Prolog

Die westliche Sonnensee im Jahr 233 der Herrschaft des Hauses Belfare

Vance Livsey zog sich den Hut aus Ölzeug tiefer ins Gesicht als er auf das schwankende Schiffsdeck hinaus trat. Hinter ihm im Schatten folgten weitere Gestalten. Gischt und Regen schlugen ihm entgegen, sobald er die schützende Treppe zum Unterdeck verließ und bevor er auch nur wenige Schritte über die rutschigen Planken gemacht hatte, war er bis auf die Knochen durchnässt.
Wasser tropfte aus seinem hellbraunen Bart und den langen Haaren. Laternen tanzten an den Schiffsmasten, ihre Flammen kaum mehr als schwache Lichtpunkte in einem Meer aus grau.
Die Windrufer neigte sich zur Seite, als sie von einer weiteren Welle getroffen wurde und Vance hielt sich an der Reling fest. Der Sturm hatte das Schiff fest im Griff. Einen Moment konnte er das Meer steil zu seiner rechten sehen, statt unter sich, wo es hingehörte… dann schlug die Windrufer zurück ins Wasser. Eine der Laternen zerschellte klirrend am Boden, sobald das Schiff aus seiner Schräglage gerissen wurde. Bei diesem Wetter blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als zu warten, bis der Sturm entweder nachließ… oder sie mit sich in den Abgrund riss. Weit und breit gab es nur Wasser. Sie waren weit von jeder Küste entfernt, weiter, als sich ein Schiff eigentlich hinaus wagen sollte. Und genau da lag das Problem.
Der kaiserliche Offizier, der das Kommando hatte, weigerte sich nach wie vor umzukehren oder auch nur einen Hafen anzusteuern und das obwohl ihnen langsam die Vorräte ausgingen. Von der Witterung einmal abgesehen. Sie würden alle sterben, wenn das so weiterging. Und wichtiger… Vance wusste nach wie vor nicht welches Ziel diese Expedition eigentlich hatte. Um was auch immer es hier ging, das Kaiserreich schickte kein schwer bewaffnetes Kriegsschiff aus um vor einer friedlichen Küste Patrouille zu fahren. Dazu Band der Krieg mit Laos nach wie vor zu sehr die Kräfte der Militärgarden.
Um was immer es hier ging, es war groß. Und wenn es nah Vance ginge, hätte er seinen Anteil daran.
Er erkannte die Umrisse von drei uniformierte Gestalten, die auf der anderen Seite des Schiffs Wache standen. Wärmendes Licht drang aus den fenstern der Kajüte, wo sich der Expeditionsführer verborgen haben musste.
Durch die dichten Regenschleier konnten ihn die Männer unmöglich bemerken. Nicht, solange er nicht ins Licht trat. Und auch die restliche Crew, die sich ihm angeschlossen hatte. Niemand von ihnen wollte hier draußen draufgehen, weil das Kaiserreich stur blieb. Es war ein leichtes gewesen, sie zu überreden. Die Schlüssel für die Waffenkammer und das Pulvermagazin verwahrte der kaiserliche Offizier, somit war ihnen nur übrig geblieben, sich provisorisch zu bewaffnen. Küchenmesser, scharfkantige Flaschensplitter und was das Schiffsinventar hergab. Außer dem Offizier gab es nur eine Handvoll kaiserlicher Gardisten an Bord, wenn sie sie überraschten wurden sie mit ihnen fertig. Und selbst wenn einige von ihnen drauf gingen… Was immer das Kaiserreich wollte, wäre es Wert, dachte Vance. Er trat aus den Schatten und hob die Hand zum Gruß, als ihn die Gardisten entdeckten. Es waren zwei mit Musketen bewaffnete Soldaten. Leichtes Spiel, dachte Vance erleichtert, In diesem Sauwetter würde es an ein Wunder grenzen, wenn die Gewehre richtig funktionierten. Nur die dritte Gestalt beunruhigte ihn. Ein türkisfarbener Umhang schützte den Mann vor dem strömenden Regen und den Wellen, die regelmäßig über das Deck spülten. Auf der Herzseite prangte das goldene Emblem eines Tropfens. Zauberer. Verfluchte Schweine …. Vance musste sich zurückhalten um nicht laut zu fluchen. Wo kam der den her? Sie waren jetzt seit über einem Monat auf See und die ganze Zeit hatte er keinen einzigen verdammten Robenträger zu Gesicht bekommen. Wo bitte hatte der sich bisher versteckt?
Hexer. Da waren ihm die Gejarn fast noch lieber. Aber auch nur fast. Die wenigen Tiermenschen, die sie an Bord hatten stanken furchtbar sobald ihr Fell nass wurde. Und bei einem Sturm wie jetzt….
Wenn sie die Kontrolle über die Windrufer gewannen, würde er sie alle über Bord werfen lassen. Es wäre spaßig herauszufinden ob die mit vollgesogenem Pelz überhaupt schwimmen konnten. Wenn überhaupt.
Die Gardisten hoben ebenfalls die Hand zum Gruß. Mit denen wurde er fertig, wenn es darauf ankam. Aber wenn sie den Zauberer nicht überraschten, dann hatten sie schlechte Karten. Vance marschierte an den beiden Soldaten vorbei ohne sie groß zu beachten.
,,Abend.“ , murmelte er, als er auf Höhe des Magiers kam. ,, Ich nehme an der Käpt’n ist in seiner Kabine ?“
,,Möchte nicht gestört werden, während er die Karten überprüft.“ , erklärte einer der Gardisten lediglich.
Karten ? Was denn für Karten? Sie waren mitten im Nichts, um sie herum sollte es nur eines geben und das war offenes Meer. Mitten im Sturm ihre Position bestimmen zu wollen war Wahnsinn.
Egal, das konnte der imperiale Offizier ihm auch noch erklären, wenn er ihm ein Messer an den Hals setzte.
,, Ich sehe schon. Schade. Ich hätte ja einiges mit ihm zu besprechen gehabt.“
,,Zum Beispiel ?“
Vance reagierte schnell und stürzte auf den Magier zu. Bevor der Mann realisierte, was vor sich ging, hatte er auch schon sein Messer im Hals.
,, Wo er die Klinge hinhaben will Beispielsweise.“ , rief Vance und stieß den toten Zauberer von sich. Blut sprudelte aus der Schnittwunde an dessen Hals. Götter und Geister, das war fast zu leicht gewesen. Aber wenn er den Mann nicht überrascht hätte, wäre er jetzt vermutlich eine lebende Fackel.
Die restliche Crew stürzte nun ebenfalls aus dem Dunkel und machte sich über die zwei völlig verwirrten Gardisten her. Ein Schuss löste sich aus einer der Flinten, aber die Kugel sirrte wirkungslos in die Nacht davon. Vance stieß derweil die Tür zur Kajüte auf. Der kaiserliche Offizier sprang von seinem Kartentisch auf. Bücher und Schriftrollen rutschten zu Boden, als der Mann schwankend zum stehen kam. Er war ein leicht untersetzter Kerl, mit roter Knollennase. Die Uniform die er trug war ihm definitiv ein Stück zu Klein, so dass die goldenen Knöpfe sich gefährlich spannten. Kein Krieger, ganz sicher sogar nicht. Trotzdem riss er sofort einen Säbel hoch, sobald er Vance und das blutige Messer in dessen Hand bemerkte.
Dieser versetzte dem Mann einen Tritt, der ihn durch die Kabine warf. Im gleichen Moment wurde die Windrufer abermals von einer Welle erfasst und der Kapitän verlor endgültig das Gleichgewicht. Bevor er wieder aufstehen konnte, war Vance auch schon über ihm und stieß ohne nachzudenken zu. Einmal, zweimal… Erst als der Mann aufhörte zu zucken lies Vance die Waffe sinken. Er wischte sich übers Gesicht ohne darauf zu achten, dass seine Hände völlig blutverschmiert waren. Das wäre geschafft.
Vance kam stolpernd auf die Füße und ging zum Kartentisch zurück. Was hatte der Kerl eben noch überprüfen wollen… Alles was er fand war die Karte der Gewässer. Eine gewaltige blaue Fläche, in der einzelne kleine Inseln eingezeichnet waren. Die meisten waren mehr Felsblöcke, als das sie diesen Titel verdient hätten. Auch die Bücher gaben ihm wenig Aufschluss. Abhandlungen über Magie. Pah, was sollte er den damit? Vielleicht verkaufen, ja das wäre eine Option. Er warf die Schriftstücke eines nach dem anderen über die Schulter. Die anderen kamen derweil ebenfalls in die Kabine gelaufen.
,,Was machen wir jetzt ?“
Er antwortete nicht. Vance Blick fiel auf eine Schriftrolle, die etwas hervorstach. Es war ein uraltes Pergament, das fast zerbröselte, wenn er es berührte. Die Sprache in der es verfasst war, erkannte er nicht einmal vom sehen her. Die Zeichen wirkten seltsam verschlungen. Es waren keine menschlichen Runen und auch keine Clanschrift, soviel war klar. Darin eingewickelt befand sich ein zweites Dokument. Und dieses mal erkannte er die Sprache. Offenbar handelte es sich um eine Übersetzung der ersten Schriftrolle…. Er überflog die Worte nur schnell. Das war allerdings interessant. Sehr interessant. Verflucht, jetzt wünschte er, er hätte den Zauberer doch nicht getötet. Egal, es würde sich eine Gelegenheit finden. Vance ließ das Dokument in seiner Manteltasche verschwinden. Er beugte sich nach vorn und hob den Hut des toten Kapitäns auf, bevor er sich ihn selbst aufsetzte.
,, Was wir jetzt tun, meine Herren ? Wir haben soeben erfolgreich ein kaiserliches Kriegsschiff in unsere Gewalt gebracht. Und ich persönlich habe nicht vor, hier aufzuhören.“


© by EagleWriter


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Beschreibung des Autors zu "Eden - Prolog"

Nachdem sie grade der Sklaverei entkommen ist und dabei unfreiwillig den jüngsten Spross einer mächtigen Adelsfamilie entführt hat, findet sich Eden nach einigen Wirren in der Crew des grausamen und berüchtigten Piratenkapitäns Vance Livsey wieder.
Dieser besitzt den Schlüssel zu einem unvorstellbaren Schatz. Eine unberührte Stadt des legendären alten Volkes, die sich auf einer Insel weit draußen im unerforschten Weltmeer befinden soll. Mit dem Erlös der gefundenen Artefakte, könnte Eden sich selbst freikaufen. Doch sie sind nicht die einzigen, die von der Insel wissen. Der mächtig Sanguis-Orden, die Gemeinschaft der Zauberer Cantons, ist ihnen dicht auf den Fersen.






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