John Flowrew saß geduckt unter einer schneebedeckten, vom ewigen Wind gebeugten und weit zurückgebliebenen Kiefer. Er hatte den Kragen seiner gefütterten Wachsjacke bis zu den Ohren hochgeschlagen so dass sein mausgrauer Vollbart in der Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, über den Kragen quoll und ihm fast die Sicht nahm.
Er tat es nicht weil er fror, nein er tat es weil den anderen kalt war und der Mensch nun mal ein Herdentier ist.
Er schätzte, dass seine Kollegen aus dem Süden gar nicht wussten, was Kälte überhaupt ist.
Während seiner Kinder und Jugendtage war er hoch oben in den Rocky Mountains aufgewachsen und die Winter dort waren lang und streng. Mutter war oft lange unterwegs und wenn er und seine Geschwister nicht eng aneinander gelegen hätten, wären sie wahrscheinlich erfroren. Das Leben in der freien Natur hatte ihn stark und ausdauernd gemacht. Er musste schmunzeln wenn er daran dachte wie er mit seinen Brüdern und Schwestern versucht hatte Hasen, Rehe, Hirsche und Elche zu jagen. Anfangs war es hoffnungslos aber Mutter gab sich so viel Mühe und zeigte ihnen einiges aus ihrem Repertoire der Jagd, so dass sie immer besser, schneller und ausdauernder wurden. Fleisch war ein wichtiger Bestandteil ihrer täglichen Nahrung.
Nun saßen er und die anderen beiden Deputies hier am Fuße der Rockies und beobachteten ein vom Sheriff genanntes Planquadrat. In diesem Planquadrat wurden in den letzten vierundzwanzig Monaten Fünfzig Angus- Rinder, fünfunddreißig Schafe und Ziegen sowie ein Hund getötet. Getötet ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Nein…, die armen Kreaturen wurden verstümmelt, zerfetzt, ausgeweidet und ihre Fleisch und Knochenstücke über wenigstens fünfzig Quadratkilometer verteilt. Das alles deutete stark auf ein Wolfsrudel hin. Nur Wölfe verfügen über ein so großes Revier. Seltsam und unbegreiflich allerdings war die Geschichte des Farmers, der berichtet hatte das seine Tiere immer nur in den Vollmondnächten gerissen wurden und das er in einer dieser Vollmondnächte beobachtete wie ein riesiger aufrecht gehender Wolf mit glühenden Augen seine mit messerscharfen Krallen bewaffnete Pfote in eines seiner Angus- Rinder stieß und ihm das Herz herausriss.. Nun ja, Mr. Kepler lebte schon zu lange allein hier draußen und Johny Walker war, neben anderen, sein bester Freund. Nur die etwa fünf Zentimeter lange Kralle, die spitz wie ein Apachenpfeil war und die er im blutgetränkten Schnee neben dem toten Rind fand, sprach eine deutlichere Sprache.
Der US- Marshall dem sie unterstellt waren, hatte den heutigen Tag für die Observation ausgewählt, weil eben heute Vollmond war. Noch aber war der Himmel bedeckt und es sah nach Schnee aus. Flowrew besah sich seine rechte Hand, vor einem Monat hatte er im Eifer der Jagd einen Finger gebrochen und dabei einen Nagel eingebüßt. Sein starker Metabolismus aber, der manchmal überirdisch zu sein schien, hatte alles wieder in den Urzustand zurückgebracht, so dass einer neuerlichen Jagd nichts im Wege stehen würde.
Allerdings war heute Vollmond, die Gegend wurde streng überwacht …nur ein Trottel würde heute jagen. Er war sich sicher, auch der Marshall würde heute kein Jagdglück haben.
Er musste über seine doppeldeutigen Gedanken leise lachen. In diesem Moment lugte der Mond durch die Wolken und in seinem Schein blitzten für einen winzigen Augenblick Flowrews Reißzähne…


© Picolo


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Kommentare zu "John Flowrew- Die Jagd"

Re: John Flowrew- Die Jagd

Autor: noé   Datum: 25.12.2013 13:30 Uhr

Kommentar: Auf die VOLTE bin ich gespannt, denn SO wäre es ja zu offensichtlich.
Schade, dass dieser Teil (noch) so kurz ist. Das ist wie bei einem Buch, das man nicht weglegen kann, weil man etwas verpassen könnte, wenn man NICHT umblättert, jetzt, sofort...
Du hast den Leser (die Leserin) voll im Griff.
Zeit genug zum Schreiben, mein Lieber, auf, setz' Dich dran!
Erfolgreiche Jagd! noé

Re: John Flowrew- Die Jagd

Autor: Picolo   Datum: 26.12.2013 8:37 Uhr

Kommentar: Guten Morgen noé:-)
Schön, dass Dich die Geschichte fesselt und ich werde sie bald fortführen, die nächsten Tage allerdings werde ich lieber etwas mehr Sport treiben und mich in der schönen Natur MV-s herumtreiben.Alternativ könnte ich Dir eine zweite Geschichte anbieten, die ich für den Sohn einer Bekannten schrieb, allerdings auch nur den Anfang...sorry
Wünsche Dir einen schönen zweiten Feiertag
LG Micha
PS Meine Nachbarn würden auch gern mehr von Flowrew lesen. Man könnte unter Druck geraten...

Re: John Flowrew- Die Jagd

Autor: noé   Datum: 26.12.2013 9:52 Uhr

Kommentar: Na denn mal looos, Micha, schnell gejoggt, dann 'ran an den Schreibtisch, keine Müdigkeit vorschützen...

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