Reifen quietschten, Menschen schrien, Metall prallte auf Metall und wurde ineinander geschoben, sodass ein lautes, Schauer erregendes Knirschen ertönte. Dann einen Moment der Stille, bis -
"Mama!" Ein Schrei zerriss den Augenblick des Schweigens, ein Augenblick, der ewig zu währen schien. Schluchzen, gemurmelte Worte und herbeieilende Menschen waren alles, was Jade erkennen konnte. Sie stöhnte auf, konnte sich kaum noch bewegen, ihr tat alles weh. Vorsichtig drehte sie ihren Kopf zur Seite. Ihr Blick verschwamm für einige Sekunden, doch als er sich klärte, keuchte sie erschrocken auf.
"Mama!" Ein leises Flehen entrang sich ihrer Kehle. "Mama!", brach ein lauter, schriller Schrei aus ihr hervor, entfloh in die Stille und suchte sich einen Weg in die Köpfe eines jeden Passanten.
Jade streckte ihre Hand aus und berührte ihre Mutter. Erst sanft, dann immer grober. Sie schluchzte, kreischte, weinte, doch nichts vermochte ihre Mutter zu retten.
Verzweifelt blickte sie auf, durch das zerbrochene Fenster hindurch auf den Asphalt hinaus auf die Straße. Dort stand ein junger Mann, ganz ruhig. Seine Miene zeigte keine Regung, als ob es ihn nicht kümmern würde, was dort gerade geschah. Er war ganz in schwarz gekleidet, bis auf ein rotes Armband aus Leder um sein Handgelenk. Aus seinem Rücken wuchsen Schwingen, schwärzer als die Nacht, bedrohlich und faszinierend zugleich. Er schien das Licht zu absorbieren, nur ein blauer Schimmer umgab ihn und zeichnete seine Gestalt deutlich von dem schwarzen Plakat im Hintergrund ab.
Sein Gesicht lag zur Hälfte im Schatten und Jade konnte es nicht richtig erkennen. Aber warum half er ihr nicht? Weshalb blieb er so ruhig? Sah er denn nicht, in welcher Lage sie sich befand?
Als hätte er ihre Gedanken erhört, setzte er sich in Bewegung und kam auf sie und ihre leblose Mutter zu. So unendlich langsam und doch so schnell, dass kein anderer ihn sehen konnte. Er kniete sich neben den Trümmerhaufen nieder und das Mädchen konnte feine, markante Gesichtszüge erkennen. Seine Augen schienen zu brennen, raubtierhaft und in dem tiefsten Schwarz. Sie waren wie tiefe, schwarze Seen mit glitzernden Amethysten gesprenkelt. Lange schwarze Wimpern umrahmten die tiefen Abgründe und verliehen ihnen etwas lauerndes.
Er berührte die ältere Frau, die zum Leben erwachen zu schien und doch war sie seltsam schimmernd, durchsichtig, ohne feste Konturen. Plötzlich wurde der Jüngling mit den Schwingen Jades gewahr und stockte einen Moment. Er schien einen Augenblick lang unsicher zu sein. Sein Blick bohrte sich schmerzhaft direkt in ihre Augen und ein heißes Brennen durchfuhr ihren Körper. Sie versuchte zu schreien, doch kein Laut verließ ihre geöffneten Lippen.
Das Engelswesen hob ihre Mutter auf und trug sie hinaus auf die Straße, die bereits voller Menschen war, welche ihn aber nicht wahrzunehmen schienen. Seine Hand hielt die der Frau, die vor ihrer Zeit gehen musste und mit einem traurigen Lächeln zurück zu ihrer Tochter blickte.
Der junge Mann drehte sich um und das Letzte, was Jade sah bevor sie ohnmächtig wurde, waren seine Augen, deren Feuer auf ihre Körper übergingen und die beiden in schwarze Flammenzungen hüllte, welche ihre Körper gierig mit Haut und Haar verschlangen.


© by Insatiable Desires | Insanity


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Beschreibung des Autors zu "Azrael"

Ein Moment, der die Zeit still stehen ließ. Ein Moment, der ein Lebenslicht nahm und Verzweifelung sähte. Ein Moment der Dunkelheit, der Moment der Gestalt, die das Licht zu absorbieren scheint, es in sich aufsaugt und nicht mehr frei gibt. Dunkle Augen, die Jade in den Abgrund ziehen und dort festhalten, bist sie in dem Licht brennt und die Augen schließt, wissend, dass nichts mehr so sein würde, wie es mal war.




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