3. Akt

Die Wirklichkeit materialisiert sich in greifbaren Dingen! Seelen schweben zwischen ihnen herum, stellen sich als Personen, Tiere, Pflanzen dar und Mauern, Straßen, Häuser wachsen aus dem Nichts. Demagogen verkünden ihre Dogmen, in der Hoffnung, nein, mit dem Anspruch, so verstanden zu werden wie sie es sich wünschen. Jedem, der genau hinschaut wird sofort klar, daß sie von einer Art „Innerer Unruh“, von einem Uhrwerk angetrieben sind. Und außen herum zeichnen sich die Spuren ab, denen die Übrigen zu folgen haben, denn magnetisch ist die Zeit. Sie fordert den Tribut ein, in Erleben.


Nun bin ich tot. Zumindest sieht es danach aus. Der Tag erscheint mir wie ein Bild. Von einem Jahrmarkt höchstwahrscheinlich. Es ist ein bisschen fadenscheinig! Ich blick hindurch – wie eine Farce steht es vor mir, auch wolkengleich, von Schlieren arg durchsetzt: nicht wirklich ernst zu nehmen. Doch irgendetwas spielt sich ab. Anstatt der Schatten ist da eine Projektion. Was will sie denn bezwecken? Ich lass mich in die Tasche stecken.


Stimme: He, du Gestalt, die du am Boden liegst,
erhebe dich und biete dich als Sklave feil!
Denn wenn du dich in Demut fügst,
erlangst du bald das Heil!


Wer ruft mir solche schlimmen Worte zu? Ich hab‘ es hinter mir, es war doch wohl kein Traum? Bin ich denn halb im Diesseits noch verhaftet, ein Widergänger, der nach Blut und Wärme dürstet?


Stimme: Ja, du dort, der nicht weiß warum er sieht und hört,
da er doch nicht mehr teilnimmt am Geschehen.
Es ist soweit, daß man dich schwer betört,
hör‘ auf die Augen zu verdrehen,
wenn dir das Laster „Sein“ verspricht:
so tot bist du lange nicht!


Nun wirbeln um mich die Visionen! Mit Fantasien vermischt wird schnell ein süßer Cocktail draus, der auch genossen werden will. Die Schemen, die sich Wirklichkeiten nennen, verdichten sich zu einer Masse, die man berühren kann und soll. So bin ich nun des Lobes voll!


Ich: So schön kann’s im Theater sein?
Jetzt fehlen nur noch Weib und Wein!

Stimme: Nun schrei nicht gleich als wie am Spieß,
denn dir gehört kein Teil von diesem Ganzen.
Noch stehst du da, mit einem Bein im Nirgendwo,
das für dich Gutes nicht verhieß –
du bist umringt von Lanzen.
Integrier‘ dich feierlich in diesen Zoo!

Ich: Was für ein Rausch, ein Lärmen und ein Machen,
ich möchte darin mit euch komponieren.
Mir leuchtet ein, bei all den schönen Sachen
mach ich die eig’ne Puppenkiste auf!
Dafür würd‘ ich mich nicht genieren –
Ganz reizend wär‘ der Lebenslauf!

Stimme: Mach deine Augen zu, wenn du Gedanken willst!
Du darfst nicht anseh‘n was dir vorgegaukelt wird,
schau dich nach innen um –
die „Wirklichkeit“ ist nur ein Medium!
Und, falls du deine Neugier stillst,
dann sei in freier Lust verwirrt,
doch frag dich auch: was habe ich davon?
Denn was du siehst ist Illusion!

Ich: was soll das denn bedeuten,
die Szene ist doch voll von Leuten?
Ein Haufen individueller Lebensweisen!
Und jeder ist für sich auf Reisen,
Stimme: Woher sie immer kamen –
sie folgen Rollen und Programmen!


Ich drehe mich entzückt im Kreis. Mir wird schon schwindlig von der Pracht. Auch fühle ich, wie Blut durch meine, alle Adern schießt, die sich in diesen Körpern hier befinden. Es ist ein einziges Wallen, Wogen. Ich bin vor frohem Lachen ganz verbogen!


Fremder: Seht doch dem kleinen Trottel zu,
er taumelt wie benommen!
Ich finde, daß er maßlos übertreibt!
Was hält er denn von diesem Schmu,
der uns als Weltgeschichte schreibt?
Sein Anblick ist verschwommen!

Ich: sieh an, sie haben mich gefunden.
Zumindest bin ich registriert.
Nun dreh ich fleißig meine Runden.
Fremder: Vielleicht wirst du auch absorbiert?!

Ich: Was kann ich tun, was muss ich leisten,
damit ich Anerkennung finde?
Fremder: Zuerst sollst du dich nicht erdreisten,
als Außenseiter vorzusprechen,
sonst rufen wir dir zu „verschwinde!“,
wir werden uns’re Stäbe brechen
über dir und deinesgleichen!
Du wirst – verachtet – nichts erreichen!


Das klingt nach dem Geheimrezept das den Erfolg verspricht. Kann man so etwas lernen? Die andern wissen wie man’s macht! Ich brauche nur die Ohren aufzusperren, dann geht das andere wie von selbst. So geht die Rechnung ohne Wirt. Dann wird der Zecher vorgeführt!

Man nimmt ihn freundlich gnädig auf, betrachtet ihn als Ware: wie kann man ihn verwenden? Hat er den Geist, der keiner ist, weil man ihn sehr gut steuern kann? Oder werkt er mit den Händen?


Alle Fremden zusammen: Du musst als tüchtig dich beweisen,
nach den Methoden streng verfahren –
dich so bewähren mit den Jahren –
die uns geläufig sind, die wir als nützlich kennen,
und dienen musst du höheren Kreisen,
nur sie nicht laut bei ihren Namen nennen,
zum Beispiel „Unhold“, „Dieb“, „Tyrann“,
verstehe dich als Untertan!
Vor allem sollst du Demut zeigen,
vor der Erfahrung, die nur Mächtige besitzen.
Und was du weißt darfst du verschweigen.
Dir steht es gut in deinem Dienst zu schwitzen!

Ich: O Stimme, sag mal, hör‘ ich schlecht?
Das träume ich doch wieder nur!
Das klingt doch nicht nach Fug und Recht!
Vor allem klingt’s nicht nach „Kultur“.


Die Stimme schweigt mich an, sich aus. Sie liefert mich an Angst und Frust. Ich fühle mich jetzt tonnenschwer – ein Druck liegt auf der Brust!


Noch einmal ich: Du schweigst zu diesen faulen Proben,
die eine Zukunft projizieren,
in der die Böcke Gärtner werden.
Was ist das für ein Pack dort oben?!
Ich werd‘ für die nicht einen kleinen Finger rühren,
auch bin ich, nichtmal mit zehn Pferden,
für diesen Spaß zu engagieren
sich gegenseitig anzuschmieren –
dann darum geht es offensichtlich!

Die Fremden: Pass auf, wir packen dich gerichtlich!

Stimme: Gib dich zum Schein der Menge nun geschlagen
und schwimme mit dem üblen Strom.
Füg‘ dich geschickt den krassen Plagen,
besuch‘ gewitzt den Hohen Dom,
in dem die heiligen Götter hausen,
doch bleibe geistig ganz auf dich gestellt!
Dann wende dich in Weisheit und mit Grausen,
von allem was dir nicht gefällt
und höhle diesen Humbug aus, indem du fühlst und denkst,
wie man nur denken kann, wenn man die Wahrheit sucht.
Nur, gräm dich nicht, wenn man dich hasst, verflucht
und sieh dich vor, so man dich herzlich liebt,
denn Herzen sind auch manchmal eine Bürde!
Bewahre dich, wie es nur dich als einen gibt,
der dem Gewissen folgt, so gut es irgend geht,
mit viel Respekt vor eben dieser Menschenwürde,
die unter wahren Freunden ganz weit oben steht!


Und als ich dies gedacht, da gingen Janitscharen in die Verdammnis, aus dem Sinn. Ich achtete nicht mehr auf sie! Um die Gestalt, die ich mal war, taumelnd auf das Glück versessen, entdeckte ich die neuen Horizonte. Sie endeten in einem All das mich zum Zentrum hatte, als einen Feuerball!


Kein Vorhang fällt!



Epilog


Weltgeist: Be-Sinne dich und nimm dran teil,
du bist für diese Welt erfunden,
verliebe dich und such‘ dein Heil
zur Not auch in den Wunden –
es gibt so vieles zu erfühlen, hören sehen.
Du brauchst nicht alles zu verstehen,
was ich zur Kurzweil für euch tue,
es ist noch weit zu deiner letzten Ruhe!

Drum bündle angemessen deine klugen Blicke
auf’s Kleine, beschränke dich in deinem Wirken!
Und halt‘ auf dich die großen Stücke,
für die dir leise Stimmen bürgen,
die aus der Seelenkraft dir streben –
sie sind dein ganzes Menschenleben!

Nichts andres kannst du tun, als was dir aufgetragen,
du musst nicht wahllos um dich schlagen,
der „Irrtum“ ist, doch das wird streng verschwiegen,
die Medizin, um über Angst und Traurigkeit zu siegen!
So ist der Plan, der göttlich ist, für alle gleich –
auf Erden ist das wahre Himmelreich!

Deshalb darf man nicht gleich verzweifeln,
am Unsinn, der sich allerorten,
als sei er aufgetan von Teufeln,
verkündet wird, in Taten und in Worten
denn dies ist Ausdruck der Natur:
sie ist ein Schauspiel nur!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Ein Schauspiel"

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 19.10.2014 19:04 Uhr

Kommentar: Ein episches Werk.
Meisterhaft umgesetzt.
noé

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 19.10.2014 19:06 Uhr

Kommentar: Womit ich alle drei Akte meine.
noé

Re: Ein Schauspiel

Autor: Uwe   Datum: 19.10.2014 20:05 Uhr

Kommentar: Auch das mit der Stimme, der Wechsel zwischen Reim und Prosa, und wie noé es treffend sagt: "Epische Meisterleistung".
Wie du es nur immer wieder machst, du Höllenhund!
Ja, bunt!
u.

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 19.10.2014 23:01 Uhr

Kommentar: Wie schön, dass er sich diese drei Tage dafür die Zeit nehmen konnte, die das Werk in Anspruch nahm.
noé

Re: Ein Schauspiel

Autor: Alf Glocker   Datum: 20.10.2014 6:45 Uhr

Kommentar: Vielen Dank!

Alf

Re: Ein Schauspiel

Autor: Uwe   Datum: 20.10.2014 8:16 Uhr

Kommentar: Du schwächelst!
Oder lächelst
du?
u.

Re: Ein Schauspiel

Autor: Alf Glocker   Datum: 20.10.2014 15:20 Uhr

Kommentar: Ich schwächle ein wenig. - Ausgepumpt!

Alf

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