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Den Brief verbrannte ich sicherheitshalber. Beweismaterial sollte bei mir keines gefunden werden. Mein Zimmer wurde täglich durchsucht. Ich musste auf der Hut sein, denn die Inquisition der Familie war mir stets auf den Fersen. Meine Umgebung legte großen Wert darauf, mich mit meinen massenhaft gemachten Fehlern zu konfrontieren, mich mit dem psychisch zu foltern was man in mir sah, in mir sehen wollte, sowie mich begangener, wie nichtbegangener Verbrechen zu bezichtigen.

Die begangenen…der Ungehorsam gegenüber der vorgesetzten Obrigkeit, die nichtbegangenen…Vergewaltigung (eine Cousine hatte sich in meiner Gegenwart total betrunken und sich daraufhin ausgezogen – wir wurden ertappt!), Rauschgiftsucht (meine nächtlichen Streifzüge), vorsätzliche Faulheit (ich wollte ohne Bezahlung einfach nicht mehr arbeiten) Insgeheim zeichnete und schrieb ich.

Weil ich ein intaktes Gewissen hatte wurde mir mit der Zeit klar, daß ich tatsächlich ein Verbrecher sein musste, auch wenn meine Verbrechen nicht die waren, die man bei mir vermutete. Ich verachtete lediglich jede Form von Autorität, die nicht auf beeindruckenden Leistungen fußte. Andererseits ließ ich mich weiter durchfüttern. Meine Furcht davor Menschen ausgeliefert zu sein, verhinderte meine Flucht aus dem Gefängnis „Elternhaus“, denn wenn die eigenen Erzeuger schon schlecht über mich dachten, wie würden dann fremde Menschen über mich denken?! Sicher würden sie mir auch sofort ansehen, daß ich ein Taugenichts war – zumindest nicht für ihre Zwecke verwendbar. Alles in Allem verinnerlichte ich den Glaubenssatz: „Deine Seele ist schwarz und du bist nichts wert!“

Das Urteil der anderen über mich hatte ich akzeptiert. Insofern war meine Lage bisher aussichtslos, doch der Auftrag sollte alles verändern! Zwar konnte ich nicht werden was die Welt von mir verlangte, ein „pflichtbewusster“ Geschäftsmann, dazu fehlte mir das Talent, aber ich konnte durch die Lösung der, in dem geheimnisvollen Brief erwähnten, Probleme genug Wissen = Macht erlangen, um meine Herrschaften in die Schranken zu verweisen. Ab diesem Zeitpunkt würde ich allein schon durch mein bloßes Auftreten deutlich machen können, daß ich a.) niemanden vergewaltigt hatte und b.) weder vorsätzlich faul, noch rauschgiftsüchtig war. Nichts erschien mir wichtiger, als, auf Augenhöhe mit anderen Menschen, harmonische Zustände zu erzeugen. Meine Unbedarftheit schien grenzenlos!

Trotzdem war ich nicht ganz so fromm wie meine Wünsche und nicht ganz so dumm, wie es meine Naivität aussehen ließ, aber ich hatte, außer meinem Leben, nicht mehr viel zu verlieren. Deshalb freute ich mich auf die Konfrontationen ganz neuer Art.

Angesichts meiner Verfolgung, nahm ich den Auftrag – in Ermangelung besserer Vorschläge – dankend an. Da konnte doch nur jemand dahinter stecken, der ganz genau wusste was er wollte, und vielleicht konnte ich dabei auch gleich herausfinden wer oder was ich selber war… Hatte es vor dem Zombie etwas gegeben, das der Bezeichnung „Mensch“ entsprach? Verunglimpfte ich durch meine Anschauungen reine Seelen, die es gar nicht verdient hatten als „Dämonen mit feurigen Augen“ bezeichnet zu werden? Konnte ich nun denken oder nicht? Vor allem aber: gab es den Urwald aus giftigen Blättern wirklich?

Wie sollte ich vorgehen? Kontakte waren mir kaum erlaubt, ich war – außer meinen Beinen – nicht mobil und Geld hatte ich sowieso keines. Wo sollte ich mit den Nachforschungen beginnen? Die kalten und einsamen Nächte wollten nicht enden. Allein die Bücher, die man mir unter Protest zugestand (denn sie bestanden nicht aus „Fachliteratur“) hielten mich warm. Mein Geist funktionierte noch. Ich war damals knapp 20 Jahre alt.


© Alf Glocker


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