1.

Ich wusste nicht was ich schreiben sollte, mir ging langsam der Stoff dazu aus. Ich hasste es hier sitzen zu müssen, sie konnten nicht ernsthaft von mir verlangen, dass ich mich jeden Tag in meine Kindheit zurückversetze und davon erzähle. Das ist doch krank. Doch krank war vieles hier, der Saal in dem ich gerade saß, der klobige Schreibtisch vor mir, das imitierte Kerzenlicht von oben, dass einem nicht wirklich Licht spendete. Ich hasste es. Noch dazu kam, dass der Saal verschiedene Gefühle in mir hervorrief. Wenn ich klein war, hatte ich immer schreckliche Angst hier, alles um mich herum war dunkel, voller Schatten, nur ich selbst saß im Rampenlicht. Ich fühlte mich beobachtet und wahrscheinlich war der Gedanke gar nicht so abwegig. Das einzige das half, war mich aufs Schreiben zu konzentrieren. Damals verlangten sie noch Traumerinnerungen. Als die Zeit um war, holten sie mich dann, meistens waren es zwei Frauen. Ich glaube eine der Beiden hieß Ami, sie war noch ziemlich jung und zeigte wenigstens etwas Mitgefühl. Sie war es die mich vom viel zu großen Stuhl hob und mich hinaustrug, während ich weinend meine Arme um sie schlang und versuchte mich zu beruhigen.
Inzwischen hatte sich einiges geändert, manches könnte man sogar als positiv bezeichnen zum Beispiel wurde mir gesagt dass ich bald statt schreiben malen konnte und ich glaube das würde mir vielleicht sogar Spaß machen. Außerdem, musste ich mir das Zimmer nicht mehr mit zehn anderen Mädchen teilen, sondern hatte mein eigenes, auch wenn es ein wenig karg eingerichtet war, aber das war ja nicht anders zu erwarten. Der Saal in dem sie mich früher immer gebracht hatten, war Halle nr.127, jetzt sitze ich in 673. Nicht dass das was ändern würde, alle Saale waren gleich, aber der Weg von meinem Zimmer zu 673 war länger, und das könnte man ebenfalls als positiv bezeichnen. Die wenigen Momente die ich in der Stadt verbringen durfte, außerhalb meines Zimmers, oder sollte ich besser Zelle sagen, genoss ich aus vollen Zügen. Ich liebte es durch die Gassen der Stadt zu schlendern und in die Schaufenster der verschiedensten Läden zu blicken. Am liebsten mochte ich Konditoreinen, aber Bäckereien waren auch nicht schlecht. Da gab es soo viele gute Sachen, die ich am liebsten alle auf einmal verschlingen würde. Doch jedes Mal sobald ich stehen blieb, um mich ein wenig umzuschauen, zogen mich Ethan und Jason weiter. Sie hatten absolut kein Verständnis für meine Neugierde, was mich ein wenig enttäuschte, denn sie waren immerhin kaum zwei Jahre älter als ich und noch in der Probezeit, das bedeutet… Endlich, ich wusste was ich schreiben konnte. Ich werde meine Zeit als 7-jährige, mit meinem jetzigen Leben als 16-jährige vergleichen. Falsch konnte es nicht sein, denn ich schrieb ja unter anderem über meine Kindheit. Ein Blick auf die Uhr, sagte mir, dass ich noch knappe zehn Minuten hatte. Zeit genug, um einen kurzen Eintrag in meinem aufgezwungenen, nicht privaten, Tagebuch zu machen.
„Komm schon Tash, wir müssen jetzt echt los!“ die drängende Stimme von Ethan, holte mich zurück in die Wirklichkeit. Jason wartete ungeduldig, mit verschränkten Armen, an der Hallentür, ich hatte seine Nerven eindeutig strapaziert.
„Ich…bin gleich“, ehe ich fertig sprechen konnte, hatte mich ein ziemlich wütender Jason auch schon vom Stuhl gezerrt. Widerwillig löste ich den Blick, von meinem etwas zu kurz geratenen Eintrag und blickte hinauf in seine schokoladenfarbenen Augen.
„Was?“ fuhr ich in an.
„Wir. Müssen. Los.“ seine dunkel braunen Haare klebten ihm verschwitzt in der Stirn.
„Ich. Weiß.“ antwortete ich gereizt.
Wir eilten durch den Doppelflügel und wurden empfangen, von ne Menge Leute, die sich interessiert, oder orientierungslos, wie man`s nimmt, umschauten. Neue. Die taten mir jetzt schon leid, sie wussten nicht was auf ihnen zukommen würde. Ethan eilte voraus und versuchte so gut es ging uns den Weg frei zu machen. Die Uniformen der Jungs, halfen ein wenig dabei. Die Neuen wichen teilweise von selbst aus, wahrscheinlich mehr aus Angst, als aus Respekt. Sobald wir durch waren, fing Jason an zu laufen, ich folgte. Das Schlusslicht bildete Ethan. Als Jason einen Blick auf die Uhr warf, steigerte er fluchend das Tempo.
Abrupt blieb ich stehen und Ethan rannte in mich hinein. Ich verlor das Gleichgewicht und wir stürzten keuchend zu Boden.
„Was…zum Teufel…?!“ fluchend richtete er sich auf. Passanten blickten uns verwirrt an und beeilten sich weiter zu kommen. Jason, der inzwischen bemerkt hatte, dass wir ihm nicht mehr folgten, stapfte stocksauer zurück.
„Sag mal seid ihr bescheuert? Ihr…,“
„Wir haben sie schon verpasst.“ erwiderte ich ausdruckslos.
Die Beiden schauten mich fragend an, ich deutete auf die Kirchturmuhr. Sie zeigte fünf nach sechs.
„Scheiße Mann, was machen wir jetzt?“ Ethan fuhr sich verzweifelt durch sein kastanienbraunes Haar.
„Keine Panik Leute, wir nehmen einfach die nächste Straße.“ Versuchte ich sie zu beruhigen.
„Das sagst du so einfach.“ Murmelte Ethan vor sich hin.
„Nur wegen dir, bekommen wir jetzt Ärger. Das ist alles nur deine schuld!“ Jasons Augen funkelten mich böse an.
„Ich weiß, tut mir leid. Aber ich war spät dran, ich wusste nicht was ich schreiben sollte und wenn ich den Eintrag nicht beendet hätte, würde ich jetzt Ärger bekommen.“ Versucht ich mich zu verteidigen.
„Schon okay.“ lenkte Ethan ein. Niedergeschlagen setzten wir unseren Weg zum Straßenband fort. Ich blickte hinauf, in den Himmel. Dicke, schwarze Wolken türmten sich über sie Stadt Logana auf. Und schon klatschten ersten Tropfen auf die Kuppel. Das liegt daran, dass die ganze Stadt von einer riesigen Glaskuppel umschlossen wird. Die Gebäude reichten vom Boden bis zur Glasdecke. Ich wünschte, ich könnte in einem der letzten Stöcke wohnen, wo als Dach die Glaskuppel diente. Das wäre einfach herrlich. Doch diese Apartments, waren nur für reiche Persönlichkeiten bestimmt.
„Jetzt sag mal Tash, warum in alles in der Welt, bist du so verdammt gut in Form?“ Ethan schaute mich fragend an und auch Jason schien die Frage brennend zu interessieren.
„Das war doch nicht etwa ein Kompliment?“ fragend hob ich die Augenbrauen. Ethan fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut.
„ Also, ich würde mal sagen, ich bin einfach ein Naturtalent.“ überspielte ich seine ihm anscheinend peinliche Situation. Jason sah mich zweifelnd an und Ethan prustete los. Wieder einmal, stand er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ich konnte nicht anders, sein Lachen war einfach ansteckend und lachte ebenfalls lauthals, über meinen schlecht gelungenen Witz.
„Nicht im Ernst, oder?“ erwiderte Jason, der sich ebenfalls ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Hey, ihr da, “ ein Wächter im Anzug kam auf uns zu und setzte unserem Lachen jäh ein Ende. Leise fluchend, wischte sich Ethan seine Lachtränen aus dem Gesicht.
„Was macht ihr noch hier? “ herrschte er uns an. „Alle Gabos sollten schon längst in ihren Zimmern sein!“
„Ja Sir.“ Jason stand stocksteif da und versuchte die Situation anscheinend mit übermäßigem Gehorsam, zu entspannen.
„Bist du nicht dieser Jacob…? “
„Jason, Sir.“
„Ah…Jason, “ nachdenklich blickte er uns an. „du…ihr seid noch in der Probezeit, nicht? Schaut dass ihr sie nach Hause bringt, aber schleunigst, bevor ich es mir anders überlege!“
Jason nahm mich am Arm und zog mich weiter. Das Thema war anscheinend für alle erledigt. Am Bahnhof angekommen, sprach niemand ein Wort. Ich verbrachte die Zeit damit, die Straßen zu beobachten. Eigentlich waren es ja keine richtigen Straßen, es waren einfach Laufbänder im Großformat, die extrem schnell durch die Bahnhöfe sausten, sie halten niemals. Sobald der Signalton ertönt, der die Straße ankündigt, muss man einfach schnell genug hinauf oder hinab springen, je nachdem ob man ein oder aus stiegen möchte. Älteren Personen, stehen auch andere Fortbewegungsmittel zur Verfügung. Manchmal beobachte ich die Leute, wie sie ein- oder aussteigen. Einige stellen sich so urkomisch an, dass ich mir ein Grinsen nicht verkneifen kann, woraufhin ich mir immer einen leichten Rippenstoß von Jason einhandelte. Geholfen hat es bis jetzt noch nie, in Gegenteil, es brachte mich nur noch mehr zum Lachen. Das Einsteigen an sich, war nun wirklich nicht besonders schwer. Einen Schritt nach rechts und schon saust man davon. Einige haben vielleicht Probleme mit dem Gleichgewicht, sobald sie auf dem Band stehen. Ist ja auch kein Wunder, bei der Geschwindigkeit.
Miss Brown, eine Frau Mitte 50, erwartete uns bereits ungeduldig vor meiner Tür.
„Wo zum Teufel habt ihr gesteckt? Ihr solltet schon vor einer halben Stunde hier sein. Könnt ihr sie nicht einmal pünktlich abliefern?“
„Sie hat einen Namen.“ blaffte ich wütend zurück. Ich hasste es, wenn in meiner Gegenwart, in der dritten Person gesprochen wurde. Sie ignorierte mich und starrte weiterhin die Jungs an.
„Kommt nie wieder vor Miss Brown. Entschuldigen Sie uns.“ Und damit waren Jason und Ethan, ohne ein Wort des Abschiedes, auch schon verschwunden. Ich schloss die Tür auf, ein weiteres Privileg, dass sie uns erlaubten, um uns glauben zu lassen, wir hätten das Recht zu bestimmen, ob die Tür offen, oder geschlossen ist. Ich knipste das Licht an.
„Setz dich.“, sie deutete aus das Bett. „drei Deinesgleichen, sind gestern ausgebrochen.“ ausdruckslos starrte sie mich an.
„Und?“ fragte ich vorsichtig.
„Hattest du Kontakt zu ihnen? Hast du ihnen geholfen?“
„Ich? Nein, wieso…trauen sie mir wirklich zu, dass ich ihm Stande wäre, ihnen zu helfen?“
„Gut, also zu deinem Eintrag heute. Er war nicht gerade sehr aufschlussreich.“
„Ich weiß, es tut mir ja auch leid, aber mir fällt einfach nichts mehr ein, zu dem Thema. Außerdem sind meine Erinnerungen an die Kindheit nur sehr vage.“
„Also gut, da dein Eintrag ohnehin nichts Interessantes enthält über das ich mit dir sprechen könnte, zu etwas anderem.“ erstaunt blickte ich sie an. Normalerweise sprach sie über nichts anderes als meinem Eintrag.
„Fälle wie der, von dem ich dir eben erzählt habe, sind in letzter Zeit immer häufiger geworden. Wir werden die Anzahl des Sicherheitspersonals deutlich erhöhen. Diese Sicherheitsvorkehrungen, dienen nur eurem Wohl, ihr seid anders als alle anderen, deshalb müsst ihr auch beschütz werden. Es gibt Leute da draußen, die euch Böses wollen, besser gesagt sie wollen euch ausnützten. Hast du das verstanden?“
Genau und die seid ihr, fügte ich gedanklich hinzu, nickte aber gehorsam.
„Aber wieso erklärt ihr das nicht auch den anderen, dann müsstet ihr uns auch nicht einsperren. Ich glaube die anderen fühlen sich eingeschränkt und ich kann das verstehen.“ traute ich mich zu sagen.
„ich weiß, Schätzchen.“ sie warf mir einen Blick zu, den ich nur allzu gut kannte. Ich hasste ihn. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, minderwertig zu sein. Ich weiß, Schätzchen, äffte ich in Gedanken nach. Als ob das die Antwort auf meine Frage wäre. Ich unterdrückte meine Wut, als sie nichts sagte, und mich stattdessen nur „mitfühlend“ anlächelte. So freundlich wie möglich fragte ich: „War´s das?“
„Ja Schätzchen, das wars. Ich wollte dir nur klarmachen, dass es absolut keinen Sinn hat, zu verschwinden.“ mit einem aufgesetzten Lächeln, verließ sie das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Ich ließ mich aus Bett fallen und nahm Mimisnuc in die Hand, ein Häschen aus Plüsch. Meine Mutter hat sie mir zum vierten Geburtstag geschenkt.
„Und Mimi, was sagst du dazu? Alles nur Lügen die sie uns auftischen, aber uns können sie damit nicht bekehren.“
Nach einer langen entspannten Dusche, kroch ich schließlich ins Bett. Ich hörte das klicken, das immer ertönte, sobald die Tür von außen automatisch verriegelt wurde.
Eins stand fest, sehr viel länger, würde ich hier nicht mehr bleiben.


© Mara


3 Lesern gefällt dieser Text.







Kommentare zu "Epic"

Re: Epic

Autor: noé   Datum: 04.08.2014 22:53 Uhr

Kommentar: Ein wundervoll-spannender Text, der neugierig macht auf weitere Folgen. Dazu ist er noch sehr flüssig (und schlüssig) erzählt. Ein paar Absätzen, an denen sich die Augen ausruhen können, wären hilfreich.
Sehr schön!
noé

Re: Epic

Autor: Ronia Tading   Datum: 07.08.2014 16:25 Uhr

Kommentar: Deine Geschichte interessiert mich jetzt schon! Bin sehr gespannt wie es weiter geht! Diese Miss Brown kann ich jetzt schon nicht leiden! Der Schreibstil ist sehr angenehm! Auch die Länge des Textes ist super!

Re: Epic

Autor: Mara   Datum: 07.08.2014 16:30 Uhr

Kommentar: Danke euch allen;) Bedeutet mir viel...

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