In der Nacht

Eins-Begegnung

Es war eine schwülwarme, laue Sommernacht Mitte Juli. Der Mond hing in silbrig glänzender Sichelform am pechschwarzen Nachthimmel, umringt von zahlreichen funkelten Sternen. Sie strahlten so hell und in so vielen verschieden Farben, sodass man den Eindruck hatte, sie würden mit dem Mond konkurrieren. Es wehte kein einziges Lüftchen, es war alles ganz still. Niemand war mehr auf den dunklen und meist spärlich beleuchteten Straßen unterwegs, außer, vielleicht welche die gerade das Nachtleben in vollen Zügen genossen, und jetzt erst sturzbetrunken den Heimweg suchten. Es war bereits nach 1 Uhr morgens und die 15 jährige Lena verfluchte innerlich schon ihren Wecker, welcher in genau 4 Stunden wieder unaufhörlichen Krach verursachen und sie aus dem Bett jagen würde.
>>Das kann doch nicht wahr sein! <<, dachte sie so bei sich und drückte genervt stöhnend ihr Gesicht in ihren samtweichen Kissenbezug, dessen Oberfläche mit blauen Veilchen bemustert war. Warum musste es auch nur so schrecklich schwül sein?
Lena hasste solch warme Sommernächte, in denen man glaubte, die stickige Luft würde einem sogar im Schlaf den Atem rauben und einen ersticken lassen . Und sie hasste sie, weil man einfach viel zu schlecht ein Auge zubekam. Sie war noch nicht einmal müde, ihre Augen waren immer noch nicht träge und schlapp geworden, sondern sie war hellwach. Und das, obwohl sie sich jetzt schon seit Stunden im Bett umherwälzte und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Sie hatte sich sogar die Kopfhörer ihres MP3-Players aufgesetzt und ruhige Musik spielen lassen, in der Hoffnung, dass dieses Vorhaben helfen könnte. Aber Pustekuchen! Sie konnte einfach nicht schlafen!
Und was passierte, wenn man stundenlang hellwach im Bett lag und alles ruhig um einen war? Man dachte nach; Gedanken, die man sich lieber nicht machen sollte, wenn man vorhatte, ins Land der Träume einzumarschieren. Gedanken, bei dem jeder Muskel im Körper vor Anspannung bebte. Ein Todesurteil für jeden der vorhatte zu schlafen, auch für die 15 Jährige.
Sie dachte an die Schule und daran was der Lehrer ihr gestern nach dem Unterricht mitgeteilt hatte, nachdem er sie in sein Zimmer konsultiert hatte.
„Ihre Noten sehen nicht sehr gut aus, Miss Open. In dem letzten halben Schuljahr haben sie sich keinesfalls so verbessert, dass es für die 10 Te Klasse ausreichend wäre. Sie müssen noch viel mehr tun, noch intensiver. Sonst sehe ich da keine Zukunft.“ Hatte ihr Lehrer ihr am Vortag mit ernster Miene aber sanfter Stimme zu erklären versucht, worauf Lena mit klopfendem Herzen nur nicken konnte. Sie war wie versteinert und geschockt, dass ihr Lieblingslehrer in Mathematik ihr die Wahrheit so brühwarm ins Gesicht gesagt hatte. Gleichzeitig war sie verärgert auf ihn und wütend auf sich selbst. Sie hatte es einfach nicht geschafft, den gesamten Stoff des letzten Jahres aufzuholen und gleichzeitig in ein neues Schuljahr zu wechseln, obwohl sie von dem Letzten so wenig mitgenommen hatte. Lena hatte die ganze Zeit still gehofft und sich die Daumen gedrückt, dass sie die 9 Te Klasse schaffen würde – gerade so. Nachdem sie vor einem halben Jahr aus der psychiatrischen Klinik und wieder in die normale Welt hinaus entlassen wurde, hatte sie sich so sehr angestrengt, wieder Fuß zu fassen im Leben. Sie wollte da anknüpfen, wo sie zuletzt aufgehört hatte; im Leben sowie in der Schule. Doch sie hatte die Schule nicht gepackt, sie hatte den vielen Stoff einfach nicht nachholen können. Und nun?
Nun hatte sie von ihrem Lieblingsmathelehrer Herr Collyn erfahren, wie es um ihre schulische Leistung wirklich stand, und das sie höchstwahrscheinlich die 9 Te Klasse noch einmal wiederholen musste. Schon allein der Gedanke daran ließ sie erschaudern. Lena wollte die 9 Te Klasse aber nicht wiederholen, denn dann wäre sie ein gefundenes Fressen für all die Tussis, die schon einen Kicker auf sie hatten. Nicht dass es Lena interessierte, was diese Mädchen, die glaubten über allem und jedem zu stehen, was sie von ihr hielten, aber sie würde sich dann vor deren Attacken kaum retten können und sie war sich sicher das man sie dann wieder in die Klinik einweisen müsste. Und überhaupt wäre sie dann nicht mehr mit ihrer besten Freundin Celin in einer Klasse. Das ging schon mal gar nicht! Die 15 Jährige hatte nicht vor einfach aufzugeben, auch wenn ihre Situation noch so aussichtslos erschien. Bis zu den Sommerferien waren es noch genau 5 Wochen. Sie würde ihre Freizeitaktivitäten dann lieber hinten ran stellen, und richtig intensiv lernen, um bei einem bevorstehenden Test richtig gut abzuschneiden. Sie würde die Lehrer um mündliche Prüfungen oder um Ausarbeitungen bitten, nur um ihre Noten in ein helleres Licht rücken zu können. Sie würde nicht aufgeben, bis sie ihr Ziel erreicht hätte – in die 10 Te Klasse der Realschule zu gelangen.
Fest entschlossen richtete sich die 15 Jährige in ihrem Bett auf und stand wie ein Soldat salutierend da und sprach aufmunternd zu sich selbst. „Du schaffst das, Lena. Ich glaub an dich! Du wirst es allen zeigen!!!“
Dann hüpfte sie nach oben, als wolle sie mit ihrer Hand gegen die bunt tapezierte Decke klatschen – so wie eine Art „give me five“. Ihre Fingerspitzen streiften sie aber nur und schließlich fiel Lena kichernd wieder auf ihr Bett zurück. „So ein Mist, ich hab es immer noch nicht mit der ganzen Hand geschafft!“, murmelte sie leicht säuerlich, aber auch belustigt vor sich hin und seufzte. Dann schaute sie leicht genervt auf ihren Wecker, der unaufhaltsam im Sekunden Takt tickte. Wie eine tickende Zeitbombe.
„Oh Mann!“, stöhnte sie angenervt und schloss die Augen. Sie kniff sie ganz fest zusammen, als plötzlich ihr Handy neben ihr auf dem Nachtschränkchen klingelte und vibrierte. Sie schaute verstohlen und mit fragendem Ausdruck in den Augen auf das Display. Vollkommen überrascht ging sie ran. „Hallo?“, fragte sie etwas kleinlaut. „Bist du es, Jean?“
Der Anrufer war jemand den sie kannte, jemanden den sie sogar sehr gut kannte. Seit der 5ten Klasse war sie mit Jean befreundet gewesen. Zuerst hatten sich die beiden absolut nicht leiden können, so wie das damals eben zwischen Jungs und Mädels so üblich gewesen war. Aber im Laufe der Zeit und mit den Jahren entwickelte sich diese „Abneigung“ zu einer richtigen, aufrichtigen Freundschaft. In der Grundschule hatten sich beide immer auf das Schlimmste beleidigt und sie hatten sich sogar schon ein paar Male geprügelt. Ja, Lena hatte Jean sogar manches Mal eine verpasst, oder mehr, aber er hatte genauso arg zurückgeschlagen. Auch wenn sie ein Mädchen gewesen war, und Jungen so etwas üblicherweise nicht taten oder tun sollten. Er hatte es getan, und ihr war es vollkommen egal gewesen, denn sie hatte sich zu wehren gewusst. Mit Worten oder Taten. Aber das sie sich körperlich in den Haaren gelegen hatten war nur einmal in der 1ten Klasse gewesen, danach nie wieder. Wann immer sie sich anschließend irgendwo in der Schule begegneten, ob im großen, leicht muffig riechenden Schulflur, oder draußen auf dem Schulhof, pöbelten sie sich an, schupsten sich gegenseitig oder bewarfen sich mit kleinen Gegenständen, die man so bei sich trug, so wie ein zerknülltes Blatt Papier in der Hosentasche. Viele der Mitschüler zogen die beiden auf mit „Was sich liebt, das neckt sich“, was Lena und Jean überhaupt nicht gefiel, sodass es sie immer leicht in Rage brachte. Die beiden konnten sich einfach nicht füreinander erwärmen doch das sollte sich schlagartig ändern.Ein paar Mädchen, die zwei Klassen über ihnen standen, hatten es nämlich auf die beiden Mädchen; Lena und Celin, abgesehen, da Lena sich einmal abfällig über ihr großkotziges Getue aufgeregt hatte – und das als Lena direkt neben ihnen im Schulflur gestanden hatte. Daraufhin wollten sie ihr und ihrem kleinen Anhängsel, Celin, eine gewaltige Lektion erteilen. Sie zerrten die beiden Mädchen verängstigt in eine Ecke, die von den Lehrern nicht beaufsichtigt wurde und eine der Mädchen fing an Celins wunderschöne blonde Locken abzuschneiden. Diese weinte bitterlich, während ein anderes Mädchen sie festhielt, da sie sich von ihnen zu lösen versuchte. Doch Celin hatte keine Chance, die Mädchen schnitten ihr die Haare ab und es machte ihnen nichts aus, das sie jämmerlich weinte. Sie drohten ihr noch mit größeren Konsequenzen, wenn sie irgendetwas davon den Lehrern erzählen würde. Danach war Lena an der Reihe, von den Mädchen traktiert zu werden. Zwei Mädchen packten sie und die andere schnitt lachend an ihren wunderschönen nussbraunen, langen Haaren herum. Jede einzelne, abgeschnittene Haarsträhne versetzte Lena einen tiefen Stich in ihren noch so kleinen und jungen Herzen. Ihre langen Haare waren für sie in diesem Alter etwas ganz besonderes gewesen, und nun schnitt irgendjemand einfach an ihnen herum.
Lena begann leise zu schluchzen und die drei älteren Mädchen trauten ihren Ohren kaum. „Sie heult!“, verkündete eines der Mädchen schadenfroh und grinste fies zu dem Mädchen hinüber, welches sich an Lenas Haaren vergriff. Diese grinste ebenfalls. „Da haben wir doch die Kleine tatsächlich zum Weinen gebracht, ach, herrje!“
Weinend ging die kleine Lena zu Boden und Celin, welche ein paar Meter neben ihr an der Hauswand der Schule lehnte, konnte nicht glauben, was sie sah. Rasch wischte sie sich ihre Tränen aus dem Gesicht und stand auf. „Lena, was … ist mit dir?“; fragte Celin erschrocken. Sie konnte es nicht fassen, sie sah ihre beste Freundin zum ersten Mal weinen. „Steh auf, Lena! Steh auf, los, komm schon!!!“, flehte Celin verzweifelt, da sie es nicht wahrhaben konnte, das ihre starke Freundin plötzlich die Kraft verlor, zu kämpfen, obwohl sie doch eine Kämpferin war. „Steh bitte auf, bitte …“, wimmerte sie leise und sank ebenfalls weinend neben Lena auf die Knie … zu Boden.
„Lena …Bitte!“ Ein letztes Mal bat Celin ihrer Freundin aufzustehen und sich mit Leibeskräften gegen diese gemeinen Mädchen zur Wehr zu setzen, aber es half nichts. Lena blieb reglos auf den Knien und hatte den Kopf kraftlos nach unten geneigt. Die Strähnen ihrer langen Haare lagen überall um sie herum verteilt.
„Haha, dieses vorlaute Gör hat es nun begriffen, dass man uns gegenüber lieber keine dicke Lippe riskiert!“, sagte eines der Mädchen mit einem siegreichen Ton in der Stimme, worauf die anderen beiden lachend zustimmten.
„So ist es ...! Und denkt daran, wenn ihr das hier irgendjemandem erzählt, dann seid ihr fällig! Noch mal!!“ Daraufhin ließen die beiden Mädchen, die Lena die ganze Zeit über in Schach gehalten hatten, von ihr ab und gingen zu dritt, mit hoch erhobenem Haupt davon, nachdem sie das Schulklingeln vernommen hatten. Lena und Celin ließen sie zurück, geschockt und fassungslos. Die beiden jungen Mädchen sahen schrecklich aus, sie hatten total schief geschnittene Haare und ein völlig verheultes Gesicht. In ihren nassen Gesichtern klebten auch noch ein paar kleinere Haarsträhnen. Zunächst saßen beide da und stierten vor sich hin, bevor dann Lena endlich aufstand und mit entschlossenen Schritten zur Mädchentoilette rannte – Celin war ihr dicht auf den Fersen.
In der Mädchentoilette angekommen wuschen sich beide Mädchen erst einmal die losen Haarsträhnen und den Dreck aus dem Gesicht, anschließend sahen sich beide im Spiegel an, und waren erneut geschockt über ihr aussehen.
„Das sieht … ja fürchterlich aus! Was machen wir jetzt, Lena?!“, entgegnete Celin aufgebracht und geriet bei ihrem Anblick ganz leicht in Panik. „Wir haben jetzt noch eine Stunde Unterricht! So können wir doch nicht ins Klassenzimmer!!“
Lena überlegte kurz und angestrengt nach, während sie ihren Kopf dabei immer wieder von der einen zur anderen Seite drehte und sie sich fassungslos im Spiegel betrachtete. Dann begann sie plötzlich zu grinsen und fing schließlich an zu lachen. Celin, welche davon vollkommen überrumpelt wurde, starrte sie nur entsetzt an. „Was ist daran bitte so komisch?“, fragte sie, stampfte verärgert mit dem Fuß und verschränkte die Arme vor die Brust.
„Sie nur, wie wir zwei aussehen, wie zwei komische Vögel! Verrückte Hühner, denen die Federn gezupft wurden, sind!“, lachte Lena und konnte sich kaum einkriegen. Sie bekam schon langsam Bauchschmerzen davon, aber das war ihr egal. Auch wenn sie aussahen, als hätten sie gerade einen Unfall mit der Schere gehabt, so war es doch viel schöner, darüber zu lachen, als rum zu flennen und in Panik zu geraten. Diese Mädchen konnten zwar ihre Frisur und ihre langen Haare zerstören, jedoch konnten sie nicht sie zerstören, ihr Wesen, ihre Seele. Doch was nun? So konnten sie sich nicht im Unterricht blicken lassen, ohne das die beiden alle Blicke auf sich ziehen würden. Und was sollten sie dem Lehrer sagen, wie das passiert war? Immerhin hatten die Mädchen mit noch heftigeren Sachen gedroht, wenn sie irgendjemandem davon erzählten, und dazu gehörten schließlich auch die Lehrer. Somit blieben ihnen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie gingen zum Unterricht und erzählten dem Lehrer, sie hätten sich gegenseitig so zugerichtet, weil sie den Drang danach unbedingt verspürt hatten, oder aber, zweitens, sie würden den Unterricht schwänzen, allerdings würden sie dafür ganz schön viel Ärger mit ihren Eltern und der Schule bekommen. Und Letzteres wäre noch viel unerträglicher als die spöttischen Witze ihrer Mitschüler, wenn sie die beiden so sehen würden. Also gingen Celin und Lena mutig in die Höhle des Löwen. Bevor sie in das Zimmer traten, atmeten beide noch einmal tief durch und sprachen einander nochmal alles ab, damit auch ja alles stimmig war.Dann gingen sie hinein, und alle starrten sie sofort perplex an, der Lehrer eingenommen. Nach ein paar Sekunden bekam der Lehrer dann wieder Fassung zurück und ging auf die beiden Mädchen zu, die ihre Blicke reumütig gesenkt hatten – auch um die dummen Fratzen der anderen nicht sehen zu müssen.
„Was habt ihr denn gemacht? Wie seht ihr aus?“, fragte der Lehrer sie immer noch leicht geschockt und stellte sich direkt neben die beiden. Diese sahen immer noch beschämt zu Boden. „Es tut uns leid, wir hatten da plötzlich so eine Idee …“, murmelte Lena verhalten und sah den Lehrer flehend an. Sie wollte so sehr, dass er sie dazu aufforderte, sich an ihre Plätze zu begeben, da sie die gaffenden Blicke und das Kichern nicht mehr aushielt. Sie fühlte sich, als stünde sie nackt vor unzähligen Leuten.
„Das hat aber noch ein Nachspiel, ihr beiden“, mahnte er mit erhobener Stimme. ­Celin und Lena nickten stumm. „Setzt euch hin.“
Die beiden Mädchen setzten sich und waren heil froh, dass sie nur noch genau 20 Minuten hier drinnen, bei den anderen verbringen mussten, denn den Rest hatten sie schon in der Mädchentoilette mit Lachkrämpfen und angestrengten Überlegungen, sich aus ihrer jetzigen Lage irgendwie klug rauszureden, vergeudet.
Ein paar Tage danach hatte niemand mehr aus ihrer Klasse ein Wort darüber verloren, über den Vorfall mit ihren Haaren, naja, zumindest sprachen die anderen nur dann darüber, wenn sie es nicht mitbekamen, und das machte Lena irgendwie glücklich. Allerdings hatte sie nicht vor die drei Mädchen der höheren Klasse einfach so ohne Weiteres davon kommen zu lassen. „Bist du irre? Die werden sich doch sofort wieder an uns vergreifen, wenn wir ihnen etwas antun!“, sagte Celin hysterisch und wirbelte von der Sitzbank hoch, welche auf dem Schulhof stand. „Das kann nicht dein ernst sein! Sie mich an, ich habe kurze Haare, das sieht vollkommen bescheuert aus, und wenn die dann noch mal mit der Schere kommen, oder dem Rasierer?! Dann habe ich Glatze!!!“ Celin konnte es ganz klar vor sich sehen und war erschüttert darüber, dass Lena tatsächlich ein Attentat auf die Mädels von „Oben“ plante.
„Jetzt komm mal runter!“, zischte Lena genervt und stand ebenfalls auf. Dann schaute sie ihrer besten Freundin fest entschlossen in ihre azurblauen Augen und da wusste Celin das sie keine andere Wahl hatte. Eine für alle und alle für einen, dieser Satz fiel ihr dabei ein, komischerweise, was aber bestimmt daran lag, dass sie den Film dazu gestern angesehen hatte.
„Und was hast du vor? Was ist dein Plan?“, seufzte Celin und sank wieder auf die Bank. „Ich weiß noch nicht.“, erwiderte Lena daraufhin vollkommen entzückt und nahm wieder neben ihrer besten Freundin Platz. „Aber wir beide können uns ja was ausdenken!“
„Ganz einfach!“, sagte Celin freudestrahlend und stand erneut auf, triumphierend. „Wir werfen einfach ein paar Wasserbälle auf sie! Oder wir füllen sie mit Lebensmittelfarbe, haha!“ Celin gefiel der Gedanke irgendwie, die gemeinen Mädchen, die sie so verschandelt hatten, bluten zu lassen, aber nur in den übertragenen Sinn. Farbbomben sollten es sein, schön bunt, und ihre Lieblingsfarbe sollte auch mit vertreten sein: blau.
„Und wann wollen wir das machen?“, fragte Lena voller Vorfreude und grinste. Sie sah Celin fragend an doch dies zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nicht. Besser wäre ja in der großen Pause, weil da sind sie immer alle auf dem Schulhof.“
„Ja aber … da bekommen wir auf jeden Fall ärger von einem Lehrer, wenn wir das machen“, antwortete Lena mit leicht gedämpfter Stimme. Sollte es jetzt wirklich am Zeitpunkt scheitern? Denn etwas anderes könnten sie so schnell nicht auf die Beine zaubern, und grausamer wollten sie dann auch nicht werden dabei.
„Dann ist es eh egal, dann bekommen wir halt ärger.“; meinte Celin und lächelte freudig. „Das Überleben wir auch noch, Hauptsache die bekommen, was sie verdienen!“
So war es beschlossene Sache und ihr Plan wurde am nächsten Tag, zur großen Schulhofpause, in die Tat umgesetzt. Celin und Lena hatten kleinere mit Lebensmittelfarbe gefüllte Ballons in ihren Hosentaschen. Diese warfen sie mit vollem Rachegefühl auf die nichts ahnenden Mädchen der oberen Klasse, als diese sich zum Rauchen in eine ruhigere und nicht von rumschnüffelnden nervigen Lehrern zurückzogen. Die drei Mädchen, die Celin und Lena angegriffen hatten, waren Busenfreundinnen gewesen und hingen ständigen zusammen. So auch an diesem schicksalshaften Tag, wo ihre schönen Gesichter und Klamotten mit Farbspritzer verschönert wurden. Die drei Mädels waren so perplex und überrascht von dem Angriff gewesen, sodass sie zu allererst gar nicht wussten, was ihnen geschah. Sie schrien, während Lena und Celin hämisch lachten.
„Das habt ihr verdient!!!“, schrie Lena, die voller Freude war über den Sieg, doch diese Freude währte nicht lange, denn eines der beiden Mädchen rannte blitzschnell auf sie zu und packte sie am Arm. „Celin, renn weg!!“, schrie sie ihrer besten Freundin zu, und obwohl sie es nicht wollte, da sie ihre beste Freundin nicht im Stich lassen konnte, rannte sie wie vom Teufel verfolgt davon, zu einem der Lehrer, der draußen Aufsicht hatte.
Währenddessen versuchte Lena sich aus den Fängen des Mädchens mit Tritten zu befreien, doch ein anderes der Mädchen hatte sie bereits ebenfalls gepackt und warf sie von hinten zu Boden. Dann schlug das selbige Mädchen auf sie ein, mit dem Fuß. Sie trat ihr voll gegen die Seite, sodass Lena kurz mit dem aufkommenden Gefühl von Übelkeit zu kämpfen hatte. Das dritte Mädchen im Bunde kam schnellen Schrittes ebenfalls auf Lena zu und trat ihr mit voller Wucht, nur stärker, gegen die andere Seite, sodass Lena sich ein paar Mal auf dem Dreck seitlich rollte, bis sie auf dem Rücken liegend stehen blieb. Dann traten die drei Mädchen immer wieder abwechselnd auf sie ein, sodass Lena unter Schmerzen jedes Mal aufschrie und sie nach Luft rang. Ihre Rettung nahte aber aus der Ferne.
„Lena! Lena!!!“, schrie Celin, welche mit einem der Lehrer im Schlepptau angerannt kam. Zu ihrer Rettung.
„Lena, oh mein Gott“, schluchzte sie jämmerlich, während sie sich über ihre beste Freundin beugte, welche ein bisschen aus Nase und Mund blutete. Auch wenn Lena in dem Moment höllische Schmerzen hatte, lächelte sie. „Da bist du ja …“, brachte sie angestrengt hervor und richtete sich langsam auf, während der herangerufene Lehrer ein ernstes Wörtchen mit den drei Busenfreundinnen redete. „Was habt ihr euch dabei gedacht?!“, fragte er die Drei und war fassungslos. „Das bedeutet für euch das ihr einen Verweis erhaltet und womöglich eine Anzeige wegen Köperverletzung!!“ Der Lehrer war völlig außer sich und musste sich erst einmal wieder einkriegen. Als ihm das gelungen war, trat er an Lena heran und legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter. Außerdem machte dazu ein zuversichtliches Gesicht.
„Keine Sorge, die Mädchen werden damit nicht ungeschoren davonkommen“, meinte er und holte einen Kollegen per Handzeichen zu sich heran. Dann riefen sie einen Krankenwagen für Lena und die Polizei. Die drei Mädchen wurden daraufhin von der Schule verwiesen und Lena hatte sie sogar angezeigt. Von dem Tag an fühlte sich Lena unglaublich stark und wurde von einigen Mitschülern, die sie vorerst für einen Freak gehalten haben, sogar ein bisschen bewundert. Auch von Jean, der sogar als Junge gegen diese Mädchen, aus Respekt vor ihnen und ihren Taten nichts unternommen hätte. Nun sah er Lena, die er einst nicht ausstehen konnte, mit ganz anderen Augen. Er fand sie interessant, und er wollte sich ihr langsam annähern, doch sie hielt das alles für einen schlechten Witz, seine plötzliche freundliche Zuwendung ihr gegenüber und so kam es, wenn immer sich die beiden begegneten, und das kam häufiger vor, denn er ging in ihre Parallelklasse und somit hatten die beiden meisten zwei Mal die Woche zusammen Sport, sich lieber anfeindeten, als das Kriegsbeil endlich zu begraben. Doch einmal, im Sportunterricht als Hochsommer war, und ihre Klassen wieder mal zusammen Sport hatten, fing einer der Typen an Celin zu ärgern. Er war auf sie zugegangen und hatte gemeine Sachen zu ihr gesagt. Daraufhin wollte Celin abhauen, doch der Typ hatte ihr ein Bein gestellt, sodass sie stolperte und hinfiel.
„Celin!!“, rief Lena ihr zu, welche an der Schlange zum Weitspringen stand, und darauf warte es endlich hinter sich zu haben, denn sie konnte diese Sportart absolut nicht leiden. Als diese aber sah wie Celin von einem unbekannten Typen am Boden herumlungerte konnte sie nicht anders als zu ihr zu rennen. Der Typ stand vor Celin und lachte hämisch. „Du Loser!“, meinte er zu ihr, lachte fieß und zeigte spöttisch mit dem Finger auf sie. Plötzlich zuckte er hinter sich zusammen und Celin blickte überrascht auf, als sie nicht Lenas tadelnde Stimme vernahm, sondern die von Jean.
„Lass sie in Ruhe, Jungs vergreifen sich nicht an Mädchen, das ist armselig!“, meinte er zu dem Jungen mit fester, ernster Miene. Dieser nickte stumm, schluckte schwer und verschwand zu der Schlange, aus der Lena gerade geflüchtet war, um ihrer besten Freundin zur Hilfe zu eilen. Doch dann musste sie mit ansehen, wie ihr schon Jean geholfen und den Übeltäter vertrieben hatte, welcher ohne Mucken davongestürmt war. Wahrscheinlich weil Jean so streng ausgesehen hatte, so dass es dem armen Jungen nicht danach zumute gewesen war, sich mit ihm anzulegen. Lena konnte es nicht fassen und stand für einen Moment völlig perplex da. Was war denn nur los mit diesem Jean? Sie hatten sich nie sonderlich füreinander erwärmen können und jetzt? Jetzt schien er immer netter und zuvorkommender ihr gegenüber zu werden, und verteidigte sogar ihre beste Freundin Celin vor ihren Augen. Vor allen Augen!
„Warum hast du das gemacht?“, fragte Lena ihn, nachdem sie aus ihrer Starre aufgewacht und leise an ihn herangetreten war, während dieser der völlig verpeilten Celin aufgeholfen hatte. „Warum bist du so nett?“, fragte Lena ihn unverblühmt und ihre Stimme klang dabei ein wenig streng. Jean schaute sie zunächst mit fester Miene an, schielte dann aber leicht verlegen zur Seite.
„Ich will … mich entschuldigen, für alles was ich in der Vergangenheit dir und ihr“, er zeigte beschämt auf Celin, „angetan habe …Ich will mich nicht mehr streiten, aus dem Alter sind wir denke ich raus.“
Er sah Lena erwartungsvoll an aber diese traute ihm nicht über den Weg. „Das soll ich dir glauben?“, entgegnete sie unsicher und zog eine Augenbraue fragend nach oben. Sekundenlang sah sie ihn eindringlich an und wartete darauf, dass er wieder irgendetwas sagen würde, was sie beleidigte oder wütend machte. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen ging er seufzend davon und schüttelte nur mit dem Kopf.
„Das war also doch kein Witz …?“, flüsterte sie leicht irritiert, als sie ihm hinterher sah, wie er zu den anderen Jungen ging, welche gerade um die Wette rannten. Er wartete kurz, dann war er an der Reihe und spurtete los, als ginge es um sein Leben. Schließlich ging er als Erster durch das Ziel. „Er ist gut. Er ist schnell.“, bemerkte Celin verblüfft und das so ganz beiläufig am Rande. Lena erwachte dadurch aus ihrer Starre und schüttelte den Kopf. Sie konnte es einfach nicht glauben, den Jungen, den sie seit der 1 Ten Klasse gehasst hatte, schien ihr allmählich sympathischer zu werden. Er beleidigte sie nicht mehr oder belagerte sie mit irgendwelchen hirnlosen Sprüchen. Er lauerte ihr auch nicht mehr auf, um sie mit Papierkügelchen zu beschießen. Er neckte sie überhaupt nicht mehr, im Gegenteil, er ging ihr eher aus dem Weg. Lena verstand die Welt nicht mehr und entschloss, dass es so nicht weitergehen konnte. Er hatte sich damals im Sportunterricht ernsthaft für seine vergangenen Taten bei ihr entschuldigt, und was hatte sie gemacht? Sie hatte ihn verspottet, es einfach nicht glauben können, dass sie einfach keine kleinen, raufenden Kinder mehr waren, sondern Teenager, die langsam aber sich mit dem Ernst des Lebens Bekanntschaft machen mussten.
Lena seufzte tief in sich hinein und wartete nach dem Unterricht vor der Eingangstür der Schule auf Jean. Sie war extra frühzeitig aus dem Kunstunterricht abgehauen, da sie ihre Lehrerin in dem Fach einfach ungeniert ins Gesicht gelogen hatte, nur um eher als die anderen Schüler aus dem Gebäude hinausgehen zu können. Insgeheim hoffte sie sehr das Jean nicht noch viel eher, als sie das Weite gesucht hatte. Dann würde sie jetzt wie eine Dumme aus der Wäsche gucken, wenn sie die ganze Zeit über hier stehen würde, wie angewurzelt. Aber dem war Gott sei Dank nicht so. Jean kam mit einem Mitschüler lachend aus der Tür gerannt und hätte Lena fast umgehauen.
„Oh Entschuldigung -“ er entschuldigte sich zwar sofort, als er mitbekommen hatte, dass er jemanden angerempelt hatte, jedoch, als er sah wen, verschlug es ihm sichtlich die Sprache – im negativen Sinne. Sein Gesichtsausdruck wechselte augenblicklich von fröhlich zu gereizt. „Was willst du hier? Wartest du auf mich?“, fragte er sie mit einem Hauch Belustigung in der Stimme. Sofort schluckte Lena daraufhin die in sich aufkeimende Wut runter und stierte abwertend zu seinem Mitschüler, welcher dicht neben ihm stand.
„Können wir reden, alleine?“ Jean nickte und verabschiedete sich von seinem Kumpel, der etwas beleidigt davonging, so, als wäre er gerade wegen irgend so einem Mädchen von seimem besten Kumpel, mit dem er gerne eine Runde an der Spielekonsole gezockt hätte,versetzt worden.
„Was willst du?“, fragte Jean die etwas nervös werdende Lena und kratzte unsicher an seinem Hals, als wäre dort ein Punkt, der plötzlich fürchterlich zu Jucken angefangen hatte. Was sollte Lena ihm jetzt sagen? Sie hatte noch nie so mit einem Jungen gesprochen, ruhig und sachlich. Sie hatte eigentlich noch nie mit einem gesprochen, wie sie überraschend aufgefallen war. Zumindest nicht, ohne gleich laut und ausfallend zu werden. Alle Jungs wollten nichts mit ihr zu tun haben. Sie mieden sie förmlich. Etwa weil sie kein Blatt vor den Mund nahm und sogar nicht davor scheute jemanden sogar eine runter zuhauen? Zwar hatte sie sich mit Jean seit der 1ten Klasse nicht mehr geprügelt, dafür aber mit anderen. Waren es zwei oder drei gewesen? Lena wusste es nicht mehr so genau, jedoch hatte der Schulleiter manches Mal damit gedroht, sie von der Schule zu verweisen. Egal ob Junge oder Mädchen, egal welches Alter, sie ging jedem an die Kehle, der es wagte, sie bis ins Unermessliche zu reizen. Dann war sie nicht mehr zu halten, ob mit verbalen Attacken oder…körperlich. Das war auch der Grund dafür warum sich ihre Eltern langsam Sorgen machten. „Sie entfremdet sich langsam immer mehr. Sie wird noch zur Schlägerin, wenn wir nichts unternehmen!“, hatte ihre Mutter mit besorgter Stimme zu ihrem Ehemann, Lenas Vater, vor kurzem erst gesagt.
Langsam begriff Lena was sie damit anrichtete wenn sie so weiter machen würde, ihren Wutausbrüchen freien Lauf zu lassen. Klar hatte sie Celin trotz alledem an ihrer Seite, egal was Lena gerade wieder angerichtet hatte…oder wen sie wieder zugerichtet hatte. Celin war Lenas Ruhepol, ihr innere Frieden. Ihre friedliche, voller Ruhe, im tiefen weiten Meer liegende Insel, die sie beschützen musste - um jeden Preis. Aber wenn sie nicht aufpasste wäre sie auch die Einzige Freundin in ihrem Leben, der einzige soziale Kontakt in ihrem Umfeld, und das wollte Lena auch nicht zulassen. Also nahm sie all ihrem Mut und ihren Zorn, der Tief in ihr herrschte und nur darauf wartete wieder hervorgelockt zu werden, zusammen und entschuldigte sich ehrlich bei Jean für ihr Verhalten.
„Es tut mir leid.“, sagte sie wehleidig. „Ich hatte wirklich gedacht, du wolltest mich letztens im Sportunterricht veräppeln.“ Sie schaute zunächst beschämt zu Boden, richtete dann aber ihren Blick mit ernster Miene auf Jean. Dieser lächelte zufrieden. „Ist kein Problem. Ich kann das ja verstehen.“, meinte er und lachte kurz erleichtert auf. „Ich hätte an deiner Stelle sicherlich das Gleiche gedacht!“
Lena sah ihn weiter erwartungsvoll an und lächelte auch, und sie glaubte sogar in dem Moment das sie das erste Mal einen Menschen, speziell einen Jungen, anlächelte – so warm und herzlich. So ehrlich.
„Ich was wirklich tief beeindruckt, wie du die Prügelattacken der anderen Mädchen aus der oberen Klasse so weggesteckt hast.“, entgegnete er und Lena sah ihm in seinen grün braunen Augen an, das sie die Wahrheit gerade durch ihre Ohren hallen hörte. Sein Blick war klar und ungetrübt. Etwas stolz darüber begann sie zu grinsen, wurde aber Sekunden darauf gleich etwas verlegen und schaute zu Boden. Sie errötete leicht, was Jean nicht entging. Er schmunzelte innerlich, allerdings hatte er nicht vorgehabt sie deshalb aufzuziehen. Denn immerhin wollte er gerade mit ihr Freundschaft schließen.
„Wir können ja…fürs Erste zusammen nach Hause gehen. Ein Stückchen?“, Erwiderte er vorsichtig und zog fragend die Augenbrauen nach oben. Lena wusste nicht so recht was sie darauf antworten sollte. Schließlich hörte sie auf ihr Bauchgefühl und stimmte zu, lächelnd. Im Anschluss daran gingen beide kichernd davon. Während des Heimweges erzählten sich beide so alltägliche Dinge, von zu Hause, von der Schule, von den Lehrern, die sie beide nicht ausstehen konnten. Und sie sprachen über Celin, da ihm aufgefallen war, das sie heute das erste Mal ohne sie irgendwohin ging.
„Ich hab ihr vorhin gesagt, dass ich mich bei dir entschuldigen möchte. Und das hat sie akzeptiert. Sie ist alleine nach Hause, aber ich werde sie nachher anrufen.“, hatte Lena ihm geantwortet, während sie weiter gemütlich nebeneinanderher schlenderten.
„Ach so…dann kannst du ihr ja nachher am Telefon gleich etwas Erfreuliches verkünden! Du und ich, wir streiten uns nicht mehr und haben uns versöhnt.“, gab Jean daraufhin fröhlich lachend von sich, worauf Lena neben ihm etwas zusammenzuckte und wieder leicht errötete. „Was…was meinst du damit?“, fragte sie ihn leicht säuerlich und verengte ihre großen, leuchtend smaragdgrünen Augen zu Schlitzen. Jean schluckte kaum merklich und seine fröhliche Miene erschlaffte. Hatte er es wieder geschafft, sie wütend zu machen, sodass sie gleich wieder auf ihn losging?
„Eines kannst du dir mal hinter die Ohren schreiben!“, zischte sie und hob dabei tadelnd ihren Zeigefinger nach oben. „Ich bin nicht an dir interessiert! Wenn dann sind wir oder werden wir nur Freunde, kapiert?!“ Nach diesem Satz brach Lena in lautem Gelächter aus und stieß ihm freundschaftlich auf die Schulter. Wenn sie lachte fand Jean sie wesentlich interessanter, viel ausdrucksstarker…und hübscher, auch wenn sie nicht mehr lange nussbraune Haare hatte, sondern einen kurzen, Bobhaarschnitt, der aber ebenso gut zu ihr stand.
„So, ab hier gehe ich allein.“, meinte sie bestimmend und stellte sich vor Jean. „Danke fürs…nach Hause bringen.“ Sie reichte ihm freundschaftlich die Hand um sich von ihm zu verabschieden. „Bis Morgen in der Schule.“, rief sie noch, als sie sich schon umgedreht und losgerannt war. Beim Rennen drehte sie sich noch einmal zu dem verdutzten Jean um und winkte ihm lächelnd zu. Sie schien zum ersten Mal richtig fröhlich zu sein, und mit sich im Reinen.
„Wenn du so fröhlich lachst gefällst du mir viel besser, auch mit kurzen Haaren!“, schrie er ihr nach, worauf Lena wieder die Schamesröte ins Gesicht schoss. „Das kannst du lassen, solche Sprüche!“, tadelte sie ihn, drehte sich wieder um und rannte weiter. „Bis Morgen!“
„Bis Morgen…Lena.“
Von diesem Tage an waren die beiden auf gutem Wege Freunde zu werden. Am selben Tag rief Lena Celin noch an und erzählte ihr aufgeregt alle Einzelheiten über die gemeinsamen Minuten mit Jean. Diese war froh, dass die beiden endlich das Kriegsbeil begraben hatten und freute sich riesig. Allerdings war Celin auch ein klein wenig eifersüchtig darüber, das Lena und Jean nun befreundet waren, aus Angst, ihre beste Freundin könnte sie nun verlieren – und auch ihr schützendes Schutzschild. Aber Lena gab ihr nicht eine Sekunde lang das Gefühl das dritte Rad am Fahrrad zu sein. Sie behandelte alle beide gleich, Celin schützte sie vor Attacken der anderen Mitschüler, die es meist auf sie abgesehen hatten, da sie sich nicht wehrte, und Jean, ja mit ihm lachte sie, sie blödelten herum…und neckten sich hin und wieder auch ganz gern. Und in schwierigen Situationen war auch sie für ihn eine gute Schulter zum Anlehnen.
So wie heute Nacht, es war kurz nach ein Uhr morgens. Jean war am Telefon und er hörte sich nicht sehr nüchtern an. Lena hatte Mühe ihn zu verstehen, da er so nuschelte.
„Nimm doch jetzt mal die Zähne auseinander und erzähle mir was los ist!“, keifte sie in ihr Handy, und Jean, welcher in der anderen Leitung irgendwo draußen herumlungerte, und womöglich betrunken an eine Haltestelle anlehnte, war empört. >>Nicht so garstig, junge Frau<<, lallte er in den Hörer seines Handys, welches in den letzten paar Stunden bestimmt schon öfters zu Boden geflogen war.
„Was hast du? Weißt du eigentlich wie spät es ist? Und es ist Donnerstag, morgen ist nochmal Schule! Und du bist betrunken?! Hast du ne‘ Macke!!“, meckerte sie drauf los, was Jean schon nicht mehr schockierte oder verwunderte, denn mittlerweile wusste er, das sie immer so war – meistens jedenfalls. >>Ich…ich war bei…<< Er musste sich hochanstrengen um einen klaren, verständlichen Satz zu formen. >>..ich war bei Amber…<<
„Ach ja? Toll, und deshalb bist du jetzt besoffen und rennst durch die Gegend?!!“, zischte sie leicht genervt und hatte schon den Gedanken in Erwägung gezogen, einfach aufzulegen, doch so gemein war sie dann doch nicht, und Jean war immerhin ihr bester Freund. „Was…ist denn passiert? Was hat Amber denn gemacht?“, fragte Lena schließlich ruhig und seufzte lang. Dieses Telefonat könnte noch lange dauern, so befürchtete sie.
>>Sie…sie hat Schluss gemacht, ich…ich wollte…zu ihr nach Hause…aber da hat niemand auf gemacht. Dann hab ich sie angerufen<< Er holte kurz Luft um weiter zu erzählen. >>Sie war gar nicht zu Hause sondern bei irgend so einer Party bei so ‘nem Typen zu Hause..!<<
„Aha…und was sagt uns das? Ihr beide habt doch immer so einen Tumult. Morgen seid ihr sicherlich wieder zusammen, so wie immer. Geh ins Bett, Jean!“, ermahnte sie ihn und rieb sich ihre Augen, die langsam doch etwas müde geworden waren.
„Ich leg jetzt auf und leg mich hin, ok? Gute Nacht, Jean.“, sagte sie gähnend und legte auf, ohne zu hören was Jean in der anderen Leitung noch zu ihr sagen wollte. Doch das war nicht das erste Mal, dass sie das bei ihm tat, einfach aufzulegen. Er kannte diese Reaktion schon von ihr, seitdem das mit Amber und ihm so hin und her ging. Mal liebten sie sich und konnten ihre Finger nicht voneinander lassen, und im anderen Moment warf sie ihre dicken Brüste einem anderen Kerl ins Genick. Lena fand das einfach nur widerlich und krank, aber sie respektierte es, wenn sich Jean nun mal in so ein Mädchen verliebt hatte, denn im Grunde war sie der Traum aller jungen Männer: schlank, groß, vollbusig und ihre platinblonden Haare hingen wie silberne Seide ihrem schmalen Rücken hinunter. Sie war das wovon jeder Kerl träumte, und das wusste sie auszunutzen. Ihre großen dunkelbraunen Augen sahen immer ganz unschuldig drein, so als könnten sie kein Wässerchen trüben, allerdings wusste Lena schon lange, das Amber nichts anbrennen ließ. Sie nahm sich was sie wollte, und wie sie Lust drauf hatte. Und nun hatte sie anscheinend mal wieder keine Lust an Jean‘s Seite als ihre feste Freundin durch die Welt zu gehen, was ihn so fertig machte, sodass er keinen Ausweg sah, als sich mit Alkohol volllaufen zu lassen. Lena machte sich nur ein bisschen um ihn Sorgen, weil sie ja nicht wusste wie schwer er angetrunken war, und ob er es demzufolge auch nach Hause schaffen würde – unversehrt. Doch sie wusste auch dass Jean niemals so viel über den Durst trinken würde, das er nicht mehr im Stande wäre, klar zu denken und zu handeln. Er wusste wie weit er gehen konnte, und das beruhigte Lena ein wenig. Schließlich schloss die dunkelhaarige ihre Augen und freute sich schon darauf, sich endlich in das Land der Träume begeben zu können, doch auf einmal vernahm sie von oben ein lautes Poltern und schreckte sofort hoch. Sie blickte mit weitaufgerissenen Augen zur Decke hinauf, ihr Herz schlug ihr dabei bis zum Hals. Angestrengt horchte sie, ob sie noch einmal so ein Poltern hören würde, und tatsächlich. Sie hörte es wieder…und wieder. Manche Geräusche hörten sich wie…Schritte an. War dort oben etwa jemand? Über Lenas Zimmer befand sich unmittelbar der Dachboden, und Lena wusste, das ihr Vater im Sommer immer das kleine Fenster, welches sich an der Seite des Hauses befand immer offen ließ, um frische Luft hinein zulassen, da er es auf dem Dachboden sonst vor Stickigkeit und schlechter Luft nicht aushielt.
Aber konnte das tatsächlich sein, dass jemand [b]außer[b/] ihrem Vater sich dort oben befand? Die 15 Jährige wollte es unbedingt herausfinden, auch wenn ihr vorher erst wie einschlafen gewesen war, nun war das anders. Aufregung und auch ein wenig Angst stiegen in ihr hoch, als sie vom Bett auf stand und ganz leise, wie ein Dieb in ihrem eigenen Haus, zur Tür ihres Zimmers ging. Sachte öffnete sie diese und trat auf den kleinen Flur, an dessen Ende eine kleine schmale Holztreppe zum Dachboden hinauf führte. Auf Zehenspitzen lief sie zur Holztreppe und als sie zu der geschlossenen, alten Holztür hinaufblickte, fröstelte sie es ein wenig. Sie hatte Angst, ja aber sie war auch total neugierig. Wen würde sie jetzt dort oben antreffen? Vielleicht doch ihren Vater? Nun ja, dann wäre ihre Angst und ihre Aufregung wohl völlig umsonst gewesen und sie hätte anschließend gleich etwas von ihrem Vater zu hören bekommen, was sie denn noch so spät hier oben wollte.
Aber was wenn es nicht Papa war? Fragte sie sich, als sie langsam, Stufe für Stufe, der alten Holztür immer näher kam. Egal was oder wen sie jetzt dort oben gleich vorfinden würde, sie würde sich nicht von ihrer Angst in die Flucht schlagen lassen. Ihre Neugierde war schließlich größer und sie hätte es sich wohl nie verziehen, wenn sie nicht nachgeschaut hätte, wer dort oben noch zu so später Stunde noch auf und abging.
Ruhig drückte sie die Türklinke hinunter und schob die schwere Tür behutsam auf. Dann trat sie schwer atmend und mit immer noch pochendem Herzen in der Brust ein, und musste sich sofort einen heranbahnenden Nieser verkneifen. Angewidert nahm sie die Hand vor den Mund, da sich der Staub nur so um sie herum wirbelte. Die Luft hier oben war kaum auszuhalten, es roch muffig und die Staubpartikel kitzelten ihre Nase immer noch.
Trotz der widrigen Umstände ging Lena weiter und sah sich um, immer noch schleichend. Dann hörte sie plötzlich eine männliche Stimme etwas weiter vorn, die irgendetwas Unverständliches vor sich her stammelte. Lena ging näher heran und schaute vorbei an ein paar aufgetürmte Kartons, dann schrak sie entsetzt einen Schritt zurück.
Sie hatte dort jemand gesehen, wie er zwischen all den Sachen, die dort herumlagen, gewühlt hatte. Einen jungen Mann, zierlich gebaut, mit dunklen Haaren und einem breiten Rücken. Die 15 Jährige konnte ihn nur von hinten erkennen, nicht aber sein Gesicht. Er trug einen langen schwarzen Mantel, sehr modern und dazu lange dunkle Hose, die wahrscheinlich aus Polyester war. Er wühlte durch all die Sachen und schien auf der Suche nach irgendetwas zu sein. Unnachgiebig und voller Tatendrang wühlte er sich durch Kartons und durch ein paar blaue Plastikmüllsäcke, in denen womöglich noch Lenas und Mayas Spielsachen aus früheren Zeiten lagerten. Verwirrt sah sich die Braunhaarige um und fragte sich, wie er hier wohl hoch gekommen war? Hatte er eine Kletterausrüstung dabei gehabt oder so etwas ähnliches?
Sie blickte suchend zu dem kleinen Fenster und seufzte innerlich enttäuscht auf. Dort war nichts zu sehen, keine Kletterausrüstung, keine Seil was dort befestigt war; was sehr merkwürdig war, denn wie sollte er sonst hier hoch gelangt sein? Ist er etwa einfach so zur Tür reingekommen und durch das ganze Haus stolziert, ohne von irgendjemandem entdeckt wurden zu sein?! Oder war er wie Spiderman die Hauswand einfach hier Hoch geklettert?
Er hatte sie sofort bemerkt, als sie leise zur Tür hereingekommen war. Er hatte ihre Schritte wie ein Donnergrollen in seinen Ohren wahrgenommen. Und ihren Atem, welcher so schwer ging, so dass man meinen könnte, sie hätte körperlich mit jedem Schritt zu kämpfen gehabt – etwa weil sie ein bisschen an Übergewicht litt. Aber nein, zu seiner Verwunderung war sie schlank, klein und sie roch verführerisch...nach frischem, süßem Blut. Es pulsierte in ihren Adern so verlockend, das hatte er frühzeitig gerochen. Wie köstlich, was würde er jetzt dafür geben einmal seine schneeweißen Zähne in ihre Halsschlagader zu bohren? Doch das konnte er nicht, denn gewisse Regeln, die vor ein paar Jahren von Höheren seiner Art verfasst wurden waren, ließen dieses Vorgehen nicht zu. Schade. Allerdings hätte er sich es jetzt in diesem Moment auch zeitlich nicht leisten können sich mit ihr aufzuhalten. Denn er war auf der Suche nach Etwas was er dringend benötigte. Und nicht nur er, auch ein paar anderen seiner Art wollten es, brauchten es. Um genau zu sein wollte es jeder in seinem Besitz haben.
Lena überlegte nicht lange: bei dem Anblick dieses fremden jungen Mannes konnte sie nicht anders als nach irgendeinem Gegenstand zu greifen, der sich gerade in ihrer Nähe befand. Kurzum schnappte sie sich einen alten, schon leicht verrosteten alten und ziemlich staubigen Kerzenständer, welcher schräg neben ihr zwischen lauter Kartons, die mit alten Kindersachen von Maya und Lena gefüllt waren, und rannte auf den Fremden zu – den Kerzenständer hielt sie dabei angriffsbereit in ihrer rechten Hand. Sie holte aus und wollte den jungen Eindringling damit am Hinterkopf treffen, ohne Rücksicht auf Verluste, doch im Letzten Moment drehte sich der Fremde um und packte ihr Handgelenk, wo sich der Kerzenständer, vor Wut und Adrenalin zitternd, befand und hielt sie schließlich von ihrem Vorhaben ab.
„Was…was machen… Sie hier?!“, schrie Lena entsetzt und leicht in Panik verfallend aus, da er sie so eiskalt und ohne eine Miene zu verziehen anstarrte. Gleichzeitig war sie über sein Aussehen mehr als geschockt und…ja verwirrt, denn seine Augen blitzen ihr feuerrot und mit voller Intensität entgegen – wie zwei rubinrote, funkelnde Sterne.
„Du hättest besser deinen Schönheitsschlaf weiterführen sollen..! Das hast du jetzt davon.“, entgegnete der junge Mann mit angespannter, ernster Stimme und Lena sah ihm deutlich in seinem Blick an, das es ihm Freude bereitete, sie jetzt so zu sehen – ängstlich, zitternd, mit weit aufgerissenen Augen und trockener Kehle. Nach ein paar Sekunden verzog sich seine weiße, beinahe porzellanartige Miene zu einem fiesen Grinsen, worauf Lena nicht anders konnte, als sich aus seinem Griff zu befreien.
„Lass…mich los! Du…Schwein!“ Sie versuchte, ihren Arm von ihm wegzuziehen und stemmte sich mit alle Gewalt nach hinten – doch es half nichts. Immer wieder versuchte sie ihr Handgelenk aus seinem festen Griff zu entreißen, doch sie schaffte es nicht. Und anscheinend schien es ihm nicht sonderlich viel auszumachen, das Lena sich mit aller Gewalt gegen ihn wehrte, denn er stand einfach regungslos, ja fast schon gelangweilt da, als wäre Lena nur eine kleine Maus die sich mit alle Kraft aus einer Mäusefalle befreien wollte.
„Was soll ich denn jetzt mit dir anstellen? Logisch wäre es dich sofort zu beseitigen, doch leider ist es mir vergönnt dir etwas anzutun. Leider!“, sagte er nach einer Weile ruhig und betonte dabei das letzte Wort besonders stark, worauf Lena ihn zuerst hilflos, dann aber voller Hass ansah – in seine leuchtend glühend roten Augen.
„Was…soll das denn bitte heißen?“; stammelte sie leicht erregt, doch mit jedem einzelnen Wort wurde ihrer Stimme fester und bestimmender. „So ich jetzt froh darüber sein und dich dafür umarmen?!“ zischte sie sarkastisch und wandte dabei nicht einmal ihren Blick von ihm ab, auch wenn etwas in ihrem Inneren es lieber getan hätte – sogar danach schrie-, sie konnte nicht wegschauen. Denn wenn sie es täte dann würde sie ihm gegenüber Schwäche zeigen und das war noch nie ihre Stärke gewesen. Der Dunkelhaarige Fremde lachte und zog sie mit einer Leichtigkeit noch näher an sich heran und obwohl sich Lena dagegen stellte, gelang es ihr wieder nicht – er war einfach zu stark. Fast schon übermenschlich stark.
>>Hat er so was wie Amvitamine intus, oder warum trotz er so vor Kraft?! Ich kann nicht das Geringste…gegen ihn ausrichten! Dabei haue ich andere manchmal mit einer simplen Ohrfeige aus den Schuhen! <<, fragte Lena sich verzweifelt, und gab widerwillig auf, sich von ihm zu befreien. Ihr Puls raste vor Anstrengung und ihre Atmung ging schwerer und rasselnder. Sie war völlig fertig und senkte ihren Kopf.
„Na, genug herumgezappelt?“, gab er anschließend belustigt von sich und schaute eindringlich auf sie hinunter. Dabei hörte er ihren Herzschlag noch deutlicher, als sie ihn in ihrer Brust wahrnahm und er spürte wie das warme, ja fast schon erhitzte Blut in ihren Adern pulsierte und durch ihren ganzen Körper strömte. Unwillkürlich leckte er sich mit seiner Zunge über die Unterlippe. Er war so durstig. Tatsächlich war es schon eine ganze Weile her, wo er das letzte Mal so frisches Blut zu sich genommen hatte. Doch er durfte es nicht, er durfte ihr wegen gewisser Regeln nichts antun. Wesen seiner Art durften nur alten, bald sterbenden Menschen und Kranken ihre blanken weißen Zähne in den Hals bohren – oder die die sich danach sehnten den Tod zu finden, die allerdings zu feige waren sich selbst umzubringen.
Rasch schluckte er den aufkommenden brennenden Durst seine viel zu trockene und angespannte kehle hinunter und wurde augenblicklich dadurch wieder ein wenig reizbarer. Plötzlich packte er Lena, welche immer noch erschöpft ihren Kopf gesenkt und langsam ein -und ausatmete, an beiden Oberarmen, worauf die Braunhaarige ihn geschockt mit ihren smaragdgrünen Augen fixierte. Auf seinen Lippen zeichnete sich wieder dieses fiese Grinsen ab, was ihr gar nicht gefiel. Sie dachte: jetzt hatte wohl ihr letztes Stündlein geschlagen.
„Und jetzt? Was soll ich jetzt mit dir machen? Du hast mich bei meiner Suche gestört und eigentlich müsste ich dich jetzt dafür bestrafen, aber du weißt ja, ich darf es nicht!“, sagte er mit fester tonloser Stimme, und stierte förmlich auf Lenas Hals, dort, wo die Hauptschlagader unter ihrer Haut vor Angst pochte. Er biss sich etwas nervös auf die Unterlippe und schien zu überlegen, was er am besten Tat – ob er sie hier einfach zurücklassen sollte, oder sich einmal den Regeln wiedersetze und ihr ganzes warmes Blut seine Kehle hinunterfließen lassen sollte.
„Nun gut, so wie es aussieht muss ich hier wohl abbrechen.“, sagte er enttäuscht über seine eigene Entscheidung und stöhnte genervt. „Hast du ein Glück..!.“, gab er leicht gehässig von sich und griff mit seiner rechten Hand blitzschnell nach Lenas Kinn, was er ziemlich fest zwischen den Fingern presste, sodass Lena ein klein wenig vor Schmerz aufstöhnte. Dann drückte er mit den Fingern jeweils links und rechts gegen ihre Wangen, was genauso schmerzhaft war und dabei verformte sich ihr Mund und quetschte ihn unschön wie zu einer Art Fischmund auseinander.
>>Ist der Typ irre?! Er tut mir weh!!! <<, schrie sie innerlich vor Wut und Schmerz auf und drückte ihre Augen fest zusammen. Auf einmal ließ er sie abrupt los und Lena fiel unerwartet und etwas taumelig vor Schmerz auf die Knie. Schlagartig öffnete sie wieder ihre Augen und sah wie der Fremde ohne zu Zögern zu dem kleinen rechteckigen Fenster rannte - und hinaus sprang. Einfach so, wie ein schwarzer Schatten. Noch etwas benommen aber fassungslos stand Lena auf und ging zu dem Fenster, dann schaute sie hinaus und ihr Blick wanderte sofort misstrauisch nach unten. Zu ihrem Erstaunen war dort niemand zu sehen. Normalerweise hätte dieser Kerl nach diesem Sprung unten aufschlagen und sich sämtliche Knochen brechen müssen, doch da war niemand. Niemand kroch stöhnend und keuchend am Boden, vor Schmerzen nach dem üblen Aufprall. Ungläubig kratzte sich Lena am Kopf und blinzelte ein paar Mal verwirrt auf.
„Lena!“, rief ihr Vater plötzlich hinter ihr, worauf diese erschrocken herumwirbelte.
„Papa?“ Lena sah ihn verwundert an und konnte nicht glauben, dass er wirklich vor ihr stand, sie glaubte immer noch in so eine Art Traumzustand zu sein. Doch die ernste tiefgehende Stimme ihres Vaters ließ sie zusammenzucken und sie erkannte dass sie sich in der Wirklichkeit befand. Und das ihr Vater nun stinksauer auf sie war, weil sie sich so mitten in der Nacht hier herumtrieb.
„Was machst du bitte hier oben, Lena? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ Die Stimme ihres Vaters, welcher an den Haarscheiteln schon etwas ergraut war, hallte durch ihr Gehör wie ein Donnergrollen, worauf Lena ein weiteres Mal in sich zusammenzuckte. Dann sah sie ihn ein wenig beschämt an, mit leicht gesenktem Kopf. „Tut mir leid, ich hatte nur etwas gehört und da bin ich hier hoch um nachzusehen.“, stammelte sie verhalten und zupfte nervös an ihren Fingerspitzen herum. Ungläubisch zog Vater eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor die Brust. Anscheinend glaubte er seine Tochter nicht so recht.
„Ich habe dich schreien gehört.“, entgegnete ihr Vater mit leicht besorgt klingender Stimme, jedoch war seine Miene weiterhin sehr ernst. Daraufhin sah Lena ihn mit ihren großen smaragdgrünen, leuchtenden Augen an und seufzte schließlich. Im Anschluss daran wandte sie ihren unsicheren Blick wieder dem staubig dreckigen Boden unter ihren Füßen zu, welcher bei jedem Schritt den sie leicht hin und her wippte, ein wenig quietschte und knarrte.
„Ja ich hab mich erschreckt. Deshalb habe ich geschrien, ich habe hier oben eine Maus gesehen. Tut mir leid. Höchstwahrscheinlich hatte sie mehr Angst vor mir als ich vor ihr.“ Obwohl ihr irgendwie nicht dazu zumute war lachte sie, doch Lena wollte die angespannte Stimmung die zwischen ihr und ihrem Vater herrschte ein wenig auflockern. Zudem war sie mittlerweile hundemüde und sehnte sich nach diesem nächtlichen Abenteuer so sehr auf ihr Bett.
„Geh ins Bett, Lena.“, erwiderte ihr Vater, als wüsste er, dass seine älteste Tochter einfach nur noch ins Bett wollte. “Wir reden morgen früh.“ Schweigsam und ohne ihren Vater noch einmal anzuschauen stürmte Lena an ihm vorbei, hinunter in ihr Zimmer und verkroch sich dort sofort mit laut schlagendem Herzen und vollkommen wirren Gedanken unter ihre Bettdecke, wo sie bis zum morgendlichen Weckerdröhnen unbedingt bleiben wollte, koste es was es wolle.

Kapitel Eins - Ende


© Lady_Eternal


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Beschreibung des Autors zu "In der Nacht - Kapitel Eins"

Lena ist 15 Jahre alt und, naja sie hat hier und da Probleme mit der Schule, da sie sich arg anstrengen muss, das Schuljahr der neunten Klasse zu bewältigen. Außerdem kämpft sie weiterhin mit den unterdrückten Gefühlen für ihren einzigen Kumpel Jean. Und wäre all das noch nicht genug, taucht eines Nachts auch noch jemand Fremdes auf dem Dachboden ihres Elternhauses auf, der anscheinend energisch nach irgendetwas sucht. Nur was? Doch, bald findet sie heraus das dies nicht das einzige Geheimnis ist, was ihn umgibt.

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