(Kapitel 14 - Kapitel 15)

Kapitel 14
Hilfe von Meermann Dallas

Maren wusste nicht wie lange sie schon versuchte Rhona zu wecken und das ohne Erfolg. Die Meerjungfrau blieb bewusstlos am Boden liegen, aber sie lebte, ihre Brust hob und senkte sich. Doch sie musste aufwachen, sie musste einfach und zwar schnell. Rhona kannte sich im Meer aus, sie wusste was für Gefahren in ihm lauerten. Vor kurzem hatte Maren festgestellt, dass es dunkel wurde. Die Sonne ging unter und nur die Götter wussten was dann geschehen würde, doch sie spürte, dass sie verloren waren, wenn erst die letzten Sonnenstrahlen erloschen. Aber was sollte sie tun?
Sie konnte Rhona nicht wecken und vor allem konnte sie die Meerjungfrau hier nicht zurück lassen. Maren hatte schon daran gedacht Hilfe zu holen, aber wem oder was konnte sie trauen? Wer würde sie nicht bei lebendigen Leibe verschlingen bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte? Wären sie in Mareneh, wüsste sie was zu tun wäre. Sie kannte die Leute und wusste wem sie trauen konnte. Zur Not wäre sie zu einem Priester gelaufen, ihnen konnte sie immer vertrauen. Aber sie waren nicht in Mareneh und hier gab es auch keine Priester.
„Rhona, wach auf“, flehte sie verzweifelt, ohne zu wissen ob die Meerjungfrau sie hören konnte und stupste sie an. Wie erwartet rührte sie sich nicht. Besorgt blickte Maren sie an. Rhonas Gesicht lag schon in tiefen Schatten. Die Dunkelheit der Nacht würde sie beide schon bald verschlingen. Maren hatte keine andere Wahl, sie musste versuchen Hilfe zu holen. „Ich bin bald wider zurück“, flüsterte sie Rhona ins Ohr und schwamm davon. Doch wo sollte sie suchen? Wen um Hilfe bitten? Sie würde wohl jeden ansprechen müssen den sie finden konnte. Was sie dann auch tat.
Ihr kamen kaum andere Fische entgegen, doch jedes mal rief sie nach Hilfe und jedes mal wurde sie nicht beachtet, ignoriert. Sie schwamm zu jedem hin, bettelte, flehte um Hilfe, versuchte zu erklären was geschehen war und drohte Rhonas unausweichlichen Tod an, wenn sie nicht gerettet wurde, aber Maren stieß nur auf Ablehnung und Ignoranz. Zwei, drei mal schenkte ihr jemand einen kurzen Blick, der einzige Beweis dafür, dass sie wahrgenommen wurde.
„Mist!“, fluchte sie verzweifelt. Was sollte sie tun? Niemand hörte ihr zu. „Aquarius hilf mir, hilf Rhona.“ Keine Antwort. Er hatte ihr nie geantwortet, sie hätte es auch nie erwartet oder verlangt, doch jetzt, jetzt brauchte sie eine Antwort. Schweigen. „Ich werde keine bekommen.“ Maren seufzte und wandte sich gerade um, um zurück zu Rhona zu schwimmen, da drang ein Geräusch an ihr Ohr. Es hörte sich wie das Wiehern eines Pferdes an.
„Hier? Unter Wasser? Seltsam.“ Sollte sie einen letzten Versuch starten? Für Rhona? Aber sie wusste nicht wie weit das Wesen entfernt war das wieherte. Es konnte ganz nah sein, aber auch ganz fern, viel zu weit um es erreichen zu können. Ein weiteres Wiehern. Sie seufzte und schwamm los. Ein letzter Versuch.

„Götter, was ist das?“, fragte Maren voller entsetzen. Das Wesen vor ihr, war größer als Rhona, besaß einen Pferdekopf, daher wohl das Wiehern, statt Hufe hatte es an den Vorderbeinen Flossen und sein Körper endete in einer riesigen Fischschwanz. „Halb Pferd, halb Fisch?“ Von so etwas hatte sie noch nie gehört.
„Hey du“, sagte eine Stimme. Erst jetzt bemerkte Maren das jemand auf dem Wesen saß. Er war wie Rhona, eine Mischung zwischen Mensch und Fisch, ein Meermann. „Hey, hast du zufällig eine Meerjungfrau gesehen? Rotes Haar, eine gelbgrüne Schwanzflosse und violette Augen? Sie wollte zum Felsenriff um dort Perlen zu sammeln.“ Irritiert blinzelte Maren. Sprach er etwa von Rhona? „Also, hast du eine gesehen?“ „J...ja“, antwortete sie, die nicht glauben konnte, dass Rhona womöglich Hilfe bekam. „Ich hab eine gesehen. Sie heißt Rhona.“ Der Mann drückte sich von dem halb Pferd halb Fisch Wesen ab und schoss auf sie zu. „Das ist sie.“ Sein Gesicht strahlte. „Wo hast du sie gesehen?“
„Sie braucht Hilfe“, sagte Maren. Schnell erklärte sie ihm was geschehen war. „Sie ist gegen einen Felsen geschleudert wurden. Wir... wir wurden von Haien verfolgt, dann hatte sie die Kontrolle verloren. Ich... ich konnte den Felsen nicht einmal sehen und -“, sagte sie aufgeregt „Hey“, unterbrach der Meermann sie und umschloss sie mit seinen Händen. „Beruhige dich und sag mir dann wo sie ist.“ Maren schluckte. Er hatte recht. Es half niemanden, wenn sie nicht zur ruhe kam. Sie schloss die Augen und atmete einmal tief durch. „Ist gut.“ Er ließ sie los und fragte: „Kannst du mich zu ihr führen?“ Maren nickte und wandte sich um, dann stockte sie. Woher war sie gekommen? Alles sah so gleich aus. Hatte sie die Felsen und Pflanzen vor ihr schon einmal gesehen? Bestimmt. War sie im Kreis geschwommen? Dann seufzte sie. „Nein, ich weiß nicht wo lang“, sagte sie dann.
„Du bist nicht von hier oder?“, fragte der Meermann und Maren nickte während sie sich wieder zu ihm umdrehte. Enttäuschung war tief in sein Gesicht geschrieben. Irgendetwas musste sie tun. Wie nutzlos sie war. Wieso hatte sie sich den Weg nicht gemerkt, den sie geschwommen war? Sie musste ja einfach drauflos schwimmen. Maren konzentrierte sich, hätte sie Augenbrauen würde sie diese zusammen ziehen. Was war noch alles außer dem Felsen, dort wo Rhona lag? Sie wusste es nicht, sie hätte auf ihre Umgebung achten müssen. Aber etwas war dort gewesen. „Während Rhona die Kontrolle verloren hat, war sie seltsam schnell gewesen, schneller als sie hätte sein dürfen“, überlegte sie laut.
Der Meermann sah sie nachdenklich an. „Das hört sich nach den Strömungen an. Komm mit.“ Er schwamm zu dem seltsamen Wesen hinüber und winkte Maren zu sich. Nach kurzem zögern schwamm sie hinterher. Er setzte sich auf das Wesen, schloss sie in seine Arme, ähnlich wie Rhona, nur nicht ganz so eng an seinen Körper gedrückt und schon schossen sie davon. Maren kniff die Augen zu. „Wir sind so schnell.“
„Das ist typisch für die Hippokamp, sie sind die schnellsten Fische im Meer“, erklärte ihr der Meermann. Zu schnell für ihren Geschmack. „Ich bin übrigens Dallas“, stellte sich der Meermann vor. „Rhona ist eine alte Freundin von mir. Sie ist sehr vorsichtig und immer vor Anbruch der Dunkelheit zurück, doch dieses mal nicht, was wohl an dir liegt. Du bist kein normaler Fisch, hab ich recht?“
Maren schluckte. „Wie kommst du darauf?“
„Du hast mich weder geistesabwesend angestarrt noch mit belanglosem Zeug gequält,“ sagte er mit einem schmalen Lächeln. Er hatte recht, sie war kein normaler Fisch. „Ich bin ein Mensch“, sagte sie knapp und wartete auf seine Reaktion. Erst herrschte schweigen, dann prustete er los, lachte aus ganzem Herzen. „Ein Mensch? Natürlich.“ Weiteres Gelächter. Wenn Fische erröten konnten, dann wurde Maren es. Ihr war unter ihren Schuppen so heiß, dass das Wasser um sie herum eigentlich kochen müsste. Sie hätte nichts sagen sollen, sie hätte den Mund halten sollen. „Das ist kein Scherz“, murmelte sie. Dallas hörte auf zu lachen. „Du meinst es wirklich ernst?“ Maren nickte. „Und wie kam es dazu, dass du, nun ja, ein Fisch bist?“, fragte er dann. „Ein Fluch“, erklärte sie und wusste selbst nicht warum sie das tat. „Meine Mutter hat eine Hexe verärgert. Mich hat dann ihr Fluch getroffen. Rhona wollte mich zu Aquarius bringen. Vielleicht kann er mir helfen.“ „Möglich“, sagte er und wies auf etwas, was wie umherwirbelnder Wind aussah, welches das Wasser in eine Art Strudel verwandelte. „Eine Strömung, die einzige in der Gegend. Rhona muss hier irgendwo sein.“
Maren löste sich aus Dallas Griff und suchte den Boden ab. Sie entdeckte, Krebse, Pflanzen und Korallen. Dann an einem Felsen, eine Hand, sie gehörte Rhona. „Dallas!“, rief sie. „Ich habe sie gefunden.“ Der Meermann kam schnell an geschwommen, hob die Meerjungfrau vorsichtig auf und brachte sie zu diesem Hippokamp. Dann drehte er sich zu Maren, die alles schweigend beobachtet hatte. „Komm, ich bringe dich zu Aquarius.“ Maren nickte dankbar, schwamm zu ihm und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.


Kapitel 15
Das Land verborgen unter Wasser

Der seltsame Pferdefisch schwamm nicht mehr so schnell wie zuvor, aber noch immer schnell genug. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie einen Hügel, der Maren die Sicht auf das versperrte was dahinter lag. „Gleich sind wir da“, sagte Dallas. Der Hippokamp wieherte, schwamm nach oben und über den Hügel hinweg. Maren stockte der Atem und ihre Augen weiteten sich.
Eine Steinstadt erstreckte sich über eine riesige Fläche hinweg. Gelbe, weiße und grüne Lichter erhellten sie in der tiefen Nacht und schienen alle Gefahren zu verschrecken. Es wirkte so sicher, die Lichter so geborgen. Sie umhüllten Maren, drangen durch ihre Schuppen in ihren Körper und beruhigten sie. Ihre Angst um Rhona, ihre Sorge um ihren Vater und die Wut auf diesen verdammten Fluch waren wie weggeblasen. Die Bewegung des Wassers, die Pflanzen die sich in den Strömungen wanden und die kahlen grauen Steinhäuser, die dennoch so warm waren, zogen Maren zu sich. Eine tiefe Sehnsucht kam in ihr auf und gleichzeitig ein ihr unerklärliches Gefühl, eines das ihr sagte sie sei nach hause gekommen, dies hier sei ihre Heimat. „Ich bin schon einmal hier gewesen“, hauchte sie, als ihr die Erkenntnis kam.
Dallas lächelte. „Also doch kein Mensch?“ Maren antwortete nicht.
Die Erinnerung an diesen Ort war zu weit entfernt, so von Nebel durchzogen, dass sie sie nicht greifen konnte, egal wie sehr sie sich auch anstrengte, sie war unerreichbar. Aber, wie könnte sie schon einmal hier gewesen sein? Maren war ein Mensch, sie war noch nie zuvor am Meer gewesen, geschweige denn darin. Wieso erinnerte sie sich an diesen Ort? „Es ist wie ein Traum.“ Ja, dass war es. Dieser undurchdringlicher Nebel, war wie am Morgen an dem man versuchte sich an den Traum von der vorherigen Nacht zu erinnern. Sie waren oft genauso ungreifbar.
Dallas führte den Hippokamp zu eine Art Stallung vor der Stadt. Auch dieser bestand aus Stein, sonst sah er so aus wie ein ganz normaler Stall. Jedes Tier hatte seinen eigenen abgeschlossenen Bereich mit Futter, dass überdacht war und in denen sie sich frei bewegen konnten ohne weg zu schwimmen. Er beeilte sich dabei. „Die Hippokamp dürfen nicht in die Stadt, durch ihre Schnelligkeit würden sie zu viel Schaden anrichten, zu viele Unfälle würden passieren“, erklärte er, als er Rhona von dem Rücken des seltsamen Fisches nahm. „Jetzt aber schnell.“ Dallas hatte recht, Rhona brauchte Hilfe. Sie war bisher nicht aufgewacht oder hatte sich gerührt. Hoffentlich war sie nur bewusstlos und hatte sich den Kopf nur leicht angeschlagen.
„Wohin bringst du sie?“, fragte Maren. „Habt ihr hier Ärzte?“ Dallas blickte sie fragend von der Seite aus an, wären sie nicht in Eile, wäre er sicherlich stehen geblieben. „Ich weiß zwar nicht was das sein soll, aber wir haben etwas was garantiert besser ist.“ Maren verstand. „Aquarius, nicht wahr?“ Er nickte. „Immerhin kommst du auf diesen Weg auch zu ihm.“ „Stimmt, aber Rhona hat Vorrang. Erst wenn es ihr besser geht, werde ich mit ihm sprechen“, sagte Maren, die noch immer nicht glauben konnte, bald dem Heern der Meere höchstpersönlich gegenüber zu stehen.
Es war so unwirklich. Ihr ganzes Leben lang waren die Götter unerreichbar gewesen, eine Macht die viel zu weit über ihnen stand und höchstens die Priester schafften es ihnen so nahe zu kommen, dass sie sie beinah berührten und nun sollte sie einen von ihnen begegnen. Maren musste sich zusammenreißen das sie nicht vor ihm erstarrte, oder gar in Ohnmacht viel, Rhona brauchte seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sollte sich Maren vielleicht fernhalten solange Aquarius sich um die Meerjungfrau kümmerte? Er wäre so noch immer fern aber auch nah genug. Kein normaler Sterblicher hatte in den letzten Jahrhunderten einen wahrhaftigen Gott gesehen, selbst die Priester nicht.
Maren riss sich von ihren Gedanken los, sie machten sie ganz verrückt. Sie ließ ihre Augen über die Gebäude der Stadt gleiten. Auf den ersten Blick sahen alle gleich aus, einige waren nur höher oder breiter als andere, aber wenn man genauer hinsah, waren sie alle unterschiedlich, individuell. Eines hatte vorne zwei Fenster, ein anderes war an den Ecken abgerundet und wieder ein anderes hatte einen anderen Grauton in den Steinen. Kleine Lampen waren an den Häuserwänden angebracht, die den Ursprung der Lichter in sich trugen. Es waren keine Flammen, sondern hell leuchtende Steine. Die größten unter ihnen hatte Maren schon aus der Entfernung gesehen doch jetzt mischten sich noch welche in blauen, roten und violetten Farben unter die anderen. Es erinnerte sie an das Götterfest in Mareneh.
Die Straßen der Stadt waren wie leergefegt, nur hier und da huschte einer vom Meervolk an ihr vorbei, was sie jedoch nicht all zu sehr verwunderte, es war immerhin Nacht, selbst unter Wasser war man wohl ungern in der Dunkelheit unterwegs. Trotz dieser Leere, wirkte dieser Ort magisch, so als ob hinter jeder Ecke ein Wunder lauerte.
Plötzlich hielt Dallas an. Maren sah an dem Gebäude hoch das vor ihr stand. Es war das größte und höchste von allen, vielleicht eine Art Unterwasserschloss? „Wir müssen zu Aquarius“, sagte er gerade. Maren hatte die beiden Meermänner gar nicht bemerkt die ihnen den Weg versperrten. Sie bewachten wohl die riesige und schwer wirkende Steintür hinter ihnen, die in das Innere des Schlosses führte. Einst war sie wohl mal mit Gold verziert gewesen, Überreste von Blattgold klebten noch an den eingemeißelten Blumenranken, die an der Tür hinauf krochen.
Noch bevor einer der beiden Meermänner antworten konnte, schwang diese auf, sie schien sich so leicht öffnen zu lassen, doch nie hätte Maren dies zustande gebracht, wahrscheinlich hätte sie sie noch nicht einmal bewegen können, und ein weiterer Meermann trat heraus. Seine Augen waren so tief wie alle Meere, sein Gesicht war mit Schuppen überzogen und Strömungen kräuselten sich um seinen Kopf und eine leichte Verfärbung des Wassers verriet wo sich sein Haar befand. Auf den ersten blick schien er nicht besonders zu sein, doch je länger man ihn betrachtete spürte man seine Präsenz, so eine einnehmende Ausstrahlung, dass es Maren den Atem raubte. Er war...
„Aquarius“, sagte Dallas.


© Lighania


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