Sie waren zu Hundert. Tausend. Es waren so viele, dass ich sie nicht alle zählen konnte. Versammelt vor allen Ein- und Ausgängen. Drohnen, in der Größe eines Gymnastikballs, flogen umher auf der Suche nach mir. Ich durfte kein Aufsehen erregen.

Vor allem musste ich schnell das Gebäude verlassen, denn sollte Beth bereits auf ihrem Arbeitsplatz oder auf dem Weg dahin sein, wäre es gravierend ihr über den Weg zu laufen. Ich versuchte sie so gut es geht nachzuahmen, während ich auf den Ausgang zusteuerte. Sie ließen mich passieren. Doch auch draußen legte sich meine Spannung nicht. Meine Panik war zurückgekehrt und drückte mir die Lungen zu. Das erste Mal in meinem Leben wusste ich nicht, was ich machen sollte. Meine Lage schien ausweglos zu sein.

Ich kannte die Stadt in- und auswendig, dennoch wusste ich nicht, wohin ich hingehen sollte. Ich konnte unmöglich nach Hause, vermutlich hatten sie schon alles auf den Kopf gestellt, um Beweise zu suchen. Beweise für etwas was ich nicht getan hatte.

Vor mir breitete sich ein unsichtbares Labyrinth aus. Ein Labyrinth an dessen Ende jemand stand, der mich los werden wollte. Ich wusste nicht wer. Ich wusste nicht warum. Aber vor allem wusste ich nicht, wo das Labyrinth anfing.
War es vorhersehbar? War es bereits Teil eines Plans als ich auf dem Dach lag? Waren es vielleicht meine eigenen Leute? Oder wollte jemand von außen mein Ende?

Ich hatte mehr Fragen als Antworten, als ich zur nächsten Underground Station lief, aber ich hatte auch eine klare Aufgabe!

Die Underground Station war fast leer, als ich dort eintraf. Automatisch steuerte ich auf die nächste Toilette zu. Ich durfte keine Spuren hinterlassen. Meine Handtasche stülpte ich wieder zum Rucksack um und nahm ein Blumenkleid, flache Sandalen und eine Lederjacke heraus. Für die konservative Beth wäre es untypisch gewesen. So würde mich keiner erkennen.

Umgezogen nahm ich das letzte Gadget aus meinem Rucksack heraus. Es sah aus wie die früheren Streichholzpackungen, die heute nicht mehr existierten. Ich legte alles was ich nicht mehr brauchte ins Waschbecken. „Vernichten“, aktivierte ich das Gadget und warf es zwischen die Sachen. Binnen Sekunden entflammte sich der Inhalt des Waschbeckens in blauen Flammen und wurde pulverisiert. Ich drehte den Wasserhahn auf, um die Überreste wegzuspülen, da ging ein schriller piepender Alarm los. Ausgelöst durch die Flammen, die meine Sachen vernichteten.

Ich nutze die Gelegenheit und verließ schnell und unauffällig die Toilette. Die Underground war bereits eingetroffen und ich sprang hinein. Als ich noch ein letztes Mal hinter mich blickte, sah ich wie einige Guards auf die Toilette zustürmten. Die Türen der Underground schlossen sich und sie setzte sich in Bewegung. Für einen Moment entspannte sich mein Körper. Auch meine verkrampften Lungen ließen einen Tiefen befreienden Atemzug zu. Vorerst war ich in Sicherheit.

Die Underground fuhr in schwindelerregender Geschwindigkeit. Innerhalb von Sekunden konnte man eine beeindruckende Strecke hinter sich bringen. Unterhalb der Erdoberfläche waren sämtliche Städte und auch die Kontinente vernetzt. Für die Kontinente war das die einzige Verbindung. An der Oberfläche außerhalb des Schutzkokons konnte kein Gadget der Welt dich am Leben erhalten – das kommt davon, wenn man sämtliche Sphären und die Ozonschicht beschädigt. Künstliche schützende Ummantelungen konnten für die einzelnen Kontinente hergestellt werden, aber es erforderte jahrelange Arbeit und Forschung diese aufrecht zu erhalten und eine Garantie, dass wir so lange überleben würden gibt es nicht. Wir büßten für die Fehler unserer Vorfahren und schauten unserem Planten bei der Selbstzerstörung zu, die wir selbst einst eingeleitet hatten.

Für einen kurzen Moment meiner inneren Verzweiflung kam mir eine Idee. Ich würde den Kontinent verlassen müssen. Auf einem neuen Kontinent war ich eine Fremde. Ich würde eine neue Identität annehmen und von vorne anfangen – das wollte ich eh schon immer. Die Underground näherte sich der Grenze. Sobald sie diese passieren und sich im Übergangstunnel befinden würde wäre mein Neuanfang sicher.
Doch eigentlich war das nicht meine Art. Ich habe noch nie aufgegeben. Vor meinen Problemen davon zu laufen würde diese auch nicht lösen.
Meine Gedanken, die erst jetzt wieder langsam Form annahmen, wurden von einer automatischen Stimme unterbrochen:

„Sehr geehrte Passagiere, das Passieren der Grenzen ist zurzeit nicht gestattet. Steigen Sie an der nächsten Station aus. Wir bitten um Ihr Verständnis…“, die automatische Stimme wiederholte alles auf sämtlichen, mir unbekannten, Sprachen und legte sich, wie ein metallischer Draht, um meine Kehle. Mit jedem Wort wurden meine Atemwege enger geschnürt, sodass ich nach Luft schnappte. In der Underground breitete sich ein Wispern aus. Für alle Anwesenden war dies eine Neuigkeit, ebenso wie für mich. Als die Türen der Underground sich öffneten, strömte eine dickflüssige Menschenflut hinaus. Ich mischte mich darunter, um möglichst nicht aufzufallen. Mir blieb sehr wenig Zeit mir einen Plan auszudenken. Ich brauchte dringen einen Unterschlupf, allerdings konnte ich niemandem blind vertrauen – ich hatte niemanden. Seitdem ich denken konnte war ich auf mich alleine gestellt, bisher hatte es mich auch nie gestört, doch nun war alles anders.

Plötzlich regte sich etwas in mir, als mich die Menschenflut den Bahnhof entlang spülte. Es gab nur eine einzige Person, der ich genug vertraute. Eine einzige Person, die all die Jahre bei mir war und mich kannte. Der einzige Mensch, der nachvollziehen würde, was mit mir passierte.
Mit einem Ruck erwachte ich aus meinem Gedankentrance und steuerte entschlossen auf eine Underground zu, die gerade angekommen war. Ich stieg ein und fuhr beinah die gesamte Strecke, die ich zuvor hinter mich gebracht hatte zurück.


© Ronia Tading


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Beschreibung des Autors zu "Forteon - Kapitel 2.1"

Da die meisten Leser nicht gewollt sind "lange Texte" zu lesen, habe ich Kapitel zwei in mehrere Teile zerbröselt. Ich hoffe es gefällt euch... :)




Kommentare zu "Forteon - Kapitel 2.1"

Re: Forteon - Kapitel 2.1

Autor: Homo_Ingenuus   Datum: 30.07.2015 12:02 Uhr

Kommentar: Bis auf ein paar Wörter an falscher Stelle und "ich"-Wiederholungen eine Fortsetzung, die gerne weitergelesen wird.
Was vielleicht noch toll wäre, sind einige Szenerie-Beschreibungen. Wie sieht es in der Underground aus, was sieht die Hauptperson, z.B. ein Penner, den sonst niemand beachtet, weil sich die meisten als was besseres fühlen...
Ich glaube, in Situationen immensen Stresses beachtet man vielerlei kleine Dinge, die einem sonst, im zerstreuten Zustand nicht auffallen.

Dennoch guter Erzählrhytmus!

Re: Forteon - Kapitel 2.1

Autor: Ronia Tading   Datum: 30.07.2015 12:24 Uhr

Kommentar: Vielen Dank für deinen Kommentar!

Die Überarbeitung kommt wie gesagt noch :)

An dieser Stelle stimme ich dir ausnahmsweise nicht zu, denn:
einerseits muss ich tatsächlich noch die Umgebung mehr beschreiben (da fehlt noch so einiges), andererseits fallen einem in so einer Situation die Mitmenschen eher weniger auf. Sie ist erst bei einem wichtigen Auftrag gescheitert und dann wurde ihr eine Straftat, die sie gar nicht beging, angehängt. Sie weiß nicht von wem oder wieso, nur dass sie nun ziemliche Schwierigkeiten hat UND weiß nicht was sie machen soll. Ihr Kopf ist in dem Moment, wo sie noch keinen Plan hat, wie sie vorgehen soll, zu voll.

Aber ja: alles in einem muss ich ein meinen Beschreibungen arbeiten und Geduld für Details üben :)

Danke, für deine ehrliche Meinung und deine netten Worte! :)

Re: Forteon - Kapitel 2.1

Autor: Homo_Ingenuus   Datum: 30.07.2015 13:26 Uhr

Kommentar: ;) immer gern.
Ja, ich weiß, wenn die Zeit reif ist und das Skript fertig :)

Ah, alles klar. Natürlich bist es du als Autorin, die in der Gesamtheit der Geschichte in die Hauptperson blickt. Deshalb klar, in dieser Situation wird ihr Kopf sicher voll sein.
Dachte nur, es könnte mitunter sein, denn die Hirnaktivität in Sachen Stress und "lebensbedrohenden" Gegebenheiten ist mitunter stark erhöht. Gut, von Mensch zu Mensch sicherlich wieder unterschiedlich.

bitte, mir liegt viel an ehrlichen Kommentaren und der Kommunikation die daraus entsteht. So wachsen beide Seiten :)

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