(Kapitel 12 - Kapitel 13)


Kapitel 12
Jäger in der Tiefe

Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen starrte Maren auf den Fisch, den Rhona Hai genannt hatte. Würde er sie angreifen und verschlingen? Das konnte es doch noch nicht mit ihr gewesen sein. Vielleicht hatte er sie ja gar nicht bemerkt. Maren hoffte es.
„Komm her“, sagte Rhona und umschloss sie mit ihren Armen. „Ich bin schneller als du, nur für alle Fälle.“ Die Meerjungfrau drückte Maren an sich. „Wir werden jetzt versuchen an ihm vorbeizukommen.“ Sie schwieg für einen kurzen Moment. „Ich hoffe er ist allein und nicht auf der Suche nach Nahrung.“ „Sie sind nicht allein unterwegs?“, fragte Maren und versuchte ein zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Es brachte weder ihr noch Rhona etwas, wenn sie in Panik geriet. Maren musste stark bleiben.
„ Nicht immer“, antwortete Rhona während sie ihre Schwanzflosse leicht bewegte. Sachte glitt sie durch das Wasser. Mit einem riesigen Bogen umrundete sie den riesigen Fisch. Maren ließ den Hai nicht aus den Augen, damit er sie nicht überraschen und töten konnte. Er war so groß. Wie konnte ein Fisch nur so groß werden? Ein leichtes zittern entkam ihr dann doch, durchfuhr ihren Körper und ließ sie frösteln.
Der Hai könnte sie mit einem bissen verschlingen. Sie passte ohne Probleme in sein riesiges Maul, er brauchte es eigentlich nur um sie herum zu schließen und sie wäre verloren. In nur einem Wimpernschlag wäre sie verschwunden. Das wäre es mit ihr gewesen. Doch sie schien sich unnötige Sorgen zu machen, zumindest im Moment. Sie ließen den Hai hinter sich.
„Er hat wohl keinen Hunger“, sagte Rhona erleichtert. „Sind diese Haie denn auch für dich gefährlich?“, fragte Maren. Das so ein Fisch für sie gefährlich, gar tödlich, werden konnte, dass verwunderte sie nicht. Sie war ungefähr zwanzig, dreißig mal so klein wie der Hai, doch Rhona war fast so groß wie er. „Haie sind friedlich, solange sie nicht auf der Jagt sind. Sie können neben ihrer Nahrung umher schwimmen, ohne das etwas passiert“, erklärte die Meerjungfrau. „In unsere Städte kommen sie in der Regel nicht, doch es kann vorkommen das sie einen von uns angreifen.“ Sie seufzte. „Ich kann es ihnen nicht verübeln, sie wollen ja auch nur überleben. Normalerweise bevorzugen sie leichtere Beute, verletzte Fische oder welche in deiner Größe, doch wenn sie seit längerem keine Beute mehr gemacht haben, greifen sie auch den größten und stärksten Meermann an. Einmal in den Reißzähnen eines Hais und es ist vorbei. Sie haben so viel Kraft in ihrem Kiefer und so tödliche Zähne, dass sie mich in wenigen Herzschlägen zerreißen könnten. Jeder von uns muss vorsichtig sein, wenn wir ihnen begegnen.“
Maren erschauderte. Besorgt blickte sie sich um. Diese Fische waren wirklich gefährlich. Rhona schien erraten zu haben was sie dachte und strich ihr leicht über den Kopf um sie ein wenig zu beruhigen. „Versteh mich nicht falsch, Haie sind weder bösartig noch blutrünstig. Wie ich schon sagte, sie wollen nur überleben und wer von uns will das schon nicht?“
Maren verstand was ihr die Meerjungfrau sagen wollte. Die Haie hatten keine bösartigen Absichten wenn sie jagten, sie wollten nur ihren Hunger stillen, mehr nicht. Dennoch breitete sich ein beklemmendes Gefühl in ihr aus, wenn sie nur an diese Fische dachte, immerhin war sie nun ein Teil ihrer Beute.
Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel ließ sie vor Schreck zusammen fahren. Doch als sie genauer hinsah, war dort nichts, außer Wasser. >Maren, du wirst paranoid<, dachte sie, was nach den letzten Tagen nicht weiter verwunderlich war.
„Ich habe es auch gesehen“, flüsterte Rhona und drückte sie näher an sich. Sie hatte es sich also nicht eingebildet. Maren blickte in alle Richtungen, da traten ihr gleich mehrere der spitzten Schnauzen vor die Augen. Sie waren umzingelt. „Er ist wohl doch nicht allein gewesen“, stellte die Meerjungfrau trocken fest, wirbelte herum und schoss davon, die Haie ihr dicht auf den Versen.
Sie war so schnell, dass Maren Schwierigkeiten hatte etwas im Wasser zu erkennen. Die Bilder vor ihren Augen waren nur noch verschwommene Verzerrungen. Da trat ein Haikopf in ihr Blickfeld, der Fisch versperrte ihnen den Weg. Rhona schoss nach unten. Sie schwamm unter dem Fisch davon. Maren wusste nicht wie oft Rhona eine andere Richtung einschlug um den Haien zu entkommen, die sie durch das ganze Meer zu jagen schienen.
>Es werden mehr!<, stellte sie erschrocken fest. Maren wusste nicht wie viele Tiere sie verfolgten, doch es waren zweifellos mehr. Würden sie den Jägern entkommen können?
Die riesigen Fische waren ihnen so nah dass Maren schon hörte wie sie nach ihnen schnappten. Ihr Herz schlug voller Panik, sie wusste nicht welches lauter schlug, ihr eigenes oder Rhonas. Die Meerjungfrau drückte Maren immer näher an sich, sodass sie keine Luft mehr bekam. Doch Maren bemerkte es nicht, sie hatte größere Probleme. Sie war kurz davor bei lebendigen Leib gefressen zu werden, was war dagegen schon ein bisschen Atemnot?
Gerade noch rechtzeitig wich Rhona einem riesigen Felsen aus, es war noch zu hören wie einer der Haie nicht so geschickt ausweichen konnte, da verlor sie die Kontrolle. Maren wollte schreien, doch es kam kein Ton heraus. Rhona und sie wirbelten herum, sie waren noch schneller als zuvor, viel zu schnell, und wurden davon geschleudert. Maren kniff ihre Augen zusammen, sie wollte nicht hinsehen wenn sie gegen irgend ein Hindernis prallten.
Verzweifelt flehte sie Aquarius an, dass er sie heil da wieder heraus holte, am besten so schnell wie möglich. Maren wollte nicht sterben, nicht bevor sie sich von ihrem Vater verabschieden konnte. Sie wollte nicht das er dachte sie hätte ihn verlassen, dass sie ihn nicht lieben würde, sie wollte ihm nicht so große Schmerzen zufügen wie es ihre Mutter einst getan hatte.
Unsanft prallte sie gegen etwas hartem, dann lockerte sich der Griff um sie, bis er dann völlig verschwand. Irritiert öffnete Maren die Augen wieder und sah sich einem rauen grauen Felsen gegenüber. Unruhig starrte sie in alle Richtungen, doch erleichtert stellte sie fest, dass die Haie ihnen nicht mehr folgten. Sie seufzte und ihre Anspannung sank.
„Rhona, wir sind in Sicherheit.“ Keine Antwort. „Rhona?“ Maren blickte über sich, dann hinter sich, doch von der Meerjungfrau war nichts zu sehen. Dann sah sie nach unten.Vor Schreck weiteten sich ihre Augen.
Rhona lag auf dem Meeresboden und rührte sich kein Stück.


Kapitel 13
Spurlos verschwunden, für immer verloren?

Die Sonne war schon beinah am Horizont untergegangen und Maren war noch immer nicht wieder zurückgekehrt. Gavin blickte mit Augen voller Sorgen in Richtung des Meeres. Seiner Tochter war doch nichts geschehen, oder? Er betete zu den Göttern das es nicht so war. Alec und Eara würden bald zu Bett gehen, wenn Maren bis dahin nicht aufgetaucht war, würde er sich auf den Weg machen und sie suchen. Hoffentlich war es dann noch nicht zu spät. Gavin könnte es sich niemals verzeihen wenn ihr was zugestoßen wäre.
Ungeduldig wartete er darauf das sich die Kinder schlafen legten. Er wollte nicht das sie merkten das es ungewöhnlich war, dass Maren noch nicht zurückgekehrt war. Wenn er Maren nicht fand, würden sie es dann noch früh genug erfahren das etwas nicht in Ordnung war.
Gähnend trat Eara an ihn heran. „Erzählst du uns eine Geschichte? Es ist schon eine Ewigkeit her, dass uns jemand eine Geschichte erzählt hat.“ Gavin blickte in ihre großen braunen Rehaugen. Trotz seiner Sorge um seine Tochter, brachte er es nicht übers Herz ihr diese bitte abzuschlagen und folgte ihr daher in ihr, Alecs und Fias Zimmer, in dem früher seine Schwestern gelebt hatten.
Eara huschte unter die Bettdecke und kuschelte sich an Alec, der sich mit ihr das Bett teilte, obwohl noch einige Betten in diesem Raum unbenutzt waren. Gavin setzte sich an die Bettkante und fing an zu erzählen: „Der Seemann Lundy musste abermals seine Familie am Land zurücklassen um auf das Meer hinauszufahren.“ Maren hatte die Geschichte des Seemannes Lundy geliebt als sie noch ein kleines Kind gewesen war. Gavin musste sie ihr fast jeden Tag erzählen, da sie nicht genug davon bekommen konnte. „Noch nie gab es irgendwelche Zwischenfälle. Lundy war da immer sehr vorsichtig gewesen, immerhin wusste er wie gefährlich und heimtückisch die See sein konnte. Doch plötzlich kam ein Sturm auf und sein Boot zerschellte an Felsen die aus dem Wasser ragten.“ Eara lauschte mit großen Augen der Geschichte. Sie erinnerte ihn an Maren, die früher immer so gespannt der Geschichte gelauscht hatte. „Lundy dachte es wäre vorbei mit ihm. Die Wellen schlugen über seinen Kopf ein und immer wieder tauchte er unter Wasser. Er würde alles dafür geben seine Familie noch ein letztes mal sehen zu können. Lundy betete zu den Göttern, seine Frau betete zu den Göttern und seine Kinder beteten zu den Göttern, er möge heil wieder nach Hause zurückkehren und als er dachte es gäbe keine Hoffnung mehr, erhörte der Heer der Meere die Gebete. Aquarius beruhigte die See und brachte Lundy unversehrt zu seiner Familie zurück. Seitdem dankte Lundy Aquarius jedes mal wenn er auf See fuhr, dass der Gott über ihn wachte.“
Es war keine lange Geschichte, dass wusste Gavin, doch Eara lächelte und schloss ihr Augen, es hatte ihr gefallen. Leise stand er auf und verließ das Zimmer. Dann lief er die Treppe hinauf in Marens Zimmer. Sie war noch immer nicht zurückgekehrt. Gavin schloss einen Herzschlag lang die Augen und atmete einmal tief durch. >Aquarius, ich hoffe mit ganzem Herzen, das du über sie gewacht hast, dass du nicht zugelassen hast das ihr etwas zugestoßen ist.< Dann lief er aus dem Haus.
Die Sonne war nun ganz untergegangen. Gavin blickte sich auf den Feldern um, von Maren war jedoch keine Spur. Mit wild klopfenden Herzen schlug er die Richtung zum Meer ein. >Bitte, ich darf nicht zu spät sein.<
Bilder seiner toten Frau schossen in seinen Kopf. Wie sie so dar lag, auf der Straße, überseht mit ihrem eigenen Blut und zertrampelt von den Pferden, die nicht rechtzeitig ausweichen konnten. Gavin hatte versucht den Tieren die Schuld an ihrem tot zu geben, aber er konnte es nicht. Es war zu einfach zu sagen, die Pferde waren schuld. Sie konnten nicht weg, waren gefangen an der Kutsche gewesen. Auch dem Kutscher traf keine Schuld. Er konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren. Es war einfach ein tragischer Unfall gewesen.
Bis heute war Gavin nicht über Alines Tod hinweggekommen, er wollte Maren nicht auch noch verlieren, schon gar nicht so. Vielleicht hätte er schon nach Maren suchen sollen, als Alec und Eara ihm berichtet hatten wohin sie gelaufen war. >Ihr darf nichts passiert sein.< Gavin war so auf Maren fixiert, dass es gar nicht bemerkte das ein Schatten, der ihn beobachtet hatte, an ihm vorbei schlich.
Die letzten Meter zum Meer rannte er. Die See lag ruhig da, als er über das Meer hinaus blickte. Langsam lief er zum Strand hinunter. Er atmete nicht, sein Herz klopfte nicht, er dachte nicht. Am Strand stand eine Gestalt, eine Frau, aber es war nicht Maren.
„Hallo?“ Gavin trat an sie heran. Die Frau zuckte zusammen und drehte sich schockiert um. Ihr braunes Haar war vom Wind völlig zerzaust wurden, ihre grünen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und ihr Gesicht war von ihren Tränen ganz nass. „Was ist geschehen?“, fragte Gavin. „Ein Mädchen...“, stammelte sie, „gefallen... ins Meer... von der Klippe.“ Gavin schluckte. „War sie Jung? Hatte sie schwarzes langes Haar und trug ein Bauernkleid?“ Er wusste nicht welches Kleid sie heute genau trug, er hatte sie heute ja noch nicht einmal gesehen. Die Frau nickte beklommen.
„Maren...“, hauchte Gavin, starrte hinauf auf die Klippe und dann auf das Meer darunter. Von seiner Tochter keine Spur. Sie war doch nicht etwa ertrunken oder auf den Felsen zerschellt, wie das Boot von Landy. „Bitte nicht...“
Die Frau trat an ihn heran. „Kanntest du das Mädchen?“ „Meine Tochter...“, stammelte Gavin und konnte seinen Augen nicht von der Stelle losreißen an der Maren aufgekommen sein musste. „Das tut mir leid“, sagte dir Frau. „Komm, es ist besser wenn du nicht länger hier bleibst.“ Sie nahm seinen Arm und zog ihn mit sich. Gavin wehrte sich nicht dagegen, er hatte keine Kraft dafür. „Ich heiße übrigens Moana“, sagte die Frau.
Er bemerkte nicht, dass ein leichtes Lächeln ihre Lippen umspielte.


© Lighania


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