2. Akt


Das Labyrinth der großen Halle ist verschwunden. Stattdessen wölbt sich eine weite Nacht. Unendlich viele Sterne leuchten. Dazwischen findet sich, in Sichelform, der Mond. Es scheint, als wolle er die Schatten mähen, die, dicht an dicht, auf festem Boden steh‘n. Ein Raunen geht durch ihre Reihen. Dann wieder ist es wie ein Schreien.

Die Gestalt stolpert auf sie zu.

Wen sprech ich an? Will ich’s mit einem treiben? Wer hört mein Herz? Wer fühlt mich in Gedanken – und wer von diesen allen, ist sehr gern bereit ein Stück mit mir zu gehen? Ich nähere mich dem ersten an – der mir am nächsten dämmert.


Ich: Ich grüße dich, du Lichtgestalt, wo kommst du her,
erkennst du mich in der Umnachtung hier?
1. Schatten: Ein bisschen, so von ungefähr!
Wer spricht zu mir?
Ich: Ich bin der Mensch, der diesen Platz entdeckt –
bist du nicht eine Mutter?
1. Schatten: Ich bin was mir zu sein ein starker Trieb befahl.
Ich: Und das war dir wohl keine Qual?
1. Schatten: Nein, alles ist in Butter!


Nun weiß ich nicht, hat man mich denn verstanden? Das muss ein Zufall sein, daß mir die Antwort nicht gefiel. Doch es gibt tausend Schatten hier. Gleich hört mich einer davon an!


Ich: Dir wünsche ich, daß dir geschieht,
was du dir wünschst, in deinen Träumen.
2. Schatten: Da sieh nur, wie mein Stern mir glüht!
Was raschelt in den Bäumen?
Ich: Es ist kein Rascheln, lieber Freund,
du hörst nur meiner Stimme Laut.
Der Mond, der sichelförmig scheint,
hat mich dir selig anvertraut.

2. Schatten: Die Stunde ist so seltsam fremd,
mir ist als würd‘ ich fantasieren!
Ich: Du schläfst nur trunken, wie gelähmt.
Willst du mal was riskieren?
2. Schatten: Offenen Auges bin ich doch
für dich jetzt ganz real zu sehen!
Wohin willst du mich führen?
Ich: Aus deinem angebor‘nen Joch!
2. Schatten: Du musst mich einfach respektieren!
Ich: Dann dreh dich um und sieh mich an!
2. Schatten: du weißt nicht, daß ich das nicht kann?

Ich: was kannst du überhaupt?
2. Schatten: Dafür hab ich zu sorgen,
daß bis zum frühen Morgen –
alleine das ist uns erlaubt –
der Mond etwas zum Mähen findet!
Ich: die Einsicht ist nicht unbegründet!
2. Schatten: Das nennt man „Pflichten“ lieber Sohn!
Dafür gibt es gerechten Lohn.
Ich: Und der besteht aus welchen schönen Dingen?
2. Schatten: Aus Leidenschaft und üblen Schlingen,
die du zu meistern hast, im Schattenreich.
Ich: Dein Angesicht ist totenbleich!
2. Schatten: Der Sichelmond ist doch so fahl!
Er lässt uns keine andere Wahl!
Das ist es dann, aus meiner Sicht!
Ich: Verzeih, ich bin kein großes Licht!


Des Mondes Sichel macht sich blank, er sieht fast wie ein Säbel aus, an dem es blitzt und blinkt vor Schärfe. Er tritt so plastisch bald hervor, daß es den Eindruck macht, er wird gleich um sich schlagen.
Und dieses Raunen schwillt zum Chor, als käme es aus echten Kehlen. Die Luft ist schon davon erfüllt, fast wie von einem Sturm. Die Schatten schwanken, keiner stürzt! Die Szene ist eine Angst getaucht, als würden Welten untergeh’n. Wie schön?!


Nun hat die Meute mich entdeckt! Ich spüre die Gedanken, Empörung macht sich breit! „Was will der denn, was tut der hier, warum darf er uns ärgern?“ Ich stell‘ mich wie zur Flucht gespannt, die Muskeln werden trotzdem weich. Ach wär‘ ich wieder unerkannt, in diesem Totenreich…

Die Witterung ist aufgenommen. Die ganze Schar kommt auf mich zu. Wo wende ich mich hin? Mir scheint, ich komm‘ in arge Not. Wo bleibt das Morgenrot?


Die Schatten: Uns leuchtet doch kein Genius heim,
wir funktionieren wie geplant!
Mach dir darauf den besten Reim
und unke nicht: dir schwant
wir seien auf dem falschen Fest
und ließen uns benützen,
denn du allein bist hier die Pest!
Dich wird bald nichts mehr schützen!


Ich weiche nicht! Wo soll ich hin? Der Stimmenchor wird zum Orkan! Die kargen Dämme brechen. Ich fasse mich. Noch hab ich einen eig’nen Willen. Und so beginne ich zu sprechen…


Ich: Warum plagt ihr euch denn bis auf’s Blut
und hetzt mich fort wie einen Hund?
Wem seid ihr denn von Herzen gut –
ihr redet mit dem bloßen Mund,
doch dabei habt ihr nichts empfunden!
Ihr schwebt durch Dunkelheit und Grauen,
in dumpfem Selbstvertrauen –
und seid, wenn’s tagt verschwunden!


Die Antwort fällt bombastisch aus. Ich kann sie nicht ertragen, denn sie erwähnt kein Glück. Man schleudert sie mir vor die Füße! Es gibt wohl in dem ganzen Land kein Schimmern, keinen Trost. Man schreit mich an – erbost!


Die Schatten: Du bist doch da, was willst du mehr!?
Ich: seid still, ich sehne mich so sehr!
Die Schatten: Du bist ein Egoistenschwein,
selbst Gott soll sich dir fügen!
Es geht dir einzig und allein darum, die Lügen,
die wichtig sind und auch gemein
und die wir doch zum Leben brauchen,
in grelles Wahrheitslicht zu tauchen.
Nur, damit ist ja nichts erreicht,
was wird schon noch geschehen,
wenn alles schön ist und famos
und bald kein Unheil um uns schleicht?
Das ist ein schlimmes Los!
Dem Erdling hilft kein Hoffen, Flehen,
er ist der Grobheit ausgesetzt –
und das bringt Abwechslung in jede der Epochen,
die uns bevorsteh’n, wenn wir lustig sind.
Trist ist alle Gegenwart, in der gar nichts verbrochen.
Bist du denn für die Praxis blind?!
Ich: Ich flücht‘ in die Philosophie!
Und was macht ihr? – ihr passt euch an!
Ihr seid konform – ihr rafft es nie!
Die Schatten: Das ist auch nötig dann und wann.
Nein, wenn man es genau betrachtet
ist es die Quintessenz des Seins,
die einzige Alternative!
Ich: Das ist das Eu’re, doch nicht mein’s!
Ihr bringt euch um, ganz sukzessive…
Die Schatten: Und wenn, das geht dich gar nichts an!
Ein jeder denkt, so wie er kann!
Lass uns in Ruhe weiter sterben,
du willst uns nur den Spaß verderben!
Wie wir geschaffen sind, so woll’n wir bleiben,
du kannst uns nicht von dem vertreiben,
was wir im Stillen stets gelobt,
auch wenn die Hölle um uns tobt.
So müssen wir uns geben:
verloren, dumm, borniert und grau,
die große Masse, wie es heißt,
das zeigt sich auch grad‘ eben!
Es lockt das Heer zu seiner Schau
so wie das Gras, in das es beißt!
Wir sind zu jeder Tat bereit,
im Sog der Selbstverständlichkeit!


Bedenklich werd‘ ich nun umringt. Man droht mich zu ersticken! Das Schattenreich erduldet nicht, das lebende Gestalten, sich in seinen engen Grenzen, mit Widersinn verwalten. Schon gehe ich gewürgt zu Boden. Es wird gespuckt und gar getreten, ich muss kapitulieren! Doch da erlischt das Schreien und der Orkan flaut ab. Die Finsternis verliert an Macht. Der Tag erwacht!


Der Vorhang fällt!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Ein Schauspiel"

Re: Ein Schauspiel

Autor: Uwe   Datum: 19.10.2014 18:49 Uhr

Kommentar: Muss erst mal was essen. Was? Was mein Hirn bissel aufbaut. Aber dann Alf, mache dich bereit!

Re: Ein Schauspiel

Autor: Alf Glocker   Datum: 19.10.2014 18:57 Uhr

Kommentar: bin heute völlig erschlappt - habe 3 Tage durchgeschrieben...immmer wieder mal ne Stunde.

Alf

Re: Ein Schauspiel

Autor: Uwe   Datum: 19.10.2014 20:00 Uhr

Kommentar: Alf, das glaube ich dir. Ich bin so stark an "Faust" erinnert und bestaune deine schriftstellerischen Fähigkeiten, die Worte, diese Sprache. (Ganz und gar nicht passt dazu am Ende 1. Versus, 1. Schatten: "Alles ist in Butter!" Das klingt wahrlich erschlappt.)
u.

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 19.10.2014 22:58 Uhr

Kommentar: Möglicherweise, Uwe, (Interpretationsversuch) ist das aber auch eine Darlegung der wenig kunstaffinen Persönlichkeit von Person 1 ...
noé

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 19.10.2014 22:59 Uhr

Kommentar: Sorry: "Schatten 1"

Re: Ein Schauspiel

Autor: Uwe   Datum: 20.10.2014 0:48 Uhr

Kommentar: noé, das kam mir zwar auch in den Sinn - dann dachte ich, der Schatten spricht aber ansonsten recht stark kunstaffin. Aber ich freue mich, dass du Alf verteidigst, der braucht auch mal so was! Von mir hört er ja manchmal nur, er sei ein Höllenhund oder Schlimmeres (doch da meine ich auch das Gegenteil. Nun ja, manchmal meine ich es auch, ha!)
u.

Re: Ein Schauspiel

Autor: noé   Datum: 20.10.2014 1:03 Uhr

Kommentar: Och, ich glaube, Verteidigung in dem Sinne hat er nicht nötig, er weiß sich schon recht gut verbal zu wehren.
Ich habe da nur meinen Gedanken Ausdruck gegeben. Wie meistens, wenn es auch gern so manches Mal missinterpretiert wird (s. letzthin Picolos Rück-Kommentar auf meinen bei meinem Schrank-Gedicht). Ich habe manches Mal den Verdacht, dass akribisch gesucht wird, worin man (mich) missverstehen kann - in meiner Art von Humor? (Auch du, mein Sohn Brutus.) Vielleicht bleibe ich lieber ernst bis schweigsam, was Kommentare angeht? Und lache in Zukunft nur, wenn es den Herren Kommentatoren so gefällt? Uwe?
noé

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