(Kapitel 3 - Kapitel 4)


Kapitel 3
Zuwachs auf den Feldern

Maren lief in Richtung Stadttore, als plötzlich ein kleiner Junge an ihr vorbei rannte. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig, er selbst war abgemagert und er hielt ein kanten Brot in seinen Händen. Schnell versteckte er sich in einer Seitengasse. „Verdammt!“, fluchte ein Mann. „Ist er uns entwischt?“, fragte ein anderer. Sie waren zu dritt. Alle trugen eine blaue Lederrüstung, einen weißen Gürtel war um ihre Hüften gebunden, an dem jeweils ein Schwert befestigt war, und schwere dunkle Lederstiefel. Kein zweifel, es handelte sich dabei um die Stadtwache. „Es ist doch nur ein Junge! Wie schwer kann es sein einen Jungen zu schnappen?“, sagte der Letzte. Der erste schnaubte. „Er ist ein Straßenjunge, gewitzt und hinterlistig.“
Maren blickte in die Gasse. Der Junge lugte aus den Schatten hervor um zu sehen ob er in Sicherheit war. Zu ihm hatte sich ein kleines Mädchen gesellt die ein Baby, noch wenige Monate alt, in ihren zierlichen, kleinen und schmutzigen Händen hielt. Sie sah Maren mit großen angsterfüllten Augen an. Die Kinder brauchten ihre Hilfe, daran gab es keinen Zweifel. Sie holte einmal tief Luft und trat an die drei Männer heran. „Meinen ihre Herrschaften vielleicht einen kleinen Jungen mit dunkel braunem Haar, zerfetzter Kleidung und einem Stück Brot in den Händen?“ Einer nickte. „Das Brot hat er gestohlen und Diebe dulden wir nicht in unserer Stadt.“ Maren hob ihren Arm und wies die Männer an der Gasse vorbei. „Er ist weiter in Richtung Mittelstadt gelaufen.“ Ohne ein Wort des Danks, stürmten die Männer an ihr vorbei. Das störte Maren jedoch nicht viel, sie verdiente keinen Dank von ihnen. >Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht<, dachte sie etwas nervös, doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. >Der Junge hat wahrscheinlich keine andere Wahl gehabt.<
Maren blickte noch ein letztes mal in die Gasse. Die Kinder hatten sich soweit in die Schatten zurückgezogen, als die Männer an ihnen vorbeiliefen, das Maren sie nicht mehr sehen konnte. Dann wandte sie sich ab und lief weiter. Sie wollte so langsam die Stadtohre erreichen.
So viele verschiedene Menschen kamen ihr entgegen. Welche in teuren Kleidern, verziert mit pompösen Schmuck, die in eine Kutsche einstiegen um in die Oberstadt zu fahren, welche in ganz schlichter Leinenkleidung und welche die so verschmutzt waren das sie mit der Unterstadt verschmolzen. Und keiner von ihnen würdigte Maren auch nur eines Blickes. Ihnen war es egal wer sie war. Nur diejenigen die Geld besaßen waren wichtig. Maren sah unauffällig auf ihre Hand, an der sie den Ring trug. Der Stein darin war wertvoll, für sie unbezahlbar, nicht nur deswegen das sie nie das Geld dafür aufbringen könnte, sondern das er von Aquarius gesegnet wurde. Sie, ein einfaches Bauernmädchen, besaß die große Ehre einen gesegneten Ring des Herrn der Meere zu tragen. Maren drehte den Ring nach innen, sodass der Topas nicht mehr zu sehen war, und schloss ihre Finger um den Stein. Mit dem Blick wieder nach vorne gerichtet, beschleunigte sie ihre Schritte.
Als sie die Stadttore erreichte, fiel ihr eine Last von ihrem Herzen und ihre Anspannung sank. Maren war erleichtert, niemand würde ihr heute den Ring stehlen. Sie blickte noch einmal zurück. Ein Windhauch, zerrte leicht an ihrem schlichten braunem Leinenkleid und wehte ihr langes schwarzes Haar in ihr Gesicht. Maren war auf den Feldern vor Mareneh geboren, dort verbrachte sie bis heute ihr ganzes Leben. Sie kannte nur die Felder und die Stadt. Noch nie war sie im Wald gewesen, jenseits des Horizonts oder am Meer hinter dem Berg auf dem Mareneh erbaut wurde. Es war nicht so das sie nicht neugierig war, sie hätte nur zu gern etwas mehr von Kritena gesehen, doch sie hatte keine Zeit dafür. Maren ließ ihren Blick über die verrotteten Häuser der Unterstadt, den schlichten Häusern der Mittelstadt bis zu den prunkvollen Häusern der Oberstadt schweifen. Erst an dem strahlend weißem Schloss, ganz oben auf dem Berg blieb ihr Blick stehen. Jeden Tag erblickte sie die selben Bilder. Eine ihr unbekannte Sehnsucht umschloss ihr Herz.
Sollte das alles sein, was sie in ihrem leben zu erwarten hatte? Würde sie auf ewig nur die Felder und die Stadt vor Augen haben? Nie einen Schritt weiter tun? Maren schüttelte den Kopf, verdrängte ihre Gedanken. Ihr Vater brauchte sie, sie konnte ihn nicht im Stich lassen. Daher würde sie bleiben und Tag ein Tag aus auf den Feldern arbeiten. Maren drehte sich weg, weg von der Stadt, und blickte ihrem leben entgegen. Sie schritt auf die Felder zu.

„Warum hat das so lange gedauert?“, fragte ihr Vater. „Es ist doch alles in Ordnung mit Nessa oder?“ „Alles ist in Ordnung“, beruhigte ihn Maren. „Sie ist zwar ein wenig komisch gewesen, doch du hast ja gesagt das es daran liegt das es Tante nicht gut geht.“ Das sie Angst vor ihr hatte und der Ring, von dem ihr Vater nichts wusste, bei ihrer Berührung angefangen hatte zu leuchten, verschwieg Maren. Ihr Vater machte sich schon zu viele Sorgen, da wollte sie ihn nicht auch noch damit belasten. „Nessa geht es also gut?“, hakte er nach. „Sie ist ohne einen Kratzer bei ihrem Haus angekommen“, versicherte Maren.
Erleichtert atmete ihr Vater aus. Er machte sich wirklich immer viel zu große Sorgen, doch das war eine der Eigenschaften die ihren Vater so liebenswürdig machte. Er tat alles für sie und seine Geschwister, obwohl das Wohlbefinden seiner Tochter immer an erster Stelle stand, egal ob er darunter litt. Wenn Maren nicht wäre, würde ihr Vater seinen Rücken schonen und die Arbeit solange ruhen lassen, aber das konnte er nicht. Er brauchte Geld für Nahrung. Ihr Vater hatte nichts dagegen eine Zeit lang zu hungern, doch seine Tochter sollte das nicht. Obwohl Maren ihm schon oft versichert hatte das es ihr nichts ausmachen würde, lehnte ihr Vater immer wieder ab. Sie sollte es nicht.
„Oh“, sagte ihr Vater plötzlich verwundert. Seine Augen waren auf etwas hinter Maren gerichtet, was sie dazu brachte sich umzudrehen. Überrascht weiteten sich ihre Augen. Am Rand der Felder stand der kleine Junge, der das Brot gestohlen hatte, mitsamt dem Mädchen, die das Baby auf ihren Armen trug. „Sie müssen mir gefolgt sein“, überlegte Maren laut. „Wie meinst du das?“, fragte ihr Vater, der ihre Worte mitbekommen hatte. „Die Stadtwache war hinter dem Jungen her“, erklärte sie. „Ich habe ihnen gesagt er sei weiter in die Mittelstadt gelaufen, obwohl er sich in einer Gasse versteckt hat.“ Maren sah ihren Vater an. „Tut mir leid das ich sie belogen habe, aber für mich war es in dem Moment das Richtige.“ Ihr Vater lächelte sie liebevoll an. „Das ist es wahrscheinlich noch immer.“ Dann ging er an ihr vorbei auf die Kinder zu.
Ängstlich drückte das Mädchen das Baby näher an sich und rückte näher an den Jungen heran. Marens Vater bemerkte es, blieb stehen und fragte mit einer ruhigen Stimme: „Wie können wir euch helfen?“ Die Augen des Jungen huschten zu Maren, doch sonst rührte er sich nicht, auch sprach er kein Wort. „Hmm“, überlegte Marens Vater. „Wollt ihr vielleicht etwas essen?“, fragte Maren und trat neben ihren Vater. Dieser nickte um ihr zuzustimmen. „Ihr müsst Hunger haben.“ An Maren gewandt fragte er: „Ist noch etwas von gestern Abend oder heute Morgen übrig? Bevor du etwas neues Kochen musst.“ „Wir haben noch etwas Suppe“, antwortete sie ihm. „Ich kann sie kurz über dem Feuer erhitzen.“ „Dann tu das.“
Schnell lief Maren ins Haus und kam wenig später mit einem dampfenden Topf wieder heraus. Vorsichtig balancierte sie zwei Schüsseln auf ihrem Kopf, ein großzügiges Stück Brot war unter ihrem Arm geklemmt und zwischen ihren Zähnen hielt sie zwei Holzlöffel. Alles stellte sie neben ihrem Vater auf dem Boden ab. „Passt auf dass ihr euch nicht die Zunge verbrennt“, sagte sie zu den Kindern. Zusammen mit ihrem Vater wandte sie sich ab. Sie sollten die Kleinen besser in Ruhe lassen, sie vertrauten wahrscheinlich keinen anderen Menschen. Maren konnte es ihnen nicht übel nehmen, sie lebten auf der Straße, da lernte man leider auf die harte Tour das dort jeder auf sich allein gestellt war.
Mit ihrem Vater zusammen begann sie mit der Feldarbeit. Hin und wieder warf sie einen Blick auf die Kinder. Erst standen sie nur da, rührten sich kein Stück, doch dann trauten sie sich doch an das Essen heran. Sie waren so hungrig. Es tat Maren weh sie so zu sehen und zu wissen das sie zurück auf die Straßen der Unterstadt mussten. „Vater?“, begann sie. Dieser horchte auf und blickte sie fragend an. Sie sah zu den Kindern hinüber. „Können wir sie vielleicht aufnehmen, wenn sie nichts dagegen haben?“ Er trat an sie heran und legte einen Arm um seine Tochter. „Da ich weiß, das du ein ̒das geht nicht ̓ wahrscheinlich nicht akzeptieren würdest, habe ich nichts dagegen.“ „Es wäre ja nicht so das du nichts davon hättest“, sagte Maren mit einem lächeln. „Sie können uns bei der Feldarbeit helfen.“
Gemeinsam gingen die beiden wieder auf die Kinder zu. Der Junge bemerkte sie als erster und sprang verschreckt auf. „Alles ist gut“, sagte Maren mit sanfter Stimme. Das Mädchen versteckte sich hinter den Rücken des Jungen. „Ihr braucht keine Angst zu haben“, sprach Maren weiter. „Ich wollte euch fragen, ob ihr vielleicht bei uns leben wollt?“ Die beiden Kinder blickten sie mit großen Augen an. Misstrauen und Skepsis blitzten in ihnen auf, aber auch ein Fünkchen Hoffnung. „Ich meine das ernst. Wollt ihr bei uns leben?“, fragte Maren erneut. Der Junge drehte sich zu dem Mädchen um. Einen langen Moment sahen sie sich nur an, dann blickten sie zu Maren und ihrem Vater und nickten eifrig.


Kapitel 4
Der Umriss in den Schatten

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Die Kinder waren schon zu Bett gegangen und schliefen tief und fest. Der Junge hatte sich als Alec vorgestellt, das Mädchen als Eara und das Baby nannten sie Fia. Alec war der älteste von ihnen, gerade einmal ein Dutzend Jahre. Seine Eltern waren bei einem Brand verstorben, seitdem lebte er auf der Straße der Unterstadt. Earas Familie verstarb als sie gerade einmal fünf Jahre war. Sie wurden vor ihren Augen ermordet, erstochen, von einem Mann der in ihrem Haus eingedrungen war. Alec hatte sie gefunden als sie ziellos durch die Straßen streifte. Das kleine Mädchen hatte bis heute nicht verstanden was damals passiert war. Sie hatte nur etwas von einem Mann, einem Dolch und Blut gestammelt.
Fia war erst seit zwei Tagen in der kleinen Gruppe. Ihre Mutter lebte selbst auf der Straße. Dort hatte sie sie auch geboren. Doch sie war todkrank gewesen und wusste das sie nicht mehr lange unter den lebenden weilen würde. Sie kannte Eara und Alec und wusste das die beiden sich um ihre Tochter kümmern würden, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage war. Daher rief sie die beiden vor zwei Tagen zu sich. Die Frau war schon ganz schwach. Sie schaffte es schon gar nicht mehr ihre Tochter zu ernähren. Die kleine würde verhungern wenn sie bei ihr blieb. Alec und Eara nahmen Fia auf, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken. Wenige Glocken später war Fias Mutter tot.
Die drei taten Maren leid. Eara schaffte es kaum einen Satz über ihre Erlebnisse über ihre Lippen zu bringen und Alec sprach so kalt darüber, so abgeklärt, als ob es nicht er selbst wäre der redete. Es war eine Art Schutz, da war Maren sich sicher. Sie hoffte das es ihnen jetzt, wo sie bei ihr und ihrem Vater lebten, besser gehen wird. Die kleinen hatten es verdient, es waren doch noch Kinder.
„Wir müssen Morgen unbedingt eine Amme für Fia finden“, riss Marens Vater sie aus ihren Gedanken. Er hatte recht. Heute hatten sie eine Notlösung für das Baby gefunden und ihr Kuhmilch gegeben, damit sie zumindest etwas zu sich nehmen konnte. Doch das war keine Lösung für immer. Fia war zwei, vielleicht drei Monate alt. Sie wurde noch gestillt. „Ja, du hast recht, aber haben wir denn das Geld dazu?“, fragte Maren besorgt. Ihr Vater saß auf einem alten Holzstuhl, den Oberkörper über den Tisch gebeugt und betrachtete die wenigen Kupferstücke darauf. Er seufzte. Sie hatten jetzt drei Münder mehr zu stopfen. Maren hatte gar nicht an die Folgen gedacht, als sie ihren Vater gebeten hatte die drei aufzunehmen.
„Wir haben nur noch neun Kupferstücke. Das reicht für Nahrung und Amme gerade einmal zwei Tage.“ Das war nicht viel. Für dieselbe Anzahl an Kupferstücken hätten sie zu zweit mindestens fünf Tage davon leben können. Maren ging um den Tisch, nahm sich einen weiteren Stuhl und setzte sich neben ihrem Vater. Aufmunternd legte sie eine Hand auf seinen Arm. „In zwei tagen ist doch das Götterfest“, sagte sie. „Die Bäcker werden viel Weizen und Hafer brauchen. Der größte Teil unserer Felder ist schon reif. Wir müssen morgen soviel wie möglich ernten und verkaufen.“ Ihr Vater lächelte schwach. „Ja, da hast du recht.“ Er blickte sie an. Sein Gesicht wirkte älter als er eigentlich war. Die letzten Jahre hatten so an seinen Körper gezerrt, dass Maren angst hatte das Anim, der Gott des Todes, ihn zu schnell zu sich holte. „Ich bin so froh das ich dich habe“, flüsterte er und küsste seiner Tochter auf die Stirn. Dann stand er auf. „Komm wir gehen zu Bett, wir sollten etwas schlafen.“ Maren nickte. Ein wenig Schlaf würde ihnen beiden gut tun.
Wenig später lag Maren in ihrem Bett, am Leib trug sie nur ein dünnes Nachthemd, und bekam kein Auge zu. So viele Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum und ließen sie nicht zu ruhe kommen. Seufzend blickte sie hinaus aus ihrem Fenster, ein leichter Windhauch streifte ihr Gesicht. Am Himmel glitzerten die Sterne und die Monde wirkten wie zwei schwache Sonnen. Die Nacht war klar, kein Wölkchen war zu sehen. Maren hörte das Glockenleuten aus der Stadt. Der Glockenturm stand in der Oberstadt und war eigentlich viel zu weit entfernt, doch die Nacht war so still das Maren die Glocken noch hören konnte.
Plötzlich schob sich eine riesige Wolke vor die Monde und Sterne und verfinsterte die Nacht. >Wo kommt die denn her?< Eine Bewegung in ihrem Augenwinkel zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Maren lehnte sich ein wenig aus ihrem Fenster und kniff ihre Augen zusammen. In den Schatten erkannte sie einen leichten Umriss. >Merkwürdig...< Zwei leuchtend grüne stechende Punkte flammten in der Dunkelheit auf. Vor Schreck verschwand Maren von dem Fenster. Kalte Schauer liefen ihr den Rücken herunter. >Was war das?<
Sie atmete drei vier mal tief durch, dann spähte sie noch einmal aus dem Fenster. Die grünen Punkte waren verschwunden und mit ihnen der Umriss und die riesige Wolke. Maren schüttelte den Kopf über sich selbst. Wahrscheinlich hatte sie sich das ganze nur eingebildet. Sie legte sich hin und schloss die Augen. Es dauerte nicht lange bis sie in das Land der Träume glitt und den Schlaf hatte sie dringend nötig.


© Lighania


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Kommentare zu "Hexenfluch-Verdammt unter Wasser (Teil 2)"

Re: Hexenfluch-Verdammt unter Wasser (Teil 2)

Autor: rose   Datum: 06.09.2013 17:51 Uhr

Kommentar: Coole Sache....bin ja mal gespannt wies weitergeht....

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