Mein Name ist „Vrolog“. Ich lebe in einer nie da gewesenen Vergangenheit. Ich bin, wie mein Name, oder die neue Zeit in der ich lebe, ein Kunstprodukt. Es soll „Vorlogik“ bedeuten – etwas im Voraus erkennen das noch gar nicht passiert ist. Der Einfachheit halber und weil ich eine gespaltene Persönlichkeit bin, haben wir Vorlog, ein verstümmeltes Anagramm daraus gemacht. Wir, das sind die Leute, die mich geschickt haben. Und gespalten, weil ich ein Doppelleben führe! Eines findet in meiner tatsächlichen Wirklichkeit (die es bald nicht mehr geben wird) statt und eines in dieser seltsamen Gegenwart hier, die es schnellstmöglichst zu verändern gilt. Und das Wichtigste: ich bin eigentlich eine Spinne. Mein genauer genetischer Anteil an arthropodischem Erbgut beträgt zwar nur ca. 25 %, aber der schlägt ordentlich zu Buche!

Ursprünglich war ich vom Universum als Totgeburt geplant! Oder als Blankoscheck Gottes, für ein spinniges Eingreifen zur Rekonstruktion gesunder Individuen. Wie jede echte Spinne kann ich Gedanken lesen. Nein, nicht nur das! Ich spreche zu anderen, kultivierten Spinnen überhaupt nur in Gedanken. Menschen dieser Gegenwart können mich jedoch einwandfrei verstehen, obwohl ich nur eine winzige, unflexible Zunge habe. Das haben wir uns weitestgehend weg gezüchtet – wie wir alles Unnötige und Hinderliche weg gezüchtet haben. Aber wir sind dafür höchst intelligent. Wir – nicht ich! Denn ich bin frei von konkreten Erinnerungen an meine tatsächlichen Fähigkeiten und deshalb sehr unbeholfen.

Dort, wo ich herkomme, sind wir geborgen in einer großen Gemeinschaft. Hier bin ich alleine, auf mich selbst gestellt. Und angewiesen bin ich auf meine Gedanken, von denen einfach erwartet wird, daß sie „richtiger“ sind, weil ich hier fremd bin. Das will heißen: mein gut strukturiertes Gehirn verfügt über ein unbewusstes, geheimes Urwissen, das sich, sozusagen im Konflikt mit den hiesigen Gegebenheiten, ständig intuitiv korrigiert. Anders gesagt: ich bin und bleibe ständig wie ewiges Kind das jeden Tag neues dazu lernt, ohne fest ritualisierte Denkstrukturen übernehmen zu können, wollen, müssen. Ich habe keine Begabung für die eventuelle Anerkennung bestehender Dogmen. Ich bin sozusagen lernend unbelehrbar!

Was ich an inneren Konflikten austragen darf ist sagenhaft. Der Grad meiner psychischen Zerrissenheit würde jeden normalen Sterblichen nicht nur an den Rand des Wahnsinns, sondern direkt in die geschlossene Anstalt bringen. Mein Leben findet außerhalb aller verträglicher Toleranzgrenzen statt! Deshalb belastet man mich auch absichtlich mit nicht zu bewältigenden Aufgaben. Man führt mich nicht nur in Versuchung, man zwingt mich vielmehr weit über die Grenzen der Verzweiflung hinaus, in ein Land absurder Verrücktheiten, von dessen Aussichtstürmen ich Lösungen erkennen kann, die Nichtspinnen(den) verschlossen bleiben müssen, da sie dringlichst angeleitet werden sich an pragmatische Verhaltensmuster zu heften.

Ich denke beispielsweise nicht „Welchen Beruf muss ich ergreifen, um so und so viel verdienen zu können?“ und „Wie geeignet ist mein intellektuelles Potential dafür?“. Mir kommt auch nicht in den Sinn, mir Konformitäten einzuprägen, die der überwiegenden Mehrheit nichtspinnender Menschenwesen politisch notwendig erscheinen. Ich denke, von einer völlig anderen Ebene ausgehend, quasi unlogisch. Ich würde mich also in etwa lieber fragen „Was geschieht, wenn ich welchen Beruf ergreife – die einschlägigen Fähigkeit vorausgesetzt – mit den Menschen, Tieren und Dingen, die meinem, daraus resultierenden Einfluss ausgesetzt sind?“ Daß dies zweitrangig ist, leuchtet mir zwar ein, aber ich begreife es nicht!

Oft stand ich deshalb vor der alles entscheidenden Frage: „Ist mein Leben wirklich notwendig?“ Dann machte ich mich daran, es zügig zu beenden. Doch, an den mir gesetzten Terminen, sprach mich jedes Mal eine Stimme aus einer anderen Dimension an, die mich zwang, mein Vorhaben aufzugeben. Es war die gleiche Stimme, die mir in meinen Träumen begegnet, wo sie mir Situationen zeigt, die ich noch zu erleben habe. Es ist die Stimme, die meine Texte spricht, bevor ich sie niederschreibe. Sie ist eindringlich und unwiderstehlich! Ich habe es aufgegeben, ihr zu misstrauen. Nun bin ich ihr vollkommen ausgeliefert. Ihr und den Phänomenen, die in ihrem Kielwasser auf mich zukommen…

Diese Stimme öffnet anscheinend Räume, die zunächst nur ich sehen/erleben kann. Aber wenn ich Persönlichkeiten um mich habe, die nicht verbohrt sind und sich auch zugestehen können, Vorgänge mit zu erleben, auf die kein für uns anerkannter Reim passt, dann habe ich die Erlaubnis, ihnen Verblüffendes zu zeigen. Wir machen Zeitsprünge, indem ich ganz befreit Uhren ignoriere, wir sehen wie sich Sterne, ähnlich Verkehrsflugzeugen am Himmel bewegen (ohne blinkende Begrenzungsleuchten), wie diese leuchtenden Objekte plötzlich aufsteigen und im All verschwinden. Nur eines kann ich leider ausschließlich nur alleine machen: ich kann nachts aus meinem Körper aufsteigen um für Sekundenbruchteile heimzukehren, in meine Welt. Dann rase ich an Galaxien vorbei, durchhaste Quadranten und durchstoße, dort wo man hier noch ganz offiziell den Urknall vermutet, die Zeitmauer – wie ich es einst getan habe, um hier längerfristig ein Untoter zu werden.

Meinen irdischen Decknamen möchte ich jedoch nicht preisgeben! Er könnte „Mensch Meier“ oder auch „John Smith“ lauten. Das wäre mir zu riskant. Ich achte lieber darauf, incognito ein Niemand zu sein, ein Niemand, der definitiv weiß, daß das Universum bereits seit dem Urknall vorbestimmt war und ist. Nun wird es von einer hyperzivilisierten Macht verändert! Ich kann verstehen warum, aber nicht immer. So geht es mir auch mit dieser vorgefundenen Erdenwelt, deren fürchterliche Beweggründe ich meistens nicht ganz nachvollziehen kann. Oft scheinen mir beide Lösungen, die schicksalsgewollte und die von uns nachträglich angestrebte, pervers! Dann besinne ich mich schnell wieder auf meinen zurechtgestutzten Handlungsrahmen und finde mich damit ab, daß mein Reaktionsspektrum zwar groß ist, ich aber einer fremden Kontrolle unterliege, die nicht vom üblichen Schein-Zufall abhängig ist. Ich muss eben endlich einsehen, daß ich eine Spinne bin!


© Alf Glocker


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Beschreibung des Autors zu "Spinniges Unterfangen"

Damit nehme ich Bezug auf meine Anfang September erscheinende Romantrilogie "Vrolog"

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Kommentare zu "Spinniges Unterfangen"

Re: Spinniges Unterfangen

Autor: noé   Datum: 27.08.2014 1:39 Uhr

Kommentar: Danke Dir, Craz Bro, für diesen Einblick...
BiSi

Re: Spinniges Unterfangen

Autor: Alf Glocker   Datum: 27.08.2014 7:24 Uhr

Kommentar: Es ist, hüstel, die Wahrheit, hüstel, und nichts als, hüstel, die Wahrheit! ;-)

CraBro

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