Es war Anfang Juni 1995, die Sommerferien standen vor der Tür.
“Weißt du was,” meinte Werner eines Abends, “ich bin so richtig urlaubsreif. Keine Konzentration mehr, keine Lust, keine Kraft. Sieh doch mal zu, ob du nicht noch einen Ferienplatz bekommen kannst. Am besten wäre wieder ein Bungalow auf Usedom.” Ich war überrascht, aber der Gedanke stimmte mich richtig froh. “Ja, mache ich gerne, ich fahre gleich morgen ins Reisebüro. Die Kinder werden sich freuen.”
“Nein, tut mir leid, in K. ist nichts mehr frei. Ich schaue mal, wo wir noch Bungalows anbieten können und ob da noch was zu machen ist. Sie sind aber auch recht spät gekommen.” Die Dame im Reisebüro hämmerte auf ihren Computer ein. Und dann strahlte sie mich an. “Ich hätte da was. Das ist ein ganz neues Urlaubsdorf bei Z. mit kleinen Ferienhäusern. Es ist erst vor kurzem übergeben worden. Da gibt es aber noch keine genaueren Prospekte, weil es so neu ist. Vier Kilometer vom Strand entfernt. Das ist doch, wenn man ein Auto hat, nicht sehr viel. - Zwei Häuser sind noch frei.”
“Prima.” Ich war glücklich. “Das nehmen wir.”
Es war ein Sonnabend, als wir gegen 13.00 Uhr in Z. ankamen. Eigentlich kannten wir die Gegend dort. Aber von dem “Ferienparadies am Bodden” hatten wir noch nichts gehört. Ein Hinweisschild gab es auch nicht. Also fuhren wir alle Straßen in Richtung Bodden ab. Überall wurde gebaut, entstanden neue Wohn- und Ferienhäuser. Aber ein Urlaubsdorf war nicht dabei. Endlich fanden wir einen Mann, der unser Ziel kannte. “Da fahren Sie man die Straße hier hoch, dann an der Kreuzung links rein und immer geradeaus. Dann sehen Sie das schon rechterhand. Ist alles neu.” Wir bedankten uns und sahen uns an. Die Straße waren wir schon zwei Mal gefahren.
Es muss so gegen vierzehn Uhr gewesen sein, als wir die Ferienhäuser fanden, zehn bis fünfzehn schmucke Bungalows inmitten einer großen Baustelle. Bausand, unfertige Straßen, unfertige Matschwege zu den Häusern, Baugeräte aller Art überall. Unter einem Ferienparadies hatten wir uns allerdings etwas anderes vorgestellt, weshalb wir es auch schon zweimal übersehen hatten. Auch hier existierte kein Hinweisschild.
Mit etwas Mühe machten wir ein Ehepaar aus, das sich als Verwalter vorstellte. Stolz zeigten sie uns unseren Bungalow. “Sehen Sie, es ist alles noch vollkommen neu. Sie sind die ersten Bewohner dieses Hauses. Sagen Sie selbst, ist das nicht hübsch hier? Unsere Küchen sind ausgestattet mit Mikrowelle und sogar einem Geschirrspüler. Das finden Sie noch nicht überall so vor.” So gesehen hatten sie recht. Im Erdgeschoss bildeten eine großzügige Küche sowie Eingangs- und Essdiele eine Einheit. Hier befanden sich auch ein großes und ein Kleines Schlafzimmer sowie das Bad. Über eine geschwungene Treppe gelangte man in das Obergeschoss, das ausschließlich als gemütlicher Wohnraum diente. Fernsehecke, Bücherecke und alles als Galerie gebaut. Durch das Geländer war der Blick frei von oben wie von unten. Sehr hübsch, sehr gemütlich, sehr hell, für unsere damaligen Verhältnisse sehr modern.
Nachdem die Verwalter uns alles gezeigt hatten, waren wir allein. Die Jungs eroberten das kleine Schlafzimmer als ihr Kinderzimmer bzw. testeten den Fernsehapparat. Als ich jedoch Werners Gesicht sah, war alles klar. “Komm schon, wir lassen uns nicht den Urlaub verderben. Wir sind doch sowieso meistens am Strand oder sonst wo unterwegs. Da sollte es uns egal sein können, wie es draußen aussieht.” “Hast ja Recht,” brummte Werner. “Aber weißt du eigentlich, dass wir Sonnabend Nachmittag haben? Sonnabend in einem Feriendorf?” “Wieso, was willst Du damit sagen?” “Na hast du noch gar nicht mitbekommen, dass keine zwanzig Meter von uns entfernt ein Lader mit Planierarbeiten beschäftigt ist?” Dann zog er den Satz in die Länge, um ihn richtig wirken zu lassen. “Am -Sonnabend - Nachmittag- in- einer- Feriensiedlung!” “Lass gut sein,” winkte ich ab, “der hört schon noch auf. Wir müssen sowieso erst einmal auspacken, bevor wir mit dem Erholen anfangen können. Ich mach uns erst einmal einen Kaffee und den Kindern eine Milch warm.”
Eine halbe Stunde später stand der Hausverwalter in unserer Küche. “Tut mir wirklich leid. Ich kann die Ursache auch nicht finden. Da muss ein Elektriker ran. Aber den kann ich vor Montag nicht erreichen. Ist mir wirklich peinlich.” Nachdem er sich eine dreiviertel Stunde um den Elektroherd gewunden hatte, weil der und unsere Milch nicht warm wurden, kapitulierte er. Für den Baggerfahrer draußen entschuldigte er sich ebenfalls. Es war das regnerische Wetter. Das waren letzte wichtige Restarbeiten, mit denen man nicht fertig geworden war. Aber es könne sich nur noch um Minuten handeln, bis der auch Feierabend machte.
Wir bauten trotzdem draußen auf der Terrasse Tisch und Stühle auf, die noch in einer Abstellkammer standen. Allerdings musste ein Sohnemann erst noch mal zum Verwalter laufen, weil der vergessen hatte, uns den Schlüssel dafür zu geben.
“Mensch Gabi. Ich weiß nicht, worauf wir uns hier eingelassen haben. Von wegen neue Feriensiedlung übergeben. Sieh mal, die Häuser auf dieser Straßenseite sind anscheinend alle fertig. Aber auf der anderen Seite hängen ja zum Teil noch die Kabelanschlüsse davor rum. Außerdem wächst da noch kein Grashalm.” “Ja.” Ich musste ihm Recht geben. “Die Laternen sind noch nicht alle angeschlossen. Und das Gras hier ist auch noch ganz frisch und dazu sehr schlecht aufgegangen. Die Kinder haben sofort Dreck an den Schuhen. Aber egal, wir lassen uns den Urlaub nicht vermiesen, oder? Komm, lass uns doch mal ein bisschen herum schnarchen und uns alles genauer ansehen. Da vorne müsste der Bodden sein. Vielleicht finden wir eine Badestelle.” “Wir kommen aber nicht mit,” riefen unsere Jungs, “wir holen uns den Ball und das Federballspiel raus.” Unser Spaziergang ergab, dass wir nur ein paar hundert Meter vom Gewässer entfernt waren. Eine wunderschöne Landschaft tat sich vor uns auf. Aber eine Badegelegenheit fanden wir nicht.
Nach der langen Fahrt wollten wir an diesem ersten Tag eigentlich zeitig ins Bett gehen. Aber es kam anders. “Also, das verstehe ich wirklich nicht. Die Thermen haben alle funktioniert. Es ist ja alles abgenommen worden.” Der Verwalter war etwas ungehalten, denn es war schon gegen einundzwanzig Uhr. Allerdings waren auch wir einigermaßen frustriert, denn wir hatten uns auf eine warme Dusche gefreut, die nun ins kalte Wasser fiel. “Da können wir ebenfalls nichts anderes tun, als bis zum Montag warten. Aber wenigstens haben wir es ja geschafft, dass der Geschirrspüler nun läuft und Sie nicht noch abwaschen müssen.” Bei dem klemmte die Tür. Das war aber nicht das Problem. Denn wenn man es wusste, musste man eben nur richtig gegen drücken, sprich mit dem Knie nachhelfen.
In der Tür drehte er sich noch mal um. “Ach übrigens, können Sie bitte darauf achten, dass ihre Jungs beim Spielen. nicht so auf dem neuen Rasen herum toben. Vor allem auf der Seite vor dem Haus. Wir haben da vorne einen Spielplatz.” Dabei zeigte er in eine Richtung, die wir uns noch nicht angesehen hatten. Deswegen konnten wir wohl auch noch keinen Spielplatz erkennen.
Als wir endlich in den Betten lagen, meinte Werner: “Wenn das so weiter geht, bleibe ich nicht lange hier.” “Ach, warte doch wenigstens ein paar Tage ab, entgegnete ich, “es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.”
Am Montag wollten wir mit den Kindern ein wenig auf der Insel herumfahren. Aber da die Handwerker angemeldet waren, ging das nicht. Der Hausverwalter hatte weder einen Zweit- noch einen Generalschlüssel. Er war dann auch dienstlich in wichtigen Angelegenheiten unterwegs. Also mussten wir warten. Zum Glück war immer genügend Literatur in unserem Gepäck. Damit richteten wir uns eben einen echten Tag der Entspannung ein. Etwas komplizierter war es mit den Jungs. Der Spielplatz entpuppte sich als eine umzäunte Sandfläche von vielleicht 30m² mit einer Wippe und einer Schaukel.
“Da können die sich aufregen soviel sie wollen, aber ich lasse die Jungs auf der Wiese spielen. Mit zehn und zwölf Jahren ist man eigentlich aus dem Wippe-Alter raus. Wenn sie keine Alternative zu bieten haben, soll mir das egal sein.” Ich musste mich bremsen, um Werners angeschlagene Stimmung nicht noch durch meine eigene Enttäuschung zu steigern.
Am Nachmittag kam endlich der Elektriker. Er war nicht gerade bester Laune, denn eigentlich hatte er Feierabend und konnte sich überhaupt nicht recht vorstellen, was da nicht funktionieren sollte. Dann stellte er jedoch fest, dass der Herd noch gar nicht angeschlossen war. Das war kein Problem, aber der Beweis, dass wir ihn also doch nicht aus Jux hatten kommen lassen. Er wurde etwas freundlicher. An dem Warmwasserboiler baute er eine ganze Weile herum, was ihm sichtlich peinlich war. Endlich wechselte er eine automatische Sicherung aus. Die Therme sprang an, ließ warmes Wasser fließen und uns allesamt aufatmen. Konnte nun der Urlaub richtig anfangen?
Werner war der erste, der unter die Dusche ging. Endlich! - Bis zum nächsten Aufschrei. “Gabi, komm mal her, schnell! Sieh dir doch die Dusche mal an, ob du was findest, wo man die verstellen kann. Das Wasser ist kochend heiß und ich finde nichts, um das zu verändern!”
Der Hausmeister verdrehte die Augen, als er mich kommen sah. Aber es half nichts, er musste wieder mitkommen. Da er uns nicht glauben wollte, verbrühte er sich erst einmal gehörig die Finger. Nach ein paar gepfefferten Flüchen kam er zu der Erkenntnis, dass die Mischbatterie defekt sein könnte. Eine Reparatur für den nächsten Tag.
Werner war ganz schön bedient, weil wir nun endlich etwas unternehmen wollten. Außerdem wurde draußen wieder fleißig mit Baufahrzeugen gearbeitet und wir brauchten irgendwo Ruhe.
“Na gut,” räumte der Verwalter ein, “Sie können morgen den Schlüssel bei mir lassen, wenn Sie das möchten. Meine Frau oder ich sind immer da. Wenn Sie zurück sind, holen Sie ihn sich wieder ab. Was Denken sie denn, wann Sie wiederkommen werden? ....Ja, gegen acht ist in Ordnung. Wir sind ja immer da.” So gaben wir am nächsten Morgen den Hausschlüssel beim Verwalter ab.
Wir verbrachten einen wunderschönen Tag auf der Insel. Nur auf der Rückfahrt hatten wir etwas Pech. Vor uns fuhren etliche Kilometer lang Erntefahrzeuge und an ein Überholen war überhaupt nicht zu denken. So war es schon kurz nach neun Uhr, als wir in unserem Paradies ankamen. Wir waren glücklich und müde - nur - es war kein Verwalter und damit kein Schlüssel da. Ihr Haus war dunkel und verschlossen, niemand wusste, wo sie sich aufhalten könnten. Irgendwer mutmaßte, dass sie im Dorf wohnen würden, weil sie nicht jede Nacht anwesend waren. Uns blieb nichts anderes übrig, als loszufahren und zu suchen. Es war schon dunkel, als wir eine Angestellte fanden. Die hatte einen Schlüssel zum Haus der Verwalter und wollte dort unseren suchen helfen. Heute hätte so ein Verwalter sicherlich ein Handy, aber damals.......... Schließlich tauchte die Frau des Verwalters auf und fauchte ihre Angestellte an. “Die Herrschaften werden doch wohl mal eine Weile warten können. Die waren ja auch nicht pünktlich.” Ich schluckte eine Bemerkung runter und sah Werner an seiner ganz schön würgen.

Die Gastherme hat bis zu unserer Abreise nicht einwandfrei funktioniert. Nach dem Anlassen des Wassers sprang die besagte Sicherung teilweise nach so kurzer Zeit wieder heraus, dass das warme Wasser nicht einmal bis zum Schlauch raus kam. Nach wiederholtem geduldigem Reindrücken blieb sie dann für unterschiedlich lange Zeiträume drin. Jedenfalls - gewusst wie. Einer konnte duschen und der andere bewachte die Sicherung. Wir hatten einfach keine Lust mehr, uns zu streiten, auf Handwerker zu warten oder nach dem Schlüssel zu laufen.
Der Weg bis zum Strand war auch nicht wie angegeben vier, sondern neun Kilometer weit. In der Ferienanlage wurde jeden Tag den ganzen Tag gearbeitet. Bagger fahren, Hämmern, Sägen, Nageln - alles was Lärm macht, war dabei. Gott Lob hatten wir schönes Wetter und hielten uns so selten wie möglich tagsüber im Bungalow auf. Doch irgendwann waren wir doch noch im Bungalow geblieben, hatten es uns auf der Terrasse gemütlich gemacht und hörten leise Musik. Dabei ignorierten wir tapfer die Planierraupe auf der anderen Straßenseite. Plötzlich kam ein Arbeiter und begann genau vor unserem Haus mit einem Trennschleifer die Straße zu bearbeiten. Keine Musik war mehr zu hören, kein Wort zu verstehen. “Na und,” baute sich der Verwalter vor uns auf, “was wollen Sie denn? Es ist doch schon elf Uhr. Ausschlafen konnten Sie doch.”
Das Kofferpacken dauerte keine Stunde. Noch in dieser Nacht schliefen wir wieder in unseren eigenen Betten, saßen für den Rest des Urlaubs in Ruhe auf unserem Balkon und konnten ohne Wettlauf mit der Zeit Duschen. Nur eine Geschirrspülmaschine, die besaßen wir damals noch nicht.


© Ursula Heinold


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Beschreibung des Autors zu "Das Urlaubsparadies"

Die ganze Familie freute sich auf ein paar erholsame Tage. Wir buchten uns in eine Bungalowsiedlung ein. Ganz neu, ganz modern, Wellness pur.
Es war wirklich alles niegelnagelneu. Doch neue Technik hat manchmal so ihre Macken. Der Teufel steckte im Detail....

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