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Es war in einer dunklen Dezembernacht. Ich wusste mal wieder nicht wer ich war und nicht mehr was ich wollte, auch litt ich insgesamt unter einer Art Amnesie - durch eine missglückte „Gehirnwäsche“ vermutete ich. Mein Spiegelbild zeigte mir, wie ich glaubte, einen Zombie und wenn ich ganz genau hinschaute, erkannte ich um ihn herum – das war aber nur im Spiegel zu sehen – haarige Dämonen, deren feurige Augen aus einer Phalanx giftiger Urwaldblätter starrten. Mein Leben war also ein einziger Taumel, von Irrtum zu Irrtum. Doch dann, mitten im Winter, geschah es!

„Es“, das war eine Art lichter Moment, der aber nicht von innen, sondern von außen kam. ich wusste jedoch nicht, was da geschah, und wie es geschah, denn mein Zustand während des Vorgangs pendelte zwischen Wachen und Träumen hin und her. Jedenfalls machte ich, so kam es mir jedenfalls vor, weite Spaziergänge, sobald es dunkel geworden war.

Auf einem meiner nächtlichen Streifzüge fand ich ihn plötzlich, den rosa Briefumschlag, in einer Mauernische. Die Nische befand sich in einer denkmalgeschützten, steinernen Umfriedung eines schlossähnlichen Anwesens vor den Toren der Stadt. Ich kam oft daran vorbei, denn das Hauptgebäude mit all seinen geheimnisvollen Anbauten wirkte mystisch auf mich. Diese Mystik zog mich magnetisch an. Seine Bewohner stellte ich mir immer in Särgen schlafend, nachtaktiv und überaus mächtig vor. Doch in dieser Dezembernacht lag ein silberner Schleier, wie eine Seligsprechung über dem Areal. Es hatte pulverig fein geschneit. Alles schien mit Puderzucker überzogen. Nur die Mauernische war völlig blankgewischt, unbefleckt von aller Sünden Feuchtigkeit und von allem himmlischen Dunst, der sich sonst überall ausgebreitet hatte.

Ich wusste sofort: der Umschlag konnte nur für mich sein. Und so nahm ich ihn – von freudigen Gefühlen erfüllt – mit nachhause. In meinem unbeheizten Zimmer – denn mir wurde, auf elterlichen Beschluss, kein Heizmaterial gewährt – öffnete ich den Brief bei romantischem Kerzenschein, an dem ich mich damals oft aufwärmte. Die Zimmertemperatur lag bei 3° minus. Der Inhalt des Umschlags taugte mir für eine gute Stimmung. In einer Schrift, die aussah als wäre sie von einem Geist hingehaucht, las ich verblüfft diese Zeilen: „Finde dich in einer Vision und finde heraus wer sie projiziert hat. Achte auf kreisförmig schnell wandelnde Sterne und jage die Schatten, deren Ursprung dir nicht deutbar erscheint. Und Achtung – dies ist ein Auftrag!“

Aus gutem Grund machte ich mir Gedanken darüber, woraus wohl, da es sich ja um einen Auftrag handelte, meine Bezahlung bestünde. Denn bislang hatte mir noch niemand jedwede Art bisher getaner Arbeit mit Lohn vergolten. Sollte die Hoffnung wieder einmal mein einziger sein? Ich hoffte auf Vieles, auf Geld, das mir Freiheit bringen sollte, auf innigen Sex, irgendwann…möglichst aber bald. Und natürlich auf Spesen, denn ich wollte mein Essen nicht ständig erbetteln bzw. ertrotzen müssen. Denn dort, wo ich lebte, war ich inzwischen ungeliebter als das sprichwörtliche 5. Rad am Wagen.

Ich erwartete alles, worauf jemand hoffen mag und darf, der vorhanden ist. Während ich also dergestalt blauäugig auf den Brief starrte, fiel noch ein weiteres Zettelchen aus dem Umschlag. Darauf stand nichts. Ich hielt es ganz nahe an eine der Kerzenflammen und auf einmal erschien ein Buchstabe. Offensichtlich mit Zitronensaft (Geheimtinte) geschrieben, dachte ich mir. Weitere Buchstaben folgten und endlich entstand, aus winzigen Lettern ein Satz. Mit dem Vergrößerungsglas konnte ich ihn lesen. Sogleich fühlte ich mich ertappt. Jemand schien meine Gedanken im Voraus erahnt zu haben… „Gehe den Weg, über den Tod deiner Peiniger hinaus, bis in den Bannkreis einer Frau, die du nicht einschätzen kannst, und rechne die Spesen mit ihr ab. Der eigentliche Lohn erreicht dich in Schüben aus Poesie und bildhaften Vorstellungen, die sonst niemanden derartig dreist heimsuchen. Fürchte dich nicht und du wirst herausfinden wer dich beauftragt hat“. Gezeichnet „V“.

Das war das „Kleingedruckte“. Von einem Vorschuss, den ich dringendst gebraucht hätte, war leider keine Rede. Ein Arbeitsvertrag war es wohl auch nicht, eine Anerkennung für bereits geleistete Arbeiten oder meine „große Persönlichkeit“ konnte es ebenfalls nicht sein. Eher hatte ich schon das Gefühl, es sei eine Aussicht auf künftige Leistungen, die ich selbst erst noch erbringen sollte. Ich musste mich vorläufig mit den von mir an mich verliehenen Einbildungs-Lorbeeren begnügen, auf denen ich mich dummerweise nicht ausruhen konnte und dort aushalten wo ich war – in einem Exil aus Angst und Mobbing, gefangen von einem Clan „ehrbarster“ Bürger, allesamt „große Vorbilder“, vor deren Tribunal ich zweimal wöchentlich zu erscheinen hatte.

Dies geschah aus gutem Grund, versicherte man mir, denn irgendwelcher, mir nicht ganz unbekannter Ursachen zufolge, traute man mir einfach alles zu, oder besser gesagt: nicht über den Weg. Ich hatte sie viele Jahre genarrt, die Eltern, die Lehrer, alle hatte ich veranlasst nach meiner Pfeife zu tanzen. Ich ersparte mir, da ich an „geheimnisvollen Krankheiten“ litt, die ununterbrochene Teilnahme am Unterricht, wie auch die meisten Hausaufgaben, ich erzählte ihnen die kuriosesten Geschichten, über das was ich angeblich alles erlebt hatte, ich kam stets, obwohl ich mich vom Unterricht komplett abwandte, so la la mit und ich war anfangs sehr beliebt bei den kleinen Mädchen. Alles zusammen erregte den Abscheu meiner sämtlichen Erziehungsberechtigten! Und so langsam bildete sich eine Phalanx des Widerstandes gegen mich heraus.

Doch, die Welt war schön, weil ich noch sehr jung war, und auf einmal war sie viel schöner als ich selbst, denn man machte mir unmissverständlich klar, daß ich verwerflich als Person und gewissenlos als Mitglied der Gesellschaft sei. Tatsächlich war ich jedoch so bescheiden wie erwartungsvoll und überdies naiv genug zu glauben, daß jedermann an meinem leiblichen wie seelischen Wohl interessiert sein müsse. Schließlich sah ich noch aus wie das was ich war: ein Kind!

Unbedarft dämlich, wie ein solches, blickte ich nach vorne – in (m)eine Zukunft. Die allerdings deshalb nicht stattfinden konnte, weil man beschlossen hatte, mich für latent kriminell zu erklären. So viel zu meiner Vergangenheit, deren Ereignisse eine logische Kette von Strafmaßnahmen zur Folge hatten. Ich wurde auf einmal extrem kontrolliert und reglementiert. Bis ich schließlich die ominöse Nachricht fand, hatte ich mich zu einer Art modernem Kaspar Hauser gemausert, der froh und glücklich sein durfte, daß er überhaupt noch am Leben war, denn die Verwandtschaft schlug meinen Eltern bereits den völligen Essensentzug vor.


© Alf Glocker


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Re: Kommissar Lausbub auf Spurensuche - eine Geschichte in 5 Teilen

Autor: axel c. englert   Datum: 07.10.2014 9:26 Uhr

Kommentar: Lieber Alf!

Kombiniere: sehr lesenswert!

LG Axel

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