wie ein Aufzug Smalltalk führen konnte.

„Eines seiner berühmtesten Stücke.“, versicherte mir die Stimme.
„Wer bist du?“, rutschte es aus mir raus. „Du bist kein gewöhnliches Programm!“
„Verzeihung! Wo bleiben meine Manieren? Ich heiße Cainwis – civilization analysing intelligence with interaction skills. Stets zu Ihren Diensten!“

Mir blieb die Sprache aus. Es war ihm also tatsächlich möglich mit Menschen zu interagieren. Mein Kopf füllte sich augenblicklich mit Fragen, doch bevor ich auch nur eine stellen konnte, kam der Fahrstuhl sanft zum Stillstand und die Türen links von mir glitten auf.
„Einen schönen Aufenthalt wünsche ich Ihnen, Miss Mack.“


© Ronia Tading


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Beschreibung des Autors zu "Forteon - Kapitel 2.2"

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Kommentare zu "Forteon - Kapitel 2.2"

Re: Forteon - Kapitel 2.2

Autor: axel c. englert   Datum: 18.11.2014 14:39 Uhr

Kommentar: Hab die Geschichten gern gelesen –
Lohnend ist es stets gewesen!
Geschichten haben – allgemein –
Es nicht leicht, stellt man sie ein…

LG Axel

Re: Forteon - Kapitel 2.2

Autor: Ronia Tading   Datum: 18.11.2014 14:43 Uhr

Kommentar: Schön gesagt :)

Gut, dass ich es nicht vorhabe, die Geschichte einzustellen :) Zumindest noch nicht :D

LG Ronia

Re: Forteon - Kapitel 2.2

Autor: Schmusekatze   Datum: 27.11.2014 13:22 Uhr

Kommentar: würde mich sehr über eine Fortsetzung freuen =)
ist echt fesselnd geschrieben

LG Joy

Re: Forteon - Kapitel 2.2

Autor: Ronia Tading   Datum: 27.11.2014 13:50 Uhr

Kommentar: Vielen lieben Dank! :) Ich arbeite zur Zeit an der Fortsetzung :):)

LG
Ronia

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