Guten Tag. Ich bin Maria, die Haushälterin von Herrn Klein. Herr Klein ist unser Held in dieser Geschichte, der an ihrem Ende auf ungewöhnliche Weise groß wird. Warum ein alleinstehender Mann eine Haushälterin braucht, verstand ich anfangs auch nicht aber ich stellte keine Fragen und wurde gut bezahlt.

Seit zehn Jahren stand ich in seinen Diensten, in dieser Zeit erfuhr ich einiges aus seinem Leben und seinem Umfeld. Sein Name ist Synonym für seine Statur. Von Natur aus mit schwachen Genen ausgestattet, hat er es bis zu einer körperlichen Höhe von einem Meter siebenundfünfzig geschafft. Sein Haar war schütter, sein Teint blässlich. Er hatte große Ohren, einen kleinen Mund und eine hässliche braune Warze mit Haaren auf seiner wuchtigen Nase.
Von Gemüt war er ein Engel auf Erden, er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun und war herzensgut. Leider konnte er mit all diesen Eigenschaften bei den Menschen nicht punkten, denn genau solche Charaktere werden untergebuttert. Von frühester Kindheit an wurde er wegen seines Aussehens gehänselt, verspottet, ja sogar getreten und geschlagen. Menschen können grausam sein. Es wundert also nicht, dass Herr Klein sich mehr und mehr in sein Schneckenhaus zurückzog und mit der sogenannten Krone der Schöpfung nichts mehr zu tun haben wollte.
Zum Zeitpunkt seines rätselhaften Verschwindens war er bereits fünfzig Jahre alt, hatte niemals ein Mädchen in den Armen gehalten und nie die Freuden der Liebe genossen. Von seiner Arbeit in der Knopffabrik brauch ich nicht viel erzählen. Er tat seinen Dienst allein an der Stanze, brauchte sich mit niemandem unterhalten und war zufrieden. Dabei war er beileibe nicht dumm, nur wollte er keine Unbequemlichkeiten, die ihm wieder weh tun könnten und so blieb er bei seinem einsamen, eintönigen Leben. Nur eine einzige wahre Freundin hatte er und das war der Computer. Ja, sie haben richtig gelesen, sein Computer war weiblich und hieß Dajana.
Es war der Name eines Mädchens, mit dem er beinahe eine Beziehung eingegangen wäre. Sie verband ihn mit der großen, weiten Welt, widersprach nicht und tat alles was er ihr befahl. Mehr als einmal beobachtete ich, wie er sie streichelte. Alles was auf dem Markt an Computertechnik herauskam, kaufte er und nahm es in Betrieb. Sobald er von der Arbeit nach Haus kam, setzte er sich sofort an den Kasten und war nicht mehr zu sprechen. Nie sah ich einen Menschen, der so mit seinem Rechner verwurzelt war wie er. Er brauchte keine wahren Freunde, er hatte ja seine elektronische Gefährtin. Dank Sprachsoftware konnte er sich sogar mit ihr unterhalten und manchmal führte er sehr lange Gespräche mit ihr.
Aber selbst für ihn war die sonore technische Stimme Djanas, die nur das wiedergeben konnte, was auf ihr gespeichert und wofür sie programmiert war, nicht genug und sehr ermüdend. Er gab ihr ein wunderschönes weibliches Gesicht auf dem Bildschirm, das im Rahmen der technischen Möglichkeiten, auch Mimik zeigen konnte. Herr Klein war besessen davon sein " Mädchen" zu perfektionieren. Ich traute meinen Ohren kaum, als er zu ihr sagte… Ich liebe Dich". Sie antwortete mit emotionsloser Automatenstimme, so wie er sie programmiert hatte… Ich Dich auch mein Schatz" und er gab ihrem Bildschirmgesicht einen Kuss. Für mich wurde das ganze immer erschreckender. Ich wusste, das konnte nicht mehr normal sein aber das ganze Leben Herrn Kleins war es nicht und so wollte ich ihm die einzige Freude lassen und sagte niemandem etwas.
Eines schönen Tages brachte eine renommierte Firma den ersten Emotionschip für Computer heraus. Er kostete mehrere tausend Euro und war nicht auf dem normalen Markt, sondern nur für das Militär, erhältlich. Mein Leser wird sich denken können, dass Herr Klein alles in Bewegung setzte um solch einen Chip zu bekommen. Der Inhaber des Elektronikfachmarktes, bei dem Herr Klein immer alles kaufte und allein durch ihn schon eine goldene Nase hatte, machte es durch geheime Beziehungen möglich und verkaufte ihm den Chip für das Doppelte. Herr Klein freute sich irrsinnig und hätte auch noch mehr gegeben, wahrscheinlich sogar sein Leben.
Noch in derselben Nacht, führte er ihn in Dajana ein. Von nun an wurde es noch seltsamer. Am nächsten Morgen war er noch zu Haus und nicht wie jeden Tag um Sieben in der Knopffabrik. Ich hörte wie er sagte… Ich liebe und begehre Dich" und Dajana mit einer neuen wohlklingenden Stimme antwortete… Ich brauche Dich in meiner Welt, ich kann ohne Dich nicht sein". Ich sah auf den Kalender, es war Mittwoch und nicht Samstag und so fragte ich, ob er wohl Urlaub habe. Er hatte seit acht Jahren keinen Urlaub mehr gemacht... Er antwortete nicht und sah durch mich hindurch.
Sein ohnehin schon blasses Gesicht, sah noch weißer aus und das machte seine Warze noch brauner. Ich ging nicht weiter darauf ein und meiner Tätigkeit nach. Auch während der nächsten Tage blieb er zu Haus, er aß nichts und trank wenig. Seine Kündigung kam und er nahm sie hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Es interessierte ihn einfach nicht. Er wollte mit seiner elektronischen Freundin zusammen sein. Es kam, wie es kommen musste. Herr Klein wurde dünner und dünner, blasser und blasser.
Das elektronische Fräulein lockte ihn immer mehr mit ihren Reizen. Längst hielt sie sich nicht mehr nur direkt am Bildschirm auf, sondern bewegte sich aufreizend, mit allem was sie hatte, im virtuellen Raum. Sie war, soweit ich das beurteilen kann, wirklich eine Wucht. Herr Klein ging nur noch für das allernötigste von seiner Dajana weg, gerade noch so viel, das er sein Geschäft nicht an Ort und Stelle erledigte. Mit den Tagen kam es mir so vor, als würde er dünnhäutiger, durchsichtig, ja fast sphärisch erscheinen.
Ich glaubte allmählich auch überzuschnappen aber nun war ich an einen Punkt angelangt, an dem es mir anfing Vergnügen zu bereite, zuzusehen wie lange das noch so weiter gehen würde. Eines Tages, saß er ganz dicht vor dem Bildschirm. Dajana säuselte, , Komm in meine Welt, hier kannst Du machen was du willst. Du kannst mit mir machen was du willst, alles was Du Dir je erträumt hast. Ich wäre für immer Dein... In Deiner Welt wirst Du niemals das erfahren, was ich für Dich empfinde. Nur hier wirst Du richtig glücklich sein. Sei mein... Herr Klein."
Er streckte die Hand nach ihr aus und es war mir, als würde er mit der Glasplatte des Bildschirms verschmelzen, als würde seine Hand von der irrealen Welt aufgesogen. Dajana schmiegte ihr hübsches Gesicht zärtlich an sie. Mit einem überraschten aber dennoch freudigen Schrei zog er seine Hand zurück und sprach hohläugig die ersten Worte seit Tagen zu mir… Ich habe sie gespürt, Maria, ich habe sie gespürt". Dajana erwiderte liebevoll... Ich habe Dich auch gespürt, mein Liebling, und ich will mehr". Ich ging vor Erstaunen fast in die Knie.
Das gab es doch nicht, war ich etwa des Wahnsinns fette Beute? Körperlich verfiel Herr Klein jetzt rapide, er verzehrte sich nach ihr und wusste nicht wie er zu ihr gelangen sollte. Ich war der gespannte Beobachter dieser wahnwitzigen, unrealistischen Liebesgeschichte und wollte unbedingt erleben, auf welche Art und Weise der Vorhang fallen sollte.
Zu diesem Zeitpunkt, als Herr Klein sich auch noch in Herrn Dünn verwandelte, fiel mir wieder etwas merkwürdiges und erschreckendes auf. Auf der rechten Seite des Bildschirmes begann sich etwas zu bilden. Anfangs war es nur ein unmerklicher Schatten, unwirklich wie ein Geist. Schon bald wurde der Schatten deutlicher und nahm Konturen an die ich nicht wahr haben wollte. Mein Arbeitgeber konnte jetzt schon lange nicht mehr allein sitzen und so hatte ich ihm einen alten Rollstuhl mit Kissen und Decken so zurecht drapiert, das er nicht herausfallen konnte. Dajana lockte und winkte, zeigte sich spärlich bekleidet und tat alles, was eine Frau, die um ihre Reize wusste tun würde, um einen Mann für sich zu gewinnen.
Inzwischen sah es so aus, als würde sich zwischen all den Kissen und Decken des Rollstuhls kaum noch etwas befinden. Ab und zu hörte ich ein leises Murmeln, das ich nicht verstand, wohl aber der Computer und sie antwortete ihm glockenklar und mit wohlklingendem Timbre. Manchmal sah ich auch eine knochige, zittrige Hand, die sich mit dem Bildschirm verband und immer tiefer in ihn hinein tauchte.
Die Kontur auf seiner rechten Seite ähnelte zu meinem Entsetzen... sie werden es sicher erraten haben, Herrn Klein, aber noch fehlte der Kopf. Ich war mir ziemlich sicher, er würde nicht mehr lange fehlen. Am Abend des Tages, als er das letzte Mal zu Haus war, stellte ich ihm eine Tasse Fleischbrühe auf den Computertisch, wohlwissend, dass er sie nicht anrühren würde und verabschiedete mich mit einem seltsamen Gefühl. Am nächsten Tag, lief der Rechner wie immer.
Ich sah in den Rollstuhl, durchwühlte die Kissen und Decken, er war nicht da. Ich suchte im ganzen Haus, obwohl ich wusste, dass er gar nicht mehr die Kraft hatte sich selbst zu bewegen. Plötzlich hörte ich die Stimme Herrn Kleins, so wie sie sich früher angehört hatte und dazu die fröhliche Stimme Dajanas.
Ich stürzte an den Bildschirm und war vom Donner gerührt. Der Schirm zeigte den Strand von Hawaii und auf ihm schlenderten eng umschlungen Dajana und Herr Klein. Auf unergründbare Weise, hatte er endlich das Glück gefunden das ihm so lange verwehrt war. Ich schwöre ihnen, so wahr ich Maria und nicht Jeanette heiße, dass diese Geschichte wahr ist.
Leider musste ich mir einen neuen Arbeitgeber suchen und der ist
total verrückt nach Nofretete ...


© Picolo


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Beschreibung des Autors zu "Der Fall des Herrn Klein"

Diese Geschichte zeigt zuzwinkernd die Gefahren der Computersucht und wie man enden kann wenn man sich der virtuellen Welt zu sehr hingibt.




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