Die Gabe.
Ich stand vor dem röchelnden Krieger, den ich so blitzschnell gefällt hatte, sah die Überraschung in seinen Augen. Zögernd streckte ich meine Hand aus und nahm Blut aus der roten Flut, die pulsierend aus der klaffenden Halswunde der langsam in sich zusammensinkenden Gestalt strömte.
Ich hielt inne. Seit so vielen Jahren hatte ich mich geweigert, die mir so verhasste Fähigkeit nochmals zu benutzen. Nun war sie der einzige Weg, um zu erkennen, wer die treibende Kraft hinter diesem Konflikt war.
Entschlossen schob ich die blutverschmierten Finger zwischen meine Lippen, bestrich meine Zunge mit dem bittersüß schmeckenden Lebenssaft des Kriegers. Ich musste nicht lange warten: Der bekannte und peinvolle Sog packte mich augenblicklich und riss mich fort.
Die Welt versank. Ich hörte das letzte Röcheln des Menschen nicht mehr, dem ich den Tod gebracht hatte. Der Wirbel hielt mich in seinen Klauen – verschlang mich, die eisigen Arme fest um mich gepresst. Auch mein Magen drehte sich taumelnd mit. Ich war im Inneren des Orkans gefangen, der nun saugend in der Mitte sein Sturmauge vor mir öffnete. Ich wusste, was er mir zeigen würde. Gebannt blickte ich auf die Vision, die sich nun immer klarer vor mich schob – sah durch die Augen des Mannes, der nun starren Blicks vor mir lag – erlebte die letzte Stunde seines Lebens.
Der verfluchte Stundenkreis hatte sich geöffnet und raste unaufhaltsam in raschem Tempo einher. Eine Geschwindigkeit, die ich nur mit Mühe lenken konnte.
Konzentriert starrte ich auf die sich schnell hintereinander erhebenden Bilder: Der Krieger schärfte und reinigte seine Waffen in einem großen Zelt. Die Zeltbahn des Eingangs hob sich, eine besorgt blickende Frau trat leicht gebückt ein und kniete sich vor ihn. Sie sprach mit ihm, eindringlich. Ich hielt den Atem an und versuchte gegen den unausweichlichen Zeitstrudel zu kämpfen, um doch noch einige ihrer Worte zu erhaschen. Zärtlich schob sie ihre Hand unter das Kinn des Mannes. Widerwillig hob er den Kopf von dem polierten Schwert und blickte ihr ins Gesicht. Sie drang in ihn: diese Schlacht ... Angst ... du wirst in einen Hinterhalt ... geh nicht ... unser Kind ...
Ich konnte den Atem nicht mehr anhalten. Der Strudel raste weiter. Mit dem Soldaten trat ich vor das Zelt und ließ die Frau hinter mir. Ich rannte mit dem voll gerüsteten Krieger einen Hügel in dem Grasland hinauf zu einer Gestalt auf einem dunklen Hengst. Und ich sah in die Augen des schwarzen Ritters auf seinem tänzelnden Pferd, dessen Visier nun hochgeklappt war. Das war der Moment, auf den ich gehofft hatte. Ich ballte mich zusammen – versuchte nochmals anzuhalten, wurde jedoch weiter gespült und preschte mit dem für den Kampf entflammten Mann den Berg hinab.
Wir ließen den schwarzen Reiter hinter uns. Aber das war nicht mehr bedeutsam, denn ich hatte gesehen und gehört, was ich wissen wollte. Ich hatte in das Gesicht des Ritters geblickt und dessen eindeutigen, anfeuernden Schlachtruf vernommen. Jetzt wusste ich, wer das blutige Scharmützel verursacht, den großen Krieg begonnen hatte und Hass ballte mein Herz zusammen. Wie gern wäre ich nun geflohen, wand mich, um der unbändigen Kraft des Zeitstroms zu entrinnen, aber es gab keinen Weg hinaus. Eine volle Stunde. Meine Gabe war präzise und pünktlich - und kompromisslos. Ich war gefangen und rannte weiter voran ...
Der Soldat erreichte die tobenden Gefechtsreihen. Die zu seinem Volk gehörenden Kämpfer ließen sich gut an ihren nach vorne gebogenen Helmen erkennen. Wir schlugen uns durch die Reihen der verbissen kämpfenden Männer. Das Schwert in der rechten Faust und einem schweren Metallschild schützend mit der Linken vor dessen Brust gehalten, metzelten wir die Feinde nieder. Wir durchtrennten und stachen, präzise, ohne nachzudenken – bahnten uns eine blutige Schneise durch das Getümmel. Ein harter, schmerzhafter Hieb auf seine Schulter ließ den Krieger sein Schild verlieren. Er rannte weiter, dorthin wo der Kampf am heftigsten tobte. Schreiend, völlig außer sich, todesmutig, nur geleitet von dem Willen zu beschützen, was sein war, beseelt durch seinen Hass. Mit einem schnellen Ruck öffnete er den Gesichtsschutz, denn das durch das Visier gespritzte Blut und der Schweiß rannen über sein Antlitz brennend in die Augen.
Er drehte sich im Kreis, um einen genauen Blick auf den Stand der Schlacht zu bekommen. Die Reihen der Streiter mit den auffälligen Helmen waren gelichtet. Der schwarze Ritter war nicht auszumachen. Die irrwitzige Schnelligkeit seines versierten Kampfes hatte bei der wirbelnden Rasanz des Strudels mitgehalten, doch nun wurde der Mann langsamer und die nächsten Geschehnisse nahm ich wieder im gerafften Zeitstrom wahr.
Was ich am meisten gefürchtet hatte, geschah: Ich erblickte mich vor dem Krieger, breitbeinig stehend in meiner grauen, sich wie ein lebendiges Wesen an meinen Körper klammernden, Rüstung. Das Haar und das verzerrte Gesicht von Blut verkrustet, die Augen wild blitzend. Ich sah mich zu dem tödlichen Schlag ausholen.
Ohne Vorwarnung riss mich der Wirbel aus sich heraus und schlug mich von den Beinen.
Ich brach neben dem toten Krieger zusammen, kaum bei Bewusstsein, meine blutige Hand in der klaffenden Wunde auf seinem zerstörten Hals. Ich verachtete mich aus tiefster Seele. Hasste meinen Zustand und die Umstände, wie ich in diese mir wohlbekannte Lage gekommen war. Ich hatte gesehen, wem ich das Leben genommen hatte und es berührte mich bis in den Kern. Es war, als hätte ich mich selbst gemetzelt. Ich hatte einem tapferen Mann mit einem liebenden Herzen das Licht ausgelöscht – einem Soldaten, wie ich. Einen Moment lag ich in seiner sich ausbreitenden, warmen Blutlache und dachte daran mit ihm zu gehen.
Der Abend senkte sich allmählich über die hügelige Landschaft mit dem entsetzlichen Schlachtfeld und tauchte die blutige Szene zusätzlich in ein flammendes Rot. Es war vorbei. Schwerfällig richtete ich mich auf, kam auf die Knie. Tief bewegt, im Inneren zerstört, blickte ich dem Krieger zum letzten Mal ins Gesicht - schloss ihm sanft mit steifen Fingern die Lider. Ich kontrollierte kniend meine Waffen, kam auf die Füße. Erschöpft stapfte ich den Berg hinab, um zu suchen, wer von meinen Waffengefährten noch übrig war.


© Pat McCraw


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Beschreibung des Autors zu "Die Gabe"

Eigenständige Geschichte aus dem Buch »Duocarns - Ewige Liebe« von Pat McCraw. In dem Buch liest Xanmeran diese von ihm geschriebene Geschichte einer Freundin vor.




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