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Alsbald erschien, eines schönen Nachmittages, ein gutgekleideter junger Herr an der Eingangstüre des Elternhauses und verlangte Einlass. Er sei ein ehemaliger Schulfreund von mir, gab er zu bedenken, nachdem ihm gesagt worden war, daß ich mich in einen verkorksten Eigenbrötler, der niemanden zu sehen wünsche, verwandelt hätte. Er würde sicherlich einen guten Einfluss auf mich ausüben, argumentierte er weiter.

Wie ich mit anhörte wurde ihm widerstrebend nachgegeben und geöffnet. „Da oben“ hörte ich meine Mutter sagen. Die Schritte, die ich nun vernahm, als er die Treppen zu mir hochstieg (mein Verlies lag im 1. Stock) beunruhigten mich einerseits und lösten andererseits eine gespannte Ruhe in mir aus. Ein Klopfen an der Tür, dann trat er ein.
„Hallo, ich bin Vor..mghf“, erkennst du mich wieder?“( ich konnte den Namen nur teilweise verstehen), sagte der noble junge Mann in einem beeindruckenden Bass. Dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu. Ich starrte „Vor..mghf“ völlig konsterniert an, besann mich jedoch nach einiger Zeit und rief „was für eine Überraschung! Wie ist es dir denn bisher ergangen?“

Hinter meinem Besuch schloss sich die Zimmertüre. Zwar wusste ich, daß meine Eltern angestrengt horchen würden, doch registrierte ich verängstigt und belustigt zugleich, daß dieser seltsame Gast eine Art Singsang beherrschte der sich vor der Türe wie ein an- und abschwellendes Brummen anhören musste.

Unter der Einwirkung des Singsangs muss ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich wieder bewusst um mich blickte war es bereits Nacht und ich hatte vermutlich eine Kerze angezündet, denn auf meinem kleinen Schreibtisch brannte eine. Seltsam, dachte ich, hatte ich alles nur geträumt? An einen solch realistischen Traum konnte ich mich allerdings nicht erinnern. Ich sah noch die Geste des Besuchers vor mir, sie wirkte wie eine Handbewegung, die man macht, wenn man etwas wegwischt, dann glaubte ich mich zu erinnern eingeladen worden zu sein.

Eingeladen in das geheimnisvolle Haus vor den Toren der Stadt, in dem die Bewohner, meiner kindlichen Meinung nach, in Särgen schliefen, nachtaktiv und übermächtig waren. Ich musste dringend herausfinden, ob ich heute bei Sinnen gewesen war. Brauchte ich vielleicht schon ärztlichen Beistand. Mutig ging ich hinunter und erkundigte mich scheinheilig. „Hat mein Besuch etwas für mich hinterlassen?“ fragte ich meine Eltern, doch die schauten mich nur verblüfft an. Hatte ihr verwunschener und verwünschter Sohn nun auch noch den Rest seines Verstandes verloren? War er mit bösen Mächten im Bund? Oder was hatte er sich in seiner Verworfenheit jetzt etwas ganz Perverses ausgedacht? Wer sollte ihn denn schon besucht haben?

Mein Dilemma wuchs und so beschloss ich der eingebildeten oder realen Einladung einfach Folge zu leisten…spätnachts wenn ich mehr oder weniger unbemerkt Ausgang hatte, ohne den Argwohn zu erregen ich träfe mit dem einen oder anderen Mädchen, um es gewissenlos, aus einer Laune heraus zu schwängern. Denn nichts anderes als das erwarteten meine selbsternannten „Wohltäter“ von mir, sobald sie Kontakten meinerseits zur menschlichen Gesellschaft zustimmten. Immerhin waren sie vom Schicksal nichts weniger als beauftragt, mich, und nicht nur mich, vor mich selber zu beschützen.

Zwei Wochen Bedenkzeit räumte ich mir allerdings ein, bevor ich draußen, in der Nacht, das ominöse Schloss aufsuchen würde, denn ich war mir meiner natürlich alles andere als sicher. Während dieser vierzehn Tage registrierte ich sie dann zum ersten Mal bewusst, die Differenzen zwischen „Realität“ und „Wirklichkeit“. Das Leben fing an wie ein Dokumentarfilm abzulaufen. Ich stand vor einer „Leinwand“, mehr neben als in mir, und ich beobachtete wie der Streifen teilweise ein wenig flimmerte, mir dabei sogar zukünftige Eindrücke zeigte die ich von irgendwoher zu kennen glaubte. Eine innere Stimme flüsterte mir zu: „das ist alles schon einmal gewesen“.

Mein Leben als historisches Movie, als Rückschau auf mich selbst? Ich schaute so genau hin wie ich konnte und traute meinen Augen nicht. Manchmal ruckten die Bilder. Ein Auto, unten auf der Straße, fuhr an, blieb jedoch – wie die Menschen dort – für einen kurzen Augenblick stehen und fuhr dann urplötzlich weiter. Hatte der „Projektor“ eine Macke? Oder war die Zeit angehalten worden, in der ja alle Bewegungen im Universum „verzeichnet“ sind? Einmal wurde es, am hellen Tag, ohne Sonnenfinsternis Nacht. Die Dunkelheit tat sich einen Spalt breit auf und heraus trat der Tod! Er hielt ein Beil in der Hand, hob es und schleuderte es nur Millimeter an meinem Kopf vorbei.

Dies geschah „real“, während der Arbeit, in den Diensten meines Vaters, als Bildhauer, an einem Kirchenportal. Wir hatten von den gütigen Kirchenoberen den Auftrag erhalten, im Garten der Pfarrei, unentgeltlich einen Baum zu stutzen. Wir hatten aber nur ein Beil und eine kleine Handsäge. Ich nahm das Beil zur Hand, trat vor, um dem Altvorderen die Arbeit abzunehmen, aber es hatte am Vortag geregnet, das Beil rutschte, durch den schräg geführten Schlag, an einem nassen Ast ab, prallte gegen einen weiteren und kam mir, durch die Luft kreisend, entgegen. Es verfehlte nur um wenige Millimeter meinen Kopf. Einen Augenblick dachte ich, es trifft mich genau in die Stirn. Dann war's als sei nichts geschehen. Die „Realität“ zeigte mich nach dem Versuch den dicksten Ast eines Baumes abzuhacken. In dem Augenblick als ich zur Besinnung kam, waren meine Hände leer. Das Beil war mir entglitten. Es lag neben mir im Garten.

Nach einem Regenguss hackt man an keinen Baumästen herum – das hatte mein Vater jetzt gelernt. Oder hatte er es gewusst? Wer oder was hatte ihn zu diesem Vorhaben inspiriert? Die, von höheren Mächten befohlene Unvernunft? Der unbedingte Gehorsam gegenüber der Kirche? Der Rest der Arbeit dauerte (ohne mich) viele Stunden, denn mein Vater, der mich nicht mehr an die Werkzeuge ließ, musste außerordentlich vorsichtig zu Werke gehen.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Kommissar lausbub ermittelt"

Re: Kommissar lausbub ermittelt

Autor: axel c. englert   Datum: 09.10.2014 19:42 Uhr

Kommentar: Lieber Alf!

Phantasievoll, spannend und intelligent – so etwas liest man gern!
(Also das genaue Gegenteil von meinen eigenen Gedichten…)

LG Axel

Re: Kommissar lausbub ermittelt

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.10.2014 6:23 Uhr

Kommentar: Das kann nicht sein, lieber Axel! Deine Gedichte sind das auch...
LG Alf

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