Die verlorene Tochter

Um Mitternacht sah sie aus dem Fenster. Wo blieb er nur? War ihm etwas zugestoßen? Nein - das konnte nicht sein, dafür war er viel zu geschickt und leise, entschied sie. Kaum hatte sie diesen Gedanken beendet hörte sie vor dem Fenster rechts von ihr ein Knacken und mit einem Satz saß ein schwarzer Kater mit rot funkelnden Augen auf dem Fensterbrett, vor verschlossenem Fenster. Der Anblick ließ sie nicht mehr zurückzucken, sie war schon daran gewöhnt. Mit Bedacht öffnete sie das Fenster - ließ den Kater in den spärlich beleuchteten Raum - und schloss es wieder. Mit einem Satz saß er auf ihrem warmen Schoß, in dem Sessel vor dem Fenster, neben dem Kamin. Für einen Moment sah sie dem tanzenden Flammen zu, dann blickte sie auf ihren Schoß in die roten Augen des Katers.
" Du hast sie nicht gefunden Nero?!"
Der Kater senkte langsam seinen Kopf und sah sie an, als hätte er jedes einzelne Wort verstanden, das sie gesagt hatte. Die traurigen Augen der Frau sahen hoffnungsvoll zur großen Flügeltür des Salons, als würde ihre verschollene Tochter jeden Moment durch diese Tür schreiten.
" Trotzdem vielen Dank mein alter, treuer Nero. Du hast dein bestes gegeben. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig als den General Willington zum Thronfolger zu ernennen. Ich werde ihn morgen aufsuchen und es ihm berichten. Graf David Yorkshire muss ich morgen ein Telegramm schicken, in dem ich ihm erklären muss warum die seit drei Jahren vereinbarte Hochzeit zwischen unseren Kindern nicht stattfinden wird. Das bedeutet, dass wir auch die finanzielle Unterstützung streichen können, die mit dieser Heirat verbunden war. Unser kleines Dorf wird hungern müssen - wäre Richard doch nur noch hier." Gedankenverloren ließ sie ihre weißen, zarten Finger durch Neros Fell gleiten. Nero schnurrte genüsslich. Ihr suchender Blick wanderte durch das Zimmer. Ihre großen bernsteinfarbenen Augen blieben an einem Gemälde, neben dem Kamin, hängen. Auf ihm war ein großer, stattlicher Mann mit langem, braunen Haar und gutmütig blickenden Augen, die Frau, die in diesen vielen Jahren, vor denen das Gemälde entstanden ist, nicht gealtert war, saß neben ihm und ein kleines, lebhaft wirkendes Mädchen mit schwarzem, langem Haar lachte auf dem Schoß des Vaters. Mutter und Vater hatten beide bernsteinfarbene Augen, nur die Augen des Mädchens waren tiefschwarz. Ansonsten war sie das Ebenbild ihrer wunderschönen Mutter. Das gleiche strahlende Lächeln, die funkelnden Augen, dieselbe blasse Haut und die langen, glatten, schwarzen Haare. " Hätten wir ihr es nur schon früher gesagt."
Erschöpft von dem langen Warten und Bangen schlief die Frau ein.

Die Hufe des schwarzen Pferdes galoppierten laut über die Pflastersteine eines Weges der durch ein kleines Dorf, zu einem großen, alten Schloss, das an Klippen lag, führte. Auf dem Pferd saß eine Gestalt die durch einen roten Umhang vermummt war. Sie steuerte das Pferd gezielt durch das Dorf auf das Schloss zu. Am Tor durch das man in den Hof gelangte hielt sie inne. Wie würde der Empfang ausfallen? Wären ihre Eltern wütend oder würde man sie mit offenen Armen empfangen. Sie zögerte kurz, entschied dann aber, dass es kein Zurück mehr gab. Die Gestalt glitt vom Pferd und klopfte leise am Tor. Keine Reaktion. Schliefen die Wachen etwa schon wieder? Langsam nahm sie die Zügel ihres Pferdes in die Hand, atmete noch einmal tief durch und stieß dann vorsichtig mit der freien Hand einen Flügel des Tores auf. Es öffnete sich mit einem lauten Knarren. Wie angewurzelt blieb die Gestalt stehen. Was würde nun passieren? Kamen Wachen herbeigeeilt? Doch nachdem sie zwei Minuten still verweilt war tat sich immer noch nichts. Sie beschloss ihren ganzen Mut zusammen zu nehmen und durch das Tor zu schreiten, doch was sie dahinter fand war nicht mehr das an was sie sich erinnerte. Der früher so gepflegte Hof sah herunter gekommen aus und wurde nur durch ein paar einzelne Fackeln erleuchtet. Das war nicht ihr zu Hause von früher. Schon hier im Hof bemerkte sie das sich einiges verändert haben musste. Sie beschloss nun erst einmal ihr Pferd in den Stall zu bringen. Als sie ihn betrat war sie etwas erleichtert, wenigstens hier sah es noch ansatzweiße so aus wie früher. Sie führte ihr Pferd in seine ehemalige Box und versorgte es mit Futter und Wasser. Hier war alles noch an seinem alten Platz. Bevor sie hinausging sah sie sich noch einmal um und wunderte sich, warum außer ihrem Pferd nur das ihrer Mutter und ihres Vaters im Stall waren. Was war mit den Pferden der Gefolgsleute passiert? Doch ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen als von draußen auf dem Hof eine sanfte Stimme ertönte:
" Wer ist da?"
Die Gestalt zögerte erst, trat dann aber aus dem Stall, sie wusste dass es nun kein Zurück mehr gab und schloss die Stalltür leise. Dann trat sie aus der schützenden Dunkelheit.
" Wer sind sie?", fragte die Frau mit der sanften Stimme nun ängstlich und wich ein paar Schritte zurück, als die Gestalt ohne weiteres Zögern auf sie zukam.
Als sie die Angst in den Augen der Frau sah, blieb sie stehen und nahm mit einer flüssigen Bewegung die Kapuze ihres Mantels vom Kopf. Ihr langes schwarzes Haar fiel der Gestalt ins Gesicht. Es war ein junges, hübsches Mädchen mit tiefschwarzen Augen. Als sie die Freude und Überraschung im Gesicht der Frau sah, blitzte ein kleines Lächeln über ihr makelloses Gesicht.
"Ich bin zurück Mutter.", sagte sie leise.


© Tamara


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Beschreibung des Autors zu "Vampire-Castle (1. Kapitel)"

Die Geschichte ist schon etwas länger in den Untiefen meines Laptops vergraben gewesen und ich habe bisher auch nicht an ihr weiter geschrieben. Ich wollte nun konstruktive Kritik zu ihr und auch fragen, ob ihr meint, dass es sich lohnen würde sie weiter zu schreiben und auszubauen ;)

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Kommentare zu "Vampire-Castle (1. Kapitel)"

Re: Vampire-Castle (1. Kapitel)

Autor: Schmusekatze   Datum: 02.12.2013 13:25 Uhr

Kommentar: schreib weiter =)

Re: Vampire-Castle (1. Kapitel)

Autor: Tamara   Datum: 04.12.2013 23:53 Uhr

Kommentar: Danke für dein Kommentar! Dann werde ich bei Gelegenheit mal weiterschreiben :)

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