Guten Tag, mein Name ist Kommissar Tölpl. Hier stehe ich und kann nicht anders, in einem ehemaligen Pferdestall, dem Atelier meines schlimmsten Freundes und bewundere die Bissspur am Hals der noch unfertigen Skulptur „Letzte Hoffnung“, die der Mensch vor längerer Zeit begonnen aber nie vollendet hat. Nun ist er spurlos verschwunden. Am Boden vor dem Tonmodell, das als Vorbereitung zum späteren Gipsabguss gedacht ist, liegt eine Voodoo-Puppe. In ihrer Brust steckt eine Nagelfeile und sie riecht nach Chanel No 5. Nirgends entdecke ich Blut!

Da mein Freund, der Schlimme, nicht nur Maler und Bildhauer, sondern gewissermaßen auch „Imker“ ist (meist schwirrt eine Menge sehr fleißiger Bienen in seinem Haus herum), vermute ich, daß sein Verschwinden mit einem ebensolchen adretten Geschöpfchen zu tun haben könnte. Wie oft habe ich ihn schon überrascht, ihn und eine seiner Bienen, wie er sich abrackerte beim Herumkneten an ihr – als ginge es darum eine neue Form zu erschaffen – und sie, wie sie in Duldungsstarre unter ihm lag. Der Grund für die Starre war wahrscheinlich das Alter meines Freundes (er ist schon um die 60). Oder hatte er ihr befohlen sich nicht zu bewegen, weil er nebenbei ihr Gesicht filmte, dessen Ausdruck er unbedingt für das Altarbild „Mariä Verkündigung“ festhalten wollte? Nun ja, besonders großen Respekt vor diversen Mythologien kann man ihm ja wirklich nicht andichten.

Auf dem kleinen Tischchen, wo sonst nur Modellierwerkzeuge liegen schimmelt eine ebenfalls angeknabberte Ananas vor sich hin, was darauf hin deutet, daß mein Freund seit längerem schon verschwunden ist. Wo könnte er sich also aufhalten? Hält er sich überhaupt noch irgendwo auf? Oder „ziert“ sein massiger Leichnam bereits einen Wald, einen Park, einen Keller?

Als ich intensiv nachdenke fallen mir auf Anhieb eine Menge Leute ein, die Leichen im Keller haben. Da würde er nicht sonderlich auffallen. Oder habe ich ihn selbst umgebracht und vergessen ob ich seine Sterbliche Hülle verbrannt, zerstückelt – vielleicht sogar gegessen und restlos verdaut habe? In letzter Zeit erinnere ich mich ungern an meine Vergangenheit. Schließlich weiß ich, wie seltsam ich geworden bin, immer schon war - wie lange noch sein werde?

Das Dilemma ist groß. Ich beschließe den Tatort zu verlassen um die Ermittlungen zuhause fortzusetzen. Vielleicht fällt mir ja dort etwas Brauchbares auf oder ein. Vor meiner Haustüre angekommen bin ich immer noch in grüblerische Überlegungen versunken, als ich im Flur plötzlich vor ihm stehe. Er glotzt mich nachdenklich aus dem großen Wandspiegel neben der Garderobe an. Da fällt es mir wie Schuppen von den Augen: er ist ja noch gar nicht umgebracht worden. Ich weiß, daß ich mir das fest vorgenommen hatte. Nicht aus Neid, nicht aus Eifersucht, nur aus Gründen der Wahrheitsfindung. Ist es nun Wahrheit, daß wir, er und ich, leben? Ist es Wahrheit, das wir, er und ich, eine Person sind? Ist es Wahrheit, daß zumindest ich seine Existenz aus Gründen der Humanität ablehne? Ist es Wahrheit, daß ich unbedingt ihn zu Ende existieren muss, egal was noch alles passiert?

Die ganze Geschichte kommt mir reichlich suspekt vor. Mir genügen die Indizien die auf einen Mord hinweisen einfach nicht – auf einen geplanten Mord versteht sich. Und: kann eine Person die entweder nur teilweise oder gar nicht existiert überhaupt umgebracht werden? Ich weiß nur eines: mein Name ist Kommissar Tölpl, ich bin auf der Suche nach einem verschwundenen, schlimmen Freund, einem Maler und Bildhauer, der ich teils selber bin und teils nicht. Und noch eines weiß ich: ich werde mich jetzt verhaften müssen um in endlosen Verhören dem mysteriösen Fall vollends auf den Grund gehen zu können.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Kommissar Tölpls Ermittlungen"

Re: Kommissar Tölpls Ermittlungen

Autor: noé   Datum: 02.06.2014 2:46 Uhr

Kommentar: Auch eine Art von multipler Persönlichkeit.
BiSi

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