„Es war einmal ein Mädchen, das war so schön wie die Sonne.“ Meine Zuhöhrer redeten weiter und beachteten mich nicht. Das war nichts, was sie hören wollten. Nicht noch eine Geschichte von Königen und Sonnen.
„Aber sie war nicht von Adel. Sie war die Tochter eines Schweinehirten, eines armen Mannes, und ihre Hände trugen die Male harter Arbeit. Ihre Haut war braun von der Sonne, unter der sie schuftete, abgetragen waren ihre Kleider und schmutzig ihr Haar. Aber ihre Augen waren grün und lachten. Doch man hätte sie nicht für schön gehalten, hätte sie nicht singen können. Wenn sie sang, schwiegen die Vögel auf den Bäumen, verschämt, weil es jemanden gab, der ihren Gesang an Schönheit zu übertreffen vermochte. Die Menschen um sie konnten nichts anderes tun als ebenfalls schweigen, wenn sie ihren Gesang vernahmen. Es war nicht so, dass sie ihre Leiden nur vergaßen, wenn das Mädchen sang, nein, sie vergaßen, dass es Leid gab. Sie konnten sich nicht mehr daran erinnern. Nichts, was nicht gut und schön war, war real, wenn sie sang. Es wirkte wie ein Alptraum, den man vergessen hat und an den man sich auch nicht mehr erinnern wollte. Welche Trauer erfasste die Menschen, wenn die Tochter des Hirten ein Lied beendet hatte und es wieder still wurde!“
Ein paar meiner Zuhörer redeten noch immer. Die anderen saßen schweigend da wie die Vögel in dem Märchen.
„Die Worte, die sie nutzte, waren einfach und klar und erzählten nicht vom Verstehen, sondern von Wundern, die man pries, obwohl oder gerade weil man sie nicht verstand, nie verstehen würde. Manchmal nutzte sie keine Worte. Die Menschen aus ihrem Dorf kamen zu dem Mädchen, um ihr zu lauschen und andere taten dasselbe. Barden und Spielmänner kamen von weit her, um ihren Gesang zu hören, um von ihr zu lernen. Doch niemand konnte es ihr gleichtun. Einmal machte sich auch eine Nachtigall auf, um das Mädchen in den alten Kleidern singen zu hören, und sie schwieg genau wie die anderen Vögel. Als das Lied zuende war, flog die Nachtigall davon und die Barden berichten, man habe sie niemals wieder singen gehört.
Und mit dieser Geschichte zogen die Spielmänner und Gaukler im Land umher und immer mehr kamen in das kleine Dorf, um die Sängerin zu hören, die eine Nachtigall zum verstummen brachte.
So kam es, das eines Tages auch eine leibhaftige Königin in das Dorf kam und nach dem Mädchen schicken ließ. Ihr bot sie an, in ihren Palast zu kommen und für sie zu singen. Die Königin versprach ihr, nie wieder all das Elend sehen zu müssen, das sie im Dorf umgab: „So verrrate mir deinen Namen, Mädchen, dass ich ihn voll Stolz als den meiner Tochter nennen kann“
Die Menschen freuten sich für die Tochter des Schweinehirten und auch der Vater wünschte ihr schon Glück, als sie, die nie einen Namen besessen hatte, um Gehöhr bat. „Was für eine Närrin wäre ich, mit euch zu gehen“, sagte sie ohne Scheu der Königin ins Gesicht, „Wo ich doch weiß, dass ich nur deshalb so singen kann, dass die Vögel verstummen und die Menschen ihr Leid vergessen, weil es um mich herum Leid und Elend gibt.“
Die Königin war gekränkt und verbot, über die Sängerin zu berichten, was der Grund ist, dass niemand diese Geschichte kennt, wo sie doch wahr ist. Die Hirtentochter aber wurde von dem Tag an Sophia genannt, das heißt die Weise.“


© Stefanie T.


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Beschreibung des Autors zu "Sophia"

Ich denke, diese Geschichte könnte man auch als Märchen bezeichnen, oder habe ich Unrecht?

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Kommentare zu "Sophia"

Re: Sophia

Autor: Rebecca   Datum: 29.03.2013 0:50 Uhr

Kommentar: Das ist eine schöne Geschichte. Ich würde Sophia am liebsten selbst einmal singen hören :)

Re: Sophia

Autor: Lady Eternal   Datum: 01.04.2013 18:23 Uhr

Kommentar: wunderschön, ich mag Leute die einen mit ihrer Stimme verzaubern können :)

Re: Sophia

Autor: Varia Antares   Datum: 17.04.2013 23:36 Uhr

Kommentar: Wow, Du hast einen guten Erzählstil! Ich finde, die Geschichte könnte man so auch in einem Buch lesen - sehr gut geschrieben.

Gruß
Varia

Re: Sophia

Autor: Aello   Datum: 18.04.2013 17:08 Uhr

Kommentar: Liebe Varia, liebe Rebecca und liebe Lady Eternal,
vielen Dank für Eure unglaublich lieben Kommentare!
Sophia war mir immer eine besonders wichtige Fantasiefigur, es freut mich, dass sie bei Euch so gut ankommt.
LG, Aello

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