(Kapitel 16 - Kapitel 17)


Kapitel 16
Marens Entscheidung

Maren musste sich zusammenreißen, damit ihr Unterkiefer nicht herunter klappte. Vor ihr befand sich wahrhaftig Aquarius, der Heer der Meere, der Gott des Wassers. Sie traute ihren Augen kaum. Seit wenigen Tagen fühlte sich ihr Leben wie ein Traum an, ein Traum der nun auf seinen Höhepunkt zuging. Die Abbildung in Mareneh hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm, aber er stellte sie in den Schatten. Er blickte einen nach dem anderen an. Als seine Augen auf Maren ruhten, fühlte sie eine Ruhe von ihm ausgehen, die sie tief in ihr berührte, doch gleichzeitig schienen Wellen um ihn herum zu schlagen, die sich danach verzehrten alles Leben mit sich zu reißen.
„Aquarius“, sagte Dallas ein zweites mal. Dieser richtete seine Aufmerksamkeit auf den Meermann der noch immer Rhona auf seinen Armen trug. „Sie braucht Hilfe, bitte schau sie dir mal man.“ Aquarius nickte und wies Dallas an Rhona auf den Boden zu legen. Marens Herz schlug ihr bis zum Hals. >Bitte, sei in Ordnung.< Aquarius schwamm an Rhonas Seite, legte seine Hände an ihren Kopf und schloss die Augen. Ein schwaches leuchten umgab ihre Körper. Wie ein Funke der auf Holz trifft, loderten sie wie ein dunkelblaues Feuer auf. Maren kniff die Augen zusammen um nicht geblendet zu werden, doch das Leuchten war zwar hell, aber es blendete nicht.
Erstaunt starrte sie auf die am Boden liegende Rhona. Ihr langes Haar wehte in einem nicht vorhandenem Wind. Sie wirkte selbst wie eine Göttin, die im Begriff war eins mit Aquarius zu werden. Es war so schön und, Maren blickte sie verlegen an, auch so intim. Dann war es auch schon vorüber. Das Leuchten ebbte ab und Aquarius öffnete seine Augen als er seine Hände von Rhonas Kopf löste. „Ihr geht es gut“, sagte er. „Sie hat sich nur leicht den Kopf angeschlagen, sich eine Beule am Hinterkopf und wenige Prellungen zugezogen. Sie wird schon bald wieder erwachen.“
Ehrfürchtig lauschte Maren seiner Stimme. Sie war tief und klar, schien das ganze Meer einzunehmen und dennoch hörten nur die anwesenden seine Worte. Maren sog den Klang seiner Stimme in sich auf, sie erfüllte ihr inneres und aus einem ihr unerklärlichen Grund fing ihr Herz plötzlich an wild zu schlagen. >Die Wirkung eines Gottes auf eine Sterbliche<, dachte sie. Sie riss sich von ihm los, es kostete sie den größten Teil ihrer Willenskraft, aber sie wollte ihn nicht mit großen Augen anstarren. Ihre Augen richteten sich auf den Boden, auf die Stelle an der Rhona gelegen hatte, doch dort war sie nicht mehr. Maren hatte gar nicht bemerkt, dass Dallas sie wieder in seine Arme genommen hatte und verschwunden war. Ihr Blick schweifte über die Gebäude und auf die Straßen, da entdeckte sie ihn. Er war nur noch ein schwacher Punkt. Dallas hätte ihr zumindest bescheid geben können, bevor er verschwand.
„Und was ist mit dir? Kann ich dir helfen?“, fragte die alles durchdringende Stimme von Aquarius. Schüchtern blickte sie ihn an, öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder. Wie könne sie ihn um etwas bitten bevor Rhona aufgewacht war? Sie schüttelte den Kopf. Erst musste Rhona erwachen, erst musste sie mit eigenen Augen sehen das es der Meerjungfrau gut ging. Dann schwamm sie davon und Dallas hinterher. „Du kannst jederzeit zu mir kommen“, hörte sie Aquarius in ihrem Kopf sagen. „Ich werde immer für euch da sein, immer.“ Seine Worte erwärmten ihre Brust, auch wenn sie keine mehr besaß. Am liebsten würde sie umkehren, zurück zu ihrem Gott, ihn wieder ansehen und jede Faser seines Seins in ihr aufnehmen. Am liebsten...
Maren schüttelte den Kopf und konzentrierte sich voll und ganz auf Rhona, sonst würde sie wirklich noch umkehren. Doch wenn sie das tat hatte sie das Gefühl die Meerjungfrau zu verraten. Rhona hatte sich dazu bereit erklärt, ihr zu helfen, jetzt würde sie für sie da sein. Maren schwamm um eine Ecke und sah gerade noch wie Dallas Schwanzflosse durch ein Fenster in eines der Gebäude verschwand. Maren folgte ihm. Vorsichtig spähte sie durch das Fenster in das Innere.
Rhona lag auf einem Bett aus Stein und... Schwamm? Dallas hockte neben ihr und hielt ihre Hand mit der seinen. Die buntesten Muscheln verzierten die Wände. Ein richtiges Muster war nicht zu erkennen, aber hübsch war es dennoch. Sonst war der Raum leer, irgendwie trostlos, schon fast unpersönlich. Bei sich zu hause hatte Maren auch nicht fiel, aber es war nicht schwer zu erkennen welches ihr Zimmer war.
Ihres war klein, das Bett nahm den größten Platz ein, ein kleiner Holzschrank in dem sie ihre Kleider aufbewahrte stahl fast den gesamten restlichen Raum. Ein Buch der Götter lag immer neben ihrem Kopfkissen und eine Zeichnung ihrer Mutter die ihr Vater für sie mit schwarzer Kohle gemalt hatte, das jedoch nicht besonders gut, hing eingerahmt an der Wand. Doch das persönlichste in ihrem Zimmer waren wohl die Handabdrücke auf ihrer Wand. Den ältesten von ihnen hatte ihr Vater mit ihr gemacht als sie noch ein Säugling gewesen war, das jüngste ist vor einem Jahr entsandten, an dem Tag, an dem sich ihre Geburt das 18. Mal jährte. Sie fragte sich bis heute welche Beeren für die Farbe verwendet wurden, ihr Vater wollte es ihr nicht verraten, „Ein Geheimnis“, sagte er immer mit einem Zwinkern. Aber es war so ein ganz dunkles Lila, vielleicht Blaubeeren? Und da war ja noch, unter ihrem Kopfkissen... Der Ring! Erst jetzt fiel er ihr wieder ein. Sie hatte ihren wertvollsten Besitz unter ihrem Kopfkissen vergessen, wie konnte sie nur?
Maren schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Der Ring war nun einmal dort wo er war, sie konnte im Moment nicht an ihn heran, doch dort war er sicher. Sie öffnete wieder ihre Augen und schwamm langsam hinein. Dallas fuhr überrascht herum, entspannt sich aber als er Maren erkannte. „Konnte Aquarius dir nicht helfen?“
„Ich habe nicht gefragt.“
Verwundert blinzelte er. „Warum?“ Maren schwamm an Rhonas andere Seite. „Es fühlt sich nicht richtig an ihn zu fragen, bevor sie nicht aufgewacht ist.“ Sie blickte ihn ernst an. „Rhona war an meiner Seite, als ich überfordert und verzweifelt im Meer herumgeirrt bin ohne zu wissen was ich mit mir anfangen sollte. Jetzt werde ich an ihrer Seite bleiben bis sie wieder aufwacht, ohne vorher an mich zu denken.“ Dallas nickte. „Du bist eine gute Freundin.“ Freundin? Waren sie beide wirklich Freunde? Maren lächelte, dass würde ihr gefallen. „Ich werde ebenfalls an ihrer Seite bleiben“, sagte Dallas.
Schweigend wachten sie beide über Rhona, während die Nacht vorüber strich.


Kapitel 17
Der Tod

Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf Earas Gesicht, beleuchteten ihre Augenlider und rissen sie so aus ihrem Schlaf. Gähnend öffnete sie die Augen, setzte sich auf und streckte sich. Mit einem Seitenblick vergewisserte sie sich das Alec noch schlief. Leise schlug sie die Decke beiseite und stand auf, sie wollte ihn nicht wecken. Eara ging zur Tür, öffnete sie, blickte ins Esszimmer und stutzte. An der Feuerstelle stand eine ihr völlig fremde Frau, aber sie lebte ja auch erst seit wenigen Tagen hier in dem Haus.
Die Frau hatte langes braunes Haar, dass offen über ihren Rücken viel. Hin und wieder erhaschte sie einen Blick auf ihr Profil, da sie mit dem Rücken zu Eara gedreht war. Das Kleid war seltsam, hatte eine schwarzbraune Farbe, es schien an manchen Stellen zerrissen zu sein, aber so genau konnte sie das nicht sagen und ausgetrocknete Pflanzen sowie zwei kleine Beutel waren an einem Ledergürtel, der um ihre Hüfte saß, befestigt. So eines hatte sie noch nie gesehen.
War die Frau eine Freundin? Eine Verwandte? Vielleicht von Auswärts, weit über den Horizont hinaus? Wie aufregend.
Earas Augen huschten zum Esstisch, an dem Dallas saß, sein Kopf war gesenkt, versteckt in seinen Armen die er auf den Tisch gelegt hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Sie kannte diese Körperhaltung nur zu gut, zu oft hatte sie diese schon bei Menschen gesehen die mit ihr zusammen auf der Straße gelebt hatten. Verzweiflung, Trauer, Hoffnungslosigkeit. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen bis sie Dallas so nahe war bis sie ihn berühren konnte. Sie zupfte an seinem Hemd, doch er reagierte nicht. „Was ist los?“
„Lass ihn in Ruhe“, sagte die fremde Frau mit einer so scharfen und unfreundlichen Stimme das Eara zusammen zuckte. „Nein, schon gut“, sagte Dallas mit erstickter Stimme. Er hob den Kopf. Sein Gesicht war von seinen Tränen ganz nass. Ja, etwas stimmte ganz und gar nicht. Dallas hob seine Hand und winkte sie zu sich. Eara schluckte bevor sie an ihn heran trat. „Es... es ist etwas schlimmes geschehen.“ Ihm viel es schwer zu sprechen. Sie kannte diesen Tonfall auch ziemlich gut. Es war immer etwas ganz schreckliches geschehen, wenn Erwachsene diesen verwendeten, daher mochte sie ihn nicht, sie hasste ihn, hatte Angst vor ihm. „Es... es geht um Maren“, sprach er angespannt und mit zittriger Stimme weiter, „sie... sie ist... tot.“ Seine Mundwinkel zuckten und weitere Tränen traten aus seinen Augen.
Eara blickte zu Boden. Sie hatte den Tod schon oft gesehen, angefangen mit ihrer eigenen Familie bis zu den Menschen die Tag für Tag auf der Straße starben, doch was genau das bedeutete verstand sie nicht, nur das Maren fort war und sie sie bis zu ihrem eigenen tot nicht mehr wiedersehen würde. Es machte sie traurig Maren so lange nicht sehen zu können, doch es würde nicht für immer sein, solange sie sich nicht Nihil hingab. In Anims Reich würden sie wieder vereint sein. Daher weinte sie nicht wenn ein Mensch starb, der ihr wichtig war, sie würden sich ja wiedersehen.
„Und nun Kleine“, mischte sich die fremde Frau ein, ihre grünen Augen glühten gefährlich auf, sodass Eara einen Schauer über den Rücken lief, „lass ihn in Frieden, er muss sich ausruhen.“ Eara schluckte mit großen vor Angst geweiteten Augen und nickte, bevor sie sich von Dallas entfernte und in ihrem und Alecs Zimmer verschwand. Sie mochte die Frau nicht, sie mochte sie ganz und gar nicht. Eine böse Hexe war sie und gegen Eara schien sie auch etwas zu haben. Sie wollte nicht das sie bei Dallas war. >Ich kann bei ihm sein wann ich will!< Besonders da sie Maren vermissen würde, bis sie sie wieder sehen würde, wollte sie zumindest Dallas nah sein.
Sie sah zu ihrem Bett hinüber. Alec schlief noch immer. Eara nahm Anlauf, sprintete los und sprang auf ihr Bett. Überrascht schrie er auf, schlug seine Augen auf und starrte sie ungläubig an. Sie holte tief Luft, da sie wusste das er über den Tod anders dachte als sie, aber er musste es irgendwann erfahren und dann wäre es besser das sie ihm davon erzählen würde als Dallas in der Gesellschaft der fiesen Hexe. „Maren ist nicht mehr da.“
Alec blinzelte verwirrt. „Sie ist nicht mehr da? Wie meinst du das?“ „Tot, Alec“, sagte Eara. „Sie ist tot.“ „Was?“ Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Sie wusste was das bedeutete. Er würde weder Trauer noch Freude noch sonst eine Gefühlsregung zeigen, im Stillen Anim und Maren verfluchen, da der eine sie ihnen weggenommen hatte und die andere sie einfach verlassen hatte. Es würde ihn auffressen, von innen heraus. Eara war da anders, sie musste mit anderen darüber reden was geschehen war um die Trauer zu überwinden und sich nur über das Wiedersehen freuen zu können. Außer...
Es gab da einen Todesfall über den sie nicht sprach, den von ihrer Familie. Sie hatte den Mann gesehen... der.... der ihnen das angetan hatte... das Messer und das ganze...Blut.... Eara schüttelte den Kopf. Sie durfte daran nicht denken, nicht jetzt, Alec brauchte sie. Sie kletterte von ihm hinunter und setzte sich neben ihn. „Wir werden sie wiedersehen.“
„Sie ist tot.“
„Aber eines Tages werden wir sie wiedersehen.“
„Dann sind wir auch tot.“
„Anims Priester sagen, dass es nicht schlimm ist zu sterben, da unsere Seele wichtiger ist als der Körper.“
„Schwachsinn! Wieso leben wir denn wenn unser Körper unwichtig ist?“
„Er ist nicht unwichtig, nur nicht so wichtig wie unsere Seele. Er formt sie.“
„Er formt sie?“
„Durch Erfahrungen die wir in unserem Leben sammeln, dass sagen zumindest die Priester.“ Dann schwiegen sie, während sie nebeneinander saßen, sich bei den Händen nahmen und in ihren eigenen Gedanken schwellten.


© Lighania


0 Lesern gefällt dieser Text.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Hexenfluch-Verdammt unter Wasser (Teil 9)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Hexenfluch-Verdammt unter Wasser (Teil 9)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.